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Mutter und Söhn hatten sich im ganzen wenig zu sagen gehabt. Frau von Lörrach war nie zärtlich gegen ihn gewesen, und Lutz hatte nie das Bedürfnis gehabt, sich mit seiner Mutter auszusprechen. Er war gleichgültig gewesen, und sie kühl. Heute empfand er etwas wie Be dauern, aber er hörte doch ost von anderen Söhnen, daß sie ihre Mutter nicht verstanden, well sie altmodische An sichten hatten. Die Jugend regierte eben heutigen Tages — die Alten mußten sich dareinfinden. Es war aber angenehm hier. Frau von Lörrach'be reitete den Tee, im Ofen brannte ein Helles Feuer, die Lampe knisterte leise. Solche Petroleumlampe war doch nicht so übel — hier gab es natürlich noch keine Elektrizität. Zuerst war eine kleine Pause, dann begann Frau von Lörrach von der Landwirtschaft zu sprechen. Wie sie den Hof bewirtschaftet hatte, was der alte Verwalter sagte. Sie hatte jetzt eine kleine Schafzucht, die Geld einbrachte, ein Verwandter von ihr habe dazu geraten, und es war kein Risiko dabei. Lutz antwortete und merkte, daß er sich auch für diese Frage interessierte. Er war auf zwei Gütern Volontär gewesen, die Leute hatten ihm nicht gefallen, aber gelernt hatte er doch etwas, wie er jetzt entdeckte. Erst nach einer Welle kam Frau von Lörrach auf seine Heirat zurück. „Du willst noch mit deiner Frau nach Italien reisen?" „Ich dachte daran, wenn ich das Geld habe!" „Ich habe sehr wenig Geld!" sagte Frau von Lörrach. „Vielleicht entsinnst du dich, daß du dir kurz vor Weih nachten eine größere Summe schicken ließest, das war un gefähr alles, was ich auf der Bank liegen hatte. Es kom men die Löhne, die Steuern, ich fürchte, du wirst etwas Geld aufnehmen müfsen, um diese Reise zu machen. Die Kreissparkasse wird es dir schon geben, sie verlangt aller dings recht hohe Zinsen, aber du wirst die Schuld schon sehr bald wieder herausholen, wenn du vernünftig wirt schaftest." „Du hast wohl auch Geld zu deinem Hausbau ge braucht?" „Allerdings!" Frau von Lörrach lächelte kühl. „Mein Vetter, Baron Neuhaus, der im vorigen Jahre starb, hat mir die Summe vermacht und noch dazu eine Rente, so daß ich ohne große Ansprüche bescheiden leben kann." Lutz erinnerte sich dieser Erbschaft; auch, daß er damals gebrummt hatte, weil der Onkel ihm nichts vermachte. Aber er hatte ihn ja kaum gekannt. „Versteht deine Frau etwas von der Landwirtschaft?" sragte Frau von Lörrach jetzt, und Lutz schüttelte verdrieß lich den Kopf. „Erst fragt mich Kathrine, dann du — nein, Hilde versteht nichts von der Landwirtschaft. Sie war in einem Geschäft angestellt und konnte nicht noch mehr leisten." Daßtn, ckls seine Mutter ihn ernst ansah, setzte er hinzu: „Sie ist eben aus einfacher Familie, von ihr kann man nicht verlangen, daß sie mit Butter und Käse und mit Schafzucht Bescheid weiß!" „Zu solchen Dingen braucht man nicht aus vornehmer Familie zu sein!" entgegnete seine Mutter kurz, schwieg eine Weile und sprach dann von anderen Dingen. Lutz von Lörrach schlief schlecht in dieser Nacht, obgleich er in seinem Jungenzimmer wohnte, das ihm immer ge fallen hatte, in seiner halben Unordnung, mit bunten Bildern an den Wänden, mit Knabenbüchern, die er einst mals gern las, mit Angelgeräten und verschiedenen Dingen, die ein junger Mann liebt. Aber er konnte nicht einschlafen. Weshalb hatte er eigentlich Hilde so Hals über Kopf geheiratet? Weshalb hatte er sich bereden lassen, der Lieb schaft ein schnelles Ende zu bereiten, indem er heiratete? Ein oder zwei Liebschaften hatte er gehabt, ohne ans Heiraten zu denken, aber hier hatte man ihn festgehalten. Weshalb war er nicht aüsgerissen und erst einmal hierher gekommen? Als er endlich einschlief, war es gegen Morgen, und wie er spät ins Eßzimmer trat, blieb er überrascht stehen. Eine dicke Frau saß am Kaffeetische und begrüßte ihn mit breitem Lachen. „Ja, mein guter Junge, das hast du dir wohl nicht ge dacht, daß deine Schwiegermutter einmal nachsieht, wie es hier aussieht? Gestern abend bin ich auf der Station an gekommen und habe heute früh gleich einen Wagen ge nommen. Hilde kann noch nicht reisen, sie liegt mit Grippe, und der Arzt sagt, sie muß sich schonen, aber ge fährlich ist es nicht, und da bin ich hergekommen." Lutz war so verblüfft, daß er nichts sagen konnte. Er mußte seine Mutter ansehen, die vor der Kaffeemaschine saß und mit etwas unergründlichem Gesichtsausdruck auf die Unterhaltung der Frau Wenninger hörte. Diese sprach unaufhörlich. Daß sie nicht gedacht hätte, das Haus wäre so einfach, und die Gebäude auf dem Hofe wären wohl sehr alt. Daß wohl etwas gebaut werden müßte, wenigstens tapeziert, und daß die Schlafstuben einrichtung erneuert werden müßte. Bei diesen Reden aß und trank sie mit großem Appetit und benahm sich, als wäre sie schon immer hier gewesen und hätte alles zu bestimmen. Ihrem Schwiegersohn schmeckte der Kaffee nicht be sonders, und das kräftige Landbrot quoll ihm im Munde. Als das Hausmädchen eintrat, um noch heißes Wasser zu bringen, sah er, wie diese den neuen Gast mit weit geöffneten Augen anstarrte. Hanne war fünfzehn Jahre im Dienste der Frau von Lörrach und nahm sich natürlich Freiheiten heraus, wie die Leute immer taten, wenn sie lange im Hause waren. Ueberhaupt, seine Mutter schien sehr milde regiert zu haben. Es war gut, daß er nun an die Reihe kam. Frau Wenninger schmatzte reichlich beim Essen und goß den Kaffee in die Untertasse, um ihn zu trinken. Diese Manieren waren nicht angenehm. Lutz wußte, daß seine Mutter immer auf gutes Benehmen beim Essen gehalten hatte. Sie reichte ihm jetzt den Brotkorb, und er sah ihre schlanken, festen Hände. Sie waren hart anzufassen, weil sie bei der Arbeit zugegriffen, aber ihre Form war tadel los, und die dicken Hände der Frau Wenninger mit den kurzen Fingern und ungepflegten Nägeln wirkten nicht angenehm. „Du willst wohl jetzt mit Thormann sprechen", sagte Frau von Lörrach im Aufstehen, aber er winkte kurz ab. „Noch nicht, liebe Mama, dieses ist nur ein flüchtiger Besuch. Wenn ich wiederkomme, werde ich mich in alles hineinleben!" „Er muß noch ein bißchen mit Hilde reisen!" sagte Frau Wenninger. „Sie hat es nötig, weil sie zart ist, und sie will so gern Italien sehen. Da gehen so viele hin. Davon muß man sprechen können, nicht wahr, mein Junge?" Sie winkte Lutz vertraulich zu, wischte sich mit dem Handrücken den Mund und erhob sich schwerfällig. „Kalt ist es hier, ja", meinte sie, „aber ein paar Tage will ich wohl bleiben. Hilde meinte auch, daß ich mich umsehen soll. Man mutz doch einen Begriff von allem kriegen!" „Das Gastzimmer kann geheizt werden!" sagte Frau von Lörrach höflich. „Im Winter bietet unser Landleben allerdings nicht viel Abwechslung. Ich werde in dieser Zeit auch viel beschäftigt sein!" „Natürlich! Sie wollen bald umziehen, nicht? Das ist auch besser, Frau von Lörrach, alt und jung passen nicht immer zusammen. Meine Hilde ist auch eigen. Natürlich furchtbar gutmütig, und wenn Sie hier ein paar Möbel mitnehmen wollen, wird sie nichts dagegen haben, nicht wahr, Lutz?" (Fortsetzung folgt.)