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Beilage Mi Wettzerly Qettung Nr. 117 Donnerstag, am 23. Mai 1929 95. Jahrgang Chronik des Tages. — Der Reichspräsident hat den Reichskanzler Müll«? und den Außenminister Dr. Stresemann zu einer g«m?jy> samen Besprechung über di« außenpolitische Lage empfangen. — Der amerikanische Botschafter in Berlin, Dr. Schur« man, wurde am 22. Mai 75 Jahre alt. — Die Abänderung des Youngschen Zahlungsplanes durch die Sachverständigen der Gläuoigerlünder laust auf eine Erhöhung der deutschen Reparationsschuld hinaus. — In Frankfurt a. M. wurde der evangelisch-sozial« Kongreß von dem früheren Reichsgertchtspräsidenten D-r. Simons eröffnet. — Die amerikanische Regierung hat in Paps- anfragsn lassen, wann Frankreich das Schüidenabkomm«n zu rati- fieren gedenke. — In Riga wurde der zehnte Jahrestag der Be freiung von dem Bolschewismus durch die baltische Landes wehr und die reichSoeutschen Freiwilligenverbände festlich begangen. — Der Sowjetkongreß in Moskau hat der Regierung der Sowjetunion für ihre Auslandspolirik das Vertrauen ausgesprochen. — Der Oberbürgermeister von Mailand, Exzellenz de Capitani, weilt anläßlich des Gastspiels der Mailänder Scala in Berlin. — In Dünne bei Herford hat ein Sohn seinen Vater im Streit erschossen. — Die japanisch« Stadt Fuantsu ist durch Feuer zer- stört worden. — In der Nähe von Chingnien in der chinesischen Provinz Kansu sind 35 Banditen von den Einwohnern ge tötet und aufgefressen wordem Erfreuliche Zahlen. Die Bevölkerungsbewegung 1928. Von Ern st Wald, Berlin. Mehr Eheschließungen, zunehmende Geburten häufigkeit, sinkende Sterbeziffern. Das sind die erfreu lichen Hauptergebnisse der soeben vom Statistischen Reichsamt fertiggestellten Uebersicht über die Bevöl kerungsbewegung im Jahre 1928. Nachstehend die wichtigsten Zahlen: Aus 1000 Einwohner: 192/ 1928 1927 1928 Eheschließungen 538 463 586 971 8,5 9,2 Lebendgeborene 1,161 719 1 182 477 18,4 18,6 Sterbefälle 757 020 739 588 12,0 11,6 Geburtenüberschuß 404 699 442 889 6,4 7,0 Ueberraschend und erfreulich ist vor allem, daß die HetratSfreudigkeit abermals beträchtlich zu genommen hat. Schon im Jahre 1927 wurden zirka 55 000 Ehen, mehr als im Jahre 1926 geschlossen, und 1928 hat die Zahl der Eheschließungen s»ch wiederum um zirka 48 500 vermehrt. Damit ist die Zahl der jährlichen Eheschließungen von 1926 bis 1928 um mehr als 16O OOO gestiegen. Den Rekord der Het- ratshäufigkeit hält die Reichshauptstadt, in der für 1928 auf 1000 Einwohner 10,8 Eheschließungen ent fallen. In kurzem Abstand folgen Lübeck, Anhalt und der Freistaat Sachsen. Auch der enge Zusammenhang zwischen Eheschließungsmöglichkeit und Wirtschaftslage wird aus der Bevölkerungsstatistik ersichtlich. In den ersten drei Quartalen des Vorjahres ist die Zahl der Eheschließungen ständig gestiegen. Gegen Ende des Jahres aber ging mit der großen Arbeitslosigkeit auch die Zahl der Eheschließungen beträchtlich zurück. Noch in den Monaten Januar und Februar 1929 wurden weniger Ehen als in der gleichen Zeit des Vorjahres geschlossen; erst der März bringt wieder einen Anstieg der Heiratsziffern. Der Geburtenstatistik können wir entneh men, daß im allgemeinen die überwiegend ländlichen Gebiete zugleich auch Gebiete der größten Geburten häufigkeit sind. Ostpreußen, Pommern, die Grenz mark, Oldenburg Westfalen erreichen Geburtenziffern von mehr als 20 auf 1000 Einwohner, gegenüber einem Neichsdurchschnitt von 18,6. Eine Sonderstel lung nimmt die Provinz Oberschlesten ein. Sie ist mit 26,5 Geburten auf 1000 Einwohner der ge burtsreichste Bezirk; Oberschlesien hat gleichzei tig aber auch die höchsten Sterblichkeitsziffern. Die St er blich keits ziffern konnten wieder um herabgedrückt werden. Auf 1000 Einwohner ent fielen im gesamten Reichsdurchschnitt nur 11,6 Sterbe fälle gegenüber 12,0 im Jahre 1927. Damit hat die allgemeine Sterblichkeit ihren bisher tief st en Stand von 11,7 auf Tausend im Jahre 1926 noch unter schritten. Zum Teil ist das dem Umstand zuzuschrei ben, daß wir 1928 nicht wieder wie 1927 eine Grippe epidemie hatten, doch zu einem weiteren Teile darf das erfreuliche Ergebnis auch bevölkerungs-hygieni- *chen Fortschritten zugute gerechnet werden. Die Differenz zwischen Lebendgeburten und Sterbesällen ergibt den Geburtenüberschuß. Auch der Geburtenüberschuß ist im Jahre 1928 gewachsen; allerdings nicht in dem Umfange, der vom bevölke- rungs- und nattonalpolittschen Standpunkt aus zu Wünschen wäre. Die Volksvcrmehrung durch Gebur- tenzuwachs betrug im Jahre 1928 zirka 442,9 Tau send gegenüber zirka 404,7 Tausend im Jahre 1927. Auch hier weisen landwirtschaftliche Gebiete die er- treulichsten Ziffern aus. Besonders hoch ist der Ge burtenüberschuß in Ostpreußen, der Grenzmark und Oldenburg. Den grüßten Geburtenüberschuß hat die Provinz Oberschlesien. Die Geburtenhäufigkeit Ober- Schlesiens ist so groß, daß ihm trotz der sehr hohen SterbltchketrSziffer der größte Geburtenüberschuß ver- bleibt. Ein recht unerfreuliches Bild ergibt die Gegen überstellung der Geburten und Sterbefälle in den Großstädten. Die Reickshauptstadt hat -wär öle meisten Eheschließungen, und auch ihre Sterblichkeits? Mer liegt nur wenig über dem Neichsdurchschnitt; ne hat aber auch die geringste Gebirrtenhäufigke«. Fm letzten Jahr« starben auf 1000 Einwohner in Berlin 1,5 Personen mehr als geboren wurden. Wenn trotzdem die Reichshauptstadt immer noch wächst, so ist das ausschließlich auf die starke Zuwanderung zurück- »uführen. Das ganz allgemein die Verhältnisse ist den Großstädten ungünstig liegen, geht weiter darauf hervor, daß in allen Großstädten zusammen im März 1929 die Zahl der Sterbefälle höher als die Zahl der Geburten war. Es ist ein glückliches Zusammentreffen, daß gletck- reitia mit der deutschen Bevölkerungsstatistik auch die Bevölkerungsziffern zahlreicher anderer Länder be kannt werden. Aus der Gegenüberstellung dieser Zif fern können wir ableiten, daß Deutschland unter den europäischen Großstaaten das helratsfreudigste Land und zugleich das Land mit der niedrigsten Sterblich keit ist. Es würde gewiß zu weit führen, die Herao- -rttckuug der Sterblichkeit ausschließlich auf das Konto der deutschen Sozialversicherung zu setzen. Ebenso wenig aber wird man übersehen dürfen, daß zwischen geringer Sterblichkeit und hochentwickelter Sozialver- ficherung ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Eng land und Deutschland, die beide eine hochentwickelte Sozialversicherung besitzen, tveisen bemerkenswert ge- cinge Sterbeziffern auf, während Frankreich und Ita lien, bei denen die Sozialversicherung noch in den An- ängen steckt, eine hohe Sterblichkeit haben. Gerade etzt, wo der Streit um die Sozialversicherung sehr ebhaft ist, verdient der Hinweis doppelte Beachtung, saß die Sozialversicherung nicht nur materielle Nöte lindert, sondern darüber hinaus ein höchst wertvoller dcvölkerungspolitischer Aktivposten ist. Mellon mahnt Frankreich Amerika verlangt Ratifizierung des Schulden- »bkommens — oder 40V Millionen Dollar in bar. — Paris, 22. Mai. Lie amerikanische Regierung hat abermals in ent- lcheidender Weise in die Pariser Verhandlungen ein- zegriffen. Nachdem sie bereits vor einigen Tagen surch eine Kürzung des allerdings an sich sehr kleinen Reparationsanteils um 10 Proz. einen starken mora lischen Einfluß auf den Gang der Pariser Verhand lungen ausgeübt hat, sucht sie jetzt durch ein neues Druckmittel, das sich diesmal einzig und allein an Sie Adresse Frankreichs richtet, endlich einen Abschluß »er nun schon mehr als drei Monate dauernden Pa- ciser Konferenz herbeizuführen. Wie nämlich der Washingtoner „Times"-Bericht- rrstatter aus zuverlässigster Quelle mitteilt, hat der »merikanische Schatzkanzler Mellon den französischen Botschafter in Washington ersucht, Poineart mitzu- teilen, daß die am«ükanische Regierung den Wunsch -abe, möglichst rasch über die Aussichten der Rati-- - lizierung des amerikanisch-französischen Schuldenab-- kommens dnrch Frankreich unterrichtet zu werde:». Mellon soll dem Botschafter erklärt haben, die amc- l titanisch« Regiernng sei bereit, der gegenwärtigen Son- . Vertagung des Kongresses die Annahme einer Vorlage l b» empfehlen, dnrch die der Verfalltag für die Rück« wtzlung der französischen Schuldenverpslichtungen von ; 408 Millionen Dollar vom 1. August auf einen spä- l lere« Termin verlegt weroe, wenn eine Zusicherung i über die Ratifizierung des SchnldcnabkommenS in- : nerhalb dieses Jahres gegeben werde. Die Anfrage - wurde damit begründet, daß der amerikanische Senat j and daö RepräsentantenhanS sich bald Verlagen würden. Ueber die Auswirkungen der amerikanischen Hal tung auf die Frage der allgemeinen Kriegsentschädi gungsregelung heißt es in dem „Times"-Bericht, die amerikanische Regierung sei sich nunmehr darüber klar geworden, daß auch Amerika nicht weniger zu der allgemeinen Regelung beitragen müsse, als andere Länder. Frankreich habe bisher weniger getan als irgend ein anderes Land, und der unglückliche Ver- > lauf seiner Schuldenverhandlungen sei noch in frischer s Erinnerung. Man habe das in Amerika nicht ver- ! gessen. Der gegenwärtige Wendepunkt in den inter nationalen Fragen erscheine der amerikanischen Re gierung deshalb geeignet, an Frankreich die klare aber höfliche Frage zu richten, was es von der Zukunft zu erwarten habe. Das französische Parlament sei nicht verpflichtet, das Schuldenabkommen zu ratifi zieren. Fu jedem Falle wünsche aber die Regierung Hoover zu wissen, woran sie sei, nm dann je nach dem Ansfall der französische»» Antwort ihre Politik bestimmen zn können. * Das in Frage kommende Abkommen, das Vie Rück zahlung der französischen Kriegsschulden an Amerika regelt, ist bekanntlich vor mehreren Jahren zwischen dem amerikanischen Schatzkanzler Mellon und dem französischen Botschafter Berönger abgeschlossen aber von der Pariser Kammer bis zum heutigen Tage nicht ratifiziert worden. Die Ratifizierung ist stets von den Rechtsparteien hintertrieben worden. Erfolgs sie jetzt in Kürze nicht, dann werden -um 1. Augrqt über 406 Millionen Dollar oder 10 Milliarden Fran ker» fällig, die sofort gezahlt werden müssen. Wird das Abkommen dagegen ratifiziert, dann vertritt fick diese Summe auf eine Jahres-Annuität von nur 30 Millionen Dollar, die erst 1937 auf 100 Millionen steigen. Rach einer Pariser Meld««« scheint die Mö« lichkeit zu bestehe«, daß di» frauzSstsche Regiernng ans Mellons Angebot eingehe»» wird und zwischen den bett de»» Regierungen über eine Hinausschiebung des Kitt ligkeitstermins um ei»» Jahr verhandelt werden wird. Die deutsche Schicksalsfrage Helds Bericht zur Länderkonferenz. — Bayern für Freiheit und Selbständigkeit der Länder. j Ler bayerische Ministerpräsident Dr. Held Hai seinen Bericht zur Frage der Abgrenzung der Zu- ständigkeiten zwischen Reich und Ländern in Gesetz- ' gebung und Verwaltung fiir den Unterausschuß de« ' Länderkonferenz erstattet und der Öffentlichkeit über« - geben. Der Bericht stellt als leitenden Satz die Frag« : guf: Aus welcher VersassungsgrundlaLe kann die Ein- > heit und Wohlfahrt des Reiches am besten verbürgt ! werden? Nicht eine bayerische oder Preußische Frage sei - in dem der Länderkonfereuz anvertrauten Problem , z»» erblicke», sonder»» geradezn die deutsche Schicksals- ; frage. Der Kernpunkt des Reichsproblems sei die z Herbeiführung einer klare»» nnd festen Scheidung de» ? Zuständigkeiten und Aufgaben. Das Maß der Freiheit , und Selbständigkeit der Länder sei in erster Linie ent scheidend dafür, ob Deutschland ein Bundesstaat bleibe» solle. Diese Frage sei die wichtigste, die der Länder- i konserenz anvcrtrant worden sei. Bayern halte daran ; fest, daß der bundesstaatliche Charakter ves Reiches nicht einer Aenoerung dnrch Bolksentscheid zugäng lich sei. Die Selbstverwaltung sei in der einzig wirk samen Form der Selbstbestimmung auf der bundes staatlichen Grttndlage zn erreichen. ; In gesetzgeberischer Hinsicht wird verlangt, daß die Staatspraxis der gleitenden Zuständigkeiten, gleitenden Macht und gleitenden Mittel verlasse» werde. Dazu müsse das parlamentarische Sy stem verändert werden durch Gleichstellung des Reichsrates als gesetzgeberischer Faktor nnd Sicherung der Länderrechte gegen willkürliche Ver fassungsänderungen. Die landeseigene Verwaltung unter Neichsaufsicht und die Landesverwaltung kraft eigenen Rechtes müßten im Interesse der Selbstver- ! waltung auch künftig den Grundstein unseres Ver waltungslebens bilden. Nur so könne die Einheit der Verwaltung aufrechterhalten und wiederhergestellt we^ den. Auch die Gründe ! gegen die Berreichlichung der Polizei- uud Justizverwaltung ' werden in dem Bericht auseinandergesetzt. Die Selbstver- antwortung der Länder erfordere Scheidung der Steuer, quellen. Die Einkommensteuer müsse den Länder« zur selbständigen Ausschöpfung wieder überlassen werden. Die Einheitlichkeit der Besteuerung und der Steuererhebung könne durch Aufstellung der notwen. digstcn Grundsätze in einem Reichsrahmengesetz gewahrt werden. Es sei ein Irrtum, wenn behauptet werde, eine starke Reichsgewalt sei nur um den Preis der Freiheit und Selbstbestimmung der deutschen Länder möglich. Die Belastung des Reiches mit Ausgaben aller Art habe im Gegenteil jetzt schon zu sehr die Bewegungsfreiheit eingeengt, die eine starke Reichs- gewalt nötig habe. Regieren, nicht vermal- ten müsse für das Reich die Losung sein Plumper Täuschungsversuch. Verfälschung des Uoungschcn Zahlungsplanes. — 36 statt 37 Jahresraten. — Deutschland soll eine Rate dop Kt zahlen. ; — Paris, den 22. Mai. Die von den Sachverständigen der alliierten Gläubigermächte angekündigtcn „Anmerkungen" zu dem Konferenzbericht Stamps und den deutschen Vor behalten sind am Dienstag abend in Form eines Briefes an den Konferenzvorsitzenden Owen Uoung weitergeleitet worden. Die sofortige Weitergabe des Briefes an die deutsche Delegation unterblieb, dafür ist der Generalsekretär der französische»» Abordnung Mittwoch vormittag bei Dr. Schacht erschienen, um ihn in 2Vsstündigcr Unterredung über die Grundzüge der Antwort der Alliierten zu unterrichten. Allem Anschein nach ist der von den Alliierten . mit soviel Mühe ausgeklügelte Verteilungsschlüssel einzig und allein zu Lasten Deutschlands ausgcarbcitet worden, wobei man es so darzustettstt versilcht, als ob die Uoung-Zahlen keine Erhöhung erfahren sollen. In der Praxis dürfte»» die AW »erten sich von folgenden Erwägungen haben leitest lassen. j , Die vom Nouttgpla» vorgesehene» 37 deutschem ! Jahresrate» solle,» auf uur 36 Jahre verteilt werden. , Der Noungsche Zahlungsplan soll offiziell erst am ; 1. Januar 1930 in Kraft trete», statt, wie von Nou«« - vorgeschlage» worden war, rückwirkend vom 1. APM 1929. Deutschland soll bis dahin die Zahl»,»gen «Hch dem Dawespla» leisten. Für die interne Verrechn««» der Alliierten würde indessen der Aonngsche Platz ab 1. April 1920 in Kraft treten, so daß sich füt sie aus der Differenz zwischen Dawespla« und «ou^L- plan ein Mehrbetrag an Kapital von ungefähr 90Y Millionen Mark ergibt. Di« Differenz zwischen dW sem Betrag «nd der von Nonn« vorgeschlagenen IM reszahlung für da» erste Jahr sott in Zinsen H« Amortisierung auf 36 Jahre «mgclegt werden, so dal tatsächlich di- erste Jahreszahl««« da» Vo»««plattM > von Deutschland doppelt z« zahlen wäre. Die d«M ' diese» ,^e«tale Rechen kur» ststück" erMiten Mrhreiü« »ahmen sollen zur Begleich««« derhtMr «och M