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k o IU ä 8 VON m^x Ovkirj —VKLL . Lopvrigdt dx Llartla I^eucktwLnger, UsUstSssIe) Es wurde stark an die Tür gepocht. Sie ging auch sogleich sehr weit aus, bevor noch Lienhart in der Lage war, „Herein!" zu rufen. Ein Mensch betrat die Stube, ein junger, starker, dicker Kerl mit roten Wangen und einem herzhaften, freien Blick. Er war mit einer gewissen schäbigen Eleganz ge kleidet und hatte ein forsches, ungeniertes Auftreten. „Grütz Gott, Herr Vetter! Grüß Gott, Frau Base! Es freut mich ungemein, daß ich euch auch mal sehe. Ihr seht aber beide brillant aus! Ein gesunder Menschenschlag sind wir immer gewesen und ein vernünftiger Lebenswandel trägt das seine bei. Es freut mich wirklich von Herzen, euch zu sehen!" Tabei streckte er Lienhart treuherzig die Hand hin. Lienhart sah mit aufgerissenen Augen den unbekannten Menschen an, da er sich aber nicht getraute, die dargebotene Hand zurückzuweisen, reichte er ihm die seinige, welche der Mann kräftig schüttelte. Tann wiederholte sich der gleiche Vorgang mit Mutter Lienhart. Hier ging es aber schon leichter, da der Anfang einmal gemacht war. Lienhart wollte aufstehen, aber der Neuangekommene war ein sehr prächtiger Bursche. „Sitzenbleiben! Sitzen bleiben!" besah! er energisch. „Laßt euch in keiner Weise stören! Sobald ich merke, daß ich euch störe, gehe ich wieder." - Mit dieser Drohung legte er Stock und Hut auf das Kanapee und zog sich gemütlich einen Stuhl her, auf dem er geräuschvoll Platz nahm. Die Lienharts waren so betreten, daß sie auch kein Wort zu sagen wußten. Der Besuch dagegen war gar nicht verlegen, er sprach frisch von der Leber weg, als wäre er mindestens seit seiner Kindheit in der Familie. „Ein halbes Jahr bin ich hier", begann er von neuem, „und immer und immer sagte ich mir: Du mußt deinen Herrn Vetter besuchen und die Frau Base, sonst nehmen sie's übel! Aber wie's so geht, man kommt nicht dazu, mit dem besten Willen nicht! Nein, sagte ich mir, übelnehmisch sind sie nicht, aber du darfst es nicht länger aufschieben, sonst ist's beleidigend. Und weil das Geschäft gerade ein bißchen stiller geht, hab' ich mich endlich aufgerafft." Lienhart fühlte, daß es unhöflich wäre, nicht auch ein mal etwas zu sagen. Er räusperte sich gewaltsam. „Es freut mich, Herr Vetter!" „Ach was! Herr Vetter! Sagen Sie Vetter Wilhelm zu mir, oder bloß Wilhelm, oder Willy, wie man mich zu Hause nennt! Und Sie werden doch nicht ,Sie' zu mir sagen! Ich bin ja der Jüngere! Das geht unbedingt nicht! Ich weyde dann auch so frei sein und ,Du' sagen. Unter Verwandten gehört sich das nicht anders! Ich bin mal so ein gutmütiger Kerl, der nicht Hinterm Berge hält. Ihr wißt ja, der Vater war genau so wie ich; das habe ich alles vom Vater. Wenn er und die Mutter noch lebten und mich hier sehen würden, nein, die würden sich freuen! Ihr wißt, die Mutter hat immer viel von euch gesprochen." Nun kommt der Kerl auch noch mit dem Vater und mit der Mutter, dachte Lienhart, und er begann vor Angst zu schwitzen, während Mutter Lienhart aussah, wie Butter an der Sonne. Ein Glück war es, daß in diesem Augenblick ' die Grete wieder auftauchte; munter und fidel kam sie herein. Sie hatte das Mißgeschick vom Mittag schon völlig vergessen. „Da bin ich wieder!" meldete sie vergnügt. Als sie aber sah, daß ein fremder Herr in der Stube war, wollte sie sich sogleich in die Küche zurückziehen. „Bleib nur da, Grete!" sagte Lienhart würdevoll, »und begrüße den Vetter Wilhelm." „Er ist seit einem halben Jahr hier und hat uns nu« die Ehre gegeben und uns besucht", setzte Mutter Lienhart hinzu. Grete zeigte ein leichtes Erstaunen. „So? Freut mich!" Und ohne jede Verlegenheit trat sie auf den un bekannten Vetter zu und reichte ihm die Hand. Er gefällt mir nicht, er gefällt mir nicht, dachte sie. Es war nicht unmöglich, daß der Vetter dieses Urlell in ihren blauen Augen las, denn zum ersten Male schien er etwas peinlich berührt. Aber nur für einen Augenblick! „Herrgott", sagte er mit gutmütigem Lachen, »das ist die Grete? Und ich hab' sie mir immer noch so groß vor gestellt!" Dabei hob er die Hand etwa einen Meter hoch vom Boden. „Wenn ich gewußt hätte, daß ich fo ein hübsches Väschen habe, wäre ich vielleicht doch eher gekommen." Mutter Lienhart bemerkte mit Schrecken, baß die Grete wieder einmal ein scharfes Wort auf der Zunge hatte, denn sie musterte den Herrn Vetter mit großer Ungeniertheit von oben bis unten. „Geh' in den Keller, Grete, und hole eine Flasche Wein herauf. Der Herr Vetter wird uns eine kleine Erfrischung nicht abschlagen." Es freute sie, sich vor der Verwandtschaft mit dem Wein im Keller brüsten zu können. Millionendonnerwetteri fluchte Lienhart innerlich. Die dritte und letzte! Und für diesen unangenehmen Menschen! Aber machen konnte er natürlich nichts, denn was hätte der Vetter denken müssen, wenn er Einspruch erhoben hätte! Und im Grunde seines Herzens freute er sich eben falls, daß man vor dem Vetter so fein und wohlhabend dastand. Die Mutter versteht's, dachte er mit Befriedigung. Bloß die Grete machte selbstverständlich wieder einen Strich durch die Rechnung. „Es ist aber bloß noch die eine drunten", sagte sie naiv, „die beiden anderen haben Friedrich und Hans getruyken." Da ihr jedoch Mutter Lienhart einen bösen Blick zu warf, zog sie es vor, zu verschwinden. Vetter Wilhelm wollte sich ausschütten vor Lachen. „Ein köstliches Kind! Das ist eine Perle, sag' ich! Solche Mädchen sind heutzutage eine Seltenheit. Wenn ich nicht schon eine Braut hätte — ich werde nächstens heiraten —, so wüßte ich, wer meine Frau werden müßte! Ich sage euch, die wird euch noch viel Freude machen, sie wird das Labsal eures Alters werden!" Nach diesen geschmackvollen Ausführungen sah er sich befriedigt in der Stube um, als ihm plötzlich etwas einfiel. „Wetter noch mal! Das hätte ich fast vergessen! Ist es eigentlich wahr, ihr sollt das große Los gewonnen haben?" Der Schneidermeister fühlte ein gewisses Mißbehagen bei diesen Worten, aber Mutter Lienhart war viel harm loser. „So ganz nicht, aber doch beinahe! Es ist nur ein Viertel! Aber immerhin ein schönes Vermögen!"