Volltext Seite (XML)
Bettage zur Weitzeritz-Zeilung Nr. 87 Montag, am 15. April 1929 95. Jahrgang > Chronik des Tages. — Reichspräsident v. Hindenburg hat di« Ernennung der drei neuen Reichsminister vollzogen. — ReichSbankpräsidrnt Dr. Schacht nahm in Paris der Zahlenplan der Sachverständigen der Gläubigermächt« ent gegen. — Die Einigungsverhandlungen der Parteien im Ruhr- kohlenbergbau sind gescheitert; am 32. April finden Schlich- lungsverhandlungen statt. — In Genf wurde am Montag di« sechste Tagung der vorbereitenden AbrüstungSkommtfsion eröffnet. — In Stettin wurde der Hotelier Badermann von der Anklage des Sohnesmordes freigesprochen. — In der Jannowitzer Affäre hat der Vertreter bei verhafteten Graf Christian gegen den Haftbefehl Beschwerd« eingelegt. — Auf der Zeche „Concordia", Schacht IV, wurde« 20 000 Mark Lohngelder geraubt. — In Bukarest streiken die Metzger. — In Helsingfors hat ein Unteroffizier einen Ge- meinen ohne ersichtlichen Grund erschossen. — England hat den Welt-Rekordmann Segrave geadelt Die Abrüstungskomödie. Am Montag trat in Genf die vorbereitende Ab« rüstungskommission nach einjähriger Kaufe zu «inen neuen Tagungsabschnttr zusammen. Die von Gras Bernstorff geführt« deutsche Delegation hat der Kon. ferenz eine Denkschrift überreichen lassen, die be. achtenswerte Anregungen enthält. Sehr wahrscheinlich wird die deutsche Delegation im Laufe der nächste« Tage einige grundsätzliche Fragen der Abrüstung auf. rollen und vor allem die Einbeziehung der ausge bildeten Reserven in die Abrüstung fordern. Auf der Tagesordnung der Konferenz stehen di« zweite Lesung des Entwurfs einer Abrüstungs. konventton und die Beratung der russische» Abrüstungsvorschläge. Einen Erfolg wird man jedoch weder in der einen noch in der anderen Frage erzie- len. ES fehlt in Genf an ernstem Willen zur Durch führung der Abrüstung! Man wird eine neue Ko- mödte aufführen und dann „befriedigt" nach Haus« gehen. Hat es doch die französische Regierung noch nicht einmal für notwendig gehalten, für den vor vielen Monaten zurückgetretenen Abrüstungstechnikei Paul-Boncour einen neuen Haupwertreter zu ernen nen! Paris begnügte sich damit, den früheren Ge neralsekretär der Botschafterkonferenz Massig li mti der Wahrung der französischen Interessen zu beauf- tragen. Die deutsche Delegation muß angesichts der ewi gen Verschleppung der Abrüstungsarbeiten einmal einige deutliche Worte sprechen. Man verweise nicht aus die noch vorhandenen Meinungsverschiedenheiten in der Frage der Begrenzung der Seerüstungen. Hinsichtlich der Landrüstungen sind alle Voraus setzungen für ihre Einschränkung gegeben. Und schließ lich haben wir einen Rechtsanspruch auf die Verwirk lichung der Abrüstung, weil man uns vor zehn Jahren unter Brief und Siegel versichert Kat, die deutsche Ent waffnung solle nur den Anfang der allgemeinen Ab rüstung bilden. In welchem Maße der jetzige Stand der Rüstun gen für die ehemaligen Mittelmächte unter dem Er fordernis des Mindestmaßes ihrer Sicherheit liegt, für di« ehemaligen Alliierten aber über den im Interesse ihrer Freiheit notwendigen Umfang hinausgeht, ergibt sich, wenn man die Heere und das Kriegsgerät de, abgerüsteten und ntchtabgerüsteten Staaten einandei gegenüberstellt. Deutschland, Oesterreich und Ungarn haben heut« insgesamt 7225 Offiziere, 155 000 M-nn und 48Z leichte Geschütze. Das ist alles! Im übrigen haben sie weder schwere Geschütze, noch Kampfflugzeuge, noch ausgebildete Reserven. Die unmittelbaren Nachbarn Deutschlands — Frankreich, Belgien, die Tschechoslo- wakei und Polen — verfügen demgegenüber über ein stehendes Heer von rund 1,3 Millionen Mann, aus gebildete Reserven in Höhe von 10,5 Millionen Mann, 4400 leichte und 2600 schwere Geschütze, 2880 Tanks und 2900 Flugzeuge der ersten Linie. Stellt man die deutschen Und die franzö sischen Streitkräfte gegenüber, dann ergibt sich fol- gendes Bild: Deutschland hat eine Reichswehr von 100 000 Mann mit 4000 Offizieren und 288 leich- ten Geschützen'; ausgebildete Reserven, schwere Ge- schütze — abgesehen von Festungsgeschützen — Tanks und Kampfflugzeuge besitzt Deutschland überhaupt nicht. Frankreich hat ein stehendes Landheer von 730 000 Mann mit 32 000 Offizieren, ein Kolonial heer von einer Million Farbigen und ausgebildete Reserven in Stärke von 5 Millionen Mann. Zur Ausrüstung des Frtedensheeres gehören 1350 leicht« und 1500 schwere Geschütze, 2500 Tanks und 1900 Kampfflugzeuge. Deutlich zeigen diese Ziffern, wie groß, das Miß verhältnis zwischen den abaerüsteten und den nickt abgerüsteten Staaten ist. Sie zeigen aber auch, wie groß die Versuchungen für die wehrfähigen Staaten sind. Der allgemeine Frieden wird dadurch nicht ge fördert. Ein Ausgleich der Rüstungen ist irgendwie notwendig. ES verlangt niemand, Über Nacht alles zu zerschlagen und den Stand der deutschen Abrü stung allgemein zu machen. Wohl aber müssen erste große Schritte in Richtung aus einen Ausgleich der Rüstungen getan werden! Einen Borwand für die abermalige Verschleppung dor Abrüstung werden die Vertreter der nichtabgerü- steten Staaten sicher darin erblicken, daß in wenigen Wochen in England Neuwahlen stattfinden. Sie wer den mit Unsckuldsauaen versickern, man sei ia so enigstens den Avrü- Gesicht reißen. In für Entscheidung gen reif, und die Lasten, die die Völker zu tragen haben, sollten den Regierungen endlich den Weg zu vernünftigen Maßnahmen finden lassen. Leider hat die französische Regierung gegenwärtig direkt entgegen gesetzte Sorgen: sie ist bemüht, den Rüstungspanzer »u vervollständigen und die Arbeiten zum Ausbau der französischen Flotte zu beschleunigen! gerne bereit, wieder einige Schritte in der -wrästungs- srage zu tun, aber man könne doch nicht gut die aus den Wahlen hervorgebende englische Regierung vor vollendete Tatsachen stellen. Nun, fehlt es in Genf am Witten zur Abrüstung, dann muß unsere Delegation wenigstens twn Abrü stungsgegnern die Maske vom Gesicht reißen. In der Abrüstungsfrage ist die Zeit für Entscheidun- Kabinettsbildung vollzogen. Amtliche Mitteilung über die Ernennung der neuen Reichsminister. Wie amtlich mitgeteilt wird, hat Reichspräsident »an Hindenburg nunmehr auf Vorschlag des Reichs kanzlers den Reich-Minister Koch-Weser auf seine« Antrag aus dem Amt des Reichsministers der Justiz entlassen und de» Reichsminister a. D. vou Gutrard, M. d. R., zum Reichsminister der Justiz ernannt. Ker ner hat der Reith-Präsident auf Vorschlag des Reichs kanzlers den preußischen Ministerpräsidenten a. D. Dr. Stegerwald, M. d. R., zum Reich-Verkehrs« Minister und den Reichskanzler a. L. Dr. Wirth znm Reichsminister sür die besetzten Gebiete ernannt. Als letzte Amtshandlung nahm Reichsjustizmini ster Koch-Weser die Amtseinführnng des ReichSgerichtspräsidenten, Dr. Vnmke, -or. In längerer Ansprache betonte der Minister, für die Ernennung des neuen Reichsgerichtspräsiden- ien trage «r die Verantwortung. Es sei für ihn ein« hohe Ehre, Dr. Bumke in das Amt des Reichsgerichts« Präsidenten «insühren zu dürfen. Reichsgerichtsprä- sident Dr. Bumke werde, davon seien alle überzeugt, rin deutscher, ein unabhängiger und ein ge rechter Richter sein. Zum Schluß betonte Minister Koch-Weser, die Wahl Dr. Bumkes sei frei von parteipolitischen Mo menten erfolgt. Man habe «inen Mann gesucht, der neben autoritativen Richtereigenschaste« Verständnis für die Bedürfnisse und Empfindungen einer mit Nutzeren Nöten und inneren Problemen schwer ringen den Zeit besitze, der frei sei von Dünkel und Vor urteilen. Unter einem gerechten Richter verstehe er, vr. Koch, einen Richter, der alles dem RechtSgedanken unterordne, zugleich aber einen Richter, der weder am Buchstaben des Gesetzes haste, noch geneigt sei, den Richterspruch souverän an die Stelle des Gesetzes zu setzen. Im Wege der Entwicklung Welt und Recht einander anzupassen, sei vor allem die Ausgabe des Richters. Des Richters höchste Ehr« sei das Ver trauen des Volkes. Reichsgerichtspräsident Dr. Bumke dankte für das mit seiner Berufung zum Ausdruck gebrachte Ver trauen und legte die Grundsätze dar, die er bei seiner Tätigkeit im Reichsgericht befolgen Witt. Reichsvermittlung in StteUH. Ministerialrat Häntzschel vom Kabinett nach Mecklen- bnrg-Strelitz gesandt. Mit dem Rücktritt des Staatsministers v. Reib- uitz besitzt Mecklenburg-Strelitz keine Regierung mehr, auch ist angesichts der Haltung der Parteien im Land tag nicht abzusehen, wie eine neue Regierung gebildet werden kann. Die Reichsregierung Kat darauf — wie es in einer amtlichen Mitteilung heißt — „wegen der Gefahr des Eintritts eines regierungslosen den Vor schriften der Reichsverfassung nicht entsprechenden Zu standes", den Ministerialrat Dr. Häntzschel nach Neu strelitz gesandt, „um zunächst im Wege vermittelnden Eingreifens eine Regierungsbildung zustandezubringen. Ministerialrat Dr. Häntzschel hat bereits mit den Landtagsparteien Fühlung genommen. Am heutigen Montag tritt der Landtag in Neustrelitz zu einer neuen Sitzung zusammen. Reparationsplan überreicht. Roch kein« Entscheidung über die Veröffentlich«»-. — Owen Noring mit den Ziffer» nicht einverstanden. Die Sachverständigen der Gläubigermächte haben nunmehr der deutschen Delegation die in den Sonder besprechungen fertiggestellte Denkschrift überreicht. Es handelt sich bei der Denkschrift um einen Vorschlag der vier Hauptgläubigermächte an den Sachverstän digenausschuß, jedoch nicht um einen «inseitigen Vorschlag an die Deutschen. Auch ist die Denkschrift nicht in die Fotm eines Ultimatums eingekletdet. An di« Ueb«rreich»mg schloß sich ein« «»-sprach« an, ob di« Denkschrift veröffentlicht werd«» soll« oder nicht. Wi« verlautet, waren nicht «nr die deutschen, sonder« a«ch die fra«zösischen Sachverständigen dafür. Di« Entscheidung über die Veröffentlichung wird erst im Laufe der nächsten Bollsitznng falle«, die auf de« heutigen Montag angesetzt ist. Richt ohne Bedeutung ist die Tatsach«, daß d«r Vorsitzende der Versammlung, der amerikanisch« Sachverständig« vw«n Aoung, sich mit der alliierte« Denkschrift «icht identifiziert Hat und zn dessen Inhalt keinerlei Stellung «ah«. Allem Anschein nach sind di« in de? Denkschrift genannten Ziffern der deutschen JahreSzahlnugen im i Vergleich zu den Forderungen der Alliierten, die vo, einer Moch« durch ihre außerordentlich« Höhe berech- ! tigtes «nfschen err«gten, nicht wesentlich herabgesetzt , worden, dürsten sogar allem Anschein nach die A»< : gaben »er französischen Presse überschreit««. GK dürften daher erneut auf eine deutsche Ablehnung Politische Rundschau. - Berlin, den 15. April 1S2S. — Am 1. Juli finden im Saavgebiet Neuwahlen z« den Gemeinderäten, Stadtverordnetenversammlungen und ! Kreistagen statt. — Der zuständig« Ausschuß des Landtag hat di« Strafverfolgung des nationca-sozialtstischen Abgeordneter Kaufmann-Elberfeld genehmigt. — Ein von der Wirtschaftspartet eingebrachter und vom BerkehrSauSschuß des Landtags angenommener Antra, fordert größere Sauberkeit in den Eisenbahnwagen. * :: Reichspräsident v. Hindenburg hat an den Vorstand des neubegründeten „Vereins zur Errich tung evangelischer Krankenhäuser" ein anerkennendes Schreiben gerichtet und als äußeres Zeichen seiner Anteilnahme zugleich eine persönliche Spende dem Verein überwiesen. :: ««such d«S bah«risch«u Mlnist-rpräsidenten i« Vatikan. Der bayerische Ministerpräsident Dr. Held traf in Begleitung des Geheimen Rates Freiherrn von Stengel in Rom ein, um dem Papst zur Feie, seines Goldenen Priesterjubiläums seine Glückwünsch« darzubringen. :: Interpellation wegen des Freispruch» d«S Zeich ners «rotz. Im Preußischen Landtag hat die Frak tion der Wirtschastspartei eine große «rstaae weam des Freispruchs des Zeichners Groß eingebvacht, ist der behauptet wird, La^gertchtSdirektor Sagert habe bek der Begründung des Urteils Worte aebvaucht, die eine tiefe Verletzung des religiösen Empfindens darstellend Die Regierung wird gefragt, wie sie das religiöse Empfinden großer BevottarungSkveise vor Verletzungen zu schützen gedenke. :: Deutscher evangelischer Gemei«detag i« Dort- «und. Unter dem Vorsitz von GeneralfuderMendent v. Schian-Breslau trat in Dortmund de? deutsch« evangelische Gemeindetag zusammen, nachdem Ge- meinvegottesdienste in allen Kirchen der Stadt sowie Kinder- und Jugendfeiern vorangegangen war«,. Di« Verhandlungen betrafen Grundfragen heutiger kirch. licher Gemeindearbeit. Rundschau iw Auslände. t Auf französischen Anttag wurde in Genf et» Schwei« zer wegen angeblichen Spionagedienstes für Deutschland verhaftet. t Die englischen Gruben haben vom heutigen Montag ab die Kohlenpveife um zwei Schilling pro Tonne herab gesetzt. ; Im Alter von 78 Jahren starb 1» Tokio d«, früher« japanisch« Minister Graf Goto. * Polen» Mariuechef i» Frankreich. * Der Ches der polnischen „Kriegsmarine" Gwirski iß in Frankreich eingetroffen ,um dem Staepllauf der drei süt die polnische Mott« in Frankreich erbauten Schiffe betzu« wohne«. Als erstes Schiff lief in L« Havre da» Untersee boot „Wilk" vom Stapel: die beiden anderen Schifft folge» im Laufe der nächsten Tage. 33 süvslawifch« Generale verabschiedet. ! Durch eine aufsehenerregende Verordnung im süd slawischen MilttärverordnungSblatt sind 33 Generale verab schiedet worden. Unter den Pensionierten befindet sich auck der Generalstabschef Peter Cesitsch und der Konteradmiral Methodius Koch. An Stelle der in den Ruhestand ver setzten Truppenführer werden jüngere Offiziere ernannt. Kei« Abrüstungsvorstoß Amerika-. ! Auf Anfrage aus Pressekreisen erklärte der Präsi- dent der Bereinigten Staaten, Hoover, er habe den Führe, der amerikanischen Delegatton für dl« vorbereitende Ab rüstungskonferenz in Gens nicht zu Verhandlungen mit England oder anderen Seemächten über Seeabrüstuna bet auftragt. Gibsons Instruktionen beschränkten sich vieuneh, aus die rein technischen Einzelheiten, die auf dem Konferenz- Programm stünden. Handstreich der mexikanischen Kavallerie. ; Mexikanische Bundeskavallerie überrumpelte aus d« Straße von Nogales ein« Abteilung Aufständischer de» Sv nerals Escobar und lieferte ihr ein Gefecht. Die Rebell«, verloren 22 Tote und etwa 100 Gefangene, die Bundes, truppen 6 Tote und einig« Verwundete. — Der Rebellen, general Francisco Manzo flüchtete auf amerikanische» Ge» biet und ließ sich dort verhaften. Maßlose Forderungen. Ter .»»rschlas" der Alliierte«. — 58 Jahreszahl»«»«» — Die Jahresrate« »nr ««wesentlich «nter dem Dawesp la«. Die Kriegsentschädigungsdenkschrift der Sachver. Endigen Frankreichs, Englands, Italiens und Bel- H bekanntlich noch nicht zur Veröffentlichst»« fretgegeben, trotzdem find die Pariser Blätter auck diesmal wieder in der Lage, ziemlich genaue Angaber über den Inhalt dieses Schriftstückes zu machen. Dara«S ergibt sich di« u««rhört« Tatsach«, »aß di« von der sranzösische» Press« in d«n letzten Tagen veröffentlichte« Ziffer« hinter den Forderungen »«, alliierten Sachverständigen nach -nrückblrid««. Di« Zahl »er Jahresleistungen scheint danach in der Denk schrift aNf »8 Jahr- f-stgesetzt z« sei«. Gi- beginne« mit 1,8 Mitliard-n, steigen nach einigen Jahren auf 2,4 Milliarden Gowmark. In dieser Höhe fallen die Zah. iunge» »7 Jahr- lang --folgen. Kür »ie letzten 21 Jahr- fin» Zahlnng-n von je 1700 Millionen vor.