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Beilage zur Weiheriy -Zeitung Nr. 112 Donnerstag, am 1k. Mai 1929 SS. Jahrgang Chronik des Tages. — Der Reichsfinanzminister verhandelt mit den Banken iber eine Bevorschussung der Reichsanleth«. — Der Reichspräsident hat aus Anlaß der 50. Wieder- ehr des Unabhängigkeitstages Bulgariens an den Zaren SoriS von Bulgarien ein Glückwunschtelegramm gesandt. — Der Preußische Staatsrat hat «in« Verordnung an« genommen, die eine wesentliche Lockerung der Wohnung«- Zwangswirtschaft verfügt. — Der Rote Frontkämpferbund ist setzt im ganzen Reiche -erboten. — Der englische Sachverständige Stamp hat sich zu inem kurzen Aufenthalt nach London begeben, um mit dem Kabinett Fühlung zu nehmen. — In Friedrichshafen sind wieder drei „blinde Paffa- lieve" gefaßt worden. Fünf sitzen seht bereit» bei der Friedrichshafener Polizei in Hast. — Der deutsche Meifterboxer Schmeling ist in N«w York eingetroffen. Pfingsten 1929. Der lange, harte Winter hat der sieghaften Kraft >es Frühlings weichen müssen. Die warmen Strahlen ;er lebenspendenden Sonne haben in wenigen Wochen )ie Natur zu neuem, frischem Leben auferweckt, ein« herrliche Blütenpracht breitet sich um uns aus, und edeS Menschenherz ist erfüllt von Freude und Ge- lugtuung über diese wunderbare Wandlung, die wir nach den bitterkalten Wintertagen doppelt dankbar empfinden. Psingstfreude und Pfingstglück lacht uns an aus allen Gesichtern, aus jedem einzelnen Ge schöpf in Gottes herrlicher Natur. Nur in der Politik will keine rechte Pfingstfreude aufkommen. Im Stil len hatte man gehofft, daß es den in Paris zu ernster j Arbeit versammelten Sachverständigen und Wirtschaft- - lern gelingen mischte, das schwierige Problem der Kriegsentschädigung in einer für Deutschland wirt schaftlich tragbaren Weise zu lösen und damit ein Werk . zu vollenden, um das sich die Politiker zehn Jahre vergebens bemüht haben. Nach den neuesten Mel dungen scheint indessen diese Hoffnung wieder einmal trügerisch gewesen zu sein. Wohl hat man im Laufe > der letzten Tage eine ganze Reihe von Konfliktspunk- i ten aus dem Wege räumen können, doch bleiben immer ! noch viele Schwierigkeiten zu überwinden. In Pa- j riser Kreisen rechnet man allgemein nur mit einer kurzen Pfingst Pause, nach den Feiertagen soll dann die Arbeit sofort wieder ausgenommen werden. In gewissen Konferenzkreisen, besonders im Bereiche der amerikanischen Delegation, ist man über die Hin ausziehung der Verhandlungen über Pfingsten nicht gerade erbaut und drängt aus baldigen Abschluß der Konserenzarbeiten. Der Pariser „Excelsior" will wis sen, Pierpont Morgan habe angekündigt, daß er unter allen Umständen in den ersten Tagen der kom menden Woche abreissn werde. Daß es dem ameri kanischen Finanzgewaltigen mit dieser Drohung ernst ist, daran ist kaum zu zweifeln. Zum mindesten wollte er auf die übrigen Delegationen einen gelinden Druck ausüben, um sie endlich zu einer energischen Förderung der Arbeiten anzuspornen. Vorerst hat es allerdings nicht den Anschein, als ob die Mahnung Morgans auf fruchtbaren Boden fallen würde. Während die deutschen Vertreter mit der Annahme des Aoungschen Zahlungsplanes das Höchst maß von Bereitwilligkeit gezeigt haben und damit bis an die Grenze des Zulässigen gegangen sind, zeigt die Gegenseite auch nicht die geringste Spur von Ent gegenkommen. Die Aussicht für di« Annahme des Pariser Schlußberichts mit den deutschen Vorbehalten, wie sie in den Besprechungen zwischen Stamp und Schacht festgelegt wurden, wird in englischen Berichten aus Paris als immer zweifelhafter angesehen. In einem Pariser Bericht der „Times" heißt es, daß die deutschen Vorbehalte vom britischen Standpunkt aus nicht ungerechtfertigt erschienen, während sie aus fran zösischer Seite nach wie vor mit starkem Mißtrauen betrachtet würden. Selbst wenn die deutschen Vor behalte angenommen, und das schwierige Problem der Verteilung gelöst würde, blieben noch die Meinungs verschiedenheiten über die deutsche Jahresrate zu be seitigen. Auf französischer Seite sei man, ganz abgesehen von den deutschen Vorbehalten und der Verteilungsfrage, jeder Verminderung der Jahresrate unter die in der alliierten Denkschrift festgelegten 2198 Millionen Mark abgeneigt. Auch Belgien lehne die von Owen Aoung vorgeschlagene Kompromtßzahl ab. Stuf englischer Seite sei man stets für die mit der Erfüllung gerechter Forderungen in Einklang zu brin gende geringste Jahresrate gewesen, und wenn, was nun möglich erscheine, die Ansprüche der britischen Dominions befriedigt werden könnten, dann würden die britischen Vertreter Owen Uoungs Plan unterstüt zen. Die Haltung Italiens bleibe zweifelhaft, wäh rend die Japaner ihre uneingeschränkte Zustimmung bererts gegeben hätten. Im ganzen erscheinen di« Aussichten für eine Einigung trotz der weiter be stehenden Meinungsverschiedenheiten gber Höhe der Jahresrate wie über die Verteilung und die deutschen Vorbehalte wenig günstig. Aber selbst wenn wider Erwarten in Paris die Vernunft siegen sollte, ist unsere Lage immer noch > sehr ernst. Auch eine Verminderung der Daweslasten s und Begrenzung der jährlichen Reparationsleistung - auf 2060 Millionen Mark wird unser Los nicht we- > sentlich bessern. Auch dann wird es der Anspannung aller Kräfte bedürfen, wenn wir die uns auferlegten ' Verpflichtungen vertragsgemäß erfüllen wollen. Mit welchen Schwierigkeiten wir zu kämpfen haben, dafür haben uns die letzten Tage vor Pfingsten den besten Beweis geliefert. Zur Auffüllung der leeren Reicks kasse hat man zu ganz ungewöhnlichen Maßnahmen schreiten müssen. Durch Veräußerung der im Reichs- besitz befindlichen Reichsbahnvorzugsaktten und die Auflegung einer 6 OO-Millionen-Anleihe, die mit weit gehenden steuerlichen Erleichterungen ausgestattet wer« den mußte, wird man den Reichssäckel noch einmal stillen können. Eine dauernde Gesundung der kranken Reichsfinanzen wird aber durch solche bedenklichen Mnanzoperationen nicht herbeigeführt. Dazu bedarf «S eines großzügigen Finanzprogramms, das sich aller dings ohne neue große Opfer der Allgemeinheit kaum durchführen lassen wird. Trotz dieses wenig erfreulichen Ausblickes wollen wir u>nS aber die Psingstfreude nicht trüben lassen. Ein alter Spruch sagt: Kommt Zeit, kommt Rat. Im Laufe der Nachkriegszeit haben unsere ehemaligen Geg ner ihre Ansprüche schon ganz erheblich herabschrau« den müssen. Auch der neueste Pariser Zahlungsplan wird unter Umständen unter dem Drucke der Tat sachen eine Korrektur erfahren müssen. 10 Jahre Deutscher Schutzbund» Die JubilänmStagung in Salzburg. Die diesjährige Tagung des Deutschen Schutzbun des in Salzburg stand im Zeichen des zehnjährigen Jubiläums. Von allen Seiten wurden dem Deut schen Schutzbund für sein erfolgreiches Wirken zum Schutze des deutschen Volkstums reiches Lob und auf richtige Anerkennung gespendet. Nachdem die Mitgliederversammlung, in der sämt liche deutschen Volksgruppen und Volksschichten ohne Rücksicht aus die Parteien vertreten sind, der Geschäfts führung einstimmig das Vertrauen ausgesprochen und den Vorstand bestätigt hatte, folgte im großen Saal des Mozarteums die von Musikvorträgen umrahmte feierliche Eröffnung der Tagung durch Ministerialdirek tor a. D. Dr. h. c. Goetz-Stuttgart, der daraus hin wies, daß «s kein Zufall sei, wenn die Jubiläums« tagnng in Oesterreich abgehalten werde. Darin zeig« sich die innere Verbundenheit des Reiches und des ge samten Dentschtnms mit Oesterreich. Er begrüßte dann die zahlreichen Vertreter der Behörden und Körper schaften aus dem Reiche, aus Oesterreich und aus dem Auslande, besonders den Altbundespräsidenten Dr. Hainisch, und dankte der Presse für die Unterstützung, die sie in den zehn Jahren der Arbeit des Schutz bundes gegeben habe. Für das Land Salzburg und die österreichische Bundesregierung sprach Landeshauptmann Rehrl, der die Grundgedanken des Schutzbundes lebhaft be grüßte. Nur künstlich könnte die von dem Schutz bund angestrengte Erneuerung Europas aufgehalten werden. Die Volksabstimmung in Tirol und Salz burg hätte den Wunsch zur deutschen Einheit deut lich genug bekundet. Kür das AuSlandsdeutschtum sprach Abgeordneter Hasselblatt-Reval. Dem Schutzbund sei insbesondere die Erweiterung der kulturpolitischen Arbeit über die innere Schnlpflege hinaus aus der Grundlage der Selbsthilfe zu verdanken. Das gesamte Anstands- dentschtum in Europa dauke in diesen Lagen des Ju- bilänms dem Schutzbund für die prächtige Hilfe, ohne die die deutsche» Verluste im Auslande sehr viel grö- i ßer sei« würde», als sie es sowieso schon seien. j Namens des Ostdeutschtums sprach Worgitzki- ' Allenstein, der u. a. die Verdienste des Schutzbundes und die Durchführung und den erfolgreichen Ausgang der Volksabstlmmung in Ostpreußen betonte. j Von besonderem Interesse waren die Ausführun- ' rungen des bekannten Führers des Deutschtums in Nordschleswig Dr. Johannes Schmidt-Modder j (Tondern) über das Thema: „Nordschleswig, Schleswig- ! Holstein, Skandinavien." Er führte u. a. aus: „Es gehört zu den unbedingten Voraussetzungen einer rich tigen Gestaltung der Dinge zwischen den Völkern und Staaten überhaupt und nicht zum wenigsten bet uns im Norden, daß die Autonomie auf dem Ge- biete der national-kulturellen Fragen namentlich für Schule und Kirche in freimütigster Weise durch geführt wird. Wir freue« uns, baß durch die preu ßische Schulverordnung für die dänische Minderheit südlich der deutschen Rordgrenze eiu bemerkenswerte» Schritt diesem Ziel entgegen getan ist, und wir sind der Hoffnung, daß wir bald auch in Dänemark aus diesem Gebiete weiterkomm««. Da» wir» entscheiden» sein für die Gestaltung des Verhältnisses der Bölke» znein ander." Der Redner schloß mit den Worten: „Es liegt nahe, zu erwarten, wenn einmal die Einsicht lebendig geworden ist, daß deutsche Welt und skandinavisch» Welt auseinander angewiesen find, daß wir dann m« größerer Unbefangenheit noch einmal an die L-sun« der Krage Rordschleswigs Herangehen." Die Teilnehmer der Schutzbundtagung wohnte, dann einem Domchor-Kon-ert bei. Abends sand in Stadtsaal des Festspielhauses «in Empfang der Stadt und des Landes Salzburg statt. Am Mittwoch be gannen die Fachsitzungen mit den Beratungen des po litischen Ausschusses unter de« Vorsitz das Altbundes präsidenten Dr. Hainisch. Abba« der Wohrrungszwaugstvirtschaft Die preußische Verordnung vom Staatsrat geu«hmigt — Herabsetzung der Freigrenze bu Wohuuugsmaugeb gesetz. Der Preußische Staatsrat hat gegen die Stimmes der Sozialdemokraten und Kommunisten eine Verort» nung angenommen, die insofern eine weitere Lockerung der Wohnungszwangswirtschast bringt, al» die F«st grenze, die im Wohnungsmangelgesetz grundsätzlich fest gelegt ist, mit Wirkung vom 1. Juli 192S herabgesetzt wird. Danach tritt i« Berlin di« Befrei««« bei eiu« JahreSfrttdensmiet« von 2400 Mark (bisher »Ogg «in. Kür die andere« Ortsklasse« ist ei«e entsprech««», Herabsetzung d«r Kreiheitsgrenze vorgesehen, ««d zwar gilt für di« übrigen Orte der Sonderttasse die Be> sreiuug für Wohnungen vo« 1»«« Mark, für Orts klasse «. 14«« M., für Ortsklasse v: 1000 Marl! für Ortsklasse L: S«« Mark «ud für Ortsklasse D 40« Mark. Ms Gemeinden ohne Wohnungsmangel sollen di« Gemeinden mit weniger als 8000 Einwohnern (bishe» 4000) gelten, im übrigen die von der AufsiebtSbehvrd« auf Anttag oder nach Anhörung der zuständigen Go meindebehörden bezeichneten Gemeinden. Das Mieterschutzgesetz bleibt auch für di« aus der Zwangswirtschaft herausgenommenen Wohnun gen bestehen. Es kann also kein Mieter auf Gruvl der neuen Verordnung gekündigt werden. Das WoG nungsamt kann solche Wohnungen nur nicht mehl beschlagnahmen, wenn sie frei werden. Politische Rundschau. — Berlin, den 16. Mat 1S2S. - Im Haushaltsausschuß des Reichstag» empfahl der deutschnationale Abgeordnete Berndt eine Entschließung, wonach der 28. Juni, um die Erinnerung an di« Unter zeichnung de» Friedensdiktats von Versailles wachzuhalt«N, in den Schulen als Reich»trau«rtag begangen wer den soll. — Ein Antrag der Wirtschaftspartei im Preußischen Landtag ersucht di« Staatsregierung, dahin tzmzuwirken, eine gesetzliche Grundlage für die EntschadlMUg der bet den Berliner Matunruhen geschädigten HtmiBefitzer und Gewerbetreibenden zu schaffen. * :: Bürgerliche Einheitsliste in Mecklenburg-Schwe rin. Die Deutschnattonalen haben die Beteiligung an der bürgerlichen Einheitsliste für die bevorstehen den LandtagSwahlen beschlossen. Gleiche Beschlüsse lie« gen von der Deutschen Volsspqrtei, der Wirtschafts partei und den Völkischen vor. — In der Schlußsitzung des zum 23. Juni aufgelösten Landtags wurde ein von der Wirtschaftspartei eingebrachter Mißtrauens« anttag gegen die demokrattsch-sozialistische Regierung mit 26 gegen 22 Stimmen abgelehnt. :: Rotfront jetzt im ganze« Reich Verbote«. Auf Ersuchen des Reichsministers des Innern haben jetzt auch die Regierungen von Anhalt und Oldenburg den Rotfrontbund aufgelöst und verboten. Veranlassung zu diesem Verbot dürfte vor allem die Absicht der Bundesleitung gewesen sein, in einer der anhaltischen bezw. oldenburgischen Städte — man nannte Dessau und Rüstringen — das diesjährige Reichs treffen ves Bundes abzuhalten. Da der Bund inzwischen auch in den Hansestädten Lübeck und Bremen verboten wor« den ist, erstreckt sich das Verbot jetzt aus das ganze Reich. Ein von der Kommunistischen Partei für den 1. Pfingstfeiertag in Stettin angesagtes „Rotes Tref fen ist ebenfalls verboten worden. Rundschau im Auslande. ! Die Voruntersuchung in dem Betrugsverfahren gegen den ehemaligen französischen Finanzminister Klotz ist nun mehr abgeschlossen. Z Die italienische Ständekammer hat den B«rsSH- nungSvertrag zwischen dem Vatikan und Italien zusammen mit dem Konkordat und den übrigen Lateran- Verträgen angenommen. Z Der amerikanische Kriegsfettetür hat dem Kon greß eine Mobilmachungsvorlag« unterbr«i1et, die den Präsidenten ermächtigt, Im Kriegsfall alle männlichen Personen zwischen 18 und 45 Jahren unter di« Fahnen zu rufen. Frankreichs Rache au den ««touomiften. 1 Unter den neugewählten Gemetnderatsmitali«dern in Straßburg-Ost befindet sich auch der Autonomistenführer Paul Schall, einer der Verurteilten des Kolmarer Prozes ses. Seine Wahl ist bereits angefochten worden. Ein An nullierungsantrag »st beim Staatsrat eingereicht. Wegen angeblicher Spionage z«g««fte« Deutschlands verhaftet. ? Wie aus Moskau gemeldet wird, ist in Leningrad ein Deutscher namens Weber verhaftet worden, dem Spio nage zu Gunsten Deutschland» in der Sowjetunion zur Last gelegt wird. Bet Weber soll ein umfangreicher Schrift wechsel nefuiiden sein, der angeblich deutsche Firmen betrifft. Ferner soll Weber an antisowjetistischen Machenschaften tetl- gcnommen haben. An zuständiger Berliner Stelle war eins Stellungnahme hierzu noch nicht zu erlangen. Es scheint aber, daß der Verhaftet« kein Reichsdeutscher ist. Vorschuß auf die Reichsauleihe - Eine neue DerzweiflungSmaßnahmc des Reichsfinanzmtnistcrs. Wie vo« unterrichteter Seite verlautet, sind die Geldschevierigkeiten des Reiches für Mai-Mtimo wieder f» groß geworde«, daß der Reichsfi«a«z»inist-r mit d«n Banke« Verhandlungen hat «inleite« müsse«, «m einen Vorschuß auf di« kommend« Reichsanleihe zu er« halten. ES f-ll sich b«i diese« „Ueberbrülknugskre« dit" «m rund ISO Millionen Mark ha«d«»n. Dieser neue außerordentliche Schritt des Reicks- finanzmintsters wird damit begründet, doch die Reicks«