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so feucht, ein rechter Weg schien es nicht zu sein, besser war es, wieder nach der Landstraße zurückzulehren. Aber viel leicht hatte Hilde den Revolver über die Hecke geworfen. Es fiel ihr nicht ein, daß die Waffe lange gefunden sein mutzte, hätte sie hier gelegen. Hatte sie sie nicht weg- geschleudert und war nicht auch ein Gesicht in der Ulme erschienen? Hilde blieb stehen, um dann zusammen- zusahren. , ES stietz sie etwas in den Rücken. Ms sie sich umdrehte, sah sie einen jungen Ziegenbock, der seine Hörner zum zweiten Mal an ihr versuchen Wollte. Sie schrie auf und lief weg; er kam hinterher. Sin Salb begann gleichfalls hinter ihr her zu galoppieren da überkam sie sinnlose Angst. Eine Hecke trennte diese Kiese von einer anderen. Hilde kletterte über sie und sprang in einen schlam migen Graben, der hinter dieser Hecke lag. Sie schrie noch lauter und suchte sich gegen etwas Schleimiges, Entsetz liches zu wehren, das sie umgab. Mit äußerster An strengung befreite sie sich aus Schlamm und Morast; ein Molch kroch über ihre Hand; war es eine Schlange, die nach ihr schnappte? Sie sagte zuerst nichts; aber als sie sich aus dem Graben gearbeitet hatte, stieß sie einen wilden Schrei aus, daß Helga Bering, die am äußersten Ende der Wiese hinter einer Staffelei stand, so schnell sie konnte, herbeilief. Als Lutz von Lörrach angeregt und zufrieden aus dem Krug kam, begegnete er einer Tragbahre, auf der, mit Schlamm bedeckt, seine Frau lag. Auf Anordnung von Frau von Lörrach, die Helga zu Hilfe gerufen hatte, Lvrd- die junge Frau in ihr Haus gebracht. » » » Doktor Glauber hatte sich angewöhnt, fast täglich in der Nähe von Frtedheim zu sein, wenn Florinde spa zieren ging. Leontine war immer ärgerlich, wenn sie die gebeugte Gestalt des wunderlichen Mannes sah, aber sie äußerte ihren Aerger nur gegen Frau von Lörrach, und seit zwei Tagen sagte sie gar nichts mehr. Wenn die Menschen aus dem Alltag gerissen werden und merken müssen, daß es andere Gewalten gibt als kleinliche Rachträgereien, dann vergessen sie die Kleinlich keit. Besonders, wenn für sie eine Arbeit kommt, die sie lange vergessen wähnten und von der sie nun empfinden, datz sie ihnen lieb war. »Wie steht es?" fragte Glauber, während er neben Florinde hergtng, die sich ernsthaft auf ihren großen Schirm stützte und nicht gleich antwortete. Er mußte die Frage wiederholen, ehe sie stehenblieb und mit ihren klaren Augen über das Moor blickte, an dessen Rand beide gingen. „Wie es steht? Ich weiß es nicht. Der Doktor ist sehr ernsthaft, und Leontine läßt sich auch nichts aus. Sie wissen wohl nicht, daß meine Leontine einmal Krankenpflege gelernt hat. Damals, als sie noch jung war. Sie verstand daS Pflegen gut, aber später kamen Jüngere in das Krankenhaus und da zog sie sich zurück. Nun war es ein Segen, daß sie hier war, als das arme Geschöpf bei uns eingeliefert wurde. Sie hat sie von dem entsetzlichen Schlamm gereinigt, der wie Pech an ihr klebte, und sie hat ihr auch sonst geholfen. Es ist gut, Herr Glauber, wenn es barmherzige Frauen gibt, die keine Furcht emp finden vor allem, was einen armen Menschen befallen kann. Frau von Lörrach hat gleichfalls getan, was sic konnte, aber Leontine war doch die Hauptperson." ' „Was ist daraus geworden?" Glaubers Stimme klang ungeduldig. „Ja, Glauber, Sie mögen nicht, wenn ich Leontine lob«. Ich erlaube mir, dies zu tun. Was sonst daraus geworden ist? Ein toter Knabe ist geboren worden, und die arme, kleine Frau hat ihren Verstand noch nicht „Sie hat überhaupt keinen gehabt!" murmelte Glauber. Florinde blieb stehen. „Sie sagen, sie hat keinen gehabt? Wissen Sie, daß ich manchmal denke —", sie hielt inne und sah sich ängstlich um. „Der Wind hört es nicht und auch nicht das Moor, und Sie können sagen, was Sie wollen, Florinde. Aber vielleicht ist es besser, es nicht zu sagen. Wem nützen Sie damit? Weder der Frau auf ihrem Krankenlager, noch der Familie, die außerordentlich zu bedauern ist." „Der arme Lutz!" Florinde wischte sich eine Träne aus dem Auge. „Gewiß, der arme Lutz! Eigentlich muß man sagen, der dumme Lutz! Hat er sich nicht sein Leben so verbuttert, daß man nicht recht weiß, wie er sich wieder herausfinden soll? So ein dummer Kerl!" „Andere Leute haben sich ihr Leben auch verdorben; wenn sie es auch anders anfingen!" erwiderte Florinde ernsthaft, und Glauber sagte nichts. Schweigend gingen die zwei weiter. Ter Wind kam vom Moor und raunte vom Herbst, der schon leise zu arbeiten begann. Bunte Blätter warf er achtlos vor sich her, hier und dort einen weißen Faden. Altweiber sommer — ach, auch für die alten Männer kam der Herbst! Nach einer Weile des Schweigens drehte Florinde um. „Heute gehe ich nicht weiter, ich habe im Hause zu tun. Es ist wohl eine Pflegerin gekommen, aber sie fragt vor- - läufig nur danach, wie viele Mahlzeiten sie am Tage und in der Nacht bekommt. Wir sind alle noch nicht recht ein geschult, um eine Kranke so zu behandeln, wie sie be handelt werden muß!" „Und diese Mutter Wenninger?" Ueber Florindes Gesicht glitt ein Lächeln. „Ach, die ist auch noch nicht im Bilde, lieber Glauber!" „Eine tolle Kruke!" sagte er, und beide alten Leute lachten wie einstmals in ihrer Jugend. Dies Lachen löste bei ihnen eine versöhnliche Stimmung aus. Daß Glauber glücklich war, lieber Glauber genannt zu werden, ließ er sich natürlich nicht merken, im Gegen teil, sein Gesicht war unfreundlicher als sonst. Als Florinde ihm einen Gruß für Helga auftrug und hinzu setzte, daß sie sich bei dieser Sache sehr gut benommen habe, begann Glauber zu brummen. „Das war alles selbstverständlich!" „Selbstverständlich?" Florinde war entrüstet. „Das sagen die Männer, wenn die Frauen sich gut benehmen! Würden Sie die arme Frau aufgelesen und veranlaßt haben, daß ihr geholfen würde? Ich bin überzeugt, Sie wären scheltend davongelaufen! „Kann schon sein!" gab er zu. „Also grüßen Sie Helga und bitten Sie sie, bald zu uns zu kommen! Wir können ihre Hilfe sehr wohl ge brauchen!" Glauber war entlassen und ging eilig davon. Er ging über den Kirchhof und auf den Pastor zu, der gerade aus seinem Hause kam. „Was sagen Sie zu dem Drama, das sich hier ab spielte?" fragte er. Elwers antwortete nicht gleich. „Ich kann wenig urteilen, Herr Doktor! Die arme, junge Frau scheint geistig umnachtet zu sein. Die Pflegerin, die ich eben sprach — sie wollte etwas von meiner Frau —, erzählte, daß sie in ihren Phantasien immer etwas suche. Einen Revolver oder etwas Aehn- liches. Die Pflegerin meinte, sie hätte sich vielleicht ver hört." Glauber faßte deu Geistlichen am Nock. „Sie dürfen niemals, unter keinen Umständen von diesem Suchen der Frau von Lörrach erzählen. Unter keinen Umständen!" „Sicher nicht!" Pastor Elwers richtete sich in die Höhe. Glauber, der nicht einmal in seine Kirche ging, hatte ihm eigentlich keine Vorschriften zu machen, aber dann