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Roman-Beilage Als Frau von Lörrach ihr Häuschen fertig gebaut hatte, brauchte sie es noch nicht, und Pastor Elwers in Fritzenhagen verschaffte ihr zwei ältere Damen, die ein Asyl suchten, wie sie sagten. Sie hießen Leontine und Florinde Baumann, waren ehemals in guten Verhält- nissen gewesen und hatten nichts für ihre alten Tage. Durch einen Zufall, der vielleicht kein Zufall war, hörte Pastor Elwers von diesen Damen und freute sich, ihnen helfen zu können. Nun führte er sie in das sehr einfach eingerichtete Haus und gab einige Erläuterungen. „Frau von Lörrach wohnt auf dem Lörrachhof, zu dessen Ländereien auch dieses kleine Grundstück gehört. Sie ist seit langen Jahren Witwe und hat einen Sohn, der Lutz heißt. Er muß sechsundzwanzig Jahre alt sein; ich habe ihn vor zehn Jahren konfirmiert, aber später nie viel ge sehen. Er hat seine Mutter für sich arbeiten lassen und sich fast gar nicht um den Hof gekümmert. Ein moderner Jüngling, dem man mit Ermahnungen Wohl nicht bei kommen darf. Er hat ein bißchen studiert, ein bißchen Landwirtschaft gelernt; was er nun treibt, weiß ich nicht. Jedenfalls ist Frau von Lörrach eine sehr gute, tatkräftige Frau. Sie werden sie gewiß kennenlernen. Wundern Sie sich nicht, wenn sie Ihnen wenig sagt. Sie mag nicht gern sprechen, aber ihre Leute lieben sie sehr." Der Pastor schwieg und sah die Damen Baumann an, als erwarte er nun eine Aeußerung von ihnen. Die drei Personen saßen in einem Gartenzimmer, das wenig Möbel hatte und einen kalten Eindruck machte. Die zwei Fräu leins waren gut gekleidet, sahen allerdings ein wenig alt modisch aus, aber sie hatten ruhige kluge Gesichter und ernsthafte, schöne Augen. Der Pastor knöpfte seinen Paletot noch mehr zu. „Es ist kalt hier; Sie müssen nachher ins Pastorat kommen und bei uns Kaffee trinken. Meine Frau freut sich schon auf Ihre Bekanntschaft. Es gibt hier wenig Verkehr, die Höfe liegen weit voneinander. Vielleicht haben Sie gesehen, daß meine Kirche, das Pastorat und natürlich der Krugwirt hier allein stehen. Das Dorf Groß- Fritzenhagen liegt eine Viertelstunde weiter landeinwärts." Elwers trat ans Fenster und zeigte die Kirche und das Pastorat, das einige Minuten von diesem Häuschen ent fernt lag. Ein Kranz von Linden umrahmte den Kirchhof, der sich eng um das Gotteshaus und das Pastorat legte. Noch waren die Linden kahl, denn es war in den ersten Tagen des Januar; aber Florinde legte die Hände zu sammen und lächelte zufrieden. „Wenn Sie wüßten, Herr Pastor, wie schwer wir es in der letzten Zeit hatten, Sie würden sich vielleicht noch mehr freuen, als Sie es jetzt tun, uns diesen Hafen des Friedens verschafft zu haben! Arme alte Jungfern sind sozusagen vogelfrei. Als wir noch wohlhabend waren, hatten wir Freunde. Von ihnen sind uns nur die ge blieben, die in derselben Lage wie wir sind. Wir können uns selbst durch unserer Hände Arbeit ernähren, aber unser Haus ist uns vom Wohnungsamt weggenommen und vermietet worden. Nur zwei elende Mansarden durften wir behalten. Wir haben sie vermietet wie die anderen Räume. Die meisten Mieter erklären, keine Miete zahlen zu können. Genug —, wir sind allein und verlassen. Wenn Frau von Lörrach uns nicht drängen will mit der Miete, werden wir sie sicherlich allmählich bezahlen!" Leontine Baumann räusperte sich jetzt. „Liebe Florinde, du darfst den Herrn Pastor nicht mit langen Auseinandersetzungen langweilen. Dann bekommt er Angst vor uns, und das möchten wir doch nicht!" Elwers lachte. „So ängstlich ist der Pastor nicht, meine Damen! Ganz im Gegenteil, ich freue mich, wenn Sie mir einiges von Ihren Nöten erzählen. Wir auf dem Lande haben keine Ahnung von den Zuständen in der Großstadt! Deshalb ist es gesund, einmal von denen zu hören, die Not leiden! Auf Wiedersehen heute nach mittag bei uns!" Er war gegangen, und Florinde weinte ein wenig. „Wie gut ist er! Gibt es wirklich noch gute Menschen?" „Das scheint wirklich der Fall zu sein!" erwiderte Leontine. „Also ein wirklicher Hafen des Friedens!" „Langweilig ist cs hier natürlich!" sagte die Pastorin. Da saßen die zwei alten Fräuleins vor dem gedeckten Kaffeetisch im Pastorat, und die behagliche Pastorin schnitt große Stücke vom Streuselkuchen. „Bitte, langen Sie zu! Helga Bering hat ihn gebacken. Sie hilft mir manchmal, wenn sie Zeit hat. Leider kommt sie selten, da ihr Onkel sehr eigen ist und sie stark anspannt. Und Sie machen so schöne Handarbeiten, meine Damen? Können Sie die berühmten Decken stricken? Da muß man ganz still sitzen und kein Wort sprechen. Nichts für mich! Ich muß meinen Schwatz haben, sonst werde ich melan cholisch. Aber bewundern kann ich aus vollem Herzen!" Es war sehr behaglich in der warmen Wohnstube, und Leontine und Florinde genossen diese Behaglichkeit aus vollem Herzen. Aber sie blieben nicht lange. Sie mußten sich einrichten, mußten Verschiedenes besorgen. Als sie das im Dunkel liegende Haus betraten, er schraken sie, weil eine Lampe in einem der Zimmer brannte. Eine schlanke Dame kam ihnen entgegen. „Verzeihen Sie, daß ich unangemeldet komme. Ich bin Frau von Lörrach und möchte mich erkundigen, wie Sie sich einrichten wollen. Meine Kathrine wird Ihnen zur Hand gehen, Feuerung ist angefahren. Haben Sie noch keinen Blick in den Keller getan?" Frau von Lörrach sprach etwas gemessen. Sie hatte ein feines Gesicht, ernste dunkle Augen und einen leisen Zug von Schwermut um den Mund. Dankesworte lehnte sie kurz ab und ging sehr bald. Aber Kathrine blieb. Eine ältere, vierschrötige Person, die auspackte und einräumte, ohne viel Worte zu machen. Die Fräuleins Baumann sagten jetzt nicht mehr viel. Sie ließen geschehen, was Kathrine anordnete, und sahen sich nur manchmal verwundert an. Sie waren nicht mehr ge wohnt, daß andere Leute sich um sie bekümmerten. Aber es war kein unangenehmes Gefühl. Nach einer Woche machten sie einen feierlichen Antritts besuch auf dem Lörrachhos. Der lag etwa eine halbe Weg stunde von Fritzenhagen entfernt, und der Weg dorthin führte über eine Landstraße, die in der Nähe von Fritzen hagen mit hohen Hecken eingefaßt war, während sie später