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4» Skafts» Hauptzoklamt kommt mit ihrem langen Bahnsteig, er füllt von ziehenden Morgennebeln. Da sollte er auSstetgeri. Mechanisch griff er nach seiner Aktentasche und sinkt wieder zurück. Er kann nicht. Erst muh er einen Entschluß gefaßt haben, in dieser seltsamen und unerhörten Angelegenheit. ES ist ia soviel Zeit bi« zum Beginn der Bureauftunden. Und schließlich: nach fünf Jahren darf man sich's Wohl einmal er lauben, rin« Viertelstunde zu spät zu kommen, wenn man bis her zücht «ine einzige Minute im Dienst versäumt hat. Er bleibt allein im Wagen. Um diese Zett fährt niemand in der Richtung gegen Heiligenstadt. Ein Schaffner schreitet an den Fenstern des Zuges vorüber, blickt gleichgültig durch die Scheiden, geht weiter. , Der Zitz rollt über die Wtenbrücke. Plötzlich öffnet sich der Blick auf das schmutzige, armselige Wasser. Seine Hand greift nach dem TäschMn — einen Augenblick lang ist ihm zumute, al- müßte er eS Hinunterschleudern wie etwas Böses, Tückisches, Unheildrohendes. Aber gleich darauf krampfen sich seine Finger fest um da« kühle, glatte Leder. Das ist doch Unsinn. Er hat sink gute Erziehung genossen und weiß, was sich schickt. Ge funden« Sachen gibt man auf der Polizei ab, fertig. So steht e- im Gesetz. Und so hat er es gelernt, daheim bei den Eltern und in der Schule. Er zieht die eine der beiden Noten heraus und betrachtet sie, ganz ruhig und kalt, wie der Forscher ein seltsames Insekt. Tausend Mark. Da steht» auf dem gelben Untergründe, dessen verschwimmeude Töne an das Farbensptel eines Giftpilzes er innern. Darunter die Unterschriften von zwölf Bankmonarchen. Und recht- ein FraueNkopf, das Gesicht blickt kalt und hoch mütig. Dieser Kopf ist ein Symbol des Reichtums; seelenlos, kalt, ein Bild ohne Gnade. Aber für so ein elendes Stück Papier kann man sich kaufen, was das Herz begehrt . . . Also morgen wird er zur Polizei gehen und die Verlust anzeige erstatten. Natürlich wird er den gesetzlichen Finderlohn bekommen: zehn Prozent. Umständlich überlegt er: das gibt bei zweitausend Mark zweihundert. Donnerwetter, was für ein Glückspilz er ist! Zweihundert Mark fallen ihm in den Schoß, für nichts und wieder nichts. Freilich, eine Zeitlang mutz nian aus die Auszahlung des Geldes warten. Wenn sie ihm auf der Polizei nur keine Scherereien machen —, am Ende ihn gar verdächtigen —, pfui! Er ist doch ein Mensch von guter Erziehung. Und halt auf sein Aeutzeres, kleidet sich nett, eigentlich weit über seine Verhältnisse. Nein, ihm wird man schon Vertrauen schenken; Leute, die gut angezogen sind, können überhaupt niemals in einen schlimmen Verdacht kommen. Selbst wenn sie wirklich . . . Ein scharser, Heitzer Schmerz reißt plötzlich den Faden seiner Gedanken ab. Er greift sich an die Stirn ... Ist es Wirklich wahr? Tauscht er sich nicht? Nein. nein. Jetzt fällt ihm jedes Wort ein, daS der Portier in Heiligenstadt gesagt hat, als er einem armen Teufel Auskunft gab, der eine goldene Armband uhr im Zuge gefunden hatte: »Für Gegenstände, die im Wagen verloren wurden, gib?« keinen Finderlohn." Richt» wird er bekommen, gar nicht». Und warum nicht? Warum belohnt das Gesetz nicht die Ehrlichkeit eines armen Teufel»? Welch entsetzliche Versuchung, so viel Geld zu finden und nicht- behalten zu dürfen! Zweitausend Mark! Zwei tausend Mark! Die Gedanken kreisen im rasenden Wirbel um die Zahl Die eisernen Räder rattern: zweitausend Mark. Eine dumme Operettenmelodie fällt ihm ein. Der Text ist: Zweitausend Mark. Sein Atem gHt schwer. Und jeder Stoß aus der Brust keucht: Zweitausend Mark. Jetzt werden sie ihn im Bureau vermissen. Es wäre doch aut, sich telephonisch zu entschuldigen. Ein plötzliches Unwohl sein — oder schlimme Nachrichten von seinem kranken Vater — oder irgend etwas, eS fvird ihm schon einfallen . . . Was liegt daran, wenn er eine Stunde zu spät kommt. Den kleinen Rück stand arbeitet er schon auf. Der Zug hält unter wahnsinnigem Kreischen der Räder. Er springt hinaus, rennt die Stufen hinunter, immer drei auf einmal. Die kalte Lust wirkt wie ein erfrischendes Bad. Wo ist er denn eigentlich? Richtig, am Schottenring. Ein elegantes Taft zeigt seine blitzblanken Spiegelfenster. Rasch hinein und an» Telephon. Der Prokurist am Apparat spricht im freundlichen Tonfall. Rakurlich, er soll sich schonen. Wenn er erst morgen kommt, macht's auch nichts. Man kennt ihn doch als einen der Pflicht» getreusten und gewissenhaftesten Beamten, ja — ja — Schluß. Die Glocke schrillt. Tief aufatmend sinkt er zurück in die Weichen roten Polster möbel. Der Kellner steht vor ihm und nimmt die Bestellung entgegen. Er bestellt ein Frühstück, wie ein großer Herr, der weit draußen, irgendwo in der vornehmen Welt daheim ist und ein paar Tage hier in Wien Absteigequartier nimmt. Der Kellner bringt einen Stoß der prächtigsten illustrierten Zeitschriften. Der Gast greift nach dem .Studio". Ein flüch tiger Blick fliegt durch den eleganten Raum. Er ist der einzige Gast zu so früher Stunde. Auch der Kellner hat sich diskret zurückgezogen. Die Hand, die das -Studio" hält, zittert ein wenig. Da legt er das Blatt hin und greift in die Brusttasche — nach dem grünen Täschchen. Ruhig nimmt er die beiden Tausendmark- scheine heraus, und steckt sie in seine Brieftasche. Und jetzt zittern seine Finger nicht mehr. Das Auge, das vorhin scheu und ängstlich in den Hintergrund des Kaffeehauses geblickt hat, wird groß und starr, als hätte es sein ersehntes Ziel gesunden. Den Füllofen, neben der Telephonzelle. Wie ihn das schwarze Ungetüm anstarrt mit seinen kleinen, rotglühenden Augen sternen, seinem breiten Maul, wie ein dicker, boshafter Mops . . . Noch einmal steht er das grüne Täschchen an, sorgfältig darauf bedacht, daß man ihn von der Straße aus nicht beob achten kann. Eigentlich ist es schade darum.. Ein feiner, zarter Duft entströmt von dem dunkelroten Atlassutter aus . . . Aber das grüne Täschchen muß fort — fort . . . Der Kellner kommt mit dem Neusilbertablett und stellt das Frühstück vor ihn hin. Er ißt mit der Gier eines Menschen, der tagelang gehungert hat. Dann steckt er sich eine Zigarette an und lehnt sich behaglich zurück. Und wieder haftet sein Blick an dem Ofen. Der hat jetzt das eine seiner roten Augen ge schloffen und zwinkert mit dem andern zu ihm herüber, als wollte er fragen: Wird's bald? Ja! Der dicke schwarze Mops, der soll das Täschchen fressen. Er steht auf. Leise schleicht er sich an den Ofen, leise öffnet er die Tür, den Blick aus den Kellner gerichtet, der in der ent ferntesten Ecke steht und an den Fensterscheiben vor Langeweile trommelt. Eine heiße Luftwelle schlägt ihm aus der Ofentür entgegen. Ueber dem rotglühenden Kohlenhaufen zucken bläu liche Flammen. Kohlenoxyd —, das weiß er noch von der Schule her. Diese Flämmchen geben eine ungeheure Hitze. Ein letztes kurzes Zögern, dann fliegt das grüne Täschchen in die Glut. Es windet sich hin und her, zischt und knistert, es bäumt sich ein letztes Mal auf und sinkt dann zitternd zu einem Häuf chen Asche zusammen. Dieses letzte drohende Aufbäumen — das hat etwas Grau siges, Unheimliches — ah, pah! Er ist kein dummes Kind. Furcht? Lächerlich. Man hat ihm einmal erzählt, daß mensch liche Leichen im Verbrennungsofen sich fürchterlich krümmen und verr-nken sollen, wie — wie — nun, wie dieses grüne Täschchen da. Er schüttelt das Grauen ab und kehrt wieder auf seinen alten Platz zurück. Jetzt ist alles, alles gut. Draußen vor den -p-g.Sfenstern flutet die Großstadt vor über. Mitten im Gewühl von Wagen, Automobilen, Fuß gängern, wie eine F-lseninsel im Meer, steht der Wachmann. Sein braunes Gesicht blickt in die Richtung des Kahlenberges, weit, weit in die Ferne. „Kellner, zahlen! Sie können mir ja wechseln, nicht wahr?" Seine Stimme klang hart wie Metall. Der Kellner verbeugt sich tief und »» das reiche Trinkgeld ein. Dann hilft er dem Gast voll Eifer in seinen Ueberrock. Er tritt hinaus in den Nebelmorgen. Hart an dem Wach mann schreitet er vorüber, sieht ihn ruhig an. Und auf seinem Gesicht ist ein Ausdruck von starrem Hochmut. Wie bei der Frau auf dem gelben Schein, der so schillert wie ein farben- spielender Giftpllz.