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SH ZL-ST » Aber Herr Küchlein hielt sie zurüa. »Halt!" sagte er ernst. ,Jn der Sache mutz System sein.' DaS sahen auch Me ein. Hans, als dem jüngsten, wurde übertragen, die nächsten Quergassen abzusuchen und unterwegs sämtliche Lehmungen aus den Gewerben der Bäcker, Metzger, Schneider, Schuhmacher, Flaschner und Schlosser zu informieren. Friedrich, der ältere, bekam die Hauptstraßen des Viertels, seiner die Instruktion für die Köchinnen, Dienstmädchen und Marktweiber. > Küchlein übernahm die Plätze und Anlagen, die Erkundigung bei Dienstmännern, Ladenbesitzern, soweit sie unter der Tür ständen, bet Schutzleuten und Bediensteten der Wach- und Schlteßgesellschaft. Der unglückliche Vater aber mußte die An-eige bei der Polizei auf sich nehmen und wollte so- Ämn die Nachforschung im allgemeinen betreiben. AlS so alles aufs beste geordnet war, ließ man die beiden Jungen, die vor Ungeduld zitterten, abgehen. »Noch das eine", sagte Lienhart mahnend, „es ist selbst verständlich, daß die Sache möglichst geheim bleiben muß, nicht, daß morgen die ganze Stadt davon spricht/ »Natürlich, natürlich!* versicherten die anderen. ^Meister, ich finde siel* sagte der kleine Hans, rot vm «ifer. »Lot oder lebendig I* schwur der Geselle. Im nächsten Augenblick waren die beiden aus dem Hause hinaus. Lienhart warf noch einen wehmütigen Blick in der alten, lieben Werkstatt umher, in der reparaturbedürftige Kleidungsstücke, angefangene Röcke und Hosen, Stoffe und Flecke unordentlich dalagen. »Man sollte es nicht glauben! Man sollte es nicht glauben*, versicherte er. »Was man nicht alles erleben Wm in zwei Tagen. Ich sage Ihnen, wenn's so weiter geht, Herr Küchlein, pfeife ich auf das große Glück. Dann Wäre eS mir schon lieber, es wäre wieder, wie es vor gestern und den Lag vorher war.* Küchlein tröstete ihn gutmütig. »Sie müssen nicht gleich Vitz Flinte inS Korn werfen und an das Schlimmste denken. Gerade fällt mir aber ein* — er lächelte mit einer ge wissen Verschämtheit —, »wie-wäre es, wenn wir einmal zuerst noch den Stephan aufsüchen würden?* Meister Lienhart schlug sich vor die Stirn, daß es nur sv klatschte. »Ha, daß ich auch hieran nicht gedacht habe, ich Dummkopf! Natürlich, der Stephan! Sie ist mit dem Stephan durchgegangen, nichts anderes!... Na warte, dich werden wir bald wieder haben*, setzte er grimmig hinzu. »Dann aber!* Bedrohlich schwenkte er ein starkes, Vierfach zusammengelegtes Bandmaß. »Dir treibe ich es äüS, so alt du auch bist!* ' * * * Stephan saß wohlgemut auf einem hohen, über zwei Bockleitern gelegten Brett vor einem frischgetünchten Hause des Vorfladtviertels und pinselte an einem Namen herum, dessen Konturen über den Schaufenstern des im Erdgeschoß eingebauten Ladens ausgezeichnet waren. Liebevoll betrachtete er seine Arbeit und besah sich das ritzsenhaste »A* von allen Seiten, indem er den Kopf bald nach links, bald nach rechts neigte. Zufrieden baumelte er mit den Beinen und rauchte eine kleine kurze Pfeife. DaS Werk war gut und bedurfte keiner Ausbesserung, und er wollte soeben den Malstock ansetzen, um den folgenden Buchstaben zu beginnen, als er seinen Namen hörte »Hallo, Stephan!* »Ah, Vater Lienhart und Herr Küchlein! Gut ge schlafen? Wie geht's? Was fängt man heute an?* sagte er mit harmloser Lustigkeit. Lienhart geriet in leichte Verlegenheit. „Er weiß noch gar nichts!* Der Spezereienhändler winkle dem jungen Maler mit der Hand hinauf. »Haben Sie die Grete nicht gesehen?* Der junge Mensch nahm verwundert die Pfeife aus dem Munde. „Die Grete?... Aber keine Idee!* Nun erst sah er, daß die beiden Männer keineswegs vergnügt aus sahen. „Was ist denn los?* fragte er besorgt. „Was ist mit der Grete? Wo ist die Grete?* „Das wollen wir ja gerade von dir wissen, Stephan*, sagte Lienhart ärgerlich. „Durchgegangen ist fiel... Und du weißt ganz genau, wo sie hingegangen ist!* Stephan gab gar keine Antwort; aber flink kletterte er von seinem erhabenen Standort herab und stand im nächsten Augenblick bei den beiden Männern. „Im Ernst*, sagte er, „was ist denn los? Ich weiß nichts von der Grete.* Lienhart überließ es dem Spezereienhändler, zu ant worten, und dieser dem Schneidermeister. Da aber Stephan doch eine Antwort erhalten mußte, bequemte sich Lienhart zu einer solchen. „Der Fanuttil* sagte er. „Und der Uiszigeth!* ergänzte der Spezereienhändler. Stephan wurde bleich, und seine Augen glühten. „Es ist nicht wahr! Nein, es ist sicher nicht wahr!* erwiderte er heftig, indem er die rätselhaften Worte der beiden auf seine Weise auslegte. „So etwas glaube ich von der Grete nicht. Pfui, schämt euch, Meister!* Der- Schneidermeister geriet noch mehr in Verlegen heit, und nun zeigte sich, was er für einen schlechten Charakter hatte. Er schob die ganze Schuld auf Mutter Lienhart. „Sie hat absolut den Fanutti für die Grete haben wollen. Der Baron ist ihr in den Kopf gestiegen, und sie hat der Grete gesagt, sie müßte ihn nehmen. Da hat es einen schlimmen Auftritt gegeben, und die Grete ist nun fort, auf und davon... Ich meinte, du wüßtest, wo sie ist.* Er sah fast ängstlich zu dem Hintergangenen Maler gesellen auf, als erwarte er einen leidenschaftlichen Ge mütsausbruch. Aber er blieb aus. Das verdüsterte Gesicht des jungen Mannes zeigte mehr Trauer und Nieder geschlagenheit als Zorn. „Ach so*, stotterte er. „So steht die Geschichte! Natür lich, ich bin ja der arme Teufel und ihr seid jetzt reich.* Ohne sich weiter um den verdutzten Meister zu küm mern, begann er seine Siebensachen zusammenzupacken. „Was willst du anfangen, Stephan?* fragte Lienhart kleinlaut, indem er geduldig den Vorwurf hinnahm. „Heute schaffe ich nicht mehr weiter; ich gehe ins Ge schäft zurück. Und dann will ich nach der Grete suchen.' Er warf das über die Bockleitern gelegte Brett auf den Boden, daß es schallte. Dann wandte er sein blasses, bekümmertes Gesicht wieder den beiden Männern zu; seine Stimme zitterte. »Und wenn ich die Grete gefunden habe, dann will ich sie fragen, ob sie auch so denkt, wie der Meister Lienhart und die Meisterin*, sagte er schlicht. „Ob sie auch meint, sie werde mit Geld glücklicher, als mit einem Herzen, das es treu meint.* Er schob die Leitern zusammen, verbarg das Brett in einem Winkel, und seine Malerutensilien ergreifend, ver ließ er ohne Gruß die beiden Männer. Sie sahen ihm nach, bis er um die nächste Ecke ver schwunden war, dann setzten sie, wie auf Kommando, ihren Weg fort. Lienhart kraute sich hinter den Ohren. „Es reut mich, es reut mich*, sagte er. Nachdem sie einige Straßen weiter gegangen waren, sahen sie ein altes, düsteres Haus, dem die gardinenlosen, großen Fenster des Erdgeschosses einen unbehaglichen An strich gaben. Ueber der Tür ragte der verzierte Arm einer elektrischen Lampe hervor, und halbmeterhohe Buchstaben einer Aufschrift gaben die Zweckbestimmung des Lokals zu erkennen. Wie jeder brave Bürger, so empfand auch Herr Küch lein eine gewisse Scheu vor dem unsympathischen Gebäude, und er mäkiate seinen Schritt.