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32 Er zog eS aber doch vor, aufzustehen, wenn auch sein Gesicht noch nicht freundlich genannt werden tonnte. Mutter Lienhart aber schnellte wie eine Feder auf. »Guten Morgen, Herr BaronI* Es war der Mieter vom unteren Stockwert, Fanutti. Er hatte sich sehr fein herausgemacht, und trug einen tadel losen schwarzen Tuchrock und den spiegelblanken Seiden hut. Mit vollendeter Sicherheit trat er näher und ver beugte sich mit feinem Anstand. »Haben Sie gut geschlafen, Madame?... Ich hoffe, der Abend ist Ihnen gut bekommen, Herr Lienhart!" Das überraschte Ehepaar starrte den Besuch mit un verhohlenem Erstaunen an. - Lienhart suchte seine Ge danken in dem blöden Kopse zusammenzubringen; aber er begriff absolut nicht, was der Italiener mit seinen un heimlichen Augen von ihm wollte. Dann dämmerte es bei ihm ein wenig. Aha! Ein Anlehen... Der wird sich wundern! Er versuchte, sein Gesicht in möglichst strenge Falten zu legen. Auch Mutter Lienhart überlegte in aller Eile, und plötzlich überlief es sie siedend-heiß, da sie seinen seierlichen Aufzug betrachtete. Der will um die Grete anhalten! Nichts anderes! »Wollen Sie nicht Platz nehmen, Herr Baron?" sagte sie artig. Lienhart warf ihr schnell und unbemerkt einen wüten den Blick zu. »Ich sag' dir, er kriegt nichts! Keinen Pfennig!" zischelte er. Herr Fanutti schien das reservierte Wesen des Meisters gar nicht zu bemerken. Mit anmutiger Ungeniertheit zog er sich einen Stuhl hin und legte seinen Zylinderhut auf den Tisch. »Es war ein sehr hübscher Abend, gestern. Habe noch selten so etwas Famoses mitgemacht... Aber wo ist denn Fräulein Grete?" Suchend sah er sich um. Diesen Augenblick benutzte Mutter Lienhart, ihrem Gatten mahnend einen sanften Stotz zu versetzen. »Mach' ein freundliches Gesicht!" tuschelte sie. »Er will doch die Grete!" Mit feinem Takt überhörte der Besucher das Getuschel. Aber so sehr er sich in der Gewalt hatte, vermochte er ein Lächeln nicht zu unterdrücken über das Gesicht, das der biedere Schneidermeister zeigte. Doch es verschwand so gleich wieder, und er begann, ohne sich um das wortkarge Wesen des Meisters zu bekümmern, die Genüsse des ver gangenen Abends zu rekapitulieren. Mutter Lienhart war die Liebenswürdigkeit selbst, und in bester Laune nahm sie die Komplimente des Herrn von Fanutti in Empfang, während ihr Gatte, immer noch miß- trauisch, höchstens ab und zu ein beistimmendes Knurren hören ließ. Im Eifer des Gesprächs hätte die kleine Gesellschaft fast den neuen Ankömmling überhört, der an die Tür klopfte. Es war Doktor Uiszigeth. Lienhart warf seiner Frau einen ängstlichen Blick zu. Ihm stand der Verstand still. Der Doktor zeigte genau den gleichen Aufzug wie sein Freund Fanutti, und wiederum hätte man den Gedanken bekommen können, sie seien Brüder; so ähnlich erschienen beide. Mutter Lienhart war nicht sehr angenehm berührt von dem neuen Besucher. Aber voll Glück über das bevor stehende Ereignis, sah sie über manches hinweg und ver stand sich sogar dazu, dem Doktor wohlwollend die fette Hand zu reichen. »Der Teufel soll mich holen, wenn es nicht eine ab gemachte Sache ist", raunte Lienhart seiner Frau zu, wäh- rend die beiden Freunde sich gegenseitig begrützten. Ihm wurde immer unbehaglicher zumute. Aber Mutter Lienhart ersatzte die Situation viel schneller. »Er WM die Grete auchi* tuschelte sie. »Ich wette meinen Kopf." „Wie ist Ihr Befinden, Frau Lienhart?" fragte Doktor Uiszigeth. Es entspann sich eine nichtssagende Unterhaltung, deren Kosten ausschließlich die beiden Freunde bestritten. Lienhart war immer noch in Sorge, ob ihn die beiden nicht gemeinschaftlich anpumpsn wollten. Aber allmählich wurde er ruhiger. Wenn sie mich anpumpen wollten, kämen sie doch nicht miteinander, sagte er sich mit richtigem Instinkt. Die Meisterin benutzte eine Gelegenheit, als die beiden Freunde wieder miteinander redeten. »Lienhart, du mutzt sie zum Essen einladen", lispelte sie. »Was mutz ich?" „Zu einem Teller Suppe..." , „Meinst du? Ja, haben wir was?" ' „Lassen wir holen... Mach' doch! Sogleich!" Ihr Gedankenaustausch wurde unterbrochen; denn die Fremden wandten sich wieder dem Ehepaar zu. Lienhart war in höchster Verlegenheit. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Er sah aus wie das böse Gewissen. Er getraute sich gar nicht, seine Frau anzusehen. Schließ lich erhoben sich die beiden, und griffen nach ihren Hüten, ohne daß Lienhart zu Wort gekommen war, obwohl er sich wiederholt räusperte. Mutter Lienhart war wütend; aber sie bezwang sich. „Wir dürfen die beiden Herren doch für heute mittag bitten?" Dann gab sie ihrem Gemahl von hinten einen derben Stotz. „Zu einer Schüssel Suppe..." Nun schien Uiszigeth etwas in die unrechte Kehle zu bekommen, und auch Fanutti bekam plötzlich tränende Augen. „Fleisch ist natürlich auch dabei", setzte Lienhart schnell hinzu, da er aufs neue einen Stotz von hinten erhielt. „Und an Wein soll's auch nicht fehlen. Das mU der Suppe ist nur eine Redensart von mir." Die beiden Freunde erschöpften sich in Dankes- bezeugungen über diese Liebenswürdigkeit, und beeilten sich, den Rückzug anzutreten. Während sie abgingen, hörte man ein verdächtiges Glucksen, wie von unterdrücktem Lachen. Mutter Lienhart setzte sich erschöpft wieder auf ihren Stuhl. „Das war fein, Lienhart! Oh, oh! Zu einer Schüssel Suppe... Fleisch auch dazu! Hast du denn auch kein bißchen von Anstands-Noblesse?" Dem Meister war auch nicht recht wohl. Er hatte das dunkle Gefühl, als ob er sich einigermaßen blamiert hätte. Aber er verschanzte sich hinter einer massiven Grobheit. „Himmelbombenelement! Hast du nicht angefangen? Hätte ich sie auf deutsch zum Mittagessen eingeladen! Aber du mit deiner einfältigen Suppe! Uebrigens die beiden sollen sich nach mir richten, wenn ich sie einlade, und wem ich nicht gut genug bin, der kann wohl wegbleiben. Ueber- haupt..." Mutter Lienhart mochte denken, es sei besser, ihn bei guter Laune zu erhalten. Sie lenkte wieder ein, und es gelang ihr so. „Na, so schlimm ist es ja nicht. Die Hauptsache ist, daß wir ein feines Essen herzaubern. Ein Herrenessen, sag' ich dir! Du bestellst es. Küchleins laden wir natürlich auch wieder ein; denn mit den beiden Herren allein schickt es sich nicht. Das will ich besorgen und die Tafel Herrichten, du aber sorgst für das Essen, lind daß genügend Wein geschickt wird, und seine Zigarren Geld ist da! Ich sag' nur so viel, es mutz anders werden, als gestern abend» sonst ist unser Rene nmee futsch... Und die Grete muß 'raus und wenn ich die Tür eintreten muß. Jetzt aibt's alle Hände voll ;n tun." * - * (korlfetzuna romr.»