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Beilage zur Weiheritz-Zeilung M. 49 Mittwoch, am 27. Februar >926 95. Zahroang — Reichspräsident v. Hindenburg hat sich auf Grund der Darlegungen der Stahlhelmführer entschlossen, seine Ehrenmitgliedschaft beim Stahlhelm beizubehalten. - Reichsaussenminister Dr. Stresemann sprach sich im Zentralvorstand der Volkspartei scharf gegen eine Reg,e- rungskrisc aus. — Der afghanische Machthaber Habib Ullah hat die Schließung sämtlicher afghanischen Gesandtschaften ange ordnet. — Der Primanermord in Berlin ist jetzt vollkommen aufgeklärt. — Die Stadt Görlitz ist ohne Kohlen. — Im Kanal ist der deutsche Dampfer „Lippe" ge sunken. Die 70 Mann starke Besatzung konnte gerettet werden. — Der Fährverkehr zwischen Deutschland und Däne mark ist infolge der Eisschwierigkeiten unterbrochen Das friedlose Europa. A.S. Die Veröffentlichung des französisch-bel gischen Militärvertrags aus dem Jahre 1920 und des Zusatzprotokolls von 1927 erregt nach wie vor die Gemüter. Die amtlichen Stellen in Paris, Brüssel und London versichern zwar treuherzig, das Utrechtsche Dagblad sei einer groben Fälschung zum Opfer gefallen, doch wird man in Paris hoffentlich nicht das Ansinnen an die Welt stellen, sich mit diesem Bescheid zu begnügen. Dazu sprechen die Tatsachen zu sehr für die Existenz solcher Vereinbarungen, und dazu ist das gegenseitige Mißtrauen, das aus London und Paris immer neue Nahrung erhält, in Europa schon zu groß geworden. Sind nun die vom Utrechtschen Dagblad veröffent lichten Dokumente echt? Die Möglichkeit, daß sie echt sind, besteht. Ohne Zweifel! Ein schlüssiger Beweis ist natürlich schwer zu führen. Politische Dokumente sind leichter zu fälschen als Banknoten, und wer nicht gerade den Namen eines toten Staatsmannes unter seine Schriftstücke setzt, braucht kaum befürchten, bei dem Verkauf seines Geheimpaktcs die Treppe hinab- geworfen zu werden. Umgekehrt können natürlich auch die Regierungen die Unechtheit eines Dokuments nur schwer be weisen, es sei denn, sie veröffentlichten die verdäch tigten Vertrüge. Dazu wird man aber in Paris und Brüssel in diesem Falle kaum Neigung haben. „Frei willige" Anerkennungen eines Geheimdokuments erfol gen nur sehr selten, und dann meistens auch nur dann, wenn jedes Leugnen zwecklos geworden ist. So war es z. B. bei der Enthüllung des englisch-fran zösischen Flottenpaktes, als der amerikanische Journa list Horan wider Moral und Standespflicht ferne Ge währsmänner preisgab. Wichtiger noch als die Frage, ob das Utrechtsche Dagblad die Geheimverträge wortgetreu wiedergegeben hat, ist die, ob die Darstellung der holländischen Zei tung sachlich richtig ist. Trifft es zu, daß franzö sische, belgische und entzlische Generäle Aufmarschpläne ausgearbeitet haben, dre unter Verletzung der hollän dischen Neutralität durch Holländisch-Limburg in das Ruhrgebiet führen? Trifft es zu, daß Belgien aus einem Scheitern der Scheldeverhandlungen mit Hol land notfalls einen Grund zum Kriege herleiten will? Trifft es zu, daß die beltzische Regierung zu Gunsten Frankreichs an der italienrschen Grenze Blutopfer brin gen möchte? Ist es wahr, daß Frankreich und Belgien bereits dann mobilisieren wollen, wenn Deutschland oder ein „irgendwie von Deutschland unterstütztes Land" Neigung zur Nobilisierung bekunden? Noch steht nicht endgültig fest, ob derartig heraus fordernde Abmachungen zwischen dem belgischen und dem französischen Generalstab unter Assistenz der Eng länder getroffen worden sind, fest steht jedoch bereits heute, daß Belgien und Frankreich zwar ihren Bündnis vertrag in Genf hinterlegt, das Abkommen der Ge neräle über die Durchführung des Vertrags jedoch geheimgehalten haben! Und was bürgt uns dafür, daß — wenn der von Holland enthüllte Geheimvertrag unecht ist - der wirkliche Geheimvertrag nicht ebenso ungeheuerlich ist wie der angebliche? Die Sache mag ausgehen wie sie will, Unruhe und Mißtrauen bleiben auf jeden Fall zurück. Der frühere italienische Staatsmann Nitti hat nur zu deut lich gesehen, als er vor Jahren seinem Butt, über das Europa der Nachkriegszeit den Titel gab: „Das fried lose Europa". Diesen Charakter aber wixd Europa solange behalten, wie es seinen Staatsmännern die Möglichkeit gibt, so wie bisher an der Krankheit un seres Erdteils herumdoktern zu können. Es geht nicht mehr an, daß die Staatsmänner sich gemeinsam an den Tisch setzen und Kriege ächten und Friedens versicherungen austauschen, während die Generäle im Halbdunkel rote Aufmarschstratzen in das Gebiet des Nachbars einzeichnen; es geht nicht mehr an, daß man die europäische Zusammengehörigkeit betont wäh rend weitze und farbige Franzosen am Rhein die euro- PSische Zerrissenheit dokumentieren, und es geht auch nicht mehr an, oatz man den Frieden mit der Auf rechterhaltung des Versailler Statuts gleichsetzt! Man kann einen Machtspruch nicht durch Friedens politik stabilisieren wollen! Aber für die Franzosen ist Friedenspolitik gleichbedeutend mit der Erhaltung des Bestehenden, und darum klommen wir trotz aller Vesten dem wirklichen Frieden nicht näher. Die große Mehrheit des deutschen »olle» will ehrlich mit Ost und West zur Befriedung Europa» beitragen. Wenn man un» aber vom Westen her immer wieder mit Mißtrauen überschüttet, dann ist e» Zett, Cicherun- Len gegen die Bedrohungen -u schaffen, die mit den Zusammenkünften der französischen, belgischen und eng- Vschen Generäle zusammenhänaen. Weiß Gott, was diese Herren Immer wieder zusammenführt' Stresemann an die Parteien. Schluß mit den Regierungskrisen. Gegen die Verzerrung : des parlamentarischen Systems. AAf der entscheidenden Tagung des Zentralvor standes der Deutschen Volkspartei richtete Reichsaußen- minister Dr. Stresemann einen Appell an alle Par teien, von dem Spiel mit immer neuen Regierungs krisen Abschied zu nehmen. Der Minister gab zunächst eine Darlegung der letzten Koalitionsverhandlungen und fuhr dann fort: Täuschen wir uns nicht darüber, wir stehen in einer Krise des Parlamentarismus, die schon mehr als eine Vertrauenskrise ist. Diese Krisis hat zwei Ur sachen: einmal das Zerrbild, das aus dem Parlamen tarischen System in Deutschland geworden ist, zweitens die völlig falsche Einstellung des Parlaments in Bezng ans seine Verantwortlichkeit gegenüber der Nation. Der Minister beschäftigte sich darauf mit dem Sinn des parlamentarischen Systems und betonte, nirgends bedinge das parlamentarische System die Verteilung der Ministerien nach der Frak tionsstärke oder den Uebergang des Regierens vom Kabinett auf die Fraktionen. Im übrigen sei der Ein tritt wie das Ausscheiden der Minister von ihrer per sönlichen Verantwortlichkeit abhängig; ein „Zurück ziehen" der Minister durch die Fraktionen bedeute, daß die Persönlichkeit nicht mehr bestehe und mache den Minister zu einem Beauftragten von Organisa tionen. Dr. Stresemann betonte dann, manche Krisis würde in dem Augenblick zu Ende sein, wo der Reichs präsident ein Machtwort spreche. Man würde den Reichspräsidenten' zu einer Unterzeichnungsmaschine berabwürdigen, wenn man die Forderung erhebe, diese ober jene Minister müßten ernannt werden. Aus der gegenwärtigen Lage, so fuhr der Minister fort, er gäben sich folgende Konsequenzen: Ein Rücktritt der Reichsregieruug könne nicht in Betracht kommen. Unsere Sachverständigen in Paris wurden der moralischen Stütze entbehren; wenn sie in dem Augenblick, wo sie die Entscheidung über die Zu kunft von Generationen träfen, den Zusammensturz der Regierung sehen müßten. Er halte es für die Pflicht derjenigen Männer, die am Stener stünden, auf ihrem Platz zu bleiben, auch wenn Sturmwellen über das Schiff spülten und die Mannschaft zur Meuterei neige. Höher als die Rücksicht auf die Partei steh« das per sönliche Verantwortungsgefühl gegenüber dem Staat. Seiner Ansicht nach bestehe keine Möglichkeit, die heu tige Regierung durch eine neue zu ersetzen. ES sei geradezu eine Groteske, wenn in einer Zeit, wo all« geistige Intensität auf die Pariser Verhandlungen kon zentriert sei, der Reichskanzler und der Außenminister tagelang nichts anderes, als aussichtslose Versuche mache» müßten, die Parteien einander näher zu bringen. Wenn ein Sturz der Reichsregierung nicht in Frage kommen dürfe, sei doch eine Ergänzung des Kabinettes notwendig. Nach der Seite Hugen bergs komme sie jedoch nicht in Betracht. Nach kurzem Eingehen auf die Frage der Preußenkoalitton fuhr Minister Dr. Stresemann fort: Sind die »rücken endgültig abgebrochen und sieht vor allem die Preußen- sraktion selbst sachliche Bedenken, jetzt in die prenßifch« Regierung einzutrete«, so mutz die Entwicklung im Reich« lediglich auf Grund der Reichsinterefse« er folgen. Im weiteren Verlauf seiner Rede schilderte Dr. Stresemann noch, wie der Steuerzahler wie eine Zi trone ausgequetscht und wie dem Bauer die letzte Kuh weggepfändet werde. Dadurch werde die Bildung stiller j Reserven unmöglich gemacht. Die stillen Reserven der ! Wirtschaft seien aber auch die des- Staates. Die Ge- j barung der Ausgabenwirtschaft in Reich, Län- ; dern und Gemeinden könne einen nur mit Grauen er- : füllen. Mit dieser Politik dürfe es nicht weitergehen, i wenn wir nicht sehenden Auges in den Abgrund stürzen j wollten. Der Wettstreit der Parteien um die Popu- ! laritätshascherei müsse aufhören. Minister Dr. Stresemann erklärte dann noch, seine Ausführungen richteten sich k gegen ven Parteigeist im ganzen Reich«. Es gehe ein Raunen durch das Land von illegalen ! Bestrebungen und Diktaturplänen. Er glaube, daß ' wir vom Faschismus noch weit entfernt seien. Jeder j verstehe unter der Diktatur den Diktator seiner Wünsche, und sobald er zwischen de« Widerstreitenden Inter essen entscheide« müsse, werde er bald die Opposition gegen sich wachsen sehen. Es gebe z«dem niemanden, der sich den Wahnwitz vorstellen könnte, daß ein Man« , wie Hindenburg sich z«r Verletzung der Verfass««- hergeben würde. Aber wir müssen ««» bemüh««, eine Reform de» Parlamentarismus herbeizuführe«. Wille zur Wehrhaftigkeit! Ein «ortra- de» Generaloberste« v. Leeckt. — RüstnngSausgleich al» Fried«nssicheru«g. Generaloberst v. Seeckt, der Schöpfer der Reichs wehr, sprach im ehemaligen Herrenhause in Berlin - über den Willen zur Wehrhaftigkeit. Redner erklärte, , gerade derjenige, der den Krieg mit seinen furchtbaren Folgen kenne, würde alle Mittel begrüßen, die den Ausbruch einer solchen Katastrophe verhindern könnten. Greifbare Anzeichen für die Ausschaltung des Kriege» lägen aber nicht vor. Die Idee des Friedens sei schön, entscheidend sei jedoch die rauhe Wirklichkeit. Ein ge- funder Staat müsse sich in erster Linie , auf die tigcur Kraft verlasst.. können. Deutschland könne auf den Abrüstungsver handlungen noch so oft betonen, daß ihm das Recht zustehe, die Abrüstung der anderen zu fordern. Diese würden nie freiwillig das tun, wozu Deutschland ge zwungen worden sei. Wolle man über die Abrüstung zu einer Friedenssicherung komme», so würde der Weg weniger über die Abrüstung an sich, als über einen verständige» Rüstungsausgleich führe«, de»« in der völlige« Verschiedenheit der Rüstungen liege die wirk liche Kriegsgefahr. Inmitten dieser gerüsteten Wett stehe Teutfchlauv mit seiner Gefahr bergenden mi litärisch-geographischen Lage. Deutschland werde fast von jedem europäische» Krieg «»mittelbar berührt. Die Sicherheit seiner Grenzen sei nur dnrch eine Rüstung z« erreichen, die eine wirksame Abwehr ermögliche- Diese Rüstung sei heute in ausreichendem Maße nicht vorhanden. Gewiß sei die Reichswehr gut und könne uns mit Stolz erfüllen; doch seien ihre Stärke und Bewaffnung völlig unzureichend. Innenpolitisch könne der Wehrwille in körperlicher Ertüchtigungs arbeit des Einzelnen und in geistiger Erziehungs arbeit seine Betätigung finden. Die Außenpolitik dürfe nie vergessen, daß unsere heutige Wehrlage eines großen selbstbewußten Staates unwürdig sei. Holländischer Schritt in Paris. Aufklärung über den enthüllten Kriegs pakt verlangt. — Die fälligen Dementis. Im Auftrage ihrer Regierung haben die hol ländischen Gesandten in Paris und Brüssel Schritte nntcrnommen, um festzustelle», ob »er bo» dem Nt- rcchtsche« Dagblad veröffentlichte angebliche Wortlant des belgisch-fraüzösische» Geheimvertrags von 1929 nn» »es Zusatzprotokolls von 1927 echt ist. Die holländische Presse ist über den Inhalt der angeblichen Vereinbarungen und die in Rechnung ge stellte Verletzung der holländischen Neutralität aufs äußerste empört. Es spreche von schlimmster Unmoral, so schreibt, sie, wenn England, das sich 1914 zum Ver teidiger Belgiens aufgeworfen habe, jetzt an ein«« Pakt beteiligt sei, der Hollands Rechte mit Füße« trete. Die englischen und die französischen Zeitungen bezeichnen die Darstellung des Utrechtschen Dagblad» als eine grobe Fälschung, ohne aber Beweise für ihre Behauptung anführen zu können. Selbstverständlich haben Belgien, Frankreich un» Englanv sofort Dementis losgelafsen. ES verdient je doch Beachtung, »aß »aS belgische Dementi ausdrück lich bestätigt, daß die auf Grund des belgisch-franzö sischen Militärvertrags zwischen den Generalstäben ge troffenen Vereinbarungen geheimgehalteu wurde«. * -d, Ein Dementi der englischen Botschaft in Berlin. — Berlin, 27. Februar. Die englische Botschaßt in Berlin erklärte, ein englisch-belgisches Abkomme« im Jahre 1927 sei nicht abgeschlossen worden, des gleichen hätten keine Besprechungen zwischen den Gv- neralstüben der beiden Ander stattgefunden. Reichspräsident und Stahlhelm. Hindenburg von »en Erklärung«« »«r Stahlhelm- Mhrer befriedigt. — B«ibchalt»«g »er Ehrenmitglied- schäft. Wie der Presse von unterrichteter Seite mitgetetlt wird, verwahrten sich die Bundesführer des Stahl helms Seldte und Duesterberg bet dem Empfang durch den Reichspräsidenten gegen die vielfach in der Oeffent- lichkeit gegen den Stahlhelm verbreiteten Unterstellun gen und die Fälschung seiner Kundgebungen. Zwar stände der Stahlhelm in Opposition zu dem parlamen tarischen System und seiner Handhabung. Er Hütte aber stets betont, daß der Stahlhelm seine Ziele nur auf legalem Wege verfolge. Bezüglich der Artikels in der Bundeszeitschrist zum 70. Geburtstag Wil helms 11., wiesen die Bundesführer daraus hin, dah in diesem Aufsatz nur von dem persönlichen Treue- Verhältnis des alten Soldaten zum obersten Kriegs herrn die Rede sei, und daß mit diesen Ausführungen selbstverständlich der Diensteid der Beamten in keiner Weise in Frage gestellt werden sollte. Der Stahlhelm lege vielmehr seit feiner Gründung entscheidenden Wert darauf, daß die ihm zugehörigen »«amten sich in vor bildlicher Pflichttreue im öffentliche» Dienst betätige«. — Dör Reichspräsident «ah« diese Erklär»«- mit Be friedigung entgegen und -ad die »ersicheruug ab, da» er aus seiner Kenntnis der Ziele des Stahlhelms, dem er feit langen Jahre« al» Ehrenmitglied «ngehöre, keine andere Halt««- erwartet habe. Der Reichspräsident v. Hindenburg hat nunmehr dem Reichskanzler sowie dem Reichsminister des Inner« von diesem Verlauf der Aussprache Kenntnis gegeben und hinzugefügt, daß er bei dieser Sachlage keinen Anlaß sehe, seine Ehrenmitgliedschaft beim Stahlhelm — um eine solche, nicht um den Ehren vorsitz, wie in der Press« irrtümlich behauptet wurde» handele eS sich — ntederzulegen. Tatsache oder Phautaste? Eine umwälzend« Erfind««-? — St« Gprechfilm ße» i« all«« Sprache« sprech««. Nach der Meldung eine« Berliner MittagSblatttA, die sensationell aufg-sog«? ^^ei« AEikllE Edwin Hopkin» sogenannte „vivigraphische 8«»»" M» fanden haben. ->