Volltext Seite (XML)
Schmiedet» gorstav siegte sein gutes Herz über die innere Abneigung. Gewiß, er würde niemals von der fixen Idee der armen Kranken sprechen. Mehrere Tage sprach man in Fritzenhagen über die junge Frau, die einem so wunderlichen Unfall zum Opfer gefallen war. Dann hatte man an anderes zu denken, und auch Florinde setzte sich wieder an ihre Arbeit oder ging eine Viertelstunde mit Glauber, der sie regelmäßig abholte. Das kleine Haus Friedheim war nicht mehr so fried voll. Hilde lag im Schlafzimmer ihrer Schwiegermutter, und diese hatte sich tn ein kleines Zimmer im Keller ein quartiert, daß gewissermaßen übrig und, wie sie erklärte, sehr angenehm war. Kathrine aber flüsterte, daß das Zimmer sehr feucht wäre und daß ihre Gnädige schon einen bösen Husten hätte, der dort nicht besser würde. Die Fräuleins Baumann durften dies nicht wissen, aber sie merkten doch, daß sie bessere Zimmer bewohnten als die Hausbesitzerin. Sie dachten daran, auszuziehen, vielleicht würde die Pastorin ihnen auf kurze Zeit ein Zimmer ein räumen. Wiederum mußten sie doch auch Frau von Lörrach helfen, die sich leicht zu viel zumutete. Florinde war so unvorsichtig, diesen Gedanken gegen Glauber auszusprechen, der in die Höhe fuhr. „Sie werden zu mir ziehen I" sagte er in seiner her rischen Art. „Ich habe Platz genug, der Garten ist in Ordnung, das Haus gleichfalls. Ich kann Sie morgen in der Frühe holen lassen!" Florinde war so entsetzt, daß sie nicht gleich ant- wortete. Dann wurde sie böse. „Was fällt Ihnen ein? Meinen Sie, daß ich in Ihr Haus ziehen würde? Und Schwester Leontine! Niemals würde sie sich dazu herbci- lassen!" „Nein, natürlich nicht!" Glauber wurde, entgegen feiner sonstigen Bärbeißigkeit, niedergeschlagen. „Natür lich nicht! Was ist mir in den Sinn gekommen! Ich bin ja ein Halunke, ein Elender, ein — Florinde unterbrach ihn. „Reden Sie nicht weiter, Max! Wir sind alt und ver ständig geworden; an alte Geschichten wollen wir nicht denken. Aber bei Ihnen wohnen wollen wir nicht!" „Gewiß nicht!" erwiderte er traurig und ging langsam davon. Langsam und mühselig. Florinde sah ihm nach. „Es ist sonderbar", dachte sie. „Er hat mir sehr viel Leid zugefügt und ich kann ihm doch nicht mehr böse sein!" * * * „Es ist ein kleiner Junge gewesen!" Lutz hörte noch immer die mitleidige Stimme des Arztes. Ein kleiner Junge! Einer, der später mit Lutz aufs Feld lief, der seine kleine Hand in die seine steckte und der vielleicht nicht so töricht handelte, wie sein Vater ge handelt hatte. Er würde ihm schon vernünftig zugeredet, ihm erzählt haben, wie man sein Leben aus lauter Un verstand und Torheit zerstören könnte, und wie es besser war, seine Mutter lieb zu haben und seinen Vater. Seine Mutter? Lutz, der allein über die Landstraße lief, blieb stehen. War seine Mutter so, daß der Junge sie lieb haben mußte? Ach, er lebte ja nicht! Es stand ein winziger kleiner Sarg in der Familiengruft — Lutz hatte ihn selbst hingcstellt, und Pastor Elwers hatte ein Gebet gesprochen. Es war feierlich gewesen und Lutz hatte sich bemüht, nicht zu weinen. Es war alles vorüber, .Hilde lag schwerkrank bei seiner Mutter und der Arzt sprach davon, daß cs besser wäre, sie käme in ein Sanatorium. Noch nicht, sie war nicht stark genug, aber nach einigen Wochen. Sanatorium. Wenn die Frauen dahinein kamen, dauerte es manchmal Jahre, ehe sie wieder erschienen, manchmal niemals. Lutz hatte nicht viel von seiner Ehe gehabt; aber weshalb heiratete er so töricht? Weshalb darüber grübeln? Wie es war, so war es einmal. Es war gut, daß er seine Mutter hatte und seine Arbeit. Er Wollte fleißig sein, das half über manche trüben Gedanken. V» Als er sich seinem Hof näherte, wandelt» dort Frau Wenninger. Er war ihr fett dem traurigen Ereignis an dern Wege gegangen. Sie hatte geschrien und laut ge weint. Geholfen hatte sie nichts, sie meinte, daß ihre Kräfte versagten. Die Herrlich und das Küchenmädchen waren besser gewesen und der alte Verwalter ganz rührend. Was wollte die Wenninger eigentlich noch hier? Lutz hätte sie beinahe gefragt, ob sie nicht zu ihrem Manne reisen wollte, dann unterließ er eS. Mochte sie vorläufig hier bleiben. Weder die Herrlich noch da- Küchenmädchen waren sehr freundlich gegen sie, und die alte Hühnerfrau ging ihr aus dem Wege, well sie immer fragte, ob sie nicht frische Eier für sie hätte. „So ein Schmarotzer!" hatte sie neulich von ihr gesagt, Lutz mußte lachen, als er daran dachte. Aber eigentlich durfte er nicht lachen, er mußte traurig sein. Und er ging auch heute der Wenninger auS dem Wege. Er ahnte nicht, daß eine große Unruhe über die Wen ninger gekommen war, daß sie schlecht schlief und sich freute, als sie einige Flaschen Wein entdeckte, die in Hildes Kleiderschrank standen. Wollte Hilde sie trinken? Ihre Mutter wußte eS nicht, aber sie nahm sich eine und dann eine andere Flasche und stärkte sich vor dem Schlafengehen. WeU sie doch so sehr unruhig schlief und wenn sie die Augen schloß, so häßliche Bilder sah. Hilde hatte es doch nicht getan! Sie hieß doch nicht Minchen, sondern Hilde. Wie sollte sie zu solchem Ver gehen kommen? Natürlich, sie war ganz unschuldig. Feldern war von einer anderen getötet; aber eS ist häßlich, wenn man sich etwas einbildet. Dann geht der Schlaf weg, und ein Glas Wein ist das richtige. Jeden Tag ging die Wenninger zum Hause der Frau von Lörrach und fragte nach dem Befinden. Der Weg wurde ihr schwer, aber sie mußte ihn doch gehen. Meistens war Kathrine an der Türe und meistens war der Bescheid derselbe. Die junge Frau läge ganz still und dürste niemand sehen. Kathrine machte ein so sremde- Gesicht, als hätte sie Mine Wenninger niemals gesehen, und obgleich Mine dies richtig fand, hätte sie gern ein mal mit der Köchin gesprochen. Es war gerade, als wollt« niemand etwas von ihr wissen. War sie denn nicht die Mutter? Eines TageS stand Frau von Lörrach an der Tür und antwortete freundlicher als Kathrine. Da fragte die Wenninger, ob sie nicht ein mal bei ihrer Tochter sitzen könnte, wenn die Pflegerin ihre Ruhestunde hätte. Frau von Lörrach zögerte. Die Kranke wäre ost sehr unruhig und wollte das Bett verlassen. Man müßte sehr acht geben, daß sie nicht falsche Bewegungen machte. Frau Wenninger wurde aufgeregt. Hatte sie nicht selbst drei Kinder gehabt, und eines war auch tot ge wesen? Wüßte sie nicht mit Kranken umzugehen? Ein Redeschwall ergoß sich über Frau von Lörrach, daß sie sehr zurückhaltend wurde. Aber sie empfand doch Mitleid mit dieser Mutter, die ihr Kind nicht einmal pflegen durfte. Am nächsten Tage mußte die Pflegerin einer Be sorgung wegen in die Kreisstadt. Wenn Frau Wenninger um die Mittagszeit einige Stunden bei ihrer Tochter sitzen wollte, könnte man es einrichten. Am anderen Tage war Mine Wenninger da. Sie hatte in der letzten Nacht wieder gar nicht geschlafen und Gespenster gesehen, wie sie sagte. Daher nahm sie einen tüchtigen Schluck Wein, ehe sie nach Friedheim ging und stand dann neben dem Bett der Tochter. Sie sollte sie nicht anreden, wie Leontine flüsterte, die mit dieser Wach« nicht einverstanden war, aber man durste die leibliche Mutter nicht ausschalten, wenn sie helfen wollte. Leontine war müde. Die letzten Tage mit Hilde waren sehr angreifend ge wesen, weil die Kranke immer unruhig war, viel vor sich hinflüsterte und immer aus dem Bett verlangte.