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Beilage zur Weiheritz-Zeitung Nr. 98 Sonnabend, am 27. April 1929 95. Jahrgang — Der Hauptausschutz des Reichsverbandes der Deut schen Industrie und die Vereinigung deutscher Arbeitgeber verbände hielten in Breslau «ine gemeinsame Tagung ab. — Der amerikanische Präsident Hoover hatte mit Se nator Borah eine Unterredung über di« ReparattonSfrage. — In London starb der russisch« Großfürst Michael an den Folgen einer Grippe. - l — In Bochum wurde ein Bergmann wegen Gatten-, i nwrdes zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. — In Bütow in Pommern hat eine 45 jährige s Frau gestanden, ihren 60 Jahr« alten Mann vergiftet zu haben. ; — In der Weichsel sind zwei polnische Flieger, die ' sich im Schneesturm verirrt hatten, ertrunken. — Der weiblich« „Oberst" Barker wurde in London zu neun Monaten Gefängnis verurteilt Von Woche zu Woche. Randbemerkungen zur Zeitgeschichte. Vor einigen Wochen veranstaltete die große eng lische Zeitung „Daily News" eine Rundfrage über das , Thema, wann und wo der nächste Krieg auSbrecken ' und von welcher Natur er sein werde. Im Zeitalter der Kriegsächtungen und der Abrüstungsverhandlungen scheint das auf den ersten Blick eine reichlich unzeit gemäße Fragestellung zu sein, und doch gingen zahl reiche Antworten ein, meistens sogar von führenden Männern unserer Zeit. : Hinsichtlich der Frage nach dem „Wo?" erinnerte Lord Rothermere an ein Wort des kürzlich verstorbenen französischen Marschalls Foch. Ein bekannter Eng länder fand Foch kurze Zeit vor seinem Tode über die Karte Osteuropas gebeugt und bekam von dem Marschall die Worte zu hören: „Eine böse Geschichte alles dies; dort — mit dem Finger auf die Karte zeigend — wird der nächste Krieg ausbrechen!" Hin sichtlich der Natur des nächsten Krieges gehen alle Antworten von den Verhältnissen an der Westfront 1918 aus, um dann einige neue haarsträubende Ein zelheiten in das Kampsbild einzuzelchnen. Major Cad bury, ein bekannter englischer Kampfflieger, prägte den Satz, der nächste Krieg werde nicht an der Front beginnen, sondern im Hinterland, über den Haupt städten. Vielleicht hat Major Cadbury die Entwicklung ; richtig beurteilt. Es gibt im Auslände tatsächlich Leute, die damit beschäftigt sind, Pläne auszuhecken, wie man Flugzeuge mit Giftbomben und Krankheits- bazillen in das Hinterland schicken kann. Sicherlich ist das unmenschlich und grausam! Die Luftwaffe ist blind, ihren Wirkungen fallen gewöhnlich mehr Kinder und Greise zum Opfer als Angehörige des kämpfenden Heeres. Uno die Ausstreuung von Krankheitsbazillen ist — auch als Gedanke — eine Niederträchtigkeit. Und doch hat die klägliche Abrüstungstagung in ihrer sechsten Auflage noch nicht einmal für das von Deutschland ge forderte Berbotdes Bombenabwurfs gestimmt! Das sieht nicht danach aus, daß die Abrüstungs- technikcr den in der Antwort des englischen Thron folgers auf die Rundfrage der „Daily News" ent haltenen Ratschlag befolgen wollen, stets und mit jeder Handlung und jedem Wort den Frieden itn Auge zu haben. Der amerikanische Vorstoß in der Seeabrü- stungsfrage, den die letzte Woche brachte, ist gewiß begrüßenswert, nur wird es noch geraume Zeit dau ern, bis aus der Geste Wirklichkeit wird. Auf der Reparations-Konferenz in Pa ris wird es jetzt nach den Stürmen der letzten Tage wieder ruhiger. Es geht jetzt nur noch darum, einen Weg zu finden, der weitere Verhandlungen ermöglicht. Die Sachverständigen hätten dann also in zehn- oder elfwöchiger Berhandlungsdauer das Terrain geklärt, einige Hindernisse beseitigt, andere klar herausgear beitet und damit Vorarbeit zur wirklichen Lösung des Reparationsproblems geleistet. Ein Entwurf des Schlutzberichts ist bereits vorhanden, er ist von den Sekretären der Delegationen aufgestellt und am Frei tag im Redaktionsausschuß zur Debatte gestellt worden. Laut ging es in den französischen Zeitungen her, die eine infame Hetze gegen den deutschen Reichsbank- präsidenten Dr. Schacht betrieben. Sie beschuldigten den deutschen Delegationsführer, er habe Deutschland durch „Selbstverstümmelung" zu Reparationsleistungen unfähig machen wollen. — Angenommen, die RetchS- bank hätte den Diskontsatz früher heraufgesetzt, was wäre dann geschehen? Dann hätten die französischen Zeitungen todsicher erst recht ein Geschrei erhoben und Dr. Schacht beschuldigt, er verteuere künstlich das Geld, er falle mit seiner Maßnahme der Konferenz in den Rücken, er demonstriere, daß er an einen Erfolg nicht mehr glaube. Und tatsächlich hat auch ein französi sches Blatt, das offenbar verspätet in den Besitz der neuen Bropngnnda-^arole narb der Dis- ronteryvyung Dr. Schacht beschuldigt, er lähme oie Verhandlungen! .Einen weiteren Borwand zur Hetze erblickte die Pariser Presse darin, daß aus der Geheim-Sitznng der TranSserkommission Mitteilungen in die Oef- fentlichkelt drangen, nach denen Parker Gilbert die Politik Schachts angegriffen, ja, die Heraufsetzung des Diskontsatzes erst auf Veranlassung dieser Kommission vorgenommen worden sein soll. Tatsächlich war die geplante Maßnahme der Reichsbank aber aus eigenem Entschluß erfolgt und längst vor der Sitzung der Kom mission eingelettet. ES ist erfreulich, daß jetzt auch die TranSferkommission selbst von der Hetze deutlich abrückt und ausdrücklich bestätigt, daß weder der Vor sitzende noch der Ausschuß selbst irgendeine Mittei lung an den Reichsbankpräsidenten hinsichtlich des Dis kontsatzes gemacht haben. Industrietagung in Breslau. Beratungen des ReichSverbaudeS und der Arbeitgeber- vereinig«,«. — Schachts Haltung einmütig gebilligt. Präsidium und Vorstand des Reichsverbandes ver deutschen Industrie beschäftigten sich in einer Sitzung in Breslau mit den Reparationsverhandlungen. Ihren Niederschlag sanden die Beratungen in einer Ent schließung an die deutsche Delegation, in der es u. a. heißt: Die deutsche Industrie ist der festen Neberzeugung. daß nur eine Lösung der Reparationssrage, die der schwierigen deutschen Wirtschaftslage voll Rechnung trägt, den Boraussetzungen entspricht, unter denen die Konferenz zustandegekommen ist. Nur eine solche Regelung kann die für alle Teile notwendige Beruhi gung herbeiführen nnd eine dauernde Gewähr für Sta bilität und Entwicklung der Wirtschaft biete». Prä sidium und Borstand schließen sich deshalb einmütig der von den deutschen Sachverständigen eingenom mene» Haltung an. Der Sitzung des Präsidiums folgten gemeinsame Beratungen des Hauptausschusses der Industrie und der Vereinigung deutscher Arbeitgeberverbände. Der Vorsitzende der Arbeitgeberverbände, Geheimrat Dr. v. Borsig, dankte den Schlesiern für ihre Treue zum Deutschtum. Der Magistrat Breslau veranstaltete zu Ehren der Wirtschaftsführer im Rathaus einen Emp fangsabend. Oberbürgermeister Dr. Wagener schil derte die schlimmen Folgen des Versailler Diktats für den deutschen Osten; Breslau habe allein drei Mil lionen Verbraucher verloren. Der erste Vorsitzende des Reichsverbandes der deutschen Industrie, Fro wein-Elberfeld, führte aus, es sei kaum zu hoffen, daß Paris noch zu einem Erfolg führe, aber wie es auch kommen möge, schwere Lasten werde Deutschland unter allen Umständen zu tragen haben. Die Indu strie stehe auf dem Standpunkt, daß die individuali stische Wirtschaftsauffassung die richtige sei. * Die Verschuldung an das Ausland. Der preußische HandelSminister Dr. Schreiber über die Reparations-Konferenz nnd Deutschlands Wirtschafts lage. Der preußische Handelsminister Dr. Schreiber sprach in einer demokratischen Versammlung in Ham burg über das Thema: Deutschlands Wirtschaftslage und die Reparations-Konferenz. Der Kapitalmangel der deutschen Wirtschaft, die schweren Zinslasten und die rapid steigende Verschuldung an das Ausland müß- ten ernste Bedenken erwecken. Minister Dr. Schreiber bezeichnete die von der deutschen Delegation in Parts angebotene Jahreszahlung von 1650 Millionen Mark als eine sehr hohe Leistung, deren Erfüllung nur bei weiterer Hereinnahme von Auslandskapital und Ausdehnung des Systems der aus deutschem Roh material hergestellten Sachlieferungen zu ermöglichen sein werde. Sollte die Konferenz scheitern, so werde die Lage Deutschlands wohl ernst und schwierig, aber nicht gefährlich sein. Abschaffung der Todesstrafe? Dr. Kahl für Ersetzung durch lebenslängliches Zucht haus uud Sicherungsverwahrung. Im Strafrechtsausschuß des Reichstags beantragte der Vorsitzende des Ausschusses, der volksparteiliche Abgeordnete Dr. Kahl, die Todesstrafe im neuen Straf gesetzbuch durch die Strafe des lebenslänglichen Zucht hauses zu ersetzen. Im Falle der vegnadigung soll ein zu lebenSläuglicher Zuchthausstrafe verurteilter in Sicherungsverwahrung übergeführt werden. In der Debatte führte Aba. Dr. Ehlermann (Dem?) aus, die Frage der Abschaffung der Todes strafe sei eine Frage der geschichtlichen Entwicklung. Der Zeitpunkt für die Abschaffung sei gekommen. Abg. Dr. Wunderlich von der Deutschen Volkspartei be zeichnete es als unbegreiflich, nach den riesigen Men schenopfern im Kriege und nach dem Kriege sich dar über aufzuregen, wenn menschliche Bestien auf dem Schaffott endigen. Ebenso sprach sich der WirtschastS« parteiler Jörissen für die Beibehaltung der Todesstrafe aus. Der sozialdemokratische Sprecher Dr. Rosenfeld fand die Einführung der Sicherungsverwahrung be dauerlich, betonte aber, sein« Fraktion werde, um di« Abschaffung der Todesstrafe zu ermöglichen, notfalls für den Antrag Kahl und damit für die SichernngS- Verwahrung stimmen. Die Aussprache drehte sich im übrigen nament lich um das Schreiben des früheren Reichsjustizmini sters Koch-Weser an die Landesregierungen, wonach bis zur RetchStagsentscheidung über die Todesstrafe Exe kutionen nicht wehr stattfinden sollen. Reichsjustiz minister v. Guärard erklärte, daß er die von Dr. Koch für die Uebergangszeit eingenommene Stellung nahme billige. Di« Weiterberatung der Strafrechtsreform wurde danach vom Ausschuß auf Montag vertagt. Fu par lamentarischen Kreisen glaubt man, nunmehr mit einer Mehrheit für de« Antrag Sahl rechnen zn können, d. h. als», für di- Abschaffung d-r Todesstrafe. Hilfe für Ostpreußen Zustimmung de» Reichsrats zu dem Regierung». Entwurf. Der Reichsrat beschäftigte sich in seiner letzten Sitzung mit dem von der Reichsregierung auSgearbei- teten Gesetzentwurf zur Behebung der Notlage Ostvreu- tzens und stimmte der Vorlage einstimmig zu. Für da» Jahr 1929 sind danach erforderlich rund 59 Mil lionen an Zuschüssen» 20 Millionen an Darlehen, >79,5 Millionen an Garantien. Außerdem kommen eventuelle Vorschüsse bis zu 67,5 Millionen in Frag«. Die Ausführung des ganzen Programms It«t bei Preußen im Einvernehmen mit dem Reich. Der Reichs" rat stimmte in Verbindung mit dieser Vorlage dem Ergänzungsetat für 1SS9 zu. * Heimkehr der vstpreußendelegatlou aus Rußland. Die ostpreußisch« Delegatton, die unter Führung oes Oberpräsidenten Dr. Siehr, eine mehrwöchige Stu dienreise durch die Sowjetunion unternommen hatte, ist wieder in Königsberg eingetroffen. Die Reise diente dem Zwecke des Ausbaues der beiderseitigen Wirt schaftsbeziehungen. Die Delegatton hat sich bereit er- klärt, russischen Landwirten Unterkunft auf ostpreu ßischen Mustergütern zu verschaffen Parker Gilbert amtsmüde? Reparations-Aussprache iu Washington. — Hoover verhandelt mit Borah. Wie aus Washington gemeldet wird, hatte der Präsident der Vereinigten Staaten, Hoover, eine län gere Unterredung mit dem Vorsitzenden des Auswär tigen Ausschusses im Senat, Borah. Eine amtliche Mitteilung über die Konferenz wurde nicht ausgegeben. Die Zeitungen zweifeln jedoch nicht daran, daß die j ReparattonSfrage besprochen worden ist. Große Beachtung verdient die Mitteilung einer Zeitung, die gnte Beziehungen znr amerikanischen Regierung unterhält. Danach hofft man in Ammnka, daß noch vor Ende 1S2S eine Einigung über da» Reparationsproblem zustande kommen wird. Lie ge genwärtig« Sachverstandigen-Konferenz in Paris s«t ünr als «in Auftakt zu werten. Da» Blatt versichert ferner, daß der Generalagent für die deutschen Tri- bnte, Parker Gilbert, amtSmüde sei und zurückzu- trete» beabsichtige. Die Richtigkeit dieser Auslassung ist zunächst nickt nachzuprüfen. An Gerüchten über die Amtsmüdigkeit Parker Gilberts hat es auch früher schon nicht gefehlt, sie sind aber bisher den Tatsachen voraus geeilt * Savas untergräbt den deutschen Kredit. Eine scharfe Zurückweisung von deutscher Seite. Amtlich wird mitgeleilt: „Die Sitzung de» Trans fer-Komitees hat der Havas-Agentnr Anlaß zu Kom bination«» und Schlußfolgerungen gegeben, die nicht anders gewertet werde»» können, als eine beabsichtigte Untergrabung des deutschen Kredits im «nslande. Sie behauptet, daß gewisse ausländische Banken es für klüger erachtet haben, ihre Depots aus Deutschland znrückzuziehe». Bisher ist von einer solchen Zurück ziehung ausländischer Kredit« in Deutschland noch »ichts zu spüre»» gewesen. Wenn dies« versteckte Auf- forderung der Havas-Agentnr aber zu solchen Zurück ziehungen führen sollte, dann wird man wissen, von welcher Seite zuerst das Signal dazu und zu deu sich daraus etwa ergebenden Transferschwierigkeiten ge geben worden ist." Sieg der Abrüstungsfeinde. Der amerikanisch« Botschafter Gibson macht den Franzosen Konzessionen. In der vorbereitenden Abrüstungskommission tu Genf gab der amerikanische Botschafter Gibson aber mals «ine sensationelle Erklärung ab, di« diesmal je doch recht unerfreulich war. Sie betrifft die für die Landabrüstung entscheidende, wichtige Frage der aus gebildeten Reserve»» und besagt, daß di« Regi«r««g der Bereinigte» Staaten denjenigen Machten, die sich ihrer Herabsetzung nnd Beschränkung widersetzen, da» bedentungsvolle Zugeständnis macht, rückhaltlos auf ihre Seite zu treten. In der Begründung dieses Frontwechsels führte Botschafter Gibson aus, „an sich" erkenne Amerika die deutsche These aus Einbeziehung der ausgebil deten Reserven an, aber um endlich zu einem Erfolg zu kommen, wolle Amerika Konzessionen machen. Die verändert« Haltung Amerika» mutz sich auf deu weiteren Gang der AbrüstungSverhandlungen äußerst ungünstig auswirken. Graf Bernstorff, der Führer der deutschen Delegation, wird am heutige,» Sonnabend zu der neuen Lage Stellung nehm-- Polttische Rundschau. — Berlin, den 27. April 1929. — Die Gemahlin d«» Prinzen Heinrich von Preußen, Prinzessin Irene, dankt in einer öffentlichen Kundgebung für die ihr beim Heimgang des Prinzen bekundet« An teilnahme. * r: Ler Reichsparteiausschub der Leutscheu Le- mokrattschen Partei tritt am Sonntag in Leipzig zu einer Tagung zusammen. Im Mittelpunkt der Ver handlungen steht der Bericht des Parteivorsitzenden, Reichsministers a. D. Kock-Weser, über die polttische Lage. Am Sonnahend geht eine Sitzung des Aarar- ausschusses voraus, in der Reichsminister Dr. Diet rich. Baden die Berichterstattung übernommen hat. :.- Sozialistisch« Beschlüsse L" «F"» beitslos-nverfichernng. Di« sozialdemokratische Reich»«