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„Die Mode vom Tage" Der neue Zrühjahrshm (Nachdruck sämtlicher Artikel! und Illustrationen vexSatM.) Der Strohhut, den uns die diesjährige Mode bescherte, ist in der Tat äußerst kleidsam, was man von den Herbst und Wintevhüten .der letzten Saison allerdings nicht immer be- haupten konnte, da kleine, krempenlose und turbanartige Hüte, die die Wintermode vorschrieb, eigentlich nur sehr wenigen Frauen stehen, nämlich solchen mit ungemein schmalen zarten und jugendlichen Gesichtern. Die meisten Frauen aber brauchen einen etwas beschattenden und schmeichelnden Gesichtsrahmen, den der Hut verleihen muß. Die neuen Frühlingshüte sind kleidsam. Man wird im Frühling und Sommer sowohl kleinere glockenförmige wie auch größere und etwas unregelmäßig aufgeschlagene Hüte tragen. Erstere sind mehr fürs FrühjahrSkostüm und für kältere Frühsommertage, an denen man noch den leichten Mantel benötigt, gedacht, während letztere zu den sommerlich duftigen Kleibern gehören. Wer sich zwei Hüte anzuschaffen beabsichtigt, wird anfänglich einen kleinen eventuell mit Filz kombinierten Hut wähle», um sich dann später, wenn man bereits „per Taille" geht, einen größeren, sommerlichen Strohhut anzuschaffen. Noch immer ist das Bangkoksstroh, das bei teuren Hüten sogar handgeflochten ist, ungemein beliebt. ES ist nämlich sehr dauerhaft und der gerade im Frühling so oft plötzlich heretnbrechende Negen kann ihm nichts anhaben. Daneben trägt man Manila-, Reis- und Roßhaargeflechte, ferner nette aus Strohborten zusammengesetzte und mit Filz oder Band kombinierte Hüte, die weich wirken und sehr schmeicheln. Die Mode nämlich ist in diesem Jahre sehr großzügig un- eine jede Frau kann, ohne unmodern z» wirken, das tragen, was sie kleidet. Frauen mit vollen und breiten Gesichtern werden gut tun, sich glockenartige Hütchen anzuschaffen, jene mit kleinen Näschen und jugendlichem Gesichtsausdruck können die in Mode stehenden Dreispitze oder Zwcispitze tragen, die sehr beliebt sind, und die praktischen Frauen, jene, die nur einen, aber dafür einen guten und teuren Hut fürs Frühjahr und den Sommer zugleich kaufen wollen, wählen am besten einen etwas größeren aufgeschlagenen Krempenhut, wie ihn unsere Abildung in verschiedenen Ausführungen vorführt. Dis eigentlichen Modefarben sind noch immer dunkelblau, das man dieses Jahr mit Rot verziert, ferner beige und weiß» schwartz. Mandelgrün und gelblich-grün sind sehr modern, auch rosa, Las sogenannte beige rosö, das zu allen Kleider» gut paßt und recht Frühlingshaft wirkt. Eine neue Moden farbe für Hüte ist Lindenblütengrün, das aber eher für brünette Frauen geeignet ist, La Blondinen Larin zu blaß aussehen. Da man keinerlei Aufputz, weder Blumen noch Federn oder gar Reiher trägt, sondern nur Bänder oder Agraffen verwendet, ist Lie Mode diesmal praktisch und jugendlich zugleich. ptauderecke Unbestritten wird dies bleiben: Das wirklich Schöne ist unveränderlich, kann nie veralten, der Geschmack aber wech selt und er ist abhängig vom geistigen, seelischen und leib lichen Zustand der Menge, wie Geibel sagt: „sich Götzen formt und dann zerbricht." In der heutigen Anschauung über das Schöne erblicke ich einen entscheidenden Fortschritt: wir missen heute, bis >um Schulkinde, daß nur aus dem Gesunden, dem Natür lichen das Schöne erwachsen kann. Jahrtausende vor der fin gewisser Hinsicht noch nicht wieder erreichten) griechischen Kultur war der Begriff des Schönen schon einmal ein wech selnder für die Menge gewesen, das Schöne blieb unter den Stil gebannt — „erlaubt ist, was sich ziemt . . und ziemen »Kirste" sich nur das Stilgebundene — so z. B. in der alt- Lgyptifchen Kultur, in welcher das wahre Schöne ganz vom Stil und Geschmack gefesselt blieb .. . Erst der Hellene fand Die an sich wundervollen Stilgcbilde der ägyptischen Kunst mit seinem neuen Blick für das Wahre, über solche Gebun denheit und Frontalität heraus und kam im Verlauf weniger Jahrhunderte dem reinen Schönheits-Formidcal näher wie jje ein anderes Volk: so wurde die hellenische Kunst maß- gebend, vorbildlich für höchste Kunst überhaupt. Die Römer «varen Erben und Nachfolger darin, ohne doch, als Soldaten volk, der griechischen Vollendung besseres hinzusügen zu können. Mit der Ausbreitung des Christentums trat eine Stockung im freien Kunstschaffen ein, dem nach Verlauf von fünf Jahrhunderten ein schneller Verfall folgte. Vom ö. «S 11. Jahrhundert sehen wir eine noch zwar an griechische Vorbilder erinnernde, aber verwilderte, verzerrte, unfähige, kränkelnde Kunst, die jedoch an sich etn interessantes Bild ibeS frühmittelalterlichen Jdeenkretses gibt,- oft charakte- Eischer und eigenmächtiger, als die bis zur charakterlosen Glätte gesteigerten Antiken. Erst vom 11. Jahrhundert ab Fiuden wir einen Aufstieg -um neuen formalen Können, zum Richtig-Sehen, zum Gestaltenkönnen des menschlichen Kör pers. Hier stellte der Künstler, dessen Name verschollen, noch unverbildeten Menschen des frühen Mittelalters da, einfach, noch wenig manieriert, oft mit einer kindlichen Unsicherheit, die Aussicht gab auf Wiederkehr antiken Könnens — doch das Mittelalter stieg an — und bald war die Kunst, diese schönen Ansätze überwuchert, angekränkelt, geschwächt, kom pliziert durch den leiblichen Verfall der Menge. Der Stil, das „Geziemende" war wieder da, Moden kamen und gingen! Die Kunst war oin Nicht-Anders-Künnen, Nicht-Anders- Wollen, weil man selbst verbildet und in Formen und For meln gebannt war. So war Stil immer entweder der Aus druck werdender, ringender, oder dekadenter Kultur. Dies war der Fall im Mittelalter. Die Mode war ja auch so.ganz der Ausdruck aller „Wün sche" ihrer Zett. Ja, eine Mode konnte sich überhaupt erst auf Lem Grunde einer gewissen körperlichen Dekadenz her ausbilden. Der Hellene hatte zu viel Hochachtung vor der Form und Schönheit des Leibes, als Laß er dazu je gelangt wär«, diesen Leib, zum Kleibergestell wechselnder Moden machen zu wollen . . . Mode war stets Dekadenz; je ge sünder die Menschen, desto rationeller die Moden! — Die unsinnigen Moden svielmehr Sitten) des Mieders, der Krinoltnen, Halskrausen, Schleppen, Kopfgestelle und Nets- rücke waren in der antiken Kultur unmöglich gewesen. Diese Moden waren nicht Ausdruck der „Kultur", viel- mehr Ausdruck verirrter Zivilisation. Betrachten wir hygienisch gebildeten Menschen von heut« unvoreingenommen und ohne großmütterliche Sentimen talität einmal die Schönheits- und Mode-Ideale des 14. bis 18. Jahrhunderts, da selbst noch Lie bis ttes inS 19. Jahr- hundert hinab — und wir werden (bei aller Bewunderung der Jdeeufülle »nd des stilistischen Reizes) Loch »»geben müssen, Laß diese „Schönheitsideale" barbarische Verirrungen waren. Die Welt schien ein einziger Karneval, in welchem aber -och immer «o» HW tm geschmaWchep »»L j»rhlichen Sinne herrschte, so bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, als das Bidermeier, Lie letzte Erscheinung barbarischer doch farb lich und formell stil-einheitlicher Mode, vorbei war: dann aber setzte eine Epoche krasser modischer Geschmacklosigkeiten, Verwilderung und Ratlosigkeit des Stilempfindens ein,.wio die Welt sie nie zuvor gesehen hat und hoffentlich nie wieder zu erleben braucht. Verglichen mit diesem geschmacklos zu sammengestellten „Aufputz" erscheint unsere heutige Mode fast klassisch einfach, wieder stilvoll, vor allem auch rationell, organisch und hyginisch einwandfrei! Das starke Streben zum Wahren, Gesunden, Einfach-Schönen bleibt, neben vielen mondänen Entgleisungen doch unverkennbar. Fast jeder Leser wird in seinem alten Photographtealbum Aehnliches haben, sein Urteil aber wird hier notwendiger Weise von „Pietät" beeinflußt bleiben. Ich kann nicht umhin, im Bubi kopf, kurzem Kittelkleid und kleinem Filzhut etwas notwendig Bleibendes zu erkennen, also nicht nur Model Es sind einfach Voraussetzungen für die bewegliche Frau, die aber stiltstischo Abwandlungen zulasscn. Sehr deutlich tritt der unzweifel bare Fortschritt und Geschmack auch in der Reklame der Moden hervor. Man vergleiche z. B. als besonders drastisch die unmöglichen Korsettreklamen der 90er Jahre mit solchen von heute: damals lächerliche Wespentaillen, heute möglichste Annäherung an das Natürliche. Auch selbst unsere kühnsten Modeformen zeigen in Farben m.d Linien (den Brutalitäten noch der 90er Jahre gegenüber) reine Mäßigung, ganz z» schweigen von der tiefgehenden Wirkung der endlich verall gemeinerten hygienischen Erkenntnisse, Lie es einfach niemals mehr zulassen werden, unserm Körper -um Bersuchsgestells willkürlicher „Formung" zu machen. Wir find in unserem Zeitalter der Körperkultur Lem wahren Schönen jedenfalls! wieder mehr näher gerückt, als jene langen Jahrhundert«» die nun glücklich überwunden find und wir strebe» »ich über das griechische Ideal -hinaus, auf et»« Zeit hoffe»-, 1» der Schönheit und Gesundheit Gemeingut gemordet» s*i» werden — im höchsten Grade ...» Pare ZW Schöpfung ist NUS Ipach vorheHalten.