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Nr. 3 Chronik -es Tages. — Reichskanzler Müller ist zu einem 14 tägigen Go holungSuvlaub am Titisee im Schwarzwald eingetroffen — Der Preußische Landtag hat sich nach der bet Enthaltungen mit 211 gegen 126 Stimmen erfolgten Ab, lehnung des kommunistischen MißtrauenSantrageS auf der 22. Januar vertagt. — Der Generalagent für die deutschen Reparation» ^hlun^en, Parker Gilbert, traf am Donnerstag in Nett — Bei einem Brande in der Großgörschenstraße ii Berlin mußten etwa 20 Personen von der Feuerwehl aus besonderer Gefahr gerettet werden. — An der holsteinischen Küste sind im Sturm zwei Fischer ertrunken. — In Marburg ist der Mörder des Studenten Schwert feger verhaftet worden. — Der Rat der Stadt Chemnitz hat angesichts bei fortdauernden Trinkwasfernot das Baden an den Wochen tagen verboten. — In Rottendorf bei Würzburg ist die Malzsabril Faust vollständig niedergebrannt. — In ganz Südeuropa ist ein heftiger Wettersturz eingetreten. — An der japanischen Hondoküste sind durch ein« Sturmflut mehrere hundert Häuser zerstört worden. 81 Personen wurden getötet; 20 Ortschaften sind überflutet Die Agrarfrage des Ostens Von Otto Klepper, Präsident der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse Ter Amtliche Preußische Pressedienst gibt einer Artikel des neuen Präsidenten der Preußenkasse wieder den wir — ohne uns mit den Ausführun gen zu identifizieren — seiner grundsätzlicher Bedeutung wegen, als Darlegung des Standpunktes dei Zentralgenossenschaftskasse, nachstehend im Auszug ver öffentlichen: Das Jahr 1928 hat eine ausgiebige, zum Schlus leidenschaftlich übersteigerte, agrarpolitische Erörte rung, aber eine sinnfällige Vereinfachung der Problem stellung gebracht. Ende 1927 beschäftigte man sici mit Milliardenprojekten für neue Agrarkreditopera- tionen. Summarisches Projektieren dieser Art zeigi sich Ende 1928 nicht mehr. Es steht vielmehr ein« konkrete Frage im Vordergrund. Zwei Vorschläge, di« Aufnahmeorganisationen der Preußenkassi und der von der Deutschnationalen Partei im Reichs- tag eingebrachte Antrag auf Schaffung eines Besitz. Erhaltungsfonds für die östlichen Landesteil« -suchen die agrarpolitische Lage zu gestalten. s Der Vorschlag der Preußenkasse will die Liquida tion der nicht mehr lebensfähigen Großbetrieb« durä Belebung des Gütermarktes mit öffentlichen Mittel« ermöglichen, um sie dann, soweit geeignet, dei bäuerlichen Siedlung zuzuführen. Die Zweck- bestimmung des Besitz-Erhaltungsfonds liegt in de« Stützung dieser Betriebe durch Einsatz öffentliche! Mittel. In der Richtung eines der beiden Vorschläge — darüber herrscht Uebereinstimmung — mutz in ab sehbarer Zeit etwas geschehen, weil die Gefahr be> steht, datz, unter anderem auf Grund der genossen- schaftlichen Risikenverflechtung, der gesunde Teil dei östlichen Landwirtschaft, worunter sich ein erheblicher Teil Des Großbetriebes befindet, in das Geschick dei nicht mehr lebensfähigen verstrickt wird, woraus ein« allgemeine Krise der östlichen Wirtschaft von unab- gehbarer Tragweite folgen würde! Darüber Hinaul Ust die Bereinigung der ostelbischen Finanzkrise eim Motwendigkeit im Interesse der gesamten Landwirt Ichast; denn es bedarf keiner Begründung, daß sie ach Dem Markt ihrer Produkte geschwächt ist, solange Pro- 'Luktionsgang und Produktionsumschlag eines erheb lichen Teilgebietes unter der Auswirkung ungesunde, finanzieller Basis stehen. Die Entscheidung ist, wirtschaftlich gesehen, vor der Beantwortung der Frage abhängig, ob Vie agra rische Struktur des Ostens, die sich ja von der del übrigen Deutschlands wesentlich unterscheidet, den Gral von Krisenfestigkeit besitzt, den die heutigen wird schaftlichen Bedingungen erfordern. Die Stellung die ser Frage wird vielfach als tendenziös beanstandet weil die allgemeinen wirtschaftlichen Bedingungen füi die Landwirtschaft generell unerträglich seren. Dies« aus einem Denkfehler beruhende Auffassung wird durck iden nach allgemeiner kreditpolitischer Erfahrung fest stehenden Tatbestand widerlegt, daß eine la»dwirt- »chaftliche Finanzkrise von epidemischem Charak- »er nur in den östlichen Landesteiley besteht. (Vor Iden Gegnern der Politik der Preußenkasse wird dal »bekanntlich bestritten. D. Red.) Innerhalb dieser Ge- lbiete konzentriert sich die Krise da, wo die stärkst« »Zusammenballung des Großbetriebes vorhanden ist Mährend mit zunehmender bäuerlicher Besiedlung di, Mkuten Gefahrenherde schwinden. Die Krisenherde sink Also nicht nach de.r Bonität der Wirtschaftsobjekte, son dern nach der Betriebsgrößenmischung gelagert. Dieser Tatbestand hat eine doppelte wirtschaft liche Erkläruüg. Einmal ist der bäuerliche Betrieb infolge der unverhältnismäßig größeren Kontraktions- kähiakeit feines Unkostenavparates in sich krisenfester. Ms der Großbetrieb. Sodann hat der bäuerliche Be irieb eine allgemein stärkere Besiedlung, also inten siveren örtlichen Güteraustausch und verbesserte Ab- »tzbedingüngen im Gefolge. Bestärkt wird die Auffassung, nach der die zu- vespitzte Krise im Osten ein Symptom fehlerhafter kgrarpolitischer Struktur ist, schließlich durch die Er fahrung, daß dort die deutschen Agrarkrisen jeweils ihren stärksten Ausbruch zu finden pflegen. Greift man über die Caprivizeit, die ähnliche Erscheinungen zeitigte, zurück auf die Krise nack den Jreibeitskrieaen. Freitag, am 4. Januar 1929 so sieht man das gleiche Bild. ' Bor Hundert Jahren befanden sich rund 700 ostelbtsche Großbetriebe unter Sequestration der preußischen Landschaften. Man wird also davon ausgehen dürfen, daß die Krisenfestigkeit der östlichen Landwirtschaft verstärkt wird, wenn eine Aenderung ihrer Struktur zugunsten der Vermehrung des bäuerlichen Betriebes eintritt. Wirtschaftliche Notwendigkeit und politische Ueberlegung begegnen sich aus dem hier erörterten Gebiet in seltener Synthese. Der landwirtschaft- iche Berus schützt am stärksten vor intellektualt- tischer Skepsis gegenüber dem eigenen Leben, Gesell- chaft und Staat. Daraus folgt das politische Inter esse, einem möglichst großen Teil des Volkes diese Lebensbedingungen zu vermitteln. Dieser Gesichts punkt gewinnt besondere Bedeutung angesichts des Heeres von Beamten, Angestellten und Arbeitern, das moderne Wirtschaft benötigt, und verstärkte Bedeutung für den national-politisch exponierten Osten. Die hier erörterte Lösung der ostelbischen Agrar krise ist gewiß nicht die einzige, aber eine vor dringliche agrarpolitische Aufgabe des neuen Jahres. Vorkonferenz in Washington. Ankunft Parker Gilberts in Amerika. - Ein Gegenstück zum Gilbert-Bericht Schlechte Aussichten für die Sachverständigen. Der Generalagent für die deutschen Reparations zahlungen Parker Gilbert ist am Donnerstag in New Bork eingetroffen. In den nächsten Tagen wird Par ker Gilbert in Washington Besprechungen mit Coolidge, Hoover und einer Anzahl amerikanischer Finanzleute haben. Um dem neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten Hoover Gelegenheit zur Vorbereitung auf diese Konferenz zu geben, wurde der letzte Jah resbericht des Reparationsagenten Hoover an Bord seines auf der Fahrt nach Washington befindlichen Schiffes „Utah" gefunkt. Die Besprechungen in Washington dürften für die weitere Entwicklung der RepavationSangelcgcnheit »on großer Bedeutung sein. Sensationelle Ergebnisse sind jedoch — abgesehen von der Ernennung der ame rikanischen Sachverständigen — nicht zu erwarten. Man erklärt in Washington schon heute jedem, der es zu hören wünscht, daß Coolidge und Hoover nach a»ie vor eine Berquicknug der Kriegsschulden- und »er Reparationsfvage entschieden ablehnen. Im übri- zen übt mau in den der amerikanischen Regierung nahestehenden Kreisen Zurückhaltung; Washington will offenbar vor dem Beginn der Besprechungen mit Par ker Gilbert nicht in die Debatte eingreifen. Mitteilsamer sind die amerikanischen Zeitungen, die aus den optimistischen Ausführungen Parker Gilberts den Schluß ziehen, daß Deutschland zahlen kann und daraus folgern, daß dann «ach die Franzosen und Engländer ihre Kriegsschulden zurückzahlen kön- uen, ohne daß die Vereinigten Staaten neue Abstriche zu bewilligen brauchen. Bedenken gegen derartige Ideale äußerte bisher lediglich die Zeitung „New York World", die darauf aufmerksam machte, daß Parker Gilberts Bericht sich nur aus das am 31. August zu Ende gegangene vierte Reparationsjahr erstreckt, also auf eine Zeit, in der Deutschland 30 Prozent we niger aufzubringen hatte, als in dem gegenwärtigen fünften Reparationsjahr! Ob Deutschland diese Höchst- zaklen ohne Schwierigkeiten auch in Zukunft auf- orrngen könne — so betont die „New Aork World" sehr richtig — sei doch noch sehr die Frag«; bisher habe Deutschland seine Reparationen durch Anleihen gezahlt. Aehnliche Bedenken äußert der Handelsattache bei der amerikanischen Botschaft in Berlin, Fayette Allport, der dem Washingtoner Handelsdeparte ment einen umfangreichen Bericht über die wirtschaft lichen Verhältnisse Deutschlands zugehen ließ. In dem Bericht, der soeben von der deutschsprachigen Presse der Vereinigten Staaten veröffentlicht wird, wird festgestellt, daß Deutschland gegenwärtig eine Wirtschaftskrise durchwacht, die von der gesam ten Bevölkerung empfindlich verspürt wird. Um nicht die Gefahr eines Abzugs ausländischer Gelder her- rufzubeschwören, habe die Reichsbank bisher darauf verzichtet, den Diskontsatz herabzusetzen. Bedenklich stimme ferner, so heißt eS in dem Bericht, daß die Passivität der Handelsbilanz und die Reparations zahlungen der letzten Monate diesmal nur durch kurzfristige Ausländsanleihen ausgeglichen worden seien. Deutscherseits kam, man diese Ausführungen nur unterstreichen! Wie eS in Wahrheit mit uns bestellt ist, zeigt das erschreckende Ansteigen der Zahl der Er werbslosen. Im Dezember mutzte die Arbeitslosen versicherung bereits wieder 1300 000 Hauvtunter- stübunasemvsänger versorgen! Unsere Wirtschaft ist schwer belastet, neue Stpuererhöhungen sieben bevor, und doch fehlt uns das Geld selbst für dringend er forderliche Fürsorgemaßnahmen. Di« Wohnungsnot übernehmen wir von dem einen Jahr in das andere. Nicht vergessen sind ferner die große» Lohnkämpfe des letzten Jahres, die durch die unserer Volkswirt schaft gezogenen Grenzen infolge »er Reparationsbe lastung erheblich verschärft wurden. Angesichts dieser Lage wird man es uns nicht verargen können, wenn wir den Optimismus Parker Gilberts nicht teilen, vielmehr der festen Ueberzeugung sind, daß Deutschland längst an der Grenze des Trag baren angekommen ist und eine 95. Jahrgang Lösung der Reparationsfvage ohne Vie Herab« setzuug der Jahresleistungen nicht möglich ist. Wir bedauern deshalb, daß die französische Presse! den Jahresbericht Parker Gilberts ausbeutet, um de« Stabilisierung, wenn nicht gar Ler Heraufsetzung der! jetzigen Jahresraten das Wort zu reden! Die Aus sichten kur das Gelingen der bevorstrhenden Gack« verständtgenkonferenz werden geringer, je «Sher mir an den Dermin hevankommen. Das Journal deD Döbats" feiert in Gemeinschaft mit anderen Parise» Zeitungen Parker Gilbert bereits als einen französi schen Nationalhelden und spricht davon, daß Park« Gilbert den Alliierten mit seinem Jahresbericht das ^schönste Neujahrsgeschenk gemacht habe, das den Alliierte» gemacht werden konnte." Bet der Stellungnahme der französischen Presse liegt zwar etwas böser Wille vor, doch müssen die Kommentare der Franzosen uns immerhin zu denken geben! Neue Neparationsansprüche! Die kleinen alliierten Mächte wollen Deutschland für die Kriegsschulden haftbar machen! Der diplomatische Berichterstatter der englischen Zeitung „Daily Telegraph" kündigt Schritte der klei neren alliierten Mächte an, die darauf abzielen, diesen Staaten die Teilnahme an der Sachverständigenkonfe- renz durch Entsendung eines Beobachters zu ermöglichen. Der Korrespondent glaubt außer dem damit rechnen zu müssen, daß die kleineren alli ierten Mächte auf Grund der Artikel LSI und 232 des Friedeusvertrages, die festsetzen, datz „Deutsch land und seine Verbündeten" für die Kriegsschäden verantwortlich sind, verlangen werden, datz Deutsch land die von seinen Bundesgenossen nicht geleisteten ' Reparationen nun selber leiste. Bor allem würde» sie aber darauf dringen, datz die Krage vom Repara- tionskomitee eingehend behandelt werde. Mit weiteren Ansprüchen scheinen die Ita liener hervortreten zu wollen. Der „Corriere della Sera" stellt nämlich die Frage, ob Italien das Recht Habe, angesichts der „Unterschätzung" seiner Kriegs schäden eine Heraufsetzung seiner ReparattonSquote zu fordern, die seit der Konferenz von Spa auf 10 Prozent der gesamten deutschen Reparationsleistungen festgelegt worden ist. Schwierige Wirtschaftslage. Das Urteil der Industrie-, Handels-, Handwerks» unl Gewerbekammern. Die preußischen Industrie- und Handelskammer« und der Deutsche Handwerks- und Getverbekammer- tag veröffentlichen eingehende Berichte über die gegen-' wärtige deutsche Wirtschaftslage. Darin heißt es; I Die Wirtschaftslage zeigte im Dezember eine Wei- - tere Abschwächung in einzelnen Produktionsgüterindu- : strien, die sich besonders aus dem Arbeitsmarkt aus- j prägte. Die Arbeitslosenziffer hat sich im Laufe des Jahres 1928 ungünstiger gestaltet als iw Jahre 1927: ihre Kurve geht seit November steil in die Höhe und hat die Zahl von 1 300 000 bereits er reicht. Die Jahresberichte der Industrie» und Ha«, delskammern lassen über den Ernst unserer allgemeinen Wirtschaftslage keinen Zweifel. Der Konjnnkturrück. gang, der im Herbst 1927 einsetzte, vollzieht sich zwar langsam, dennoch hat er nach den Gebrauchsgüterindu, strien und dem Handwerk auch die Produktiousgüter. iudustrien und ganz -esouders die Landwirtschaft er. griffen. Auf die so geschwächte Wirtschaft drücken di« öffentlichen Lasten mit einem seit der Erhöhung de, Daweslasten verstärktem Druck. Es konnte trotz aller Anstrengungen der Regierung und der Wirtschaft di« Ausfuhr mit der Einfuhr nicht in Einklang gebracht werben. Unsere Handelsbilanz war in den erste» elj Monaten des vergangenen Jahres um über 2,S Mil- liardeu Reichsmark passiv. Württemberg klagt gegen das Reich. Ansprüche aus dem Staatsvertrag über die Neber, tvagung »er Post. Die württembergische Staatsregierung beanspruch! aus Grund des Staatsvertrags von 1920 vom Reich für die Uebertragung der Verwaltung und des Eigen tums der württembergischen Posten und Telegraphen eine zu 4,5 Proz. verzinsliche Vergütung von 25L Millionen Mark. Da die Versuche, das Reich zu einer Wiederaufnahme der am 1. Oktober 1923 einge stellten Zinszahlung oder zu einer anderweitigen Neu regelung der Angelegenheit zu bewegen, kein Ergebnis erzielten, hat das württembergische Finanzministerium nunmehr beim Staatsgerichtshos eine Klage gegen das Reich angestrengt. Politische Rundschau. — Berlin, den 4. Januar 1929. — Ter Haushalt des Landes Oldenburg für das Rech nungsjahr 1928 wird mit einem Fehlbetrag von 300 000 Mark abschließen. —Tre demokratische Reichstagsabgeordnete Frau Dr. Marie Elisabeth Lüders erlitt im Grunewald bei Berlin beim Rodeln einen schweren Unfall. :: Hindenburg empfängt de» Präsident-« des KyffhäuserbuudeS. Der erste Präsident des Meichs- krietzerbundes „Kyffhäuser", General a. D. v.