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Chronik des Tages. 2 — Reichspräsident v. Hindenburg ist von Ostpreußen in bester Gesundheit nach Berlin zurückgekehrt. — Die Generalshnode der evangelischen Kirch« hat den Kirchensenat zu neuen Verhandlungen mit Preußen ermäch tigt und ihm Vollmacht zur Unterzeichnung des Vertrages erteilt. — Der Preußische Landtag will die Beratung des chenvertrages mit der katholischen Kirche am 1. Juli be ginnen. — Heute beginnt in Berlin die Berufungsverhand lung gegen den Fabrikanten Friedrich Trotzki, den Besitzer der Radiofabrik, die unter so tragischen Umständen nieder gebrannt ist. — Das Autobusunglück bei Gnesen hat bisher drei Todesopfer gefordert. — Die spanischen Ozeanflieger gelten als verschollen, - — Bei der Explosion eines Munitionslagers in Kan ton (China) sollen über 5V0 Personen verletzt worden sein, Stresemanns Echo. Zustimmung in England. — Paris sieht Schwierig keiten voraus. Die führende Presse der Welt zieht die Bilanz oer zwölfstündigen außenpolitischen Debatte im Deut schen Reichstag. Uebereinstimmind wird die Erklä rung des Reichsaußenministers Dr. Stresemann i« den Vordergrund geschoben, nach der Deutschland di, Erkaufung der Rheinlandräumung durch die Errich tung einer ständigen Kontrollkommission ablehnt. Be achtung findet ferner die zweite Rede des Leiters der deutschen Außenpolitik, mit der Dr. Stresemann abermals unserer Forderung nach aktiver Teilnahmt an dem Kolonial-Mandatsystem Ausdruck verlieh und mit der er ausdrücklich bestätigte, daß die Saar- srage zu dem Komplex „Liquidierung der Kriegs- folgen" gehört. Unzufrieden mit den Ausführungen im Reichs tag ist vor allem die in Brüssel erscheinende Zeitung „Nation Belge". Das Blatt meint, Stresemann habe zwar mit offenen Karten gespielt, doch ließen seine Ausführungen deutlich erkennen, daß Belgien und Frankreich unter den von Stresemann aufgestellten Bedingungen nicht in die Räumung des RheinlandeZ einwilligen könnten. In Paris sehen die Außenpolitiker der Zei tungen Schwierigkeiten auf der bevorstehenden politi schen Konferenz voraus. Deutschland habe fast ein stimmig die Bildung einer ^Kontrollkommission ab- gelchnt. An dieser Klippe müßten sich die kommen den Verhandlungen stoßen. Wenn auch ein Scheitern der Konferenz kaum zu befürchten sei, schreibt „La Presse", so bleibe doch das Hindernis groß genug. Der „Figaro" des Parfümfabrikanten Coty tröstet sich über die Ablehnung der Kontrollkommission damit hinweg, daß Deutschland vielleicht eine „Studienkommissiow in Kauf nehmen werde. Pertinax vom „Echo de Paris" fühlt sich bemüßigt, „tiefer" zu schürfen und eine Erklärung sür die schroffe Ablehnung der Kon trollkommission beizusteuern. Er stößt dabei auf Lon don und macht den Regierungswechsel in England für die politische Entwicklung verantwortlich. Deutschland glaube jetzt seine Stunde für gekommen, weil in England „Männer der zweiten Internationale^ am Steuer säßen und weil Henderson ohne Zweifel als erste Amtshandlung den von seinem Vorgänger Chamberlain ausgearbeiteten Ueberwachungsplan in den Papierkorb werfen werde. Aber, so droht Per tinax, man solle sich keinen Illusionen hingebc-a, der Augenblick sei gekommen, um „den Lenkest BorKn und London" zu zeigen, daß Europa nicht ihren „Machenschaften" preisgegeben sei. Die englische Presse stimmt im allgemeine« den Ausführungen Stresemanns in bezug auf die po litische Konferenz und die Kontrollkommission zu. Dis bedingungslose Räumung des Rheinlandes wird in London als die einzige Lösung angesehen, die mii der Lage und den zeitlichen Erfordernissen im Ein klang steht. Man begrüßt deshalb, daß Deutschland durch unmißverständliche Darlegungen den Weg zu , der politischen Konferenz abgesteckt hat. Der Berichterstatter der Londoner „Times", der ! maßgebendsten englischen Zeitung, findet die Erklärung ! Stresemanns widersprechend. Im ersten Satz habe Dr, Stresemann jede Kontrollkommission abgelehnt, ini zweiten Satz dagegen nur eine ständige. Dir „Times" setzen dann ihren Lesern die Gründe für di« Ablehnung der Kontrollkommission durch Deutschland auseinander und bemerken dabei, nach deutscher Auf fassung könne eine Kontrollkommission — gleichgül tig welchen phrasenhaften Namen sie führe — nie- ! mals ein Instrument des Ausgleichs sein, sondern - nur eine Quelle des Aergers. Daß eine Rheinland- Kontrollkommission nicht notwendig sei, gehe nach deutscher Ansicht schon daraus hervor, daß in den 18 Monaten, die seit der Räumung der ersten Zone verstrichen sind, noch niemals eine Frage ausgetaucht ! sei, sür deren Behandlung eine solche Kommission > wünschenswert gewesen wäre. Es könne daher mit Ge- ! vißheit gesagt werden, daß die deutsche Regierung - unter keinen Umständen in die Errichtung einer stän- i lügen Kontrollkommission einwilligen werde. ! Weniger schön mutet das Getue einiger ameri- ! kanischer Sensationsblätter an, die eine Redewendung I Stresemanns mißverstanden haben und das zum An- ! laß nehmen, um ihren Artikeln die Ueberschrift zu - geben: „Stresemann sieht Europa in der ! Gewalt Amerikas". Bei der Einstellung Strese-- - manns sollten auch diese Sensationsblätter darüber - klar gewesen sein, daß es dem leitenden deutschen i Außenminister völlig fern gelegen hat, seine Aus führungen um eine Spitze gegen Amerika zu „be reichern". Doch das nur nebenbei. Wichtig ist lediglich, daß nach der außenpolitischen Debatte im Reichstag niemand mehr auf Deutschlands Einwilligung in die Errichtung einer ständigen Kontrollkommission hoffen kann. Generalshnode und Konkordat. Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Preußen. — Nnterzeichnungsvollinacht für de» Kirchensenat. — Für Gleichzeitige Verabschiedung beider Vertrüge. — Berlin, 26. Juni. Das Plenum der in Berlin versammelten Ge neralsynode der evangelischen Kirche hielt am Diens tag seine entscheidende Sitzung ab und beschäftigte sich mit der vom Verfassungsausschuß eingebrachten Vor lage zur Konkordatsfrage. Der Tagungs-Saal war dicht besetzt; die Tribünen waren überfüllt. Die Be ratungen endeten mit der einmütigen Billigung der Vorlage des Berfassungsausschusses. Der Kirchen, senat wurde beauftragt, bei der Staatsregierung un verzüglich die Wiederaufnahme der abgebrochenen Ver handlungen zu beantragen und ermächtigt, auf Grund »er von der Generalshnode im Einvernehmen mit der - Kirchenleitung ansgearbeitete» Richtlinie» eine» Ber- ! trag abzuschlirße». Im übrigen sprach die Generalsynode ihr Bei dauern darüber aus, daß in dem zu zwei Dritteln evangelischen Preußen einer der beiden großen christ» lichen Kirchen durch förmlichen Vertrag eine g e- sicherte Rechtsstellung gegeben werden soll, während der evangelischen Kirche eine entsprechende Sicherung versagt bleibe. Die ernsten Vorstellungen der evangelischen Kirchen, die die Wiederaufnahme der Verhandlungen bezweckten, seien befremdlicherweise i ohne Antwort geblieben. Die Generalsynode müsse ' hiergegen nachdrücklich Einspruch erheben und darin I eine Verletzung der Parität erblicken. Die Entschlie- > ßung fährt danach fort: i „Den evangelischen Kirchen ist die volle, der ! Reichsverfassung entsprechende Freiheit insofern ver- ! sagt worden, als ihnen Bindungen auserlegt wurden, < von denen die katholische Kirche srei geblieben ist ! und dauernd frei bleiben soll. Diese Bindungen haben ! sich in der praktischen Handhabung in einer Weise aus- - gewirkt, die die evangelischen Kirchen — bei dank- - barer Anerkennung mancher finanziellen Förderung ' durch den Staat — als Hemmung ihrer innerkirch- ! lichen Arbeit empfinden müssen. In dieser Lage spricht die Generalshnode die Er- ' ivartuug aus, daß die gesetzgebenden Körperschaften de« - preußische» Staates, sofern sie die schwere Verant- ! wortung für die Zustimmung zu dem Vertrag mit der - katholische» Kirche a»f sich nehmen wolle», ihn nicht genehmigen werden, ohne gleichzeitig einen die evan gelische» Kirchen befriedigenden Vertrag zu verabschie- ven. Die Zusage eiues später abzuschließenden Ver trages kann den evangelischen Kirchen nicht genügen, va der Ansgang künftiger Verhandlungen ungewiß ist. Nur die gleichzeitige Verabschiedung beider Ver- j träge würde den elementaren Grundsätzen der «-» f vechtiakeit entsprechen. . ! Am 9. ZE dritte Lesung des Konkordats? Der Ältestenrat des Preußischen Landtags be- > schäftigte sich mit der Geschäftslage, des Plenums und beschloß, den Kirchenvertrag zwischen Preußen und der katholischen Kirche am 1. Juli im Plenum des Landtags zur Beratung M stellen. Die zweite Le- sung der Konkordatsvorlage soll am 5. und die dritte — also die endgültige Verabschiedung des Ver trags — am 9. Juli erfolgen. Das ArteiL der Banken. »Deutschlands Leistungsfähigkeit ist unberechenbar". Der Vorstand des Zentralverbandes des Deut schen Bank- und Bankiergewerbes nahm eine Entschlie ßung zur Neparationsfrage an, die u. «.'folgende j Feststellungen enthält: , „Die deutschen Sachverständigen haben die Ueber- > nähme einer unbedingten Verantwortung für Ver- ! vflichtungen abgelehnt, die möglicherweise außerhalb : ser Grenzen der deutschen Leistungsfähigkeit liegen. ! Für di« Entschlossenheit dieser Weigerung gebührt ihnen um deswillen Dank, weil Deutschlands künf tige Leistungsfähigkeit unberechenbar ist nud «ach wie »or in entscheidendem Maße von der Erzielbarkeit , »on Ausfuhrüberschüssen, damit aber von dem wirt-- ! ichaftlichen Verhalte» des Auslandes, insbesondere der Gläubigerländer abhängig sein wird. Eine Ftnan- Aeuold Msrtsn's Modest Noman von Anna Fink (Sopxnkäu 9v Luna kink, Oresäeii-I.LuIiegLSt, Lraiusrstr. LI (20. Fortsetzung) Sic hatte einen Mantel mit einem großen, breiten Pelz kragen ungezogen, in dem ihr schmaler, feiner Kopf beinahe ganz verschwand. „Was sagt denn Ihre Fran Mutter dazu, wenn Sie nächt licherweile Deckpromenaden machen?" erkundigte sich der Graf. Nvonne lachte wie ein Spitzbube. „Die Mama schläft wie ein Dachs. Und im übrigen kann ich auch sonst machen, was ich will. Sie ist sehr gnt und ein sichtsvoll, die Mama." , „Ganz entschieden!" bestätigte Heilmannsdorf und müßte daran denken, wie seine jüngere Schwester ausgewachsen mar: am besten die Mama rechts und Sie Gesellschaftsdame oder Erzieherin links, damit nichts passiere. Bis sie ver heiratet war. Dann passierte allerdings genug. Aber dann mar ja die Mutter nicht mehr dafür verantwortlich, sondern der eigene Mann. Der hatte trotz der tadellos erzogenen Frau oder gerade deshalb dann auch nichts zu lachen. „Weshalb belustigen Sie sich?" fragte Uvonne, der das Lächeln in ihres Begleiters Antlitz nicht entgangen war. Er erzählte ihr, woran er hatte denken müssen und welche Vergleiche er gezogen hatte. Sie lachte hell auf. Dann wurde sie ernst. „Ich glaube, eS ist besser, mehr Freiheit zu haben, dann ist alles nicht so schlimm. Ich würde doch nie anders sein können als ich bin. Sie verstehen schon!" — Er bejahte und mußte dabei an die Szene bei Tisch mit dem Engländer denken. Wieder war eine kleine Pause zwischen den beiden. „Wohin fahren Sie, wenn ich fragen darf?" erkundigte er sich. „Wir werden in Genua das Schiff verlassen", beantwor tete sic seine Frage. „Wir wollen dann noch eine kleine Reise durch Italien machen, aber nur ganz kurz. Vor allem wollen wir uns Nom ansehcn, das kennen wir noch nicht. Und dann fahren wir durch die Schweiz nach Hause, nach Paris. In der Schweiz werden wir wohl in Zürich mit Rens zu- sammentreffcn." „Wer ist Nens?" fragte Graf Heilmannsbcrf. „Rene, wer das ist? Nun, er ist ein junger Fabrikant und stammt aus der Normandie. Er sieht beinahe wie ein Deutscher aus. Er ist furchtbar reich und liebt mich sehr. Mama möchte gern, daß ich bald heirate. Aber das hat doch noch etwas Zeit. Er ist nämlich sehr eifersüchtig!" berichtete Nvonne sachlich. „Der Arme!" sagte der Graf voll Mitgefühl. „Weshalb?" fragteUvonne. „Ach so", meinte sie dann, als der Graf herzlich lachen mußte. „Sic meinen, weil ich so ein Flederwisch bin?! — Ach, mein Herr, das hat doch alles nichts weiter zu sagen, das ist doch im Grunde alles so harmlos. Ohne ein wenig Koketterie wäre das Leben ja so langweilig. Und im übrigen sehen Sie ja, wie ernsthaft ich sein kann. Nun stehe ich schon eine geschlagene Stunde hier und bekomme kalte Beine, bloß um Ihre Eröffnungen anzuhören, die nicht kommen. Da, fühlen Sie nur mal" und sie streckte ihm ganz kläglich, wie ein verfrorenes, kleines Mädchen ihr Bein hin. Es mar ein ganz entzückendes Bein, mit einem hauch artigen seidenen Etwas von Strumpf bekleidet. Die Fessel war sehr schlank und voll Raffe und der zierliche Fuß stak in einem elcga»ten Schuh mit sehr hohen Absätzen. „Ja, wirklich!" bestätigte Ler Graf. Daß seine Hand dabei etwas lange nachfühlte, war im Grunde mehr Bvonne'S Schuld, die ihr Bein htngestreckt hielt. Man war bei ihr keinen Moment sicher: größte und echteste Naivität wurde ganz unvermutet und überraschend von raffiniertester Koketterie abgelöst, der man dann mit Totensicherheit zum Opfer fiel. Sie war sich dessen vielleicht nur teilweise bewußt. Wer konnte das bet einem Wesen wie Uvonne mit Sicherheit sagen? — Graf Heilmannsöorf hatte schon viele Frauen in seinem Leben kennen gelernt. Und sicher waren es nicht nur plato nische Freundschaften gewesen, die er gepflogen hatte. Aber dieses Mädchen hier übte einen besonderen Reiz aus. „Wollen wir nicht lieber nach unten gehen", fragte er, „ich möchte die Verantwortung nicht auf mich laden, Sie einer Erkältung auszusetzcn." „Nun fangen Sie endlich einmal an", rief Nvonne un geduldig. „Anstatt mir etwas zu erzählen, lassen Sie mich immer fort sprechen und beklagen sich womöglich noch über meine Geschwätzigkeit!" Der Graf gab sich einen Ruck. Vielleicht war es doch ganz gut, einmal über Dinge zu sprechen, die er sonst immer in sich verschloß. Er mußte a» eine seiner letzten Freundinnen denken, die, als er einmal in einer bedrückten Stunde sich aussprechen wollte, ihm glattweg erklärte: „Weißt Du, mein Lieber, verschone mich um Gottes willen bloß mit früheren Erleb- Nissen. Das kann ich nicht vertragen .. ." Sie war die Frau irgend eines Gesandten gewesen. Ihr Mann hatte genau über ihr Verhältnis Bescheid gewußt. Er besaß ebenfalls eine Freundin, eine berühmte Tänzerin. Man war da sehr großzügig untereinander „Es ist seitdem alles so leer in meinem Leven gewesen, wenn ich es recht betrachte", sagte HeilmannSdorf aus tiefem Sinnen heraus halblaut. „Haben Sie gar keine Kinder?" erkundigte sich Nvonne. „Nein, gar keine." „Und keine Frau?" „Auch nicht!" (Fortsetzung folgt)