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Beilage zur Wettzeriy Fettung Nr. 141 Donnerstag, am 20. Juni 1929 95. Jahrgang >a ! i Chronik des Tages. — Reichsautzenminister Dr. Stresemann, der am Mitt< woch auf der» Durchreise von Barcelona nach Berlin in «Paris weilte, hatte dort Besprechungen mit Briand und Poincarö. — Die deutsch-belgischen Markverhandlungen sollen in den nächsten Tagen in Berlin wieder ausgenommen werden — Di« Schlichtungsverhandlungen im Ruhrbergban sollen am heutigen Donnerstag zum Abschluß gebracht werden. — Die Woltfahrt des „Graf Zeppelin" ist vorläufig auf den 15. Juli angesetzt und soll mit der Ämerikasahrt verbunden werden. ' — Der ehemalige Fremdenlegionär Peter Klemm, der seiner Zeit in Marokko bei Wd el Krim ein« führende Rolli spielte, von den Franzosen zum Tode verurteilt und später ausgewiesen wurde, rst jetzt bei einem Diebstahlsversuch in Berlin ertappt und verhaftet worden. — In Marienburg sand eine Trauerfeier für di< beiden verunglückten Segelflieger Ferdinand Schulz und Bruno Kaiser statt. . — In Altona-Stellingen sind zahlreiche Personen nach dem Genuß von Speiseeis unter Vergiftungserscheinungei erkrankt. Richtlinie» für Weltpolitil — London, den 20. Juli. , Die maßgebenden Kreise Englands geben sich sei« einiger Zeit alle Mühe, der Welt die Auffassung bei zubringen, daß gegenwärtig in London Geschichte go macht wird und die Quadern für das Gebäude del Weltfriedens gelegt werden. Die Parteifreunde dei neuen Ministerpräsidenten sind redselig und versichern Macdonald habe die Regierung nicht übernommen um „sortzuwursteln", er wolle große Pläne verwirk lichen: die Spannung in dem englisch-amerikanischer Verhältnis beseitigen und das Projekt der Flotten abrüstung verwirklichen. Man liebt in London aber nicht nur große Reden man hält es auch mit Gesten. Und eine Geste wai es, als Macdonald und der neue amerikanische Bot schafter General Dawes nach ihrer Begegnung in einen schottischen Städtchen in dem Garten des Landhauset Friedens-Bäume pflanzten. „Hoffentlich gedeihen sü gut," meinte Macdonald, als die Bäumchen eingepflanz- waren. Wenn Macdonald gehofft hat, bei dieser Begeg nung den Weg zu Sonderverhandlungen zwischen Am« rika und England ebnen zu können, hat er bereits ein« Enttäuschung erlebt. Die Regierung der Vereinig, ten Staaten erstrebt ein allseitiges Flottenabkommer und hat das durch den Mund ihres Botschafters .Dawes bei einem Essen der P i lgrimS - Gesellschas! in London erneut bekunden lassen. Gegenwärtig bildet die Rede des Botschafter« Dawes das Tagesgespräch in London und Washington Vor einem Kreis geladener Gäste aus dem politischer und wirtschaftlichen Leben und in Anwesenheit dei diplomatischen Korps hat Dawes in seiner Rede neu« Gedanken ausgesprochen und die Richtlinien aufgezeigt nach denen Amerika in den nächsten Monaten zu ar- beiten gedenkt. Daß diese Rede mehr bedeuten soll, ali eine bloße Tisch-Ansprache, geht daraus hervor, das sie durch den bereitgestellten Nachrichtenapparat so. fort über die ganze Welt verbreitet wurde. Botschafter DaweS ging bei seinen Darlegungei von, dem Kriegsächtungspakt aus, den er als. einer «ersuch verstanden wissen' will, die FriedenssehnsuO der Menschen in eine klare Form zu fassen. Er be> zeichnete es dann als verhängnisvoll, wenn diese Frie densbewegung nun zu Sonderaktionen in den ein- zelnen Ländern führen würde und sprach sich dafür aus, neue gemeinsame Anstrengungen zu unterneh men. Dew ersten praktischen Schritt auf dem Weg« der Friedensförderung muß nach , der Ansicht Dawes in der Abrüstung der Flotten bestehen. Man wird es uns Deutschen nicht verargen, wen« > wir solchen Bekundungen mit Mißtrauen gegenüber stehen. Das Primat der Flottenabrüstung war bisher nur ein Mittel, um jede Abrüstung zu verschleppend Botschafter Dawes verkannte übrigens nicht, daß der Abrüstungsgedanke in Genf ein schlimmes Fiasko er- litten hat, nur glaubt er, jetzt ein Mittel zum Erfolg - gefunden zu haben: die Reform der Verhand- -lungsmethode. » „Große weltpolitische Fragen", so erklärte Bot schafter Dawes, „können nicht einseitig von den Staatsmännern oder von den Sachverständigen gelöst werden, ihre Bewältigung erfordert eine Zusammen arbeit beider. Die Sachverständigen machen Vor schläge, die die menschliche Natur außer Betracht las sen und sich auf Logik und Fachwissen gründen, di« j Politiker dagegen, gewöhnt an die Schwächen der Men- j schen, neigen dazu, den menschlichen Instinkten i gegenzukommen." Das ist politische'Philosophier Politischer Realis mus spricht jedoch aus den Vorschlägen, die Dawes - seinen Betrachtungen folgen ließ. Es sei verkehrt ge- wesen, so folgerte er aus der Kritik der Genfer Ver handlungen, wenn man die Festsetzung des Begriffes Flottenparität den Seeoffizieren übertragen habe. Das i sei eine Ausgabe für Staatsmänner! Des- j halb solle man diesen Weg verlassen, und das sei der I Fall, wenn jetzt jede Macht für sich Berechnungen . über die Flottenstärke anstelle, die dann von den ! Staatsmännern in einer politischen Konferenz auf - einen gemeinsamen Nenner gebracht werden müßten. - Um seinen Ausführungen Gewicht zu verleihen, verwies Botschafter Dawes noch auf das in Ausführung be- - findliche amerikanische Flottenbauprogramm. Der englische Außenminister Henderson, der ! auf dem Essen der Pilgrims-Gesellschaft gleichfalls das Wort nahm, beschränkte sich auf allgemeine Aus führungen und machte sich den Satz Abraham Lin colns zu eigen, Gott müsse den einfachen Menschen lieb haben, weil es so viele von ihnen gebe. Cham berlain, Englands früherer Außenminister, unter strich gleichfalls die Notwendigkeit eines englisch-ame rikanischen Ausgleichs, setzte sich als theoretisch für etwas ein, was er praktisch fast unmöglich gemacht hat. Stresemann-Konferenz in Paris. § Politisches Frühstück irr, Auswärtigen Amt. — Ber- Handlungen mit Briand und Poinears. I — Paris, den 20. Juni. Reichsaußenminister Dr. Stresemann traf am Mittwoch von Barcelona kommend auf dem Bahnhof d'Orsay in Paris ein, wo er von dem deutschen Bot- schafter v. Hoesch, dem Spanier Quinones de Leon und dem Kabinettsches Briands, Leger, begrüßt wurde. ! Dr. Stresemann, der einen braunen Reiseanzug trug, begab sich sogleich in das im Bahnhofsgebäude gelegene Hotel, wo er sich nach Verabschiedung von den IHK geleitenden Herren in sein« Zimmer zurückzog. Kurz vor 12 Uhr Vega» sich Dr. Stresemann in Begleitung seines Dolmetscher» in da» französisch« Auswärtige Amt, wo Briand ihm z« Ehren ein Früh stück gab. Zn dem Frühstück hatten sich außer Strese mann und Briand auch Botschafter v. Hoesch, die Staatssekretäre v. Schubert und Dr. Pünder, Mink» sterialdirektor Dr. Zechlin, mehrere französische Mi» nister, sowie die Vorsitzenden der Auswärtigen Aus schüsse »er Kammer und de» Senat», Paul-Boncour und Senator Hnbert, eirrgefunden. Den Abschluß de» Frühstücks bildeten politische Besprechungen Strese manns mit Briand und PotnearS. Am Nachmittag desselben Tigges versammelten sich der Auswärtige Ausschuß der französischen Kammer und die Finanztommission, um Erklä rungen der Regierung über die Reparationsfrage ent gegenzunehmen. Di« Beratungen nahmen außer ordentlich viel Zeit in Anspruch. In den Abendstunden trat Reichsaußenminister Dr. Stresemann die Weiter reise nach Berlin an. Frankreichs Forderungen. Die halbamtliche Pariser Zeitung „Excelsior" be tont in einem Artikel, die Unterredungen Stresemann» mit Briand und PoincarS hätten sich aus alle Fragen! erstreckt, die mit der Bestätigung des Noungplans zu-, sammenhängen. Entscheidungen hätten natürlich nicht, erfolgen können, wohl aber habe man nützliche Bor-,, arbeit für die Festsetzung des Datums und des Orten der nächsten. Konferenzen geleistet. Dringlich sei vor alle«, so schreibt Vie Zeitung, folgende Punkte zur Entscheidung zu bringen: Or ganisierung der internationalen Bank. Neberleitung »es Dawes-Planes zum Young-Plan. Endgültige Statik fiziernng des Young-Planes durch die interessierte» Regierungen. Ausgabe einer erste« Tranche deut scher Obligationen. Auflassung des territorialen Pfan des für die Reparationen, wie sie die Rheinlandbeset zung darstellt. Organisierung einer „Feststellung»» und Versöhnungs-Kommission" zur Aufrechterhaltung der Sicherheit in der entmilitarisierte« Zone im Si««e des Versailler Vertrages. Es ist bedauerlich, daß auch in dieser Aufstellung wieder.von der Kontrolle oder „Bersöhnungskommis- sion die Rede ist. Reichsaußenminister Dr. Stresemann dürste jedenfalls bet den Besprechungen in Paris eben so, wie vor einigen Tagen in Madrid, keinen Zweifel darüber gelassen haben, daß Deutschland eine solche Kommission über da» Jahr 19SS hinaus k^neSfaNS zugestehen wird. , Stresemanns Dank an Spanien. — Madrid» 20. Juni. Reichsautzenminister Dr. Stresemann richtete beim Verlassen Spaniens an den spanischen Ministerpräsidenten ein Telegramm, in dem er den Dank der deutschen Delegation und fein« eigenen für die üebenSwürdige Aufmerksamkeit UM Gastfreundschaft aussprach. . Kattowitz soll polnisch werden. Zurücksetzung der deutschen veamten. — De« «dojm wove auf dem SriegSpfad. Wie aus Kattowitz gemeldet wird, gebt der neue Stadtpräsident Dr. Kocur^ ein früherer FKKver o«G Arnold Merten s Modell Roman von Anna Fink Ooprriellt bv ^ILU Lims vresäell-I/LudogLS^, Lraioerstr. 21 (14. Fortsetzung) „Verdienen Sic nun eigentlich viel Geld mit ihrer Arbeit?" erkundigte er sich später. Merten zuckte mit den Schultern. „Meistens nicht" sagte er und lachte. „Werden Sie doch berühmt, dann haben Sie immer Geld", sagte der Kleine weise. „Ja, wenn das so einfach wäre!" war Arnolds Antwort. Die Zett verging erstaunlich geschwind. Wieder klopfte es an der Tür. Es waren Herr Thorwaldt und seine Tochter. Sie hvtten beide, in schweigendem Uebereinkommen, nichts von ihrem Besuch bei Merten verlauten lassen. Gertrud hatte in der Stadt eine Besorgung gemacht und bet dieser Gelegenheit ihren Vater abgeholt. Sie waren dann gleich zu Merten htnaufgegangen. Arnold war sehr erstaunt über den Besuch. Das erste war, daß thm das Gewissen wegen der noch, wie er meinte, »»bezahlten Miete heftig schlug. Das machte ihn befangen. „Ich habe schon soviel von Ihnen gehört, daß ich mir den »roßen Künstler, der unter meinem Dache wohnen soll, näher betrachten möchte", sagte er jovial. Merten sah ihn von ber Seite an. War -aS Spott? Aber nein, es war scheinbar Ernst. „Eine merkwürdige Art, sich auszudrücken" dachte Mer ten, und das machte seine Miene nicht eben liebenswürdig. Er Vot dem Besuch einen Stuhl an. Herr Thorwaldt stellte bei sich fest, -atz mit Peter Looser lehr viel einfacher und glatter zu verhandeln war, als mit diesem jungen Mann da. Verflucht, in was für unangenehme Situationen einen doch die eigenen Kinder und das gute Herz nicht bringen konnten! Mit eisiger, abweisender Miene saß Merten da vor ihm, mein Gott, er hatte ihm doch nichts zu leide getan! Eduard wurde es zu langweilig. Selbst ans di; Gefahr hin, vom Vater einen Tadel zu bekommen, sprang er auf und rief: „Vati, nun sieh Dir bloß mal die seinen Sachen von Herrn Merten an. Was der nicht alles kann, bas ist einfach knorke." „Knorke" war ein Ausöruck, ber höchste Anerkennung seinerseits bedeutete und wurde nur in ganz besonderen Fällen gespendet. Alle mußten lachen und das Eis war nun glücklich ge brochen. „Also, Herr Merten, jetzt halten sie aber mit Ihren Schätzen nicht mehr hinter dem Bergel Ich habe nicht lange Zeit und möchte nachher noch etwas mit Ihnen besprechen." „O Gott, meine unbezahlte Miete!" dachte Mnolb. Gertrud sagte gar nichts, aber besah alles ganz genau. „Für das Fräulein wird es wohl ein wenig langweilig sein", meinte Arnold. Er konnte sich nicht dazu auf- schwtngen "Gnädiges Fräulein" zu sagen, wie es die Situa tion erfordert hätte. Nein, nun gerade nicht! Thorwaldt konnte ihn ja heraussetzcn aus ber Wohnung. Ihm auch noch gute Worte geben, — bas tat er nicht. „Oho, ba unterschätzen sie aber meine Tochter ganz ge waltig, Herr!", lachte Thorwaldt behaglich, „ihretwegen bin ich ja gerade hier. Sie hat cs sich nämlich in den Kopf gesetzt, ein bißchen das Bildhauern zu lernen. Na und wenn man bas so nahe hat, sozusagen im eigenen Hause, ba dachten wir daran, wir könnten Sie darum bitten. Ihre Arbeiten haben mir gefallen. Ein bitzchen sehr modern zum Teil, mein Geschmack «sts nicht alles, was ich da gesehen habe. Aber an ihren alten Arbeiten und Ihren Entwürfen merke ich doch daß da eine Menge wirkliches Können dahinter steckt. Also, wie tst es, Sie geben meinem Mädel ein bißchen Unter richt, was?" Merten kam diese Wendung -er Dinge zu überraschen-. Er sollte diesem jungen Mädchen da Unterricht geben, damit sie, wie der Alte es ausbrückte, "ein bißchen Bilü- hanern lernte?" So gleichsam feine heilige Kunst als Be schäftigung für höhere Töchter. In seine Betrachtungen hinein klang Sie wohlwollende Stimme Thorwalds: „Wegen der Bezahlung brauchen Sie keine Befürch tungen zu hegen, ich werbe Sorge tragen, baß sie angemessen genug sein wird!" „Die denken auch, weil sie das Geld haben, können sie alles von einem armen Teufel von Künstler kaufen!" dachte Arnold bitter. „Ich möchte Sie nur darauf aufmerksam machen, datz ich wohl Künstler bin. Aber bas ist nicht gleichbedeutend mit einem guten Lehrer. Ich glaube, Sie sind da nicht an der richtigen Schmiede, Herr Thorwaldt", sagte Arnold Merten und setzte eine arrogante Miene auf. „Außerdem tst mir die Kunst bas Höchste, was cs gibt, ich kann sie nicht als Zeitvertreib ausfassen." Dieser „Künstlerhochmut", wie Thorwaldt es bet sich nannte, ging ihm doch etwas gar zu weit- Da legte sich Gertrud ins Mittel. „Aber Herr Merten", sagte sie mit ihrem reizendsten Lächeln", Sie müssen doch nicht immer das Schlechteste denken. Mir liegt daran, etwas Rechtes zu lernen. Ich be trachte das durchaus nicht als Spielerei!" Dabet sah sie Merten so groß und offen an, daß seine ganze Widerhaarigkeit mit einem Schlage verschwand. Er wunderte sich selbst über diesen Umschwung, ber so plötzlich kam. „Gut", sagte er, „machen wir also einen Versuch zu sammen, Fräulein Thorwaldt!" (Fortsetzung folgt)