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Klienten das Dokument überreichte. »Wenn Sie nun so gut sein wollen und mir das Los geben wollen.- Sorgfältig verschloß er es in seinem Kassenschrank. Lienhart sah flüchtig mit Verschwimmenden Augen auf den rätselhaften Inhalt dieses länglichen Papierfetzens, auf die schönen runden Zahlen. Wie im Traume pfropfte er die Scheine, die Obligationen in seine Tasche, wie im Traume überzählte er das auf dem Schreibtisch liegende Geld, das ihm Essinger langsam und deutlich vorzählte. Als er das Kontor verließ und die Glastür hinter sich zumachte, die dis Wohnung des ersten Stocks abschloß, überfiel ihn ein leichter Schwindel. Mechanisch, unfähig zu denken, stieg er die Treppen hinab und öffnete die Tür zu seinem Probierzimmer. Ahl Endlich war er wieder bei sich, in seiner eigenen Umgebung, in seiner eigenen Stube, in dem Probier- zimmer des Schneidermeisters Lienhart. Aber er, er selbst, war nicht mehr der gleiche. In der Tasche trug er seinen Reichtum» einen gewaltigen Reichtum. Er konnte nicht anders, er machte einen Luftsprung, dann noch einen, er klatschte sich mit der flachen Hand auf die Schenkel, bis sie ihm schmerzten, und verzog in krampfhaftem Lachen das Gesicht. Er erblickte den schönen, schwarzen Tuchrock, den er beinahe sertiggestellt hatte. Als er das Los aus dem Sekretär genommen, hatte er ihn mit heretngebracht und hierher gelegt; daneben lag noch die große Schneider schere. Nein, er konnte nicht anders, es mußte etwas geschehen, und mit einer Art Jndianergeheul ergriff er das Mord instrument und bohrte es durch den glatten Rücken des schönen Rocks, daß er eine große, schreckliche, unheilbare Wunde davontrug. Diese gewaltsame Tat beruhigte ihn in hohem Maße, endlich hatte der heiße, eingedämmte Strom seiner durcheinander tollenden Gedanken ein Ventil ge funden. Ohne sede Reue faltete er den jammervoll aus- sehenden Rock zusammen und wars ihn auf den Stuhl, dann öffnete er die Zwischentür, und betrat erhobenen Haupts, ein vermögender, wohlhabender Mann, die Werk statt, um nach Friedrich und Hans zu sehen. So sehr nun Meister Lienhart durch den heutigen Tag an plötzliche Gemütsbewegungen gewöhnt worden war, konnte er doch nicht umhin, in höchstem Staunen die Szene zu beschauen, die sich seinen Blicken darboi. Still und stumm und ohne aufzusehen, saßen Friedrich und Hans auf dem Schneidertische; jener hatte sich eine Hose über die Beine gelegt, an der er langsam Stich für Stich nähte; der Lehrbube machte sich nützlich, indem er die Knöpfe einer Weste anzunähen suchte. Beide aber machten Gesichter, als kämen sie unmittelbar von einer Beerdigung. ,Ja, aber so was!" sagte Lienhart, als er endlich Worte sand. Der Geselle, Friedrich, sah auf, und in seinem sonst so munteren Gesicht zuckte es merkwürdig, und mit einem Male schluchzte er laut aus. Er ließ die Nadel in der Hose stecken, und mit dem Rücken der Hand wischte er sich dis herunter tröpfelnden Tränen ab. „Was heulst du denn?" „Ach, Meister! So 'n Glück! Ist das ein Glück! Wie mich das freut für den Meister!" Seine Stimme wurde durch die Tränen erstickt. Dafür aber begann nun Hans mit schrecklichen Lauten geradezu zu heulen. „Hans! Hans! Friedrich! Ja, seid doch nur bloß ein bißchen vernünftig!* „Oh^ ohl- heulte Hans. „Wir haben halt den Meister so gern...- Und wir müssen weinen vor Freude!- er gänzte schluchzend der Geselle. Das war zu viel. Auch Meister Lienhart war ein Mensch, und der so plötzlich erworbene Reichtum hatte sein Gemüt noch nicht so stark verhärtet, im Gegenteil, es war heute schon gewaltig erschüttert worden. Plötzlich überkam ihn eine heftige Rührung. Nein, diese treuen, braven jungen Menschen! So selten in der jetzigen leichtlebigen Zeit! Er zog sein rotes, schwarzgetupftes Taschentuch hervor und wischte sich damit über die Augen. Gewaltsam raffle er sich auf, wenn auch seine Stimme noch sehr unsicher klang. „Aber seid doch nur zufrieden! Ihr seid ein paar brave Kerle l* Er wollte noch mehr loben; aber seine entsetzten Augen fielen plötzlich auf die Arbeit des Gesellen. „Friedrich, was machst du denn da? WaS nähst du denn für eine Hose zusammen! Das ist ja greulich!* „Oh, Meister-, sagte Friedrich, und sah ihn mit tränen vollen Augen an, „wenn ich daran denke, WaS alles auS dem Menschen werden kann! Ich kann heute nimmer nähen, Meister, ich kann's nimmer l* Wehmütig schüttelte er den Kopf, und betrachtete die verpfuschte Arbeit. „Herrgott!- rief Lienhart plötzlich zornig zum Lehr buben. „Was machst du denn da? Du nähst ja die Knöpfe auf die linke Seite! Ich hätte gerade Lust, dir eins hinter * die Ohren zu geben, du gedankenloser Tropf!* Hans neigte demütig den Kopf, nur die Tränen flossen wieder reichlicher. „Weil ich halt den Meister so lieb habe!* schluchzte er. Lienhart wandte sich ab. Ihm fiel plötzlich der schöne, zerstochene schwarze Rock ein. Er steckte die Hand in die Tasche, und suchte. Dann kehrte er sich zu seinem zu Tode betrübten Gesellen mit einer großartigen Gebärde um. „Da! Heute ist ein Freudentag!* Und er warf jedem eine blanke Doppelkrone hin. „Heute ist Feierabend. Trinkt ein Glas Wein auf meine Gesundheit!* Die Stimmung des Gesellen Friedrich schien sehr wechselbar. Noch mit nassen Augen, lachte er jetzt über daS ganze Gesicht. > „Wird es nicht ein bißchen viel werden, Meister?* sragte er pfiffig, und wies, sich vorbeugend, unter den Tisch. Als Lienhart genauer hinsah, bemerkte er zwei leere Weinslaschen, zwei von den dreien, die er einmal von einem zufriedenen Kunden, einem Weinhändler, geschenkt erhalten und für besonders feierliche Anlässe im Keller aufbewahrt hatte. Die Entdeckung nahm ihm fast den Atem. „Ihr Halunken, ihr seid ja betrunken!" Der Geselle lachte glückselig. „Von der Meisterin! Von der Meisterin!" . * Meister Lienhärt war ziemlich ernüchterk, als er die Treppe hinaufging. Es ärgerte ihn, daß seine Frau gerade diesen Wein zum besten gegeben hatte. Schon lange hatte er sich darauf gefreut, bis die Gelegenheit kam, ihn herauf zuholen, und wenn er sich jetzt auch einen besseren kaufen tonnte, so war es doch nicht mehr der aufgesparte Wein. Immerhin war seine Laune noch beträchtlich gut; denn die anderthalb Kilo Geld in der Tasche erinnerten ihn bei jeder Stufe der Treppe besonders deutlich an sein heutiges Glück. Droben in dem Dachstock erwartete ihn beinahe ein ähnlicher Anblick, wie vorher im Erdgeschoß, ein Anblick zum Verwundern. Die Mutter saß auf dem alten Kanapee, und vor ihr stand Grete und sah sie mit besorgten Blicken an, und wußte nicht recht, was sie ansangen sollte. Denn Mutter Lienhart wurde von einem gewaltigen Lachkrampf erschüttert, so daß ihr die Tränen auS den Augen liefen. Sie lachte unaufhörlich in einer aufsteigenden und ab steigenden Tonleiter, und es war geradezu beängstigend, wie sie immer von neuem ansetzte. Lienhart erkannte sofort die Situation, und beruhigte seine Tochter- „Laß sie nur, Grete, sie tzird bAld sviede; za sich kommen!*