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Beilage zur Weitzeriy-Zeitung Mittwoch, am 3. April 1929 Nr. 77 9ö. Jahrgang ChronU des Tages. — Di« Reichsregierung hat dem Reichstag ein« Denk« schrift über die Not der besetzten Gebiete unterbreitet. — Reichsbankpräsident Dr. Schacht betont in einer An schrift an die Presse, in dem guten Fortgang der Pariser Verhandlungen sei nicht bi« leiseste Veränderung einae- treten. — In Thorn Narb einer der Führer de» ostländtschen Deutschtums, Landschaftsrat Kurt v. Arte». — In Wehrden im Saargebiet sind etwa 80 Personen an Typhus erkrankt. ' Am Schloß Ambras bei Innsbruck ist «in verwege- - ner Sinbruchsdiebstahl verübt worden; eine Reth« wert- ! voller Gegenstände aus der Kunstsammlung wurde gestohlen, j — In der Nähe von Lausanne fuhr «in Auto in etn« ' Gruppe junger Engländerinnen. Ein« wurde getötet, dr«t ' erlltten schwer« Bevletzungen. » An den Osterfeiertaaen wurde in einer Budapester Zweigstelle des ungarischen Reise- und VerkehrSbureauS eine große UntersHlaPmg aufgedeckt. Dew Irrtum -er Tuchuns. Die selbstherrlichen Gouverneure der chinesischen Provinzen, die Tuchuns, deren Machthunger dem Lande schon so ost geschadet und große Blutopfer ge kostet hat, scheinen sich diesmal verrechnet zu haben. Die neue Aufstandsbewegung ist bereits im Scheitern ' begriffen. Die Tuchuns haben den Konflikt zwischen der Zentralregierung in Nanking und ihrem Kriegs- Minister Feng überschätzt und Fengs Wandelbarkeit nicht gebührend in Rechnung gestellt. Zurückzuführen sind die neuen Wirren auf den alten Streit um die Frage, welche Machtbefugnisse die Gouverneure pretsgeben müssen, damit die Zentral regierung in Nanking nach den langen Jahren des Bürgerkrieges China wieder festigen und einigen kann. Gegenwärtig spielen die Tuchuns noch fast die gleiche Rolle wie in den Jahren zuvor. Sie erheben an den Grenzen ihrer Provinzen Zölle, schöpfen die Ein nahmequellen in ihren Landesteilen restlos aus Md machen Nanking damit zu einem Kostgänger der Pro vinzen. Als vor einigen Wochen der mächtigste der Tuchuns und der Kriegsminister der Nanktngregierung, der sogenannte christliche General Feng, der Staats streichler und Abenteurer von Geburt, sein Amt als Kriegsminister ntederlegte und gegen Nanking Oppo sition machte, glaubten die radikalen Machthaber im Süden ihre Stunde für gekommen. Sie spekulierten aus einen neuen großen Kampf um die Macht und glaubten nun gleichfalls ohne Risiko das Schwert gegen Nanking ziehen zu können. Die Lage der Zentral- regterung schien heikel, im Süden und im Norden des Landes standen Kämpfe bevor. Aber da trat eine neue Wendung ein. Feng einigte sich mit Nanking! Welchen Preis Tschangkaischek, der Präsident der Zentralregierung für Fengs Unterstützung gezahlt hat, weiß man noch nicht, wohl aber kennt man die Opfer dieses Handels. Der Tuchun in Kanton, der radikale General Lichaisun, wurde in Nanking hingerichtet, Kanton wurde von Truppen Tschankaischeks besetzt und Hankau, die zweite Hochburg der Radikalen, wird von den Truppen der Zentralregierung berannt. Der Fall der Stadt ist nur noch eine Frage von Tagen oder Stunden. Gegenwärtig wird auf der nördlichen Uferseite des Aangtse gekämpft. Die Truppen Tschangkaischeks greifen an und nähern sich unter heftigen Kämpfen mit den Truppen HankauS dem Fluß. Die Schiffahrt auf dem Uangtse ist völlig zum Erliegen gekommen. Bon Schanghai lausen überhaupt keine Handelsschiffe ' mehr aus; man befürchtet, daß die Schiffe beim Ein- rreffen rm Kampfgebiet von den kriegführenden Par teien in Anspruch genommen werden, hat doch die Hankauregierung bereits 70 Dampfer auf dem Uangtse mit Beschlag belegt. Hinsichtlich der Dauerder neuen Kämpfe ist man in Nanking zuversichtlich. Der Finanzminister der Zentralregierung, der gegenwärtig damit beschäftigt ist, die notwendigen Geldmittel für die Durchführung des Feldzugs flüssig zu machen, äußerte einem Zei tungsvertreter gegenüber, seine Aufgabe erweise sich als weniger schwierig, als er selber erwartet habe. Der Krieg werde wahrscheinlich in kurzer Zeit vorbei sein; sicher werde Hankau im Laufe der nächsten Tage von den Truppen der Zentralregierung besetzt werden. Welchen Wert der Sieg der Zentralregierung hat, ist erst zu sagen, wenn man Vie Grundlagen der Einigung Nankings mit Feng kennt. Hat Tschangkei- schek Feng neue Rechte bewilligt und hat er sich zu neuen Abstrichen von seinem Reformprogramm be reit finden müssen? Wenn ja, dann ist der Sieg Nankings nur etn zweifelhafter. Die Festigung Chi nas kann lediglich in dem Maße Fortschritte machen, wie es gelingt, das Reformprogramm der national chinesischen Freiheitsbewegung unverwässert durchzu- Lühren. * Die chinesische Gesandtschaft in Berlin veröffent licht folgende Erklärung: „Die Nationalregterung hat Üch zur Aufrechterhaltung der nationalen Einheit und Autorität entschlossen, Waffengewalt anzuwenoen, um Ate ungehorsamen und aufsässigen lokalen Machthaber zu unterwerfen, aber es ist die Absicht Her Regterung, die militärischen Operationen in mög- AHst begrenzte« Umfange durchzusühren. Dieser Ent« Muß der Nationalregierung wird von der gesamten Kation gutgebeitzen. Gelöbnisse der Treue sind au» Mlen Teilen des Lande» etnaelaufen, darunter solche von den Generalen Feng, Tschanghauliang, UütM- shan. Die Nationalisierung ist Herr der Lage." Die Not der besetzten Gebiete. Eine Denkschrift der ReichSregiernng. — «erarbeiten für ei» HUfsprogram« für den Westen. — Fort ¬ setzung der laufenden Betreuung. j Der Reichsminister für die besetzten Gebiete hat dem Reichstag eine Denkschrift über die Wirtschaft- , liche und kulturelle Notlage der besetzten Gebiete zu- : gehen lassen. Die Denkschrift enthält die bereits be- ! kannten Darstellungen Preußens, Bayerns, Hessen«, ! Badens und Oldenburgs, sowie eine Stellungnahme ! der Reichsregierung. Reichsinnenminister Seve ring führt darin u. a. aus: „Die Reichsregierung erkennt die wirtschaftlich« und kulturelle Fürsorge wie für den Osten so auch für ' die notleidenden westlichen Grenzgebiete und für das j besetzte Gebiet als eine besonders wichtige Aus- ! gäbe an, die vom Reich in Gemeinschaft mit den betet- j ligten Ländern zu lösen ist. Wenn die Reichsregierung , im gegenwärtigen Zeitpunkt davon absieht, da« in den > Denkschriften der »fünf Länderregierungen zusammen- getraaene Material zu einem Hilfsprogramm von gro- ' tzem Ausmaß für den Westen auszuwerten, so ist hier- ' für in erster Linie die Rücksicht aus die derzeitige j schwierige Lage der Reichsfinanzen ausschlaggebend, j die eine gleichzeitige Einleitung umfassender Aktionen in sämtlichen Grenzgebieten des Reiches verbietet. Dazu kommt aber, daß ein solches Programm vor i allem auch auf die wirtschaftlichen Hauptprobleme der ' westlichen Grenzgebiete, wie z. B. die künftige Wirt schaftsgestaltung im Aachener Jndustrierevier, an der ' Saar, in Rhein-Hessen und der Pfalz, die Lösung der , Transportstage usw. abgestellt sein muß und dem- ; gemäß noch eingehende Verhandlungen mit den der- - schiedensten amtlichen Stellen und die Anhörung von , Sachverständigen erfordert. Denn eine Verzettelung in unorganische Einzelmaßnahmen oder ein« reich»« j festige SnbvenNoniernng zahlreicher mittlerer und klei« ! «erer Objekte wäre unwirtschaftlich und würde den Notwendigkeiten einer auf weite Sicht gesteltten un- durchgreifenden Gren-Politik in keiner «eise ent sprechen. Die Reichsregierung wird in den nächsten Monaten die Vorarbeiten an der Aufstellung eines einheitlichen Hilfsprogramms für den Westen fort setzen und behält sich ihre Entschließung über die etwaige Einbringung einer besonderen Gesetzesvorlage bi« nach Abschluß der Verhandlungen und für einen finanzpolitisch geeigneten Zeitpunkt vor. Muß hiernach die Krage der Einleitung einer neuen großen Hilfsaktion für den Weste» einstweilen znrückgcstellt werden, so soll die laufende Betreuung der bedrängten westlichen Grenzgebiete und des be setzten Gebiets in dem bisherigen Nahmen auch weiter hin selbstverständlich fortgesetzt werden. Die Reichs- regiernng hat zn diesem Zwecke ausreichende, znm Teil gegenüber dem Vorjahr erhöhte Beträge in den Entwurf des Haushaltsplans des Reiches für das Rechnungsjahr 1S2S eingesetzt. Die von der Reichs regierung aus den Grenzfonds 1 und 2 im engeren Grenzgürtel an der Westgreuze und in Vaden geför derten Hilfsmaßnahmen sind in der Durchführung be griffen und werde« voraussichtlich im Laufe des Rech nungsjahres 1S2S züm Abschluß kommen." Der Imperativ des Herzens. ReichStagsabgeordneter Haas über die treibende Kraft des Anschlutzgedankens. Der Vorsitzende der demokratischer, Reichstagsfrak- non, Dr. Ludwig Haas, veröffentlicht in einer Wie ner Zeitung eine Betrachtung über den wahren Frie den und schreibt darin u. a.: Der Kelloggpakt ist eine Verheißung, kein« Erfüllung: eine Verheißung, die nicht enttäuscht wer den darf, die nach Erfüllung drängt. Aus dem wette ren Wege des Friedensgedankens fällt dem deutschen Volk, sei es im Reich, sei es in Oesterreich, eine besondere Ausgabe zu: den Siegerstaaten von damals die für uns unverständliche Furcht zu nehmen, als ob Deutschlands und Oesterreichs brüderlicher Anschluß- Wille irgendwelche aggresiven Tendenzen in sich schlösse. Was uns zueinander drängt, ist der Imperativ des Herzens, die Stimme des Blutes, nicht das «er langen nach Revanche und imperialistischer Vormacht stellung. Wir wollen Europa dienen, nicht es be herrschen, aber wir wollen ihm dienen in Freiheit und Gleichberechtigung. Wenn dem KelloggpaN mit seiner summarischen Verurteilung des Krieges als Werkzeng der nationalen Politik der Völker Nicht bald eine ernst hafte Ausgestaltung der legalen RevtstonSmöglichkeiten des heutigen Status qno folgt, wird alle Idealität seines Grundgedankens ihn nicht vor einem Mißerfolg bewahre« kö«ne«! Der Friede, der als Ziel «nd Auf gabe der Kellogg-Aktion den G«tgesinnten aller Völ ker vorschwebt, ka«n kein Friede in Ketten, sondern nur ein Friede der Freiheit sein." Die Pariser Reparattonskonferenz. Eine Erklär««« de» Reich»bankpräsidenten , Dr. Schacht. Der Führer der deutschen Delegation auf der Pa riser Reparattonskonferenz, Reichsbankpräsident 'Dr. Schacht, veröffentlicht in der Presse eine Erklärung, nach der die Besprechungen innerhalb der Repara ttonskonferenz sich bisher in durchaus freundwilligem Geiste bewegt haben. Die Bedeutung de» Gegenstan des, nämlich die finanzielle Regelung international«* Beziehungen auf Jahrzehnte und damit die endgül tige Liquidierung des Krieges, ließen jedoch noch manche Schwierigkeiten erwarten und eine längere Dauer der Verhandlungen voraussehen. Bei dem allg seits vorhandenen guten Willen zur Verständigung »mV zur Ausbringung der notwendigen Geduld bet d«a schwierigen Verhandlungen bestehe jedoch die Hosp« nung auf einen erfolgreichen Verlauf der Koitt ferenz durchaus weiter. Staat «ad Landwirtschaft. Eröffnung .-e» SchleSwig-Holsteinschen Provinzial« Landtage». In der Eröffnungssitzung des Schleswig-Holstein« schen Provinziallandtages schilderte Oberpräsident Kür« bis die Schwierigkeiten, mir denen Staat und Wirt schaft gegenwärtig zu kämpfen haben. In voller Eri kenntnis der Bedeutung der Landwirtschaft habe der» verarmte Staat mehr für die Landwirtschaft getanh als je eine Regierung zuvor. In der Um schul« dungsaktion seien bereits 430 Anträge mit ö Mi« Nonen M. befriedigt worden, weitere 250 Anträga würden im Laufe der nächsten Woche ihre Erledigung» finden. Erfolg könne die Staatshilse jedoch nur van» haben, wenn sie mit der Selbsthilfe Hand in Hcmo gehe. Zum Schluß seiner Ausführungen wandte sich der Oberpräsident gegen die „Nothilfe^-Bewegung. Das Geheimnis von Jarwotvitz« Zehnstündige» verhör de» Grafe« Christian. Am zweiten Osterfeiertage wurde in Hirschberg der verhaftete Graf Christian zu Stolberg durch di« Berliner Kriminalbeamten nochmals einem eingehend den Verhör unterzogen. Während dieser zehn Stundenj dauernden Vernehmung wurde Graf Christian auf verschiedene Widersprüche in seinen bisherigen Aus« sagen aufmerksam gemacht. Die Feststellungen haben ergebe«, daß Graf Chrtt Lstian am Tage «ach der Tat de« Sapm^ntendenten Quast nur von dem Todesfall unterrichtet« «nd auch ihm nur da» Märchen vo« de« Einbrecher» erzählt hat. Er soll auch den VerwaltangSdlrettor Gombert »it^ in» Vertrauen gezogen habe«. Der bi»her in dieser Anselegenhett tätige Oberstaatsanwalt Dr. Engel hat seinen Urlaub angetreten. Seine Vertretung hat Staatsanwalt Felsch übernommen. Vor einer Sensation? Am SV. März hat sich, wie amtlich mitgeteW wird, in Liegnitz ein Fleischer Bittner gemeldet, de* im Januar von einem jungen Mann gebeten morde* sein soll, de« jetzt getöteten Grafen Stolberg z« er« schießen oder zu ersteche«. Bei der Polizei in Liegnitz sind Bittner Photo« graphien des verhafteten Grafe« Christian vorgelegs worden, an» denen Bittner den junge« Man«, de« ihn im Januar zu der Tat ««stiften wollt«, wieder« erkenne« will. Eine Gegenüberstellung de» Angeschnft tigten mit Bittner soll sofort erfolgen. Ein Laud lebender Skelette. Massensterben in dem belgischen Mandatsgebiet Ruanda. Londoner Blättermeldungen zufolge hat der bri tische Missionar Dr. Church einen „Appell zur Lin derung der grauenhaften Zustände im belgischen Man datsgebiet Ruanda" veröffentlicht, das er „ein Land lebendiger Skelette" nennt. Er berichtet, daß Tau sende von Eingeborenen auf den mit Leichen besäten Wegen durch ein Land, das von Fieber und Löwen heimgesucht werde, nach Uganda strömen. Frauen und Kinder brächen erschöpft zusammen und sielen den Hyänen zum Opfer. Die belaische Regierung habe zwar den Transportdienst verstärkt und verteile Le bensmittel, nur kämen diese Hilfsmaßnahmen zu spät. Ruanda bildete vor dem Kriege einen Teil de» deutschen Kolonialreiches. In Versailles wurde Ru anda dann den Belgiern zur Verwaltung überwiesen. Entscheldungskämpfe In Mexiko. In der Nähe der mexikanischen Stadt Jime- nenz ist eine Entscheidungsschlacht zwischen den Regie rungstruppen und den Rebellen entbrannt. Die Re gierungstruppen, die bereits mehrere Tage im Kampfe stehen, sollen in den letzten Stunden schwere Ar- tillerte gegen die Rebellen eingesetzt haben. In zwischen veröffentlichen die Aufständischen eine Sie gesmeldung, derzufolge Calles mit den Regierungs- truppen „vernichtend" geschlagen worden ist. Zwei Generale und 1500 Mann der Regierungstruppen sollen gefangen genommen worden sein; die Zahl der Loten soll 400 betragen. Eine Bestätigung der Sie- geSnachricht von anderer Seite war bisher nicht zn erlangen. Politische Rundschau. — Berlin, den S. «pr» 1S2S. - Dr. Eckener bat Mr seinen drahtwstn Gruß vom „Graf Zeppelin" ein Danktelogvamm de« König« Fuad vo« Aegypten erhalten. , .. Deutsch-P-lnisch« «erhandln«*-» in Pari». Zei- tungsmeldungen »ukola« find bei d«m Berichterftattetz -es Rate» für Minderheitenfrage, Adatschi-Pari».