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Beüage AM Wettzeriy Zettung Nr. 137 Sonnabend, am 15. Juni 1929 95. Jahrgang LhronU des Tages — Reichspräsident v. Hindenburg empfing die deutschen Reparationssachverständigen Schacht, Melchior und Kastl. — Der Kirchenvertrag zwischen Preußen und der katho lischen Kirche ist vom Ministerpräsidenten Braun uyd Nun« tius Pacellt unterzeichnet wordep. ' — Owen Young, der Vorsitzende der Pariser Konfe ¬ renz, erwiderte das Telegramm des Reichskanzlers. — König Fuad von Aegypten will noch weitere zehn Tage in Deutschland verbringen, um Hamburg, Halle, Mün- chen und das Ruhrgebiet zu besichtigen. — In der dritten Klasse der Preußisch-Süddeutschen Klassenlotterie ist der Hauptgewinn von 100 000 Mark aus das Los Nr. 255 406 gefallen, das in beiden Abteilungen in Berlin gespielt wird. — Im Nogens-Jakubowskiprozeß wird am Montag das Urteil verkündet. — Im Dorf Kunitz a. d. Oder hat ein nächtliches Grobfeuer sieben Häuser in Asche gelegt. — Im Bonner Giftmordprozcß gegen den Arzt Dr. Richter wurde der Angeklagte durch die Zeugenaussagen schwer belastet. Von Woche zu Woche. Randbemerkungen zur Zeitgeschichte. Lie Minderheitenfrage, die den wichtig sten Verhandlungsgegenstand der Madrider Tages ordnung des Völkerbundsrates bildete, ist fürs erst« erledigt. Man hat das Verfahren bei Minderheiten beschwerden in einigen Punkten verbessert, sonst aber alles beim alten gelassen. Wesentliche Maßnahmen zur Verstärkung des Schutzes der Minderheiten sind jedenfalls nicht eingeleitet worden! Im Herbst, oder sonst zu geeigneter Zeit, wird erneut über das Recht der nationalen Gruppen und den Umfang des Völkerbundsschutzes zu sprechen sein. Auch dann, wenn die häufigere Tagung der Prü- fungskomiteeö und die Veröffentlichung des Ergeb nisses der Ausschußarbeiten die in sie gesetzten Hoff nungen erfüllen sollten. Die Vorlegung von Sta- tistiken bedeutet noch nicht die Oeffentlichkeit der Verhandlung; und allein diese Oeffentlichkeit ist ge eignet, in den Kreisen der Minderheiten Beruhigung auszulösen. Der Ausklang der Minderheitendebatte in Madrid entspricht somit leider nicht dem verheißenden Auf takt in Lugano, wo Reichsaußenminister Dr. Strese mann nach einer herausfordernden Rede des polnischen Außenministers Zaleski mit der Faust auf den Trsch hieb und einen temperamentvollen Vorstoß zugunsten der Minderheiten unternahm. . Die Gründe für diesen wenig erfreulichen Aus gang der Verhandlungen sind wohl darin zu suchen, daß Deutschland augenblicklich die Hände nicht frei hat: Das Hauptinteresse Deutschlands richtet sich gegen wärtig auf die Folgerungen aus der Pariser Repara- tions-Konferenz und auf die Befreiung der besetzter Gebiete. Mso aus Angelegenheiten, in denen ein Er folg noch harte deutsche Anstrengungen zur Voraus setzung hat. Neber den Zeitpunkt der neuen Politischer Konferenz und die Einberufungsformalitäten sol! in den letzten Tagen bei den Verhandlungen in Madrid eine Einigung erzielt worden sein. Danach soll Deutschland die Einladungen zu der Konferenz ver schicken, und zwar für Ende Juli oder Anfang August, lieber die Tagesordnung der Konferenz wird nicht viel zu debattieren sein, sie ist gegeben und lautet: beschleu nigte Fortführung der Liquidation des Krieges! Die Schwierigkeiten bestehen nun darin, daß die Franzosen noch immer von der Einsetzung einer Kon - troll- und „Versöhnungs"-Kommission reden, di« nach dem Abzug der Besatzungstruppen im Rheinland ihr nicht minder schlimmes Unwesen treiben soll. Daß eine Zustimmung Deutschlands zu dieser Kommission niemals zu haben sein wird, zumindest nicht, soweit sie über 1935 hinaus am Werke sein soll, zeigte in der letzten Woche die Räumungs-Erklärung fünl großer Parteien des Rheinlandes. Ja, wir fordern nicht nur die bedingungslose Räumung des Rhein landes, wir fordern auch die Freigabe dez Saar gebiete s, dessen Bevölkerung nach dem Ver sailler Vertrag erst 1935 darüber befragt werden soll, ob sie deutsch oder französisch ist. Berechtigt ist diese Forderung, weil das Saargebiet längst die Entschei- düng gefällt hat, nämlich die, daß es deutsch ist und deutsch bleiben wird! In Madrid hat man sich in der letzten Woche zu einer Geste für die Minderheiten verstanden, in Polen wird man in den nächsten Wochen Taten nach folgen lassen: den Beginn des Prozesses gegen den Führer des Deutschen Volksbundes in Kattowitz, Ulitz. Die Anberaumung der Hauptverhandlung in diesem Prozeß, in dem die Anklage aus gefälschte Dokumente und Verdächtigungen eines aufrechten Man nes durch übelberüchtigte Individuen aufgebaut ist. zeigt, wie sehr die Minderheiten heute noch des Schutzes bedürfen. Schlimm ist nur, daß Polen mit seiner Auffassung von der Lästigkeit der Minderheiten nicht allein steht. Auch in Frankreich haben Menschen um ihrer deutschen Kultur willen zu leiden gehabt und zu leiden. Es sei denn, die Geschworenen von Besancon zögen einen Strich unter das Kapitel der Autonomistrnver- folgungen und machten durch die Freisprechung des AutonomistensührerS Dr. Roos die Bahn frei für eine Politik- ehrlichen Ausgleichs. Nach dem bisherigen Der- laus des Prozesses darf man solche Hoffnungen leider nicht hegen. Bon erheblicher Bedeutung ist noch die am Frei tag im Gebäude des Preußischen StaatSmintstertums erfolgte Unterzeichnung des Kirchenvertrags zwischen dem preußischen Staat und der katholischen Kirche. Die Fraktionen des Landtags dürften dem Vertrag in ihrer Mehrheit zustimmen, doch ist auch eine starke Strömung zu beobachten, die aüf den sofortigen , Abschluß eines neuen Kirchenvertrags auch mit den ! , evangelischen Landeskirchen abzielt. ! ! . . j ! Unterzeichnung des Konkordats. > Drei Erzbistümer in Preuße«. — 2,8 Millionen Mark Dotationen. — Die Haltung des Landtags. > — Berlin, den 15. Ium. ! Vorbehaltlich der Genehmigung durch den Land« , tag und die Annahmeerklärung durch den Papst wurde »m Freitag im Gebäude des Staatsministeriums der ! Kirchenvertrag zwischen dem preußischen Staat und ver katholischen Kirche unterzeichnet. Preußen war durch Ministerpräsident Braun vertreten, die Kurie durch den Nuntius Pacelli. Ferner wohnten der Un« ! terzeichnung bei: Kultusminister Dr. Becker, Finanz« j Minister Dr. Höpker-Aschosf, Nuntiaturrat Centoz und > p. Gehrmann. Im Anschluß an die Unterzeichnung wurde der ! , Vertrag, der in deutscher und italienischer Sprache I abgesatzt ist, der Reichsregierung übermittelt und keinem Wortlaut nach veröffentlicht. Im wesentlichen ' handelt es sich nicht um einen absolut neuen Vertrag, i sondern um Abänderung und Erneuerung von Ver einbarungen bestehender Verträge aus dem Jahre 1821. Neue Kosten entstehen aus dem neuen Vertrag mit der Kurie im Betrage von rund 1 Million jähr lich, was darauf beruht, daß die Dotationen von 1,8 Millionen auf 2,8 Millionen erhöht worden sind. ! Neuabgrenzung der Bistümer. Wesentlich an dem neuen Vertrag ist die Umschrei- »ung der Bistümer, deren Abänderung notwendig s wurde, weil durch deu Versailler Vertrag eine Reihe ! von Bistümer« aus dem Gebiet des Deutsche« Reiches abgeschnitten w«rde«, u«d auch sonst unklare Verhält« nisse herrschten, z. v. weil im Fahre 186S neue Pro« vinzeu zu Preußen kamen. Schließlich mußte auch »er seit 1821 erfolgten Bevölkerungsverschiebung Rechnung getragen werden. Im Zusammenhang da« § mit werden zwei neue Bistümer errichtet: Paderborn ; und Breslau, zwei Bistümer: Aachen und Berlin, i sowie eine Prälatur SchnAemühl. j Das Bistum AachenDll den Regierungsbezirk Aachen sowie die Kreise Grevenbroich, Gladbach, M.- . Glabbach, Rheydt, Krefeld (Stadt u. Land) und Kem pen umfassen. Das Bistum Fulda überläßt den Kreis Grafschaft Schaumburg dem Bistum Hil desheim unb den bisher ihm zugehörigen Teil der Stadt Frankfurt dem Bistum Limburg. Die Bis tümer Fulda, Hildesheim und Paderborn bilden in Zukunft die Kirchenprovinz Paderborn; die Bis tümer Köln, Limburg, Aachen und Osnabrück die Kirchenprovinz Köln, und Vie Bistümer Ermland, Berlin und Schneidemühl die Kirchenprovin» BreSlau. Bifchofswahl und Dotationen. Artikel 1 lautet: „Der Freiheit des BekenntuisseS und der Ausübung der katholischen Religion wird der preußische Staat den gesetzlichen Schutz gewähren." Die Artikel 2 bis S regeln die Diözesenumschreibung. Artikel 4 spricht davon, daß die Dotation der Diöze sen und deren Anstalten künftig 2,8 Millionen Mark betragen (bisher 1,8 Mill. M.) soll. Die der Kirche gehörenden Gebäude bleiben ihr mit Eigentums- uud Nutzungsrechten überlassen. Wesentlich ist Artikel S, »er die Bifchofswahl betrifft. Es wird darin fest gelegt, daß der heilige Stuhl de« vom Domkapitel Gewählten z«m Erzbischof oder Bischof bestellen wird, nachdem durch Anfrage bei der preußischen Staats- regieruug festgestellt ist, daß Bedenken politischer Art gegen ihn nicht bestehe». Die preußische Regierung erhält allerdings durch diese Möglichkeit, ihre Zustim mung zu erteile« oder zu verweigern, kein Bcto- recht. Das geistliche Amt. Artikel 9, einer der wichtigsten des ganzen Ver trages regelt die Voraussetzungen, die die Persönlich keiten bei der Ue bernahme eines Amtes im Bereich der katholischen Kirche erfüllen müssen. Geist licher kann danach nur werden, wer die deutsche Reichs- angehörigkeit hat, ein zum Studium an einer deut schen Universität berechtigendes Reifezeugnis besitzt, rin mindestens dreijähriges philosophisch-theologisches Studium an einer deutschen staatlichen Hochschule oder rn einem der hierfür bestimmten bischöflichen Semi nare sowie an einer päpstlichen Hochschule in Rom zurückgelegt hat. Im Schlußprotokoll ist dazu ver merkt, daß das an einer österreichischen staatlichen Universität zurückgelegte philosophisch-theologische Stu dium als gleichberechtigt gilt. Zwei Wochen vor Be stellung eines Geistlichen zum Mitglied eines Dom kapitels oder zum Leiter oder Lehrer an einem Diöze senseminar muß die zuständige kirchliche Stelle die Staatsregierung unterrichten. Artikel 12 behandelt die wissenschaftliche Vorbil dung der Geistlichen und bestimmt dafür die katho lisch-theologischen Fakultäten an den Universitäten ; BreSlau, Bonn und Münster sowie an der Akade mie in BraunSberg. Nach Artikel 13 sollen etwa in Zukunft entstehende Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung des Vertrags freundschaftlich geregelt werden. Artikel 14 bestimmt, daß die Ratifikations urkunden möglichst bald in Berlin äurgetaüscht werbSf« Mit dem Jnftafttreten des Vertrages treten gleichet" iig die smnen Bestimmungen entgegenstehenden Gei setze und Verordnungen außer Kraft Keinerlei Geheimvereinbarnngen. Der preußische Finanzminister hat die finanziell« Mehrbelastung um rund i Million für den Preu-, ßischen Sraat für tragbar erklärt. Im übrigen legt di« preußische Regier««- besondere« Wert «uf die Feststel lung, daß nebe« diesem »ertrag keinerlei Geheimver- ei«bar«ngen bestehe« und keinerlei Nebenabmachnn« zen — a«ch über die Schnlfragen nicht — getroffen wurde,». Der Staaisvertrag mit dem heiligen Stnhl sei überhaupt nur unter der Voraussetzung zustaitd« gekommen, daß Schnlfragen nicht erörtert wurden. Im Landtag dürste sich eine Mchrheit für den Vertrag finden, wenn die preußische Regierung bereit ist, den von der Deutschnationalen Dolkspartei, den Demo* traten und der Deutschen Volkspartei erhobenen For* derungen, auch mit der evangelischen Kirche entspre* chende Vereinbarungen zu treffen, sofort nachkommt. * Die Stellungnahme der Landeskirche«. Einberufung einer außerordentliche« Generalsynodo zum 22. Juni? Wie verlautet, haben die Mitglieder der General* chnode, der obersten gesetzgebenden Körperschaft dey evangelischen Landeskirchen, von amtlicher Stelle eine Mtteilung erhalten, in der sie gebeten werden, sich, für eine außerordentliche Tagung der Generalsynode »ereit zu halten. Als Termin ist vorläufig der 23. Juni in Aussicht genommen. Der Verband deutscher evangelischer Beamten* vereine richtete an die Landtagsfraktionen die drin* »ende Mahnung gegenüber der Konkordatsvorlage di« staatliche Souveränität und die deutschen kulturellen Belange zu wahren und eine nach Form und Jk- äalt paritätische Behandlung der evangelischen Kirche vurchzusetzen. * Die Demokraten fordern Verhandlungen mit der evan gelischen Kirche. — Berlin, 15. Juni. Die Landtagsfraktion der Deutschen Demokratischen Partei richtete an Minister präsident Braun ein Schreiben, in dem es u. a. heißt: „Die demokratische Landtagsfraktion ist bereit, an der Verabschiedung einer Vereinbarung mit der Kurie mtt- marbeiten. Sie setzt dabei voraus, daß ohne Verzug Verhandlungen mit den evangelischen Kirchen eingelei- iet werden. Sie würde der Vereinbarung mit der ka tholischen Kirche mit Rücksicht auf die Wahrung des konfessionellen Friedens und der Parität nicht zu stimmen können, wenn nicht das Zustandekommen auch Kieser Vereinbarungen gesichert ist. Die Fraktion be reitet entsprechende Anträge vor/' Lloyd George fordert Räumung. Die englische liberale Partei hielt in London eine Sitzung ab und wählte Lloyd Georg einstimmig Wm Führer der Unterhausfraktton. Lloyd George hielt dann eine Programmrede und betonte darin, die Re gierung Macdonald habe nur ein Mandat, liberale Maßnahmen durchzuführen; weiche sie davon ab, würde sie gestürzt werden. In der Außenpolitik forderte Lloyd George die Wiederherstellung diplomatischer Be- Ziehungen zn Rußland nnd die sofortige RS«m««g de» Rheinlandes Einmarsch Rußlands in China. Wegen der Russenverhaftungen. — Nan« king soll Hilfe senden. Einem amtlichen englische« Funksprttch z«folg« soll Rußland bede«te«de Streitkräfte an der chinesi« schen Grenze zusammengezogen haben, um eine »er« geltungsaktion wegen der Russenverhaftunge« in Chin« einzuleiten. Ein Teil der russische» Truppen Hai nach englischen Meldungen die Grenze bereits über, schritte» und die 14« Kilometer entfernte Station Tschailar besetzt. Zur Verstärkung der Vorhut solle« weitere russische Truppe«» mit der transsibirischen Bahn hcrangeführt werden. Der Gouverneur der Mandschu» rei, Tschang Hsiao Liang, der Soh»» und Nachfolge, Tschangtsolins, hat die chinesische Nankingregierung um sofortige Verstärkungen gebeten. Ma« erwartet in London ein Eingreifen Japans, das bedente»»de In teressen in der Mandschurei zu verteidige«» hat. Eine Bestätigung dieser aufsehenerregenden Meb düng von anderer Seite war bisher nicht zu erlangen; Daß das russisch-chinesische Verhältnis gegcnwärtia lehr gespannt ist, ist allgemein bekannt. Politische Rundschau. - Berlin, den 15. Juni 1929. - Die Marineleitung kündigt die Verlegung de, Küstenfunkstelle Pillau Radio an. — Der deutsch-südslawische Handelsvertrag ist nun« mehr nach Austausch der Ratifikationen in Kraft getreten. :: 75. Geburtstag des Leiters der ehemalige« Deutsche«» Feldpost. Reichspräsident von Hindenburg und Reichspostminister Dr. Schätzel haben dem Left ter der ehemaligen Deutschen Feldpost, dem Geheime« Oberpostrat Domitzlaff, zum 75. Geburtstage Herz« lickste Glückwünsche übermittelt.