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Vie Freundschaften zerstören, und im überhitzten Werben um die Gunst einer Frau. Der Aberglaube ist bei den Bobsahrern genau so zu Hause wie bei den Fliegern, und der ominöse dritte Mann am Etteichholz genau so verpönt wie bei den Engländern im Kriege gegen die Buren. Talismane spielen eine bedeutende Rolle; geflickte Sporthosen, Brillen, uralt und oft ohne Glas, Handschuhe, aus denen die Fingerspitzen hervorlugen, Puppen, Bären, Mühen und andere Lächerlichkeiten für den normalen Menschen, das find alles Dinge von unendlichem, un- ' Wiederbringlichem Wert für den der Rennpfychose anheim gefallenen Bobfahrer." So ist denn der Bobsportler vor einem großen Rennen nicht mit demselben Maße zu messen wie der gemütlich in der Sonne promenierende Kurgast. Und wer sich au die Eigenheiten dieser schneidigsten unter den Wintersportlern nicht gewöhnen kann, der hüte sich vor einer Erholungs reise .in solche Winterkurorte, durch die der Pulsschlag eines auf Sieg eingestellten Bobfahrerlagers vor eine Meisterschaft braust. Vierzehntes Kapitel. Dem langen Grafen war dieses Fiebern nach Sieg und SiegeSehren fremd geworden. Zwar hatte es auch für ihn eine Zeit gegeben, in der er mit zitternden Händen das Steuer ergriffen hatte, um seinen Schlitten zu Tal zu führen, eine Zeit, in der es noch wenig Leute gab, die es verstanden, einen Bob zu regieren, in der an einen geregel ten Klubbetrieb, eine Bobordnung, an Ausschreibungen nach einem bestimmten Schema noch nicht zu denken ge wesen war. Damals hatte er bei den Kürassieren in der kleinen Garnison am Fuße des Mittelgebirges gestanden, und alle Sonnabende waren sie heraufgefahren nach Schierstädt, der Prinz, der Baron, der Rittmeister und er. Und die Offiziersmannschaft war zu jener Zeit eine beliebte Gesellschaft gewesen. Von Sport nach den heuti gen Begriffen war damals noch keine Rede gewesen, man fetzte sich auf den Schlitten, der Telephonist am Start ver glich mit dem Zielrichter die Uhr, und dann trudelte man los. " - Immer einer nach dem anderen: der alte Sani- tätsrat, der feuchtfröhliche Korpsstudent, mit seinem „Baccera", der Sanatoriumsleiter — »Herr Konkurrent" nannten ihn seine Kollegen von der Medizin — mit seinem..Pfeil", der so oft fchon in der ersten Kurve stecken blieb, der Hamburger mit seinem „Meteor", und der dicke Hotelbesitzer, Ler ein ebenso guter Wirt wie schlechter Führer war. Und die Hauptsache war doch immer die Preis verteilung, die sich bis zum frühen Morgen ausdehnte und von der man ost direkt zum Dienst fuhr, um in der eis kalten Reitbahn die Rekruten zu Rettern zu erziehen, wäh rend der Schädel noch vom Burgunder und den dröhnen den, gegen Morgen meist in Reime übergehenden Reden des Sanitätsrats, schwer und benommen war. Der lange Graf mußte lächeln. Aber es war nicht jenes blasierte Grinsen, das er aufzuziehen pflegte, wenn die anderen von ihren sportlichen Leistungen fasel ten; es war vielmehr ein weiches Lächeln, das diesem schmalen glatte« Raubtiergesicht einen Zug von Wehmut verlieh, den man an dem Langen sonst nicht gewohnt war. Der Lange band die Smokingschleife. Wo waren sie alle nur geblieben, die fröhlichen Kerle von dazumal, die er sich im Bobbetrieb der Nachkriegs jahre so gar nicht vorstellen konnte? Gefallen waren sie, gestorben, oder auch verdorben im mamongehetzten Teuselstaumel der Inflation. X Der Lange grifs nach dem Kasten mit den Klubabzei- chsL 48 Nadeln, von 48 verschiedenen Klubs und Ver- LinchL hatte man ihm im Laufe der Jahre angehängt. Nun hieß N Wieder, den ganzen .Blechladen." tagtäglich an stecken, sich die Finger verpieken und nur ja niemanden vergessen, denn die Mitglieder der einzelnen Klubs achte ten streng darauf, daß der Vorsitzende des Verbandes auch „ihre" Nadel trug. Die große, goldumrandete Vorstandsnadel des Bob fahrerverbandes kam ins Knopfloch, das schwarz-gelb- gestreifte Abzeichen des Schierstädter Klubs hart darunter. Mehr war sür heute abend nicht nötig. Und während der Lange einen Augenblick sinnend die Schierstädter Farben am Seidenrevers des Smokings be trachtete, mußte er noch einmal an die Zeiten vor dem Kriege zurückdenken, aus denen sich außer ihm nur noch die große, mächtige Gestalt des Sanitätsrats in die junge Bobgeneration hinübergerettet hatte. Nun war auch dessen Frau auf ewig entschlummert, sie, die wie eine Mutter allen denen gewesen war, die sich um sie gesammelt hatten. Er sah sie noch, als Brockenhexe verkleidet, aus einem Rodel der Bahn herunterbrausen-nach einer der lustigen Bob-Gymkhanas, jener Spiele, in denen es auf die Ge schicklichkeit des einzelnen ankam. Und für jeden hatte sie eine Rute in der mächtigen Kiepe, aber auch für jeden ein freundliches, belehrendes Wort, das man für das ganze Leben nicht mehr vergaß. Die Gestalt des Langen straffte sich. Und als wollte er mit einem Schlage die Erinnerungen an bessere Tage aus löschen, schaltete er mit kurzem Ruck die Birnen an der Zimmerdecke aus und schloß die Tür hinter sich: Nun wie der ganz der lange Graf, leicht vornüber gebeugt, ein wenig blasiert, ein wenig schlaksig und doch souverän über alles erhaben, was neben und unter ihm auftauchte. Ein kurzes Pochen an der Tür der Schwester, und auf deren fragendes „Ja?" die näselnde Auskunft: „Ich gehe schon immer 'runter, um die Kerle zu be grüßen." Dann verhallten die Schritte des Langen im teppich- belegten Flur des Klubhotels. Fünfzehntes Kapitel. In das bienenschwarmähnliche Gewoge in der Halle kam Sinn und Richtung. Alles drängte der Treppe zu, die der Lange, gemessenen Schrittes, wie ein König die Stufen des Thrones, her unterschritt. Sie alle, die ihren Vorsitzenden zur Begrüßung ent gegenkamen, mochten ihn innerlich nicht so recht leiden, aber niemand wollte zurückstehen, niemand wollte es ver säumen, ihm die Hand zu schütteln, je weniger ehrlich, desto herzlicher. Das war also der „berühmte" Mann, von dem die Baronin schon so viel gehört und mit dem sie sich seit ihrer Ankunft in Schierstädt mehr als gut beschäftigt hatte. „Lebemann." Das war der erste Eindruck, den sic von ihm hatte, blasiert, anscheinend sehr hochmütig und ein gebildet. Wie er jetzt die Ovationen der Bobsahrer abwehrte! Daß sich diese Sportleute diese Art gefallen ließen! So durfte er ihr nicht kommen! Und die Baronin nahm sich vor, ihn recht kühl zu behandeln, damit er von Ansang an merkte, daß seine großspurige Art aus sie keinen Ein druck machte. „Na, was machen Sie denn?" Der Lange gab dem jungen Führer die Hand. „Gott, man schlägt sich so durch." Der junge Führer hatte Mühe, den Ton des Langen so getreulich wie mög lich zu kopieren. Innerlich war" er stolz, daß der Lange ihn vor allen anderen einer Anrede würdigte. Doch der Graf hatte aus die Antwort gar nicht ge wartet; wie suchend sah er sich um, und als er die ein same, schöne Frau im Sessel gewahrte, fragte er den jungen Führer: „Sind sie allein hier, oder haben Sie sich eine Mannschaft mitgebracht?" „Der kleine Berliner ist wieder mit, und dann die Baronin. Soll ich sie porstellen?"