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Beilage zur Weitzeritz-Zeilung Nr. 88 Sonnabend, am 9. März 1929 95. Iahraang Chronik des Tages. — D«r Völkerbundsrat hält im Laufe des heutiaen kages seine Schlußsitzung ab. - Im sogenannten Rosenfelder Femeprozeß beschuldigte General Hammerstein den früheren Kommandeur de» Wehr- »cetses II, General Weber, die Heeresleitung hintergangen »u haben. — Der ehemalige Befehlshaber der Militärpolizei in Mexiko-Stadt, General Lopez, wurde standrechtlich er schossen. — Die Stadt Duisburg blickte am Freitag auf ein« 800 jährige Stadtgeschichte zurück. " — Das deutsche Fährschiff „Schwerin" treibt noch immer mit dem Eise nach Osten weiter. An Bord besteht keine Not. - "Bei blutigen Zusammenstößen zwischen National- Sozialisten und Kommunisten in Heide in Holstein wurden drei Personen getötet. — An Breslau ist an einer 55 jährigen Arbeiterfrau ein Raubmord verübt worden. , Bollingville wurden zwei amerikanisch« Lenk- luftschiffe während eines heftigen Sturmes zerstört. Bo« Woche z« Woche. Randbemerkungen zur Zeitgeschichte. Als der „Weltbankier" Morgan zum erstenmal in das Hotel Georg V. zur ReparationSkonfe- renz eilte, sollen neugierige Franzosen mit Fingern ans ihn gezeigt und ehrfurchtsvoll geflüstert haben: „der Mann da, mit dem Band der Ehrenlegion, kann jede Minute eine Million ausgeben." Leitte, die sich derartiges leisten können, neigen im allgemeinen nicht dazu, ihre geschäftliche Zeit nutzlosen Dingen zu opfern, nur, um „mit dabei" zu sei«. Wenn Morgan sich jetzt anschickt, die vierte Woche der Sachverständigenkonferenz zu opfern, zeigt das, daß er noch auf ein positives Ergebnis hofft. Die Geduldsprobe ist allerdings hart! In der ersten Woche stellte man grundsätzliche Betrachtungen über die deutsche Wirtschaftslage und unser Zahlungsver- «öaen an. Die Franzosen wurden bereits in diesem Stadium nervös, ließ sich doch der Chefredakteur des gooßen „Matin" den Bären ausbinden, der deutsche AeichSbankpräsident Dr. Schacht habe eines Tages seftre« Mantel hervorgeholt und unter dem Hinweis, dieses Ausstattungsstück stamme noch aus der Borkrtegs- zt«, darzutun versucht, daß er angesichts der deut schen Armut noch keinen neuen habe kaufen können! Den grundsätzlichen Betrachtungen folgte in der zweiten Woche die Schwergeburt oer Unterkommis- sionen, in der dritten die Aufstellung eines Satzungs« cntwurfs für die gigantische ReparationS-Zen» tral-Bank, und ob die vierte Woche die Inangriff nahme des Kernproblems bringen wird, ist noch kei neswegs gewiß. Entscheidend werden die Verhand lungen erst dann, wenn es um feste Größen geht, um die Höhe der Reparattonsschuld und den Betrag der geschützten und der unbedingten Jahresraten. Inzwischen beraten die Sachverständigen weiter, mustert der Diener in blauem Frack, roter Weste, Knie hosen und weißen Strümpfen Tag für Tag die Ein- tretenden, damit kein Unberufener vorzeitig etwas er fährt. Und nebenan, im Speisesalon, vereinigt sich die Pariser Gesellschaft zu der „eleganten Stunde", die man doch wegen der Sachverständigen nicht gut absagen konnte. Wenn die Sachverständigen genau hinhören, werden sie leise die Klänge des Pa riser Schlagers vernehmen: „Je r' vois Paname." Doch das geht die Sachverständigen nichts an. In Genf ging es etwas geräuschvoller zu. Der Völkerbundsrat sah sich einer „heiklen" Lage gegen über. Reichsaußenminister Dr. Stresemann und der kanadische Senator Dandurand hatten die Minder heitenfrage ausgerollt und gefordert, dafür zu sor gen, daß den Minderheiten mehr als bisher ihr Recht werde. Das Begräbnis der Anträge ist noch nicht erfolgt, aber die Schaufeln stehen noch bereit. Und an dem Willen, die deutschen und kanadischen An träge zu Fall zu bringen, ist gar nicht zu zweifeln! Vorerst ist die Entscheidung vertagt. Zunächst soll ein Dreiertomitee von ausgesprochenen Minderheiten feinden die Frage studieren, und die Mächte wollen Anträge einreichen und Denkschriften vorlegen, dann wird das Ratskomitee das Wort nehmen, und schließ lich hat der Rat als letzte Instanz die Entscheidung. Zeit wird darüber vergehen, und an Sabotage akten wird es gleichfalls nicht fehlen. Wird es uns gelingen, den Minderheitenfeinden das Heft aus der Hand zu schlagen? Ueber dem belgisch-französischen Militärpakt liegt wieder ein undurchdringliches Dunkel. Die Veröffent lichung des angeblichen Wortlauts nimmt sich eben falls sehr verworren aus. vielleicht ist der wirkliche Wortlaut noch schlimmer als der „enthüllte". Daß die Militärs der Entente Aber die YriedenSreden ihrer Staatsmänner mit, den Vorbereitungen zu neuen Kriegen noch nicht m Rückstand gekommen sind, zei gen die soeben erschienenen Erinnerungen des briiW schen Kriegsminister Churchill Churchill macht darin Mitteilungen über die Bor- bereitungen der Entente für den „Feldzug deck Jahres 1919". Danach sollten Tausende von Flug zeugen die deutschen Städte zertrümmern, Tausende» voll Batterien die Front zerhämmern, Giftgase vonk llnerhörtcr Gefährlichkeit, gegen die Deutschland an geblich keine Schutzmittel besaß, sollten jeden Wider stand unmöglich machen und jede Lebensmöglichkeit aw der vergasten Front ersticken. Doch das betrifft dick Vergangenheit! Ernster ist es zu bewerten, wennk Churchill davon spricht, die „Ideen für 1919" seienß im weiteren Vordringen begriffen und wür>» den in jeder Armee unter der Oberfläche des Frieden« weiter ausgeführt, und wenn ein Krieg ausbrechem würde, werde er mit noch schlimmeren Waffen geführß werden, als die für 1919 in Aussicht genommenen«. Derartige Vorbereitungen sind schlecht Vereinback mit den Bekenntnissen zum Frieden und mit dem» Verbot des GistgaSkriegS; sie zeigen; daß die Vülkeck gut tun, die Äugen aufzumachen, und deshalb isst es zu begrüßen, wenn der Paragraph der Militär« Verträge, der von der Geheimhaltung spricht, «ich» gehalten wird. . , - 5 Genf vor dem Abschluß Eilt schlechtes Minderheiten-Kompromiß. — Der Aalt Mitz vor dem Rat. — Genf, den 9. März. ' Die 54. Tagung des BölkerbundSrateS geht z« Ende. Die Schlußsitzung dürste noch im Lause deck heutigen Sonnabends abgehalten werden, so daß dich Delegierten am Montag wieder zu Hause sein können^ Den wichtigsten Punkt der heutigen Tagesordnung bildet der Fall Ulitz, der gesondert behandelt wird- Die Polen operieren damit, daß weder die polnisch« Regierung noch der Völkerbund in ein schwebendes Verfahren eingreisen dürften. Auf deutscher Seit« wird angestrebt, Garantien für eine objektive Durch» Führung des Prozeßverfahrens gegen Ulltz z« erlangen« Der Kampf «m die Rechte der Minderheiten IW höchst unglücklich verlaufe«. Der Rat hat beschlossene »ie Prüft»«- der Minderheitenfrage einem Komitee^ »« übertragen, da» sich an» dem japanische« Botschaf ter «datchi, dem englischen Außenminister Eham her* Iain und dem spanischen Botschafter Quinone» d« Leon zusammensetzt. Feder Mitgliedftaat de» Völkern