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schnell, Achmed, in einer Stunde muß ich starten. Sorge indessen für ein richtiges Frühstück; und jetzt mein Bad. Hast du verstanden?* Der Diener verschwand mit stummer Verbeugung. Matthias Brecht war aufgesprungen, und schüttelte dem Engländer bewegt die Hand. „Mister Firth', sagte er, kaum feiner inneren Erregung mächtig, „ich danke Ihnen, ich werde Ihnen diesen Liebesdienst nie vergessen.' Bill Firth winkte lächelnd ab und entgegnete: „Es ist ohnedies gut, wenn meine Maschine einmal ordentlich in Bewegung kommt. Wir haben übrigens grandioses Wetter zum Aufstieg.' Matthias Brecht nickte stumm, und fah aus dem Fenster; in seinen AlMn aber flatterte die wildeste Angst und Un- ruhe um den einziggeliebten Menschen, den er auf Erden besaß. Firth hatte sich jetzt erhoben. Der Diener brachte eben das Frühstück. „Kräftigen Sie sich, lieber Professor, langen Sie tüchtig zu, während ich mich in Dreß werfe', sagte er liebens» würdig. „Sie fahren doch gleich so, wie Sie sind. Ich besitze Lederzeug genug; wir sind ohnedies von gleicher Statur.' Damit eilte Bill Firth aus dem Zimmer. Genau eine Stunde später erhob sich Mister Firths „Helios', wie er seine Flugmaschine genannt hatte, in die Lüfte und nahm in der blinkenden Morgensonne den Kurs nach dem Meer zu. * * * Es war am Spätnachmittag des neuen Tages. Fritz Staudinger saß mit seiner Frau im Vestibül des Hotels, und wartete aus Ilona TakLts, die noch einmal zu ihnen kommen wollte, bevor sie an Bord der „Margarete' ging, mit der sie die Reise nach Bombay fortsetzen wollte. Ein schwerer Abschied würde es werden, fuhr sie doch davon in der furchtbaren Ungewißheit über Christa Walds Verbleib, von der immer noch keine Spur gefunden worden war. In diesem Moment fuhr ein Auto in rasendem Tempo vor die Hotelhalle und stoppte beinahe lebensgefährlich schnell seine Fahrt. Zwei Herren im Lederdretz sprangen heraus und eilten flüchtigen Fußes ins Vestibül. „Matthias, Gott im Himmel, er ist es wahrhaftig!' rief Doktor Staudinger, aus seinem Sessel bestürzt empor- schnellend. »Fritz, Fritz, wo ist sie? Hast du Christa bereits ge funden?' stammelte Brecht, auf Staudinger zustürzend, während er in quälender Angst vor der zu erwartenden Entgegnung des Freundes Rechte umklammerte. „Armer Junge!' stieß Staudinger gepreßt hervor. „Ich kann dir keine gute Nachricht geben. Christa Wald ist noch immer unauffindbar.' Professor Brechts hohe, schlanke Gestalt sank bei vieler niederschmetternden Antwort, die auch die leiseste Hoff nung mit einem Schlage vernichtete, sichtlich zusammen. „Entsetzlich!, entsetzlich!' war alles, war er hervor brachte. „Komm, Matthias, komm auf mein Zimmer, damit wir in Ruhe alles besprechen können', vat Doktor Staudinger, tief bewegt von des Freundes Qual. Frau Maria weinte jetzt leise. Bill Firth lehnte ab wartend an einem kleinen Zeitungstischchen. „Gehen wir', sagte Brecht matt, und die drei folgten ihm wortlos. Gerade als Staudinger seinen traurigen Bericht be- endet hatte, klopfte es leise an die Tür, und Frau Ilona trat ins Zimmer. „Mein armer Freund Brecht ist soeben mit dem Flug zeug eingetroffen', erklärte Staudinger, sic begrüßend. Ilona TakLIS schüttelte dem Professor stumm die Hand, and Matthias Brecht ließ sich auch von ihr noch «dmml alles erzählen. Dann schwiegen sie alle still, und jeder wußte aud»» ren schreckliche Gedanken, daß Christa Wald de» Weg so vieler, für immer unauffindbarer junger Mädchen ge gangen war. Doch das Wort, das furchtbare Wo« blieb unausgesprochen. „Glaube mir, Matthias', unterbrach Fritz Staudinger endlich das Schweigen, „es gibt wohl keinen Ori, keine Stelle des Hafens, den man nicht nach Christa Wald ad- gesucht hätte.' Matthias Brecht antwortete nicht, und hielt die Aigg« bedeckt. Abends neun Uhr stach die „Margarete' kn See. An der Reling lehnte Ilona TakLts, und winkte de» Freunden wehmütig, Tränen in den Augen, das letzte Lebewohl zu. Dann wurde die Landungsbrücke eingehott. — — Die sonst so lebenslustige, gesellige, schöne Frau Ilona lebte auf dem Schiff ganz zurückgezogen, und erschien oft nicht einmal zu den Mahlzeiten. Sie machte ihre Spazier gänge an Deck erst dann, wenn sich die anderen Passagier» bereits zurückgezogen hatten. So lehnte sie auch heute, am dritten Tage der Reifte wieder einsam an der Reling, und spähte traurig hinaus auf die unendlich weite Fläche des Meeres. Sie dachte wieder an Christa Wald. Seltsam, wie nahe ihr das Verschwinden dieses kleine» deutschen Mädchens ging; sie trauerte um sie wie um eine leibliche Schwester. Ihr Blick glitt weiter hinüber zum Heck, und da sah sie einen von der Schiffsmannschaft lehnen, einen starken, blonden Burschen, der, ohne sie zu gewahren, mit eigen tümlich schwermütigen Augen auf das Wasser starrte. „Sicher ein Deutscher', dachte Ilona TakLtS lächelnd. Sie liebte die deutschen Männer. Damals im Kriege hatte sie als Hilfsschwester in einem Lemberger Lazarett viele deutsche Soldaten gepflegt. Einer davon, der ihr besonders lieb gewesen war, erinnerte sie an diesen Matrosen dort, der sicher die Freistunde benutzte, um etwas frische Abend luft zu schnappen. Und jetzt entsann sich Ilona TakLts auch, den Manu gestern Abend um dieselbe Zeit an genau derselben Stelle bemerkt zu haben. Sie wechselte ihren Platz und schlenderte langsam an ihm vorüber. Sie sah, daß der Mann krampfhaft ein Zei tungsblatt in seiner Rechten hielt, und da, wahrhaftig, jetzt fuhr er sich mit dem Acrmel über vie Augen. Kein Zweifel, dieser Mann hatte Kummer, er hatte wohl soeben ein paar Tränen sorlgewischt. Ilona TakLts schwankte, sie wußte nicht, ob sie sich de« Einsamen nähern sollte. Menschenleid zog sie stet- im Gefühl, helfen zu müssen. In diesem Moment fegte ein Windstoß über Deck und entriß dem Manne das Zeitungöblatt. Direkt vor die Füße Ilona TakLts wurde eS geweht, und sie bückte sich schnell, fast instinktiv danach, und hob es auf. „Danke, gnädige Frau', erscholl es im gleichen Augen blick neben ihr, und Ilona TakLts sah in zwei treuherzige blaue Männeraugen. „Darf ich das Blatt wiederhaben?' bat der Matrose. „Es ist nur, weil etwas darin steht, was mich angeht.' Unwillkürlich hatte Frau Ilona TakLtS einen kuqe» Blick daraus geworfen, ehe sie es ihm hinreichte; dabei ge wahrte sie die große, breitgedruckte Notiz: „Eine junge Deutsche, Christa Wald, in Triest jstW. loS verschwunden." Erstaunt sah die Ungarin auf.