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lkM V0^ ^1.18^6^1« NLV Oopzkrlxfdt LEsrtto ^euctitvsnx^, NeMe (5»sle) Neubabelsberg! Der Vororlzug hielt kurz an, um einen Schwarm Sonntags-Ausflügler, die das erste warme Vor- frühlingswetter ins Freie gelockt hatte, aufzunehmen. In ein fast leeres Abteil der dritten Wagenklasse kletter ten noch im letzten Augenblick, gerade, als der Zug mit einem Ruck wieder anfuhr, zwei junge Mädchen- Die eine erreichte wohlbehalten das Wageninnere, während die zweite, eine zierliche Blondine, ausglitt, und so unglücklich zu Boden stürzte, daß sie sich nicht gleich zu erheben ver mochte. Ein eleganter, junger Mann, der in einer Ecke gesessen hatte, sprang ihr rasch zu Hilfe. „Haben Sie sich weh getan, Fräulein?' fragte er be sorgt In den groben, blauen Augen des jungen Mädchens schimmerten Tränen. Zie deutete nur matt stöhnend auf ihr rechtes Fuß gelenk „Ah, sicher nur eine schmerzhafte Verrenkung, lassen Sie mich einmal sehen", meinte der Fremde. „Zwar bin ich tem Arzi, aber ich verstehe mich etwas aus derlei Dinge.' Bei Viesen Worten hob er das junge Mädchen sanft auf. und geleitete sie behutsam zu seinem Platz. Lchon tm nächsten Moment kniete er vor ihr, und bevor die Bernnrrte Einspruch erheben konnte, hatte er ihr den zierlichen Lackschuh und den Hellen Seidenstrumps ab- gestreist, und betastete nun mit sicherer, kundiger Hand den bereits leicht geschwollenen Knöchel. Ein Arzt hätte es nicht besser machen können. „Lm es hier sehr weh?' fragte er jetzt, sanft das Gelenk betastend. Das junge Mädchen vermochte bei Vieser Berührung einen schmerzlichen Ausruf nicht zu unterdrücken. „Also doch eine böse Verstauchung. Jetzt bleiben Sie nur noch ein wenig tapfer, der Schaden ist leicht zu be heben, sonst gibt es ein langwieriges und schmerzhaftes Krankenlager', erklärte der Fremde kurz, und noch bevor die Verunglückte wußte, was geschehen sollte, hatte der Un bekannte mit einem schnellen geschickten Griff den Fuß wieder eingerenkt. Das junge Mädchen vermochte es nicht zu verhindern, daß ihr dabei vor Schmerz die Hellen Tränen über die Wangen rollten. „Hai es sehr weh getan?' fragte der Fremde mit weicher Stimme, während seine Augen jetzt mit fassungs losem Staunen die seltsame Schönheit des jungen Mäd chens bemerkten. „Nein, nein, es ist schon vorüber', stammelte das Mäd chen, heiß-errötend zur Seite blickend. „Ich danke Ihnen, mein Herr, es war sehr freundlich von Ihnen, mir zu helfen. Nun ist es wieder ganz gm.' „Gut noch nicht, liebes Fräulein; die starke Schwellung muß sehr bald kalte Umschläge haben. Wie weit fahren Sie noch?' „Bis zum Potsdamer Bahnhof', erklang die schüchterne Antwort. „Das ist gut, dann kann ich Ihnen auch weiterhin be- hilflich sein, da ich das gleiche' Ziel habe.' Christa Wald, die kleine Telephonistin des Berliner Fernsprechamts, schob jetzt noch verlegener den Strumpf über den schmerzenden Fuß, und versuchte auch den Lack schuh überzuziehen. „Es gehl nicht', murmelt? sie dabei ängstlich. „Weshalb hast du auch vor dem Bahnhof so gebummelt. Hättest du nicht erst solange noch die Abendstimmung be wundert, so hättest du dann nicht rennen müssen', nahm - da plötzlich ihre Begleiterin das Wort. Sie war ein dralles, etwas gewöhnlich wirkendes, rot bäckiges Geschöpf, ganz das Gegenteil der andere«. „Mit wem haben wir denn eigentlich die Ehre?' wandte sie sich jetzt, schnippisch fragend, an den unbekannten Helfer. „Ich bitte um Verzeihung, meine Damen, ich vergaß allerdings ganz, mich vorzustellen', entgegnete der Fremde lächelnd. „Mein Name ist Matthias Brecht, Doktor der Archäologie.' „Was ist denn das?' forschte das Mädchen weiter. „Aber Olga, so schweig' doch, was soll denn der Herr von uns denken', warf die Zierliche verlegen ein. „Die Damen sind Freundinnen?' fragte Doktor Brecht belustigt, während er verzückt auf die holde, wunderhübsche Erscheinung der kleinen Schönheit schaute. „Freundinnen? Nein, Herr Doktor, wir sind Ge schwister'. antwortete die Kecke. „Schwestern!' rief der junge Gelehrte jetzt ehrlich ver blüfft aus. „Na ja. das heißt, wir haben ein und dieselbe Mutier und sind sozusagen Stiefschwestern.' „So schweig' doch, Olga, das dürste den Herrn bestimmt nicht interessieren', klang es streng verweisend von der Schwester Lippen. Diese machte nur eine schnippische Bewegung; Doktor Brecht aber unterbrach ihren neuetnsetzenden Redefluß, indem er sich der Verletzten zuwandte, und fragte: „Dürfte ich nun auch Ihren Namen erfahren, mein Fräulein?' „Ich heiße Christa Wald, und dieL ist meine Schwester Olga', antwortete sie zurückhaltend. „Christa ist ein schöner Name, er paßt ganz zu Ihnen', antwortete Brecht langsam. Das schöne Gesicht des jungen Mädchens war bei seinem Blick wie mit Blut übergossen; dann bückte sie sich hastig, und versuchte aufs neue, den Schuh anzuziehen. „Lassen Sie das nur lieber bleiben, Fräulein Christa', wehrte Brecht ab, „ich werde Sie mit Hilfe Ihrer Schwester zu einem Auto führen und dafür sorgen, daß Sie wohl behalten die elterliche Wohnung erreichen. Haben Sie vom Bahnhof noch weit bis dahin?' „Wir wohnen in der Dorotheenstraße, Herr Doktor, aber Olga kann mir schon allein helfen. Wir fahren mit der Straßenbahn. Was sollten die Leute denken, wenn wir des Abends in Begleitung eines Herrn im Auto nach Hause kämen? Und Vater erst. Er ist ein strenger, harter Mann.' „Nun, für ein Unglück kann kein Mensch, liebes Friste lein. Ich werde Sie einfach persönlich bei Ihrem Baler abliefern und ihm klarmachen, wie sich die Sache verhalten hat.' „Tun Sie das bitte lieber nicht, Herr Doktor; ich weiß, Sie meinen es gut, aber Vater ist etwas seltsam tn feiHM Ansichten.'