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«Die Toten stehen auf. Sie haben uns sehr erschreckt; aber angenehm, gnädige Frau, denn lebendig gefallen Sie mir viel bester-, brach es dann in seinem unverwüstlichen Humor hervor. Ilona Takats reichte nun auch ihm die Hand. In ihren Äugen schimmerte es feucht. »Ja, meine Herren, ich lebe! Verzeihen Sie, wenn ich Sie vielleicht durch mein unvermutetes Erscheinen etwas au- der Fassung brachte-, sagte fie dann schlicht. »Wie durch ein Wunder bin ich in jener furchtbaren Unglücks- «acht gerettet worden. Aber das ist eine lange, traurige Geschichte, die ich Ihnen nicht jetzt, sondern später erzählen werde. Nur so viel sollen Sie fürs erste erfahren, daß ich von einem Boot des Dampfers .Atlantic' aufgefischt wurde und so »ach Smyrna gelangte. Ich selbst habe von der ganzen Geschichte nichts mehr gemerkt, und erwachte erst sechs Wochen später, nach schwerem Ringen mit dem Tode, in einem Krankenhause. Man hatte bis dahin gar nicht meine Personalien festzustellen vermocht, venn es find von den 1800 Paffagieren der .Margarete' ja nur drei» hundert gerettet worden. Als erstes ließ ich. meinen Mann benachrichtigen, der Bombay nun verläßt, und den ich hier in Kairo erwarten will. Mich selbst trieb es zu Ihnen, Neber Professor, denn ich habe Christa Wald gesehen.". „Christa!" Aus zwei Kehlen zugleich erscholl dieser AuSruf. .Frohlocken Sie nicht, lieber Professor, ich bringe Ihnen dennoch keine frohe Lunde, denn ich fürchte das Schlimmste-, sagte Frau Ilona, jetzt leise schluchzend. »Das Schlimmste, gnädige Frau?- entgegnete Brecht mit bebender Stimme. .Ja, Neber Freund, ich fürchte, daß Christa nicht mehr unter den Lebenden weilt, daß sie in jener Nacht mit er trunken ist.- .Ertrunken? Aber um aller Barmherzigkeit willen, gnädig« Frau, wie soll ich dies alles verstehen? Dann — daun mußte sich Christa doch auf dem Dampfer, auf der Margarete', befunden haben-, stammelte Brecht verwirrt. .So ist eS, mein armer Freund; doch, wie sich alles in dieser entsetzlichen Nacht zugetragen hat, das erzähle ich Ihnen besser im Hotel. Kommen Sie mit mir, meine Herren, ich sehe eS Ihnen an, daß Sie vor Unruhe bald vergehen.' Die beiden folgten Ilona Takts in unbeschreiblicher Erregung ins Haus. „Fritz Kraft hat mich gerettet», begann Ilona Takts dann fit ihrem Zimmer den Bericht. .Fritz Kraft?- forschte Matthias Brecht, erstaunt auf- horchend. »Ist er es, Christas Jugendfreund?" Ilona TakLIS nickte nur, und sagte: .Der Aermste fand dabei den Tod in den Wellen. Doch hören Sie mich an, meine Herren." Und Frau Ilona berichtete ihnen nun die Geschichte jener fchauervollen Nacht, in der der Dampfer „Margarete" unterging. Als fie die Bekanntschaft des Ehepaars Meierhofer erwähnte, sprang Matthias Brecht wie elektrisiert von seinem Sessel empor. .Kaminsky, bei Gott, es war jener Kaminsky mit seiner Frau, mit denen Sie zusammen- trafenl- rief er erregt aus. .Ich ahnte, tzaß Meierhoser nicht sein richtiger Name fei-, entgegnete die Ungarin^ zustimmend nickend. „Noch in jener Unglücksnacht wurde eS mir dann klar, daß Meter- Hofer alias Kaminsky Christa Wald in einer Schiffskabine gefangen hielt. Unter welchem Borwand, dürfte jetzt schwerlich noch zu erfahren sein. Sicherlich sollte sie nach Bombay gebracht werden. Doch hören Sie weiter, meine Herren.' Professor Brecht saß jetzt wieder zusammengesunken in seinem Sessel und hielt die Augen mit der Hand bedeckt. Ab und zu stöhnte er laut aus. Immer tiefer sank sein Haupt ans fei« Brust, und als Ilona geendet hatte, herrschte ein tiefes, banges Schweigen in« Raum. Ilona Takats weinte still vor sich hin erschüttert von der neu aufgelebten Erinnerung an jene Schreckensnacht Bill Firth kaute nervös an seiner erloschenen Ziga rette, und Matthias Brecht rührte sich nicht. Waren Stunden vergangen, als er sich jetzt plötzlich erhob und nun in stummem Dank über die Hand der schönen Frau neigte? „Dank, Dank, liebe gnädige Frau", klang es dabet er schüttert von seinen Lippen. „Dank dafür, daß Sie kamen und mir von Christa Nachricht brachten, und für das, was Sie an ihr getan haben." „Eine traurige Nachricht, lieber Freund", entgegnete Ilona Takts leise. „Traurig, sehr traurig", erwiderte Matthias Brecht mit schwankender Stimme. „Es ist ein entsetzlicher Schlag für mich, und doch läßt sich der Gedanke, daß Christa tot ist, weit eher ertragen, als der, daß sie den entsetzlichsten Leidensweg gehen mußte, den verbrecherisches Menschen hirn für sie bereitet hatte. Sie ist tot, sie ist rein gestorben, unbefleckt vom Abschaum dieser Wett, rein, wie ihre junge Seele stets gewesen ist. Ich habe unendlich viel verloren. Mein Leben, mein Hoffen ist für immer zerstört. Aber das eine ist mir dennoch geblieben, das ungetrübte, treue Ge denken an eine über alles geliebte Tote. Gott sei ihr gnädig, und ihm, der sie gleich mir geliebt hat und mit ihr den Wellentod fand." „Amen", flüsterte Ilona Takts, und trat schnell fort von ihm zum Fenster. „Gehen wir", unterbrach Bill Firth endlich das drückende Schweigen. „Doktor Staudinger und seine Gattin dürften ebenfalls ein Recht haben, die Wahrheit so rasch wie möglich zu erfahren. Und Sie. liebe gnädige Frau, bedürfen jetzt dringend der Ruhe." Frau Ilona trat vom Fenster fort und schüttelte energisch den Kopf, wobei sie den letzten Tränenschimmer zu tilgen versuchte. „Ich komme mit Ihnen, meine Herren, ich wußte nicht, daß sich das Ehepaar ebenfalls in Kairo befindet", sagte sie schnell. „Frau Maria ist erst von einer schweren Krankheit genesen", warf der Engländer bedächtig ein; „es wäre Wohl daher ratsam, wenn Sie uns nicht sogleich begleiten wüxden, gnädige Frau. Der Schrecken könnte Frau Maria ohnedies zarte Nerven wieder aufs höchste erschüttern, so daß womöglich ein Rückfall zu befürchten wäre." „Frau Maria war krank?" fragte Ilona Takts auf horchend. „Krank vor Erregung und ausgestandener Angst um den Verbleib Christas; aber auch nicht zuletzt um Ihren jähen, schnellen Tod aus der .Margarete ", ließ sich Matthias Brecht jetzt hören. „Oh, mein Gott, die Aermste, da will ich natürlich Zurückbleiben, meine Herren; Sie haben recht, ich war un bedacht. Gehen Sie also allein, und dann, wenn Sie glauben, daß es keine Gefahr mehr hat, rufen Sie mich; ich sehne mich nach Frau Maria. Ihr sanftes Wesen wird meinen arg mitgenommenen Nerven wohl tun " „Wir holen Sie so bald als möglich, liebe Freundin", antwortete Professor Brecht, und neigte sich noch einmal in stummem Dank über ihre schöne Hand. Gleich darauf hatten die beiden Freunde das Zimmer verlassen. * * Frau Maria empfing die seltsamen Gäste mit unend licher Freude; aber ihren klugen Augen entging es nicht, daß die beiden etwas Außergewöhnliches hergetrieben hatte, und plötzlich wurde es ihr klar, daß sie endlich Nach richt von Christa Wald brachten. „Christa lebt, oh, lieber Professor, jagen Sie rasch, Sie Wissen etwas über sie!" rief sie aus. „Ja, liebe gnädige Frau, ich weiß etwas über Christa", entgegnete Brecht zögernd, mit schwerer Stimme. (Fortsetzung folgt.).