Volltext Seite (XML)
sind heikle Sachen, dachte sie. Da ist im Augenblick viel verdorben. Darum schweige ich lieber. Der Italiener, der vergeblich auf eine Aufmunterung wartete, nahm eine wahrhaft-elegische Miene an. „Mir ist kein Glück beschieden... Wenn ich hoffen dürfte, wenn ich hoffen dürfte..." Nun brach Mutter Lienhart los. „Selbstverständlich dürfen Sie hoffen, sogar stark I" „Sie machen mich glücklich, ach, so glücklich!" „Vorhin sagten Sie was von dem Hause Ihres Vaters, oas ein bißchen schadhaft sei? Nicht? Sie lassen es wieder ausbessern.. „Oh, mein Traum geht in Erfüllung!" „Und wir ziehen alle miteinander zu Ihnen!" Der glückliche Italiener sah im Augenblick etwas^er- dutzt aus, und er schien nicht gleich Worte zu finden. „Das wäre wunderhübsch", gab er etwas kleinlaut zurück. Mutter Lienhart sah ihn wohlwollend an. „Nun, da wir im reinen wären, geben Sie mir einen Kuß, Herr Schwiegersohn!" Bevor aber Fanutti des neuen Glücks teilhaftig wurde, öffnete sich die Tür. Herr und Frau Küchlein traten ein, hinter ihnen Madame Hellborn. Sie waren alle schon zum Ausgang bereit. Frau Küchlein hatte die Steuer- aufseherswilwe doch noch überredet, mitzukommen, damit sie nicht so allein wären. Es gelang ihr, da Frau Hell born, die tatsächlich ärgerlich war, weil sie zum Mittag essen keine Einladung erhalten hatte, hoffte, sich revan chieren und über die Lienharts lustig machen zu können. Tenn insgeheim hatten ihr die Küchleins verraten, daß bei Lienharts nicht alles in Ordnung sei, und daß es mit der Grete etwas gegeben haben»müsse. Befremdet sahen die Neuangekommenen die Situation. Mutter Lienhart spitzte gerade die Lippen, während Fanutti noch einmal zu überlegen schien. „Sie haben uns wohl nicht anklopfen hören?" fragte der Spezereienhändler höflich. Doch die Meisterin ließ sie nicht lange im unklaren. Sie erhob sich mit Anstand und Würde. „Mein Schwiegersohn!" sagte sie, mit einer graziösen Handbewegung. Fanutti verbeugte sich sehr höflich. Nun waren sie alle drei völlig verblüft. Namentlich Madame Hellborn traf die Nachricht wie ein Donnerschlag. Da aber die Küchleins sich faßten und zu gratulieren begannen, schloß sie sich selbst auch an. „Das ist ja sehr schnell gegangen", sagte sie giftig, aber mit honigsüßem Lächeln. Mit Herablassung nahm Mutter Lienhart die Glück wünsche in Empfang. „Ich danke Ihnen vielmals. Es tut mir herzlich leid, daß wir nun nicht mehr lange bei sammen sein werden", erklärte sie. „Wir werden nämlich mit meinem Schwiegersohn nach Italien ziehen und das Haus seines» Herrn Papa beziehen." Frau Küchlein schlug die Hände über dem Kopfe zu sammen, und Madame Hellborn wurden die Beine schwach. Mutter Lienhart war sehr zufrieden mit der Wirkung ihrer Worte. „Herr von Fanutti hat eine Villa dort, aus der Südseite... Wie heißen die Bäume in dem Wäldchen, in dem Sie immer sitzen, lieber Schwiegersohn?" In diesem Augenblick wurde die Tür wiederum heftig aufgerissen, und Lienhart trat herein, gefolgt von Uis- zigeth. „Halt da", rief er zornig, „so weit sind wir noch nicht!" Unten im Probierzimmer hatte sich nämlich inzwischen nahezu die gleiche Szene abgespielt, wie hier oben, nur fiel sie bedeutend nüchterner aus, da Uiszigeth weit weniger poetisch veranlagt war, als Fanutti, und Lien hart von Natur wenig zur Sentimentalität neigte. Nm so weniger, als er nun aufs neue befürchtete, es werde doch zu einer unliebsamen Attacke aus seinen Geldschrank kommen. Er lud den angehenden Doktor der Medizin nicht ein mal zum Sitzen ein. „Jetzt legen Sie los, Ui..., Ui...* „... szigeth", ergänzte der andere mit unerschütter lichem Gleichmut, indem er die Unhöflichkeit deS Meister- nicht weiter zu beachten schien. „Ich will in meckias res kommen." Der Schneidermeister staunte. „Wohin? Ist das in Serbien?" „Sie haben mich mißverstanden, Herr Lienhart. Ich bin eine offene Natur, geradeaus, und liebe keine Um schweife. Sie haben vielleicht bemerkt, daß Ihr Fräulein Tochter einen tiefen Eindruck auf mich gemacht hak* „Eigentlich nicht", gab Lienhart zu. „Aber das macht nichts." „Ich bitte um die Hand Ihrer Tochter Grete.* Obgleich der Meister durch die Andeutungen seiner Frau ^chon ein wenig vorbereitet war, kam ihm diese kurze und bündige Art Uiszigeths doch etwas über raschend. Er kraute sich hinter den Ohren. „Aber Ui...ziege, ich kenne Sie doch beinahe noch nicht. Und haben Sie auch mit der Grete schon geredet?" „In meiner Heimat", erwiderte der andere stolz, „wird nicht lange überlegt, wie in dem kalten Deutschland. Unsere Liebe ist zu heiß. Gofällt einem jungen Manne ein Mädchen, so wendet er sich kurz entschlossen an die Eltern und die Tochter folgt dem Willen der Eltern. Das ist in meinem Vaterland Sitte... Ich bitte um Ant wort, Herr Lienhart." Der Schneidermeister war in der größten Verlegen heit. Es war ja nur eingetroffen, was er zuvor selbst als seinen Wünsch ausgesprochen hatte, und doch wollte ihm das Jawort nicht recht aus der Kehle. Vielleicht war sein Wunsch auch mehr aus Opposition gegen die Pläne Mutter Lienharts entstanden. Aber der junge Mann drängte ihn. Seine blitzenden schwarzen Augen flößten ihm nahezu Angst ein. „Nun ja", sagte er, „mein Wort haben Sie. Aber mit der Grete müssen Sie es selbst ausmachen. Und ich will nur das eine andeuten: sie hat vielleicht schon einen anderen im Kopfe.' Uiszigeth wurde nun auf einmal auch warm und herz lich. Er ergriff die Hand des Meisters. „Sie sind ein Ehrenmann! Ich habe von Ihnen nichts anderes er wartet. Und nun, da wir in nähere, in so nahe Be ziehungen treten sollen, frage ich Sie noch das eine — aber mißverstehen Sie mich nicht, ich frage nicht aus Neugier, sondern aus Sorge um Ihr Wohl —, Sie haben doch Ihr Geld hier unten in diesem Schranke aufbewahrt?* Lienhart erschrak. Wie schützend stellte er sich vor den altertümlichen polierten Schrank. Das ist stark! Was will der Mensch von meinem Geld? dachte er. Im Augenblick hatte er das Gefühl, als sei er einem Räuber in die Hände gefallen, und er überlegte, ob er nicht nach der Polizei rufen sollte. Nicht einmal Hans und Friedrich schienen in der Nähe zu sein. „Wissen Sic, Herr Lienhart", fuhr der andere fort, „ich frage deshalb, weil ich befürchtete, Sie könnten Ihr Geld oben in der Stube haben... Und der Fanutti ist allein mit Ihrer Frau oben... Ich traue nämlich dem Menschen nicht ganz." Lienhart wuroe blaß vor Schrecken. „Ich denke doch, Sie sind die besten Freunde? Freilich habe ich das Geld oben im Glaskasten. Viel Geld, sehr viel Geld! Warum sagen Sie mir denn das jetzt erst?" Uiszigeth blieb sehr ruhig. „Freunde? Wir kennen uns, seit wir hier wohnen... Ich möchte nicht darauf schwören, ob ei überhaupt Fanutti heißt... Uebrigens kann ich nichts, auch rein nichts über ihn sagen. Ich meinte nur, weil ich nun doch schon so halb und halb zur Familie gehöre." Lienhart hörte ihn gar nicht mehr an. Er war schon fast zur Tür hinaus. „Kommen Sie mit, Ui! Das hatten Sie auch eher lagen können!*