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Vellage zur Weiheritz-Zeilung Mittwoch, am 8. Mai 1929 Nr. 106 95. Jahrgang Die kleine Sonnenblume. - Von E. Neuhaus. Weit wert binter dem hellblauen See stand mitten im G?ünen1>as WzLne Haus mit den seltsamen Ver- ticrunaen und Türmchen, in dem die kleine Sonnen- blume?das dunkelhaarige schlanke Mädchen, «stein mit ihren Eltern wohnte. Ihre beiden langst erwachsenen »rüder batten schon vor Jahren fremde Frauen ge- UraL unbaren mit ihnen in ferne Handelsstädte ge- roaen: nur manchmal gelangte Kunde von ihnen in das stille Elternhaus. Dann begann die um so vieles jüngere Sonnenblume zu träumen: Don steinernen Häu- jern und belebten Straßen, herrlichen Kaufläden und prunkvollen Gaststätten, von modernen Verkehrsmitteln und neuartigen technischen Einrichtungen. Sie sehnte sich nach den Brüdern, die immer so gut zu ihr ge wesen waren und die auch jetzt nie vergaßen, sie unter vielen Kosenamen besonders herzlich zu grüßen, ihr allerhand niedliche Geschenke zu senden, kleine Anden ken, Bilder von der großen Stadt und dem Hafen, schöne modische Seiden und viele andere Dinge, die einem jungen Mädchen Freude bereiteten. „Besuche uns doch einmal!" schrieben wohl die Schwägerinnen, ,Mr holen dich gerne aus halbem Wege ab". Die Eltern hätten gegen eine Reise zu den Brüdern nichts ein- zuwenden gehabt, aber, so seltsam es klingt, die kleine Sonnenblume fürchtete sich im geheimen vor der großen Stadt, fast wie vor einem bösen Drachen oder einem schreckhaften Ungeheuer. Nun traf es sich, daß ein Geschäftsfreund der Brüder nicht weit von dem hellblauen See und der Heimat der kleinen Sonnenblume für seine väterliche Firma einen großen Auftrag zu erledigen hatte, und da er von den Brüdern persönlich Grüße überbringen sollte, bestieg er eines Tages das Boot am See und landete in der Nähe des hölzernen Hauses mit den seltsamen Verzierungen und Türmchen. Die kleine Sonnenblume saß gerade unter den Blu men des Gartens in der Sonne und stickte Vögel in ein festliches Kleid; nur noch wenige Fäden, und die Arbeit war beendet. Masashi, der aus der fernen Handelsstadt gekom- bewundernd so viel Schönheit und *??gte sich nicht zu rühren und dachte immerzu: Das ist die kleine Sonnenblume, die muß ein jeder Lieben, der sie sieht. — " I Da jamme Sonnenblume aus uno say iyn peyen, den jungen, fremden, ernsten Mann. Er erinnerte sie an ihre Brüder, doch war er nicht so heiter und froh wie sie. „Wasashi! Nicht wahr?" sagte sie leise, stand aus und verneigte sich. „Sonnenblume! — Nun Weitz ich, warum du so genannt wirst, deine goldenen Augen sind schöner als die Sonne." Sie lachte und antwortete: „Alle sagen es und nun auch du, der Fremde." Er faßte nach ihrer Hand und svrach ernst: „Du bist mir keine Fremde, ich kannte dich längst, deine ' Brüder haben mir bereits alles erzählt; du aber bist noch größer und schöner als ihre Wahrheiten über dich; sie haben dich lange nicht mehr gesehen, und so ist es zu erklären..." Der Vater zeigte sich und begrüßte Masashi: Sonnenblume raffte das Kleid mit den Bögeln auf und verschwand wie ein flüchtiges Reh. Hinter dem hellblauen See herrschen heute noch Nr.'AHZU»-- KL?»-'? Brüdern und dürfen nur fetten allein ausgehen. So kam es, daß Masashi die Keine Sonnenblume erst bet Tisch wiedersah. Sie trug in feinlackierten und bemalten Schalen die Suppe auf. Später rückte sie vor dem Vater auf dem Tische den Spirituskocher zurecht. Und der Vater lieh das Fett in der Pfanne zergehen, gab Fleifchscheiben und Zwiebeln, Grünzeug und Gewürz hinein und forderte nach einer Weile alle Anwesenden der Reihe nach auf, zuzugreifen und es sich wohlschmecken zu lassen. Masashi atz wenig. Imitier wieder glitt sein Blick zu Sonnenblume hin, und immer wieder dachte er: Jeder, der sie sieht, muh sie lieben. Nach beendetem Mahl beim heißen dunklen Tee mußte Masashi von der fernen Stadt und den Brüdern berichten. Er sprach langsam, verträumt, denn er dachte nur noch an Sonnenblume, und als er Abschied nahm, wußte der Vater, daß er wiederkommen würde, um Sonnenblume mitzunehmen in die große Stadt, vor der sie sich fürchtete. Und seitdem Masashi in dem hölzernen Hause hinter dem hellblauen See geweilt hatte, wurde die kleine, sonst so heitere Sonnenblume still und gedrückt. Gewiß, das bedachte fie oft und eindringlich, Masashi war gut, er würde ihr nie etwas zuleide tun: aber wer ! würde dann noch zu der alten lieben Mutter kommen, die niemand hatte als nur sie ganz allein. Wer würde, wenn sie so weit fort war, in den Garten gehen, die Blumen Pflegen und die Bögel füttern? — Wer würde im dunklen Hause ein Lied singen, wenn der Regen gegen die Wände schlug, wer die Ettern trösten, wenn , sie solange nichts von den Brüdern hörten? — Durste sie denn überhaupt so weit fortziehen von ihrem ge liebten hellblauen See? — Nein, nein, nein. Masashi aber kam eines Tages wieder und Hotts sie. Für die Reise sollte sie das wunderschöne Fest kleid mit den gestickten Vögeln tragen, an dem sie damals gearbeitet hatte, als er sie das erstemal sah. Er konnte ihr gar nicht in Worten erklären, wie seh« er sie liebte; es war, als höre sie seine Reden nicht, und ihre goldenen Augen waren von Tränen ver- > schleiert. „Du leidest?" fragte er fie erstaunt. Sonnen-! blume nickte nur: „So weit fort, so weit fort!" sie, ! beschrieb mit ihrer kleinen Hand Haus, Garten und > See und sprach klagend: „Bald sehe ich nichts mehr von , diesem geliebten Erdenfleckchen, dann ist alles der»! < schwunden, als wäre es nicht da, nie vorhanden g« ! wesen. Was soll dann aus mir werden?" I Arme, kleine Sonnenblume. Sie klagte umsonst. Der Vater dachte mit StoU an Masashis reiches Elternhaus. Die Mutter Hatto, keine Macht; sie weinte heimlich viel mehr und art" haltender als ihre Tochter. ' j Masashi hüllte bereits ungeduldig seine kleine Sonnenblume in ein kostbares Reisetuch, hob sie ins Boot, winkte und rief noch etwas zurück. Das Seged blähte sich, stand noch lange wie ein Abschiedsgruh aufs ! dem hellblauen See. Die Mutter starrte voller Leid ' aus den weißen Fleck, der immer kleiner wurde und! sprach: „Nun haben wir auch unsere Sonnenblumo > nicht mehr". — Der Vater gab keine Antwort, un- gebeugt ging er ins Haus an seine Arbeit. i Wie es so ist im Leben: all das Neue, das nun ' aus Sonnenblume einwirkte, dazu das Wiedersehen mit den Brüdern, die Freundschaft der Schwägerinnen und i die große Liebe ihres Mannes lenkten sie ab, die ' große Stadt wurde ihr vertraut, und bald liebte sie das hastende und treibende Leben in ihr fast ebenso führ wie die Stille und Abgeschiedenheit ihrer kleinen Hei mat hinter dem hellblauen See. „Siehst du!" triumphierte der Vater, als der erste Brief eintraf, und auch die Tränen der Mutter ver siegten