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Settage zur Wettzerty Zeitung Nr. 140 Mittwoch, am 19. Juni 1929 95. Jahrgang , -—-i— Chronik des Tages. — Das französische Kabinett hat unter dem Borstt PoinearSS dem Aoungplan einstimmig zugesttmmt. » — Zettungsmeldungen zufolge lehnt die englische Re ¬ gierung die Einsetzung einer Dauerkontrolle im Rhein land ab. ! - > > - > - — Der neue englische Außenminister Henderson empfing die in London beglaubigten Botschafter der Mächte. — In Horneburg an der Unterelve hat ein Häusler- ehepaar im religiösen Wahn sein« beiden Kinder erschlageni — Der Lohnschiedsspruch in der schlesischen Textilindu strie ist von den Arbeitnehmern angenommen und von deu Arbeitgebern abgelehnt worden. Die Entscheidung liegt jetzt bei dem Reichsarbeitsminister. — Der wegen Giftmordes an der Frau Mertens zun Tode verurteilte Arzt Dr. Richter will gegen da» Bonnet Schwurgerichtsurteil Revision einlegen. Heinrich Sohnrey. Dem Vorkämpfer und Schützer bodenständigen Volkstums. Am 19. Juni begeht Heinrich Sohnrey in Mene, Frische seinen 70. Geburtstag. Am besten ist die Be deutung dieses Künders und Pflegers dörflichen Ge meinschaftslebens in der Urkunde zur Verleihung dei Ehrendoktorwürde durch die AlbertuS-Universität- Königsbetg zum Ausdruck gekommen, wo er gefeiert wird als ein Mann, „dessen ganzes Dichten und Trach ten, Forschen und Lieben dem deutschen Volke gilt dem mutigen Vorkämpfer und Schützer boden ständigen Volkstums, dem Gründer und be geisterten Förderer der ländlichen Wohlfahrts- un! Heimatpflege, dem edlen Manne, dessen reine dichte-' rische Kraft hoch und nieder eint im festen Glaube« an die Auferstehung des deutschen Geistes". Sohnrey, der Bauernsohn aus Jühnde in Süd hannover, zählt zu den seltenen Männern, die von An beginn ihren Berus ersaßt und glanzvoll erfüllt haben Nicht allein in dem gewöhnlichen Sinn des tägliche« Broterwerbs, sondern in der höheren Auffassung sinn voller Lebenserfüllung, der Verwirklichung einer Sen dung. Es war ein Aufstieg in sieggekröntem Kampfs Sohnrey begann als Landlehrer in einem einsame« Dorf des Weserberglandes. Zwei große Erlebnisse wur den richtunggebend für sein ganzes Leben: das Er, - lebnis der sozialen Frage aus dem Land« und das Auffinden eines ungehobenen Schatzes alt überlieferten, bäuerlichen Kulturgutes. Die Weisheit der heimischen Sprichwörter und Redewendungen, di« Sagen und der furchtsame Aberglaube des Landvolks wurden ihm zum Spiegel der Volksseele. Er sammelt« was ihm davon begegnete, suchte tiefer zu schürfen, nahm Urlaub, bezog die Universität Göttingen, mutzt« aber aus Geldnot in den Schulmeisterberuf zurück Ein väterlicher Freund ebnet ihm den Weg zur Zei tung; Sohnrey landet als Schriftsteller an der Frei burger Zeitung. Nun erschließt sich ihm auch das Leben der Schwarzwaldbauern. 1893 kommt die groß« Wendung. Der tatkräftige und einflußreiche Ministerialdirek tor Thiel verhilft Sohnrey zur Organisierung der praktischen Wohlfahrtsarbeit aus dem Lande. Der Verein für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege wird gegründet und von Sohnrey ge leitet, die Zeitschrift „Das Land" tritt ins Leben, Kurz vor dem Weltkrieg folgen die Zeitschriften „Die »Etz-—7»!-^ s Dorfttrche", „Archiv für innere Kolonisation" und W „Zeitschrift für das ländliche FortbildungSschulwesen auf dem Lande"; auch SohnreyS „Dorfkalender" in zu nennen. Damit hat Sohnrey eine breite Basis für sein Wirken geschaffen. Er wurde der Retter de« Dorfgemeinschaft, der Künder deutschen Volkstums, de« Mehrer und Förderer deutschen Bauerntums durch Siedlung, der Erzieher zu Gemeinsinn und tätige« Nächstenliebe im Dienst der Schwachen und zur Rev tung der Versinkenden. Seine volkskundlichen Schriften „Die SoMnger, „Tchiff, tchafs, toho", „Das lachende Dorf", „Feste und Spiele des deut schen Landvolls" sind Quellen von großem Reichtum, seine Bücher „Wohlfahrtspflege auf dem Landes und der große „Wegweiser für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege" sind unentbehrliche, einzig dastehend« Helfer rm Dienst am Bauerntum. Seine Erzäh lungen, Romane und Dramen wie „Hütte und Schloß". Friedesinchens Lebenslauf", „Der Bruder hof", „Fußtapfen am Meer", „Düwels", „Die Dorf- musikanten" und viele andere sind Perlen deutscher Heimatdichtung, die man nicht ohne unauslöschliche Bereicherung und tiefe Ergriffenheit aus der Hand legt. . H. Tillmann. Festessen für Pros. Dx. Kahl. — Berlin, 19. Juni. Im Marmorsaak des Zoologischen Gartens fand ein Festessen aus Anlaß les 80. Geburtstages von Pros. Dr. Kahl statt. Un- ^r den Anwesenden bemerkte man Minister, Parlamen- :arier, Universitätslehrer und Generalsuperintendent Dibelius. In den Tischreden feierten Reichsjustiz- ninister v. Guörard, Kultusminister Dr. Becker und >er Vizepräsident des Evangelischen Oberkirchenrates Düske Kahls Verdienste um Volk und Staat. Paris nimmt den Boung-Plan an Einstimmiger Beschluß des Ministerrats. — Schritte znr Inkraftsetzung des Abkommens. — Paris, 19. Ium. Unter dem Vorsitz des Ministerpräsidenten Poin- :arS trat das französische Kabinett zu einer Sitzung. zusammen und prüfte die Frage der Kriegsentschä- »igungen und der auswärtigen Schulden. Nach län- reren Ausführungen Briands, PoincarSs und des Dinanzministers CKSron beschloß die Regierung ein- äimmig, die Vorschläge des Sachverständigenausschus- ies bezüglich der Regelung der Zahlungen zu geneh- ntgen und die Ratifizierung zusammen mit den übri- ;en beteiligten Regierungen zu verfotzen. Zum Schluß nahm der Ministerrat einen Bericht Briands über die Madrider Tagung entgegen. Am heutigen Mittwoch tritt der Auswärtige Aus- !chuß der Kammer zusammen, ferner hält die Finanz kommission eine Sitzung ab. Die Regierung will in seiden Ausschüssen Erklärungen abgeben. Man rech net mit ausgedehnten Beratungen und spricht von »er Möglichkeit einer Nachtsitzung. Pause in den deutsch-belgischen Verhandlungen. Die deutsch-belgischen Verhandlungen über die ! Markfrage haben eine kurze Unterbrechung erfahren. Ministerialdirektor Dr. Ritter, der Bevollmächtigte der Reichsregierung, ist von Brüssel nach Berlin zurück- zekcchrt und wird dem Kabinett umgehend über den Verlauf der Verhandlungen Bericht erstatten. Es ' .» -> ' m—R-i scheint, daß Belgien nicht mehr auf der Forderung von 37 Jühreszahluugen von je 2» Millionen Mark besteht. Ei« Nebereinkommen ist jedoch «och nicht gen troffen worden. , England gegen Rheinlandkontrolle? „Der »ertrag von Versailles e«thält keine rechtliche Begründung für eine solche Kontrolle". Die Londoner Zeitung „Daist» Telegraph" will er fahren haben, daß die englische Regierung nach wie vor; London als den geeigneten Ort für die politische Kon ferenz hält. Das Blatt-beschäftigt sich dann mit den Aussichten der Konferenz und schreibt: Was die Haltung der britischen Regierung be- wisst, ist man sich in Loudon bewußt, daß die Po» litische Seite der Kriegsliquidation ebenso wie iM Kahre 1924 Schwierigkeiten bereiten wird. Man hoffv jedoch, daß keine von den alliierten Mächten darauK bestehen wird, lm entwaffneten und geräumte« Rhein land eine dauernde internationale Kontrolle ei«z«, richten. Der Vertrag von Versailles enthalte keine rechtliche Begründung sür eine solche Kontrolle, auf keinen Kall über 1934 hinaus. Auch kann man von Deutschland nicht erwarten, in eine solche Verschär fung de» Vertrages einzuwilligou Steuersenkung durch Tributerlatz. Anregungen auf dem Landgemeindetag. — Rene Aba lehnnng der Kontrollkommission. Auf der Jahresversammlung des preußischem Landgemeindetages West in Koblenz führte der Ver» Meter der preußischen Regierung, Ministerialdirektor!, Dr. Hog, aus, der schwere Druck der fremden Be- setzung habe die Nöte der westlichen Gemeinwesen noch! verschlimmert. Wenn die Befreiung komme, müsse sie restlos kommen. Es gebe nur eine absolute Frei-, Helt. Mit aller Entschiedenheit wende sich das Rhein land gegen die Kontroll- und UeberwachungSorgane. Der Präsident der Reichsanstalt für Arbeitsver mittlung und Arbeitslosenversicherung, Dr. Syrup, schilderte die. Entwicklung des Arbeitsmarktes und be tonte dabei, die gesetzgebenden Körperschaften müß ten in nächster Zett drei große und bedeutungsvolles Fragen lösen: Die Rückzahlung der Darlehen, die Re gelung der berufsüblichen Arbeitslosigkeit und die Ab stimmung von Einnahmen und Ausgaben zur Ver meidung einer zu großen Belastung der Reichsfinanzen. Das daun vo« Ministerialdirektor Dr. Ho- er stattete Hauptreferat gipfelte tu der Aufforderung ans sie maßgebenden Instanzen, Einsparungen an Tri» Wien zur Senkung der Realsteuern zu verwenden« * Die Tariferhöhung verwendbar! Lin Schritt der WirtschaftSverbände bei der Reichs- regierung. Die großen Wirtschaftsverbände des RuhrgebieteK )aben sich an die Reichs- und an die preußische Staats- cegierung gewandt und sie gebeten, unter allen Um ständen sür eine Verhinderung der Erhöhung de» Lisenbahntarife Sorge zu tragen. Die Tarife seien» schon jetzt außerordentlich hoch, würden sie noch mehr« verteuert, müßte das den Absatz im In- und Aus lands erschweren, die deutsche Produktion verteuern« - —- - — - '—- ' u um Arnold Merten s Modell Roman von Anna Fink Oopxrißkt bx krau kivk, vresäsL-l,Luboxs8t, Liaweretr, LI l13. Fortsetzung) „Nun, bei irgend einem tüchtigen Bildhauer, der maS rann", sagte sie so harmlos wie möglich. „Der was kann", blieb es in Thorwaldts Ohren hängen. Richtig, der junge Mann, der sich Peter Looser nannte, hatte ja von seinem Freunde behauptet, daß er etwas könne, sehr viel sogar. Das wäre außerdem eine gute Gelegenheit, Um dem jungen Manne etwas zukommen zu lassen, ohne seinem Stolz zu nahe zu treten. , „Hör mal", sagte er, „da wohnt bet uns so'n junger Bildhauer tm Hause. Ich werde mal mit ihm sprechen, ob er Dir Unterricht geben will. Er ist ein armer Teufel und könnte bei der Gelegenheit auch etwas mit verdienen. Was meinst Du dazu?" „Ich habe nichts dagegen", sagte Gertrud scheinheilig. „Hast Du den Herrn schon mal gesehen?" erkundigte sich ihr Vater. „Ach ja, mal flüchtig", murmelte das junge Mädchen. „Also gut, machen wir's so, morgen gehen wir zu ihm, Du und ich, und werden mal mit ihm sprechen. Eduard hat mir erzählt, er wolle Merten morgen besuchen, da macht es sich ganz zwanglos, wenn wir thn dann abholen gehen." Gertrud war begeistert. „Liebster Vater, wie freue ich mich!" „Nun warte erst einmal ab, wie mein Urteil über den jungen Mann auSfällt", wehrte er ihre Liebkosungen ab. „DaS wirb ja wieder einen schönen Kampf mit meinen Damen geben", -achte Herr Thorwaldt bet sich, aber er war entschlossen, ihn durchzufechten, wenn er von der Notwendig keit überzeugt war. * * » „In vierzehn Tagen werde ich Dir also das Reisegeld schicken, damit Du Herkommen kannst. Du brauchst An regung und mal wieder etwas Umgang mit gleichgesinnten Freunden. Von hier kannst Du dann zu Weihnachten zu Deinem Freunde Münsterberg reisen. Ilse hat schon öfters nach Dir gefragt und Fritz meinte, er könnte vielleicht bei einem hiesigen Kunsthändler, der einen guten Verlag hat, eine Ausstellung einiger Deiner Arbeiten veranstalten. Auch kennen wir Hier jemanden, der sich für Deine Arbeiten viel leicht interessieren würde. Komme also auf jeden Fall her. Wohnen kannst Du bet mir. Wir freuen uns alle sehr auf Dich. Beste Grütze Max." Arnold hatte den Brief gelesen, der eben gekommen war. Er überlegte. Einmal wieder in einem Kreis von Men schen zu sein, die alle wie er das gleiche Ziel hatten, der Kunst zu dienen und'dabet keine Kompromisse zu schließen, das würde thn wieder etwas auf Lie Beine bringen. Heraus aus der ewigen Sorge: wo soll ich das Geld für die Miete hernehmen, woher Las Geld, um nur den schlimmsten Hunger zu stillen? — Ah, was für eine Wohltat! Arnold war so elend geworden, daß ihm -aS Steigen der vier Treppen eine große Anstrengung bereitete und sein Herz noch hinterher eine halbe Stunde bis zum Halse herauf schlug. Er hatte es bislang als Schwäche nie vor sich selber zugeben mögen, aber jetzt sah auch er ein: eS ging so nicht weiter. Nur noch die vierzehn Tage aushalten, datz man da nicht ganz abwtrtschaftetel — Arnold steckte sich etne Zigarette an, legte sich auf den Diwan und träumte mit offenen Augen vor sich hin. Ein vorsichtiges Klopfen an -er Tür schreckte ihn auf. ES war schlimm, wie nervös und schreckhaft er geworden mar. Gerade als ob er etwas begangen hätte, -achte -» K-i sich. „Herein!" Behutsam wurde die Tür geöffnet: es war Eduard. Den „Nun möchte ich aber Ihre Arbeiten sehen", sagte -er Kleine, nachLem Mertens sich mit ihm über Sie Schule und Ähnliches unterhalten hatte. Arnold nickte und machte Lie Plastiken, an Lenen er noch arbeitete, von den feuchten Tüchern frei. Mit Interesse sah Eduard zu. Schweigend betrachtete er sie Arnold ließ ihm Zeit. Es dauerte eine ganze Weile, bis der Junge etwas sagte. Er holte Atem. „Macht das nicht furchtbar viel Spaß, so etwas zu kneten?" fragte er dann. „Wo so jeder sieht, was damit gemeint ist?" „O, sehr viel", bestätigte Arnold. Und dann fragte er: „Aber Dir macht bas Lernen doch auch sehr viel Freude, nicht?" „O, ja", war die langsame Antwort, „nur manchmal tut einem der Kopf etwas weh. Wir müssen so sehr viel Mathe- matik lernen, weil ich doch auch das werben soll, was Vater ist. Und Sa mutz man sehr viel wissen. Außerdem wird Vater sehr ekltg, wenn ich nicht feste lerne. Und Mutter sagt immer, ich müßte ein berühmter Mann werden. Soweit hätte es der Vater nicht gebracht, trotz seines Fleißes und seines Geldes. Aber das mag er gar nicht hören, dann läuft er immer raus und schmeißt die Türen hinter sich zu. Und Mutter kriegt dann einen Wetnkrampf, weil er so grob ist.. Abends bringt er ihr dann Blumen und PralltneeS mit, und da ist es wieder gut bis zum nächsten Krach. Und dann", der Junge lachte vor sich hin, „bann Senken sie immer, wir Kinder merken's nicht!" „Lieder Himmel", dachte Arnold bei sich, „bewahre mich vor den Sptetzern!" und laut sagte er: „Ja, ja so sind die alten Herrschaften nun!" Eduard nahm das für eine restlose Bestätigung seiner Erzählung. Arnold Merten machte daS Geplauder mit dem kleinen intelligenten Bengel Spaß jFortsetzuna folgt) batte er weiß Gott ganz vergessen