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Ss SN s 8 ZT Wohin hatte sie eS anders getrieben, als zu Matthias Brecht, dem armen, einsamen Mann, der, um von der ent setzlich quälenden Ungewißheit um Christa Wald nicht zum Wahnsinn getrieben zu werden, sich mit aller Macht in seine Arbeit gestürzt hatte? Weiß war das volle dichte Haar seiner Schläfen ge worden, und sein noch vor kurzer Zeit jugendfrisches Ge sicht zeigte um Mund und Augen die tiefen Runen eines alten Mannes. Bill Firth war, außer Doktor Staudinger, der einzige Mensch, den Matthias Brecht in den Tagen schwersten Leids empfing; die anderen alle, die auS Mitleid und tiefem Mitgefühl, oder auch nur von Neugier getrieben zu dem Schwerbetrosfenen kamen, wies er ab. Er wollte allein sein, allein mit seinem Kummer, seiner Trauer um das Liebste auf der Welt. So hauste Matthias Brecht, einem verknöcherten Ein siedler gleich, in dem kleinen lichten, sonnenumsluteten Hause, das er zum Empfang des geliebten WeibeS mit so viel rührender Umsicht eingerichtet hatte. Erschüttert von diesem stummen Leid, hatte Frau Maria Staudinger ihn nach kurzem Besuch wieder allein gelassen. Matthias Brecht saß nun» tief in einen Sessel gelehnt, am Schreibtisch, und starrte mit verzweifeltem Schmerz auf das Bild der Geliebten, das er mit beiden Händen umspannt hielt. «Christa, mein kleiner, armer Liebling, wo, wo bist du', klang eS gepreßt von seinen Lippen, und ein tiefes Stöhnen brach dabei aus seiner Brust. Wer Weitz, wo sie setzt vergeblich nach seiner Hilfe schmachtete? Grotzer Gott, war eS denn möglich, datz ein Mensch plötzlich so spurlos verschwinden konnte, gab es derartige Menschenbestien, die schöne, unschuldige junge Mädchen verschleppten, um sie zu verkaufen?" Mädchenhandel! Wie entsetzlich es klang, wenn man selbst davon betroffen wurde. «Nur nicht daran denken, nur nicht mehr daran denken, sonst bet Gott, ich verliere den Verstand", ächzte Matthias Brecht, und barg den Kopf in beide Hände. „Wenn sie tot wäre, kurz vor Erfüllung des großen erträumten Glücks, vom plötzlichen unerbittlichen Tod dahingerafft worden wäre, dann bei Gott, ich würde jetzt ruhiger sein, als in dieser unerträglichen Ungewißheit!" Immer tiefer barg Matthias Brecht den Kopf in seine Hände, während seine Schultern von einem wilden, ruck weisen Schluchzen erschüttert wurden. Matthias Brecht weinte, weinte um die, die er so un endlich geliebt hatte, und die ihm nun wohl auf immer verloren war. Er schämte sich dieser Tränen nicht, sie kamen aus über vollem gequälten Herzen, und befreiten ihn von dem nagenden Druck, der bisher in unerträglicher Pein aus ihm gelastet hatte. Dann sprang er plötzlich auf und schüttelte gewaltsam die weiche Regung ab. Er wollte noch einmal nach Triest reisen, Firth würde ihn gern hinüberbringen. Doch schon nach kurzer Zeit versiel er in die alte Mut- losigkeit. Er saß nun wieder in seinem Sessel und brütete stumm vor sich hin, während seine Finger in nervösem Spiel rastlos über die Schreibtischplatte glitten. Was sollte er in Triest? Ebenso hätte er hier in Kairo nach Christa Wald suchen können. Sie war ja wie vom Erdboden verschwunden. Er hatte sich selbst überzeugen können, wie umsichtig und unermüd» lich man sich seitens der Polizei dieses Falles angenommen hatte. Man wußte nur so viel, datz zugleich mit Christa Wald das Ehepaar Kaminsky unauffindbar geworden war. Niemand anders als die Kaminskys hatten hier die Hand im Spiel, nur sie konnten das junge Mädchen verschleppt hsbzn «k «Mister Firth", meldete der geräuschlos eingetretene Diener in diesem Moment. Matthias Brecht fuhr aus seiner Erstarrung empor. „Mister Firth", murmelte er dabei, noch immer halb geistesabwesend. „Es ist gut, bitte ihn hierher zu mir.* „6oack b^!" Bill Firth war dem Diener auf dem Fuße gefolgt, und stand jetzt vor dem jungen Professor. «Wie geht es, lieber Freund? Ich kann eS, offengestanden, nicht mehr länger mit ansehen, daß Sie sich langsam, dafür aber um so sicherer durch diese stumme Selbstqual um den Ver stand bringen. Heute hilft Ihnen nichts, heute hole ich Sie aus Ihrem MaulwurfSbau heraus!" Brecht hatte dem Freunde matt die Hand gereicht, und schüttelte auf dessen Worte jetzt nur resigniert den Kopf. „Lassen Sie mich schon hier, wo ich bin, lieber Firth", sagte er dann mit düsterer Stimme. „WaS soll ich da draußen? Ich kann keine Menschen sehen, ihr Anblick würde mich nur noch mehr quälen." „Das ist ja alles Einbildung, lieber Brecht. Sie brauchen Zerstreuung, sie ist Ihnen ebenso nötig wie da- tägliche Brot. Kommen Sie mit, wir gehen hinab zum Klubhaus, um diese Zeit treffen wir dort ohnedies nicht allzuviel Menschen an. Zum Abend nehme ich Sie dann mit zu mir; ich habe Lust, einige Partien Schach zu spielen." Brecht wehrte aufs neue ab; aber Firth hatte bereit- nach deS Professors Sachen geklingelt, und so folgte dieser ihm schließlich, wenn auch mit großem Widerwillen. „Gehen wir zu Fuß', schlug der Engländer vor, als sie die Straße betraten. Professor Brecht antwortete nicht, er ging schwelgend, gesenkten Hauptes und auf nichts achtend neben dem Freunde her. Sie gelangten bald in die große, breite Hotelstraß« deS EuropäerviertelS. Der bewegliche Bill Firth, der die Augen sozusagen überall zu gleicher Zeit hatte, beobachtete angelegentltchfi die Straßenpassanten, und vor allem die, die in den Korb stühlen der breiten Hotelvestibüls plaudernd beisammen saßen. Jeder kannte den kleinen, etwas als spleenig verschrie nen Bill Firth, der oft über Kairo mit seinem „HelioS" die gewagtesten Kunststückchen in den Lüsten vollsührtel Bill Firth hatte denn auch zu tun, die vielen Grüße und Zurufe, die man ihm von allen Seiten spendete, zu beantworten; dabei streifte wohl manch mitleidiger, scheuer Blick Matthias Brecht, der stumm und in sich gekehrt all des Engländers Seite ging. Plötzlich jedoch hob Matthias Brecht den Kopf und sah auf Firth, der ihn mit heftiger Bewegung am Arm erfaßt hatte und nach einem Hoteleingang starrte, an dem soeben ein Auto vorgefahren war. „Oockckaml" rief er dabei fast erschrocken auS. «Pro fessor, sehen Sie selbst, ob ich mich nicht täusche; aber »retn, es kann nicht sein! Diese Haltung, dieses Haar, die raschen, lebendigen Bewegungen gibt eS nicht sobald noch einmal! Das ist das bestimmte, rassige Vorrecht der Vollblut ungarin." „Ilona TakLtS, bei Gott, sie mutz eS sein", stieß tn diesem Augenblick Matthias Brecht erbleichend hervor. «Aber die Zeitungen meldeten doch, datz sie — —" «Wir wollen hin, uns Gewißheit verschaffen", unter brach ihn Firth hastig, und eilte davon. In diesem Moment wandte sich die Dam« um, und ge wahrte nun selbst die beiden Herren, die in maßloser Er regung auf sie zugestürzt kamen. «Professor, lieber Professor!" erklang «S im gleichen Moment, und Ilona TakLtS, denn sie war eS wirklich, streckte ihnen beide Hände entgegen. «Gnädige Frau", stammelte Matthias Brecht verwirrt, und auch Bill Firth war diesmal etwas aus der Fassung geraten und vermochte vorerst keine passenden Wzrg für die merkwürdige Sitzlati-n zu fiZden,