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von VVKL * * so * * war mit drückenden, schweren Wolken verhangen, die mit rasender Hast über die grotzen und kleinen Straßen dahinzogen und so tief herabhingen, daß sie die hohen Giebel der älteren Häuser zu berühren schienen. Die Spitze des sagen berühmten Turms der Bonifaziuskirche war völlig in schwarzen Dunst gehüllt, so daß er dem gigantischen Rumpf einer riesenhaften Ruine glich. Der Regen peitschte herab, und der sausende Wind warf aanre Schwaden aeaen die Fast gleichzeitig kamen, kurz vor Mitternacht, die beiden Vorortzüge wieder zurück, der eine von Norden, der andere von Süden. Der Bahnhos war hell erleuchtet im Strahl der mächtigen Bogenlampen. Rasch entleerten sich die kleinen Züge. Der Verkehr war Werktags um diese Stunde gering. Unter der großen Uhr, am Ausgang in das Stadt innere, trafen sich Lienhart und seine Frau wieder. Von weitem sahen sie beide, daß der andere allein war. Sie sprachen nicht viel, jeder wußte, was der andere zu sagen batte. „Nichts?" fragte Lienhart. „Nichts!" erwiderte Mutter Lienhart leise. Sie waren beide so niedergeschlagen, so furchtbar ge drückt und sorgenvoll, daß sie nicht einmal mehr über die falschen Nachrichten, die zweifellos eine bewußte Irre führung bezweckten, zornig waren. Die Straßenbahn hatte ihren Betrieb eingestellt, nicht einmal eine Droschke war mehr zu erblicken. Sie mußten zu Fuß den weiten Weg nach Hause antreten. Stumm gingen sie nebeneinander her. Still und ruhig schloß Lien hart die Haustür aus, als sie endlich angelangi waren; still und ruhig gingen sie die vielen Treppen hinauf. Oben öffnete Mutter Lienhart zuerst die Tür des kleinen Zimmerchens. „Grete!" sagte sie. Sie zündete eine Kerze an, und leuchtete; aber die Grete war nicht da. Das Bett war unberührt. Und nun hielt sie sich nicht länger zurück. Ehrliche, auf richtige Tränen traten ihr in die Augen. „Hätte ich es doch nicht getan!" sagte Lienhart. „Der Stephan war ein braver Mensch, und tüchtig." Mutter Lienhart weinte heftig. „Und sie waren glücklich, die beiden Kinder." Dritter Tag. Es wollte nicht hell werden. Der Himmel klirrenden Scheiben. Losgerissene Läden schlugen polternd gegen die Mauern, und von Zeil zu Zett klapperten Stücke verwitterter Ziegel rutschend über die Dächer. Die Straßen der Hohenburger Vorstadt sahen trübselig aus. Das Pflaster glänzte vor Nässe, und an de» aus gefahrenen Stellen bildeten sich große häßliche Pfützen. Die Häuser mit dem geringen, vergangenen Schmuck zeigten starke, feuchte Flächen, die ihren Anblick noch unschöner machten. DieLeute, die schon beiTagesgrauen ihr Beruf, die Sorge um das tägliche Brot, in dieses Unwetter hinauS- trieb, eilten fröstelnd, mit dem Wind kämpfend, unter den Häusern hinweg, in triefende Regenmäntel gehüllt. Bei Lienharts war es trotz der frühen MorgelHunde schon lebhaft. Sie hatten kaum geschlafen. Der Meister sah bekümmert aus, und Mutter Lienhart hatte rot geweinte Augen. Ihr erster Gang war nach Gretes Kammer gewesen. Eine schwache Hoffnung trieb sie, die Verschwundene könnte sich über Nacht wieder eingestellt haben. Aber ver gebens. JetzthantierteMutterLienhartinderKüche,umde» Kaffee zu bereiten. Sonst war es Gretes Geschäft. Da kam schon jemand die Treppe heraufgestapst und brachte Schmutz und Nässe mit. Sie wunderte sich, wer das sein könnte mü> wie die Person hereinkam in das Haus, daS sonst um diese Zett noch verschlossen war. Da aber gerade die Much am Ueberkochen war, konnte sie nicht einmal de» Kopf zur Tür hinausfiecken. Ihre Neugier bekam Nahrung. Bald vernahm sie die tönende Stimme des Meisters,. Gepolter, kurzem schnelle Tritte, als entferne sich jemand widerstrebend. Nun hielt es aber Mutter Lienhart nicht mehr länger aus. Sie kam gerade noch recht, um zu sehen, wie ei» halbwüchsiger Bursche schimpfend die Treppe himchging. Es war wieder einmal ein Abgesandter der Firma Prometheus, der die Kunde brachte, daß die Nachforschung trotz verzweifelter Bemühungen ergebnislos Ware«. Dies mal war es aber dem Meister doch zuviel gewesen, und er . hatte den Unglücksboten einfach handgreiflich entfernt. „Der Morgen sängt gut an", sagte die Meisterin. „Be herrsche dich doch, Lienhart!' Er wollte heftig entgegnen; aber in diesem Augenblick ließ sich in der Küche ein Zischen und Prasseln vernehmen, wie wenn tropfbar Flüssiges mit heißem Eisen, zum Bei spiel einer Herdplatte, in Berührung kommt. Zugleich drang ein penetranter Geruch aus dem geöffnüen Lür spalt. „Herrje, die Milch!" Mit wunderbarer Geschwindig keit verschwand die dicke Frau. Aber das Unglück war ge schehen. Einige Minuten später saßen die Lienharts trübe und wortkarg am Frühstückstisch und tranken mit Todes verachtung den übelschmeckenden Kaffee. „Das hast du wieder mal fertiggebracht*, brummte Lienhart. „So ist's, wenn du dich um meine Sache» küm merst, statt um die deinigen. Im ganzen Hause riecht's nach der angebrannten Milch, daß eS nicht zum Aus halten ist." Mutter Lienhart verteidigte sich. „Wie wen» daS nicht überall vorkommen könnte. An mir brauchst du dein«» Zorn und deinen Aerger nicht auszulassen, bist sÄVst a« Mem schuld." „Ich?! Da hört doch Mes auft Hast nicht du zuerst die einfältige Idee gehabt, der Fanutti wolle um die Grete anbaltelL?^ „Glaubst du, daß Nils jemand bemerkt hat?" fragte Lienhart aus dem Bahnhof, bevor sie nach verschiedenen Richtungen auseinander fuhren. „Gewiß richt", >r«l!!»^rte sie, mit einem Anflug von Freude. -Aber sie täuschten sich beide. Mochte auch im Hause ihr nächtlicher Streifzug unbemerkt geblieben sein, so nicht aus dem Bahnhof. Zwei Männer sahen mit Interesse ihrer Abfahrt entgegen.