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' DK Lange kannte sie eiZentliih nur in gkoßer Tölleffe, deni» er sah sie meist nur, wenn sie den Kindern in Eite den Gutenachtkuß gab, den sie ost auch noch vergaß. Fast schien es dem Langen, als ob der Kleine ihm da etwas voraus hatte, und je mehr er darüber nachdachte, desto mehr ärgerte ihn die Feststellung, daß hier eine Lücke in seinem Leben war, die er nicht mehr aussüllen konnte. Verstohlen sah der Kleine zu dem Langen hinüber. Hatte er ihm wehe getan, als er den Gedanken an die Mut- tzr herausbeschwor? Nichts hatte ihm seiner gelegen als dies. Und so stillte er denn die Gläser neu und wartete, daß der Lange etwas sagen würde. Einen Augenblick herrschte eine beängstigende tiefe Stille. Die Augen des Langen schillerten grünlich hinter den zufammengekniffenen Lidern, und seine Stimme hatte einen verächtlichen Klang, als er mit einem gewissen Nach druck die Worte hervorpreßte: »Ein jeder redet so, wie er cs versteht. Der eine sieht die Frau, besonders die Mutter, vor sich, hoheitsvoll, stolz, elegant, als Mittelpunkt der gesellschaftlichen und geistigen Sphäre ihrer Umgebung; der andere denkt an seine Mut ter als Haussrau mit Pantinen, die Butterstullen schmie rend, zurück. Jeder nach seinem Geschmack!" Der Kleine war zusammengezuckt. Sollte er diese Worte aus sich beziehen? Rein! Das konnte doch nicht möglich sein, daß der Lange seine Mutter höhnen wollte. Und so faßte er sich denn schnell wieder, und sagte äußerlich ruhig: »Ich weiß nicht, ob gerade jetzt, wo der Alkohol die Gemüter schon ein wenig erhitzt, ein Gespräch über das heilige Thema .Mutter' am Platze ist. Was ich aber dazu noch sagen möchte, ist dies: Ein jeder liebt seine Mutter, wie sie ihm in der Erinnerung geblieben ist. Ob sie nun in der Balltoilette vor unserem geistigen Auge vorüber zieht, oder ob sie, als Witwe eines-Arbeiters, am Wasch trog ihre Tage verbringen mutz. Ist sie Mutter gewesen, so werden ihre Kinder an ihr mit jener Liebe hängen, die eben nur die Mutterliebe hervorzubringen vermag." „Sie hätten Theologe werden sollen! Donnerwetter, können Sie feierlich werden!" Der Lange lächelte sein ge ringschätziges Lächeln. Der Kleine sah sich auf falschem Gleis. Was erzählte er da eigentlich Dinge, die den Langen nicht interessieren konnten. So suchte er denn aus das Ausgangsthema zurückzu kommen. . ' „Der plötzliche Aufbruch der Damen hat uns ganz von unseren Bobgedanken abgebracht. Um auf die Meister schaft zurückzukommen: Wann werden Sie zum Training in Schierstädt sein?" „Das Weitz ich doch jetzt noch nicht! Glauben Sie, datz ich mir das so einrichten kann wie ihr Kaufleute? Klappe einfach mein Hauptbuch zu, übergebe den ganzen Läden meinem Prokuristen, stoppe die Taschen voll Geld und reise los? Nee, mein Lieber, unsereiner hat auch noch gesell schaftliche Verpflichtungen. Erst kommen die Bälle hier in der Gegend, dann die großen Festlichkeiten in Breslau und Berlin, und im Anschluß daran werde ich erst Zeit finden, mich für den Bobsport freizumachen." Der Kleine war traurig. Er hatte sich schon so sehr auf die Zeit des Trainierens gefreut. Tagsüber Sport, und abends saß man zusammen. Dann konnte auch der Lange ganz gemütlich sein, wenn er erst einmal eine Weile her aus war aus seinem feudalen Winkel hier. Und „sie" war dann da, und alles war schön, sonnig und so schneerein, daß dem Kleinen schon beim Gedanken daran das Herz aufgegangen war. Nun sollte auch diese Hoffnung vergeblich sein; der Kleine freute sich nur noch halb so sehr auf die Meister schaft. Denn kurz vorher hatte er sportlich so viel zu tun, daß er zu anderem kaum Zeit finden würde. Doch über seinen Gedanken hatte er ganz vergessen, dem Langen zu antworten. „Das bedaure ich aufrichtig. Aber natürlich haben Sie auch Ihre Verpflichtungen gesellschaftlicher Art, von denen ich mich diesmal völlig freimachen muß, denn die Vor- s bereitungen zur Meisterschaft erfordern meine frühzeitige Anwesenheit in Schierstädt." Wieder lächelte der Lange sein höhnisches Lächeln, das ihm einen teuflischen Ausdruck verlieh. Was hatte der Kleine gesagt? Gesellschaftliche Verpflichtungen, von denen er sich freimachen mußte? Nannte Ler etwa die Kalbs- keulenpekkos bei Bürgermeisters und Apothekers Gesell schaft? Was sich diese Leute Heuzutage plötzlich alle ein bildeten?! Gaben einfach „Gesellschaften"! Alle verrückt geworden?! Und hier saß der Punkt, an dem er des Kleinen Ueber- heblichkeit von vorhin ausgleichen konnte. Ordentlich ducken wollte er den Kerl, daß der seine „gesellschaftlichen Ver pflichtungen" ein für allemal vergaß. Seinen ganzen Zynismus legte er daher in die Worte, die er so verächtlich wie möglich hervorbrachte, während er den Kleinen lauernd ansah: „Das wird allerdings ein schmerzlicher Verlust für das Städtchen sein, wenn Sie in dem Augenblick nicht zur Stelle sind, in dem man bei Eisbein und Sauerkohl Ge sellschaft spielt." Dem Kleinen schoß das Blut zu Kopf. „Auch bei uns gibt es Menschen, die sich freuen, wenn sie zusammenkommen können." „Mag ein schönes Geschnatter sein! Es lebe die Ge selligkeit!" Der Kleine war aufgesprungen. Blatz bis in die Lippen sah er dem Langen in die grünlich schillernden Augen. Und auch der Lange hatte sich erhoben. „Herr Graf, als ich dieses Haus betrat, hoffte ich, bei einem Edelmann freundliche Aufnahme zu finden. Leider sehe ich mich in dieser Hoffnung getäuscht. Ihre letzten Aeußerungen waren derartig kränkend für mich, daß es mir zu meinem Bedauern nicht mehr möglich ist, auch nur eine Nacht in Ihrem Hause zu verbringen." Als der Lange etnlenkend etwas sagen wollte, fuhr der Kleine in dem gleichen ernsten Ton fort: „Ich bitte, den Diener zu veranlassen, meinen Chauf feur zu wecken und sofort meinen Wagen zu bestellen. Der Komtesse werde ich brieflich den Grund meiner plötzlichen Abreise mitteilen. Weitere Entschliessungen irgendwelcher Art behalte ich mir vor!" Mit stummer Verneigung verliess der Kleine den Lan gen, begab sich auf sein Zimmer, kleidete sich in aller Hast um und packte die wenigen Sachen zusammen. Den Willkommengrutz der Schwester tat er zu ihrem Briefe in die Brusttasche. Einen Moment überlegte er, ob er auch den Strauß auf dem Tisch mitnehmen sollte. Doch dann entschloß er sich, ihn stehenzulassen. Nur eine Blume brach er ab, die er in den Umschlag des Briefes steckte. Als er wenige Minuten später, durch das Motor geräusch des vorfahrenden Wagens zur Eile gemahnt, die Treppe herunterkam, glimmten im Kamin die Reste des Feuers, an dessen wärmenden Schein er sie heute abend sitzen gesehen hatte. Sonst war im Hause alles still. In der Diele wartete der Diener, half dem Kleinen in den Mantel und öffnete ihm dann den Schlag des Wagens. Der Kleine ließ den Chauffeur steuern. Am Ausgang des Parkes sah er sich noch einmal um. Nur undeutlich erkannte er die Fassade des Schlosses. Hinter zwei Fenstern brannte noch Licht; hinter dem einen die Hellen Flammen einer großen Krone, hinter den: ande ren ein gedämpftes Licht. Und jetzt war es ihm, als ob sich dort, wo der sanfte Schein durch die Scheiben drang, eine Gestalt vom Fenster löste und ins Zimmer zurücktrat. Aber er konnte sich auch getäuscht haben. lSortfetzung folgt.)