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,as ist nicht gut für später, wenn cZ wieder zu seinen Eltern zurückkommt!- Aber bis dahin war ja noch so lange Zeit. Die Monate gingen, das zweite Nahr von Lieselottes Glückszeit nahte sich feinem Ende. Und eines Tages traf Frau Willig, als sie mit ihrem hübschen, zierlich gekleideten Pflege töchterlein an der Hand ausging, auf der Straße die Frau Hintze mit Grete. „Mein Mann ist nun wieder da", sagle'iene, „und die Grete auch." Ihr Auge sah scheu zur Seite, und Grete mit offenem Neid auf das „feinere" Schwesterchen, das ängst lich zu beiden hinblickte und nur zögernd der „Mama" die Hand gereicht. Frau Willtg war nicht minder erschrocken, als Lieselottchen. Aber A sagte im Laufe des Gespräches: „Nun, bis Osteel »» ausgemacht, bis zu Schulanfang. Es ist ja noch eine Werle «is dahm!' Dann hatte man sich ge trennt. Zu Hause aber wiederholte sich die Umarmungsszene. „Mutti, du bist mein liebstes, ich möchie immer bei dir blei ben, will nicht weg. Was soll denn m» Sovi sagen?' Frau Willig kämpfte mit sich, sie wollte mit ihrem Mann« reden, vielleicht konnten sie das Kind ganz behalten. Aber daraus gingen Hintzes «ewiß nicht ein. plötzlich, viel eher, als gedacht, war die Abschieds- ,stun-* da. Wenige Tage nach jener Begegnung. Da stand Frau Marie unerwartet in Willigs Wohnzimmer, mit einem verbissenen, trotzigen Zug tm Gesicht: „Frau Apothekern, nu' will ich mein Kind holen!' Wo Einwände fruchteten nichts. Auch nicht Lieselottes ver ängstigte Angen, die Mutier blieb auf ihrer Forderung be gehen: „Und ich nehm' sie gleich mit. Mein Mann will das!' Das war freilich richtig. Daß es eine große Eheszene vorher gegeben hatte, sagte sie nicht. Grete hatte sehr neidisch dem jBater von Lottes schönen Kleidern und dem guten Leben im Apothekerhause erzählt, und Hintze darauf gesagt: „Das Mädel wird da bloß so fern gewöhnt, hinterher kennt sie uns nicht wehr, und paßt nicht mehr her! Hol's lieber gleich wieder! Ich brauch' nicht solche feine Tochter!' Er hatte allerdings Hintergedanken. Die Apothekers konnten ja ein paar Taufen der bieten, solche „Reichen', wenn sie das Mädel behalten wollten, ordentlich bezahlen, so viel, daß sie alle davon leben konnten! Vielleicht hatte das Marie auch gedacht, und Frau Willig hätte gern einen Vorschlag dahin überlegt. Aber Marie wartete, solcher sollte von der anderen Seite ausgehen. Und als der Apotheker, herbeigerufen, sagte: „Ja, wenn die Mutter darauf besteht, ein Recht, ihr das Kind zu weigern, haben wir ja nicht', da seufzte seine Frau und suchte die Anzüge und Wäsche der Kleinen zusammen, sie der Mutter mitzugeben. Ein Kutz auf die vor Schreck ganz stummen Lippen Lieselottes, ein paar Tränen, dann hatte Marie das Kind hastig mit sich gezogen und war- gegangew»» oyne täuscht. Diese Enttäuschung machte sich später gegen Lieselottchevi Luft, wenn diese einmal bat: „Ich möchte Mutti besuchen!^ „Du sollst nicht Mutti sagen zu der, die wolle» dich gar nichv haben, sonst hätten sie dich nicht fortgelassen!' Uud das Str» verschloß seinen Gram, seine Enttäuschung in sich. Was es durch die Trennung von schönen, geordneten Verhältnisses guten Menschen, von so viel Freude und Frieden im Herzen litt, davon kam nie etwas über seine Lippen, aber langem, magerten die runden Wängelein ab und verblaßte», und «au gend sahen die groben Rehaugen in die, ach, so verändert^ Umwelt. Und als einmal Frau Willig das Kind auf den Straße traf, da wich dies dem gütigen Blicke a«S, eiu»edenk der wieder vernachlässigten Kleider, die eS trug — voll Schau» und Scheu — und flüchtete, statt der richrnden Stimme zur folgen. Frau Willig war durch den Undank der Hintze» sehr kränkt und weit entfernt, über die tieferen Ursachen von Ltsfei lottes Benehmen nachzudenken, noch weiter entfernt von N»»tz darüber, daß sie nicht rechtzejttg das Kind für immer a» fichü gebunden. Die Reue kam freilich später, dann, als es für immeo zu spät war! Das war an einem Herbsttage, als Emma, von einem Ein, kauf heinlkehrend, aufgeregt erzählte: „Wissen Sie schon, die kleine Lieselotte, die bei uns war, ist schwer krank, die wird nicht wieder!' Und als Grete Hintze dann nach Eis in die Apotheke kam —: „Der Doktor sagt, Gehirnerschütterung!' Frau Willig überwand sich, und betrat die Hintzesche Woh nung. Ta lag das schwer fiebernde, bewußtlose Sind auf wenig sauberem Lager, neben dem Marie haltlos und verstört laßt: „Wie das gekommen ist? Nu', hingefalle», und gegen die Ofen-, ecke geschlagen mit dem Hinlerkopf — und gleich War st» von sich — und übergeben — und nu' liegt sie da — und es g«HH zu Ende.' Scheu gingen die Augen der Frau nach dem Fe« sterwinkel, wo Hintze saß, mit trunkgerötetem Gesicht n»H stieren Augen. Daß er die Schuld trug, weil er im Zorn dach Kind, wie öfter, roh hatte züchtigen, dies sich vor ihm hatte? flüchten wollen, und dabei gestürzt war, das wagte sie mcht rw sagen aus Furcht vor dem Trukenen, Leise, fast wie gehässige fügte sie hinzu, mit schüchternem Blick aus die Besucherin» „Und 's ist gut so, es war ja für das Mädel doch nichts mehr! bei uns, die paßte ja nicht mehr hierher. Nu' wird ja Friede: sein ' Und Frau Apotheker Willtg fühlte es schwer auf ihrem Se^ wissen, wie wahr cs ist, daß die Unterlassungssünden die aller«! schwersten Sünden sind, weil es hier kein Wiedergutmacheni aibt. — Das grüne Täschchen. Eine Stadtbahngeschichte von Egid Filek. (Nachdruck verboten.) Bei der Haltestelle Meidling-Hauptstraße hatte er es zuerst bemerkt; in dem Moment, als er seine Füße eng an das Gitter drückte, um dem dicken Fräulein Platz zu machen, das sich stöhnend und pfauchend durch ein Rudel von rauchenden Gymnasiasten zur Wagentür hindurchwand. Er wollte sich bücken, um nachzusehen, was cs war; aber in dem erstickenden Gedränge konnte er kein Glied rühren. So hielt er den Fuß ganz still und genoß die heimliche Freude eines kleinen Erlebnisses, die von diesem weichen, fremden Dinge da unten gleichsam in seinen Körper strömte. Was mochte das sein? Ein leeres Zigarettenetui — ein Visiten kartentäschchen — eine Monatskarte für die Stadtbahn viel leicht? Am Ende hatte er gar selbst — nein, das war unmög lich. Er machte seine Hände frei und betastete sich, so gut es ging; Uhr, Börse, Notizbuch —, alles da. Es mutzte fremdes Eigentum sein, etwas, das jemand verloren hatte. Er schämte sich ein wenig; hatte er das Recht, fremdes Eigentum mit Füßen zu treten? Und dennoch war er schrecklich neugierig. Ter Reiz des Unbekannten stieg in ihm auf wie eine rote Flamme, die sein Tagcsleben beleuchtete, dieses armselige Leben eines kleinen jungen Beamten, das öde, erbärmliche Einerlei eines elend be zahlten Brotberufes. Seit fünf endlosen Jahren ging das so. Tag für Tag: ab Schönbrunn 8 Uhr 14 Minuten, an Hauptzollamt 8 Uhr 37 Minuten. Dann über die Straße in das große Bankhaus, acht Stunden auf dem harten Holzsessel mit 40 Minuten Mittagspause. Ach, und das ewige Rechnen, Rechnen, Rechnen mit Summen, deren kleinster Bruchteil einen armen Teufel fürs Leben glücklich machen konnte. Fürs Leben? Mein Gott, wenn man nur ein paar Tage lang, nur eine tolle Nacht hindurch das köstliche Glück derjenigen genießen könnte, tfür die immer und überall der Tisch des Lebens gedeckt ist. Er aber, er fährt abends, mit schmerzendem Kops und brennenden Augen wieder in m rußige' Fabrikviertel hinäuS', wo NS möblierten Zimmer noch erschwinglich sind für Menschen seiner! Kaste. Und das heißt Leben! ! Karlsplatz. Der Zug kriecht in das finstere Loch hinein; fast! alle Leute steigen aus. Nur ein alter Herr ihm gegenüber bleibt sitzen und dreht sich eine Zigarette. Der junge Bankbeamte wird nervös. Jetzt könnte er sich das geheimnisvolle Ding unter seinem Fuß ansehen. Aber ein unerklärliches Etwas in ihm sagt: Nein, noch nicht. Bis der alte Herr mit den blitzenden Augengläsern und der schwelenden Zigarette fort ist. Vielleicht wird es eine große Enttäuschung werden. Wenn auch: schon dieses Hoffen und Erwarten ist ein kleines Erlebnis. Du lieber Gott, man wird ja so be scheiden in seinen Ansprüchen an das Leben, wenn man fünf Jahre lang das Joch eines elenden Bureausklaven trägt. Endlich steigt der alte Herr aus — er ist ganz allein. Zu dumm, daß ihn nüt einem Male so eine lächerliche Angst packt. Will er etwas Böses? Sein Gesicht in der spiegelnden Fenster scheibe ist ganz entstellt. Unsinn. Gewaltsam sich beherrschend, streckt er die Hand aus. Ein grünes Täschchen ist's, mit rotem Atlas gefüttert, Wohl für Visitenkarten. Ein Jnnenfach ist mit einem Druckknopf verschlossen. Da ist vielleicht ein Name, eine Adresse drtiu Er öffnet den Knopf. Keine Karte, keine Adresse. Aber .. . zwei Stück nagelneu» Tauscndmarkscheine. Seine Augen werden starr. Mit einem irren Lächeln schiebt er das Täschchen in die Brusttasche seines WinterrockeS. Und später, viel später erst wurde ihm klar, daß er i» jenem Augenblick schon einen Entschluß gefaßt hatte, eine« harten, festen Entschluß, ohne es zu wissen. Gleichsam mttev der Schwelle des Bewußtseins. Meder wirft er eine» scheuen Blick umher. Nein. eLKi niemand mehr da. Er.blickt unter,die Sipbäitke._8Ms. HM