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Beilage zur Weitzeritz-Zeitung Nr. 8 Donnerstag, am 10. Januar 1929 98. Jahrgang o Chronik des Tagest , — Die Reichsregierung bat den ReichSbankprästventet Dr. Schacht und den Generaldirektor Dr. Bögler al» HauPL delegiert«, den Bankier Melchior und den Geheimrat Dr Kastl al» stellvertretend« Sachverständige ernannt. — Das Reichsgericht verurteilt« d«n dänischen HaupH mann Lembourn wegen Spionage zu fünf Jahren Zuchthaus — Der Groß« Dtsziplinarsenat für richterliche BeamÜ hat gegen den Breslauer Landgerichtsrat Gollin auf Dienst entlassilng erkannt. — Zn Schönebeck a. Elbe wurden drei Kinder durä Rauchvergiftung getötet. — Der deutsche Skimeister Recknagel sprang in Johann- georgenstadt hintereinander 54, 60 und 62 Meter und übev traf damit die bisherige deutsche Bestleistung. — In der Danziger Bucht haben sich große Schare« - von Seehunden und Delphinen eingefunden, die den Fischeri beträchtlichen Schaden zufügen, weil sie Lie Netze plünderi und zerreißen. — In Lansing (U.S.A.) wurde eine Mutter von zeh> Kindern begnadigt, die zu lebenslänglichem Zuchthaus ver urteilt worden war, weil sie zum vierten Male die Prohibi tionsgesetze übertreten hatte. — Der Ausbruch des Calbueo in der sogenannte« chilenischen Schweiz hat bisher 30 Todesopfer gefordert Deutsche Woche!» Moskau. Die Ankunft des neuen deutschen Botschafters vo« Dirksen in Moskau Kel mit der Eröffnung der Aus stellung „Woche deutscher Technik" in Lei Moskauer Universität zusammen. Da die Ausstelluni als eine Bekundung der deutsch-russischen Zusammen arbeit in Wirtschaft und Technik gedacht ist, begab sici Botschafter v. Dirksen nach der Ueberreichung seine; Beglaubigungsschreiben an den Sowjetpräsidenten Ka linin vom Kreml sogleich zu der Eröffnungsfeier it die Universität. Das Interesse für die Feier und die Ausstellunj war groß. Die russische Regierung war durch di- Volkskommissare Lünartscharski und Kuibyschew der treten, ferner bemerkte man die Herren der deutscher Botschaft, deutsche Gelehrte, russische Wissenschaftler Ingenieure und Vertreter der Presse. Angesichts de- Ueberfüllung der Ausstellung und der Hörsäle erwie! es sich als notwendig, die Eintrittskarten für die erste« drei Tage zu sperren! In den Eröffnungsreden unterstrichen di, russischen Staatsmänner die Besserung der deutsch russischen Beziehungen und das Eintreten beider Völ ker für den Frieden. Botschafter v. Dirksen gab i» seiner Ansprache der Freude darüber Ausdruck, das er sein Amt gerade in dem Augenblick antreten konnte in dem durch die Veranstaltung in der Moskauei Universität die engen Beziehungen Deutschlands uni Rußlands auf technischem und wirtschaftlichem Gebiei aufs deutlichste in Erscheinung treten. Der deutsche Botschafter ging dann auf die ruf. fische Jndustrialisierungsmethode ein und erklärte da- bei, es sei irrig, wenn man in Moskau etwa glaube die deutsche Wirtschaft empfinde über den Ausbal der russischen Industrie Mißbehagen. Im Gegenteil die deutsche Wirtschaft und die deutschen Ingenieur« könnten die russischen Anstrengungen zur Schaffung einer starken bodenständigen Industrie nur begrüßen Die Verkehrsbeziehungen würden dadurch nicht ge lockert, sondern gefestigt. Zum Schluß erklärte sick Botschafter v. Dirksen bereit, im Sinne des verstor benen Grafen Brockdorff-Rantzau die deutsch-russisch, Freundschaft zu pflegen; die Sowjetregierung mög, ihn in seinen Bestrebungen unterstützen. Anschließend nahmen mehrere deutsche Ingenieur, das Wort. Sie überbrachten die Berettwilligkeitserklä- runa der deutschen Ingenieure, der russischen Wirt- schäft bei der Industrialisierung zu helfen, und ein« Einladung der Russen zu dem bevorstehenden Kon greß der deutschen Technik in Königsberg. Zu Ehren der deutschen Gäste gab der Borsitzend« der russischen Delegation für die Verhandlungen mit Deutschland, Stomonjakow, ein Essen, an dem der stell vertretende Letter der Außenpolitik, Litwinow, Bot schafter v. Dirksen und Mitglieder der Sowjetregie rung teilnahmen. In einem Gespräch erklärte sich Botschafter v. Dirksen von dem Verlauf der letzten deutsch-russischen Verhandlungen in Moskau befrie digt, verkannte dabei aber nicht, daß das Moskauer Protokoll nach Lage der Dinge nur eine erste Etappe zur Lösung der Gesamtheit der deutsch-russisch,n Fra gen bilden kann. Von den neuen Verhandlun gen, die Anfang nächsten Monats beginnen, erwartete Botschafter v.-Dirksen weitere Erfolge. Bei dem EmPfangimKreml warf Botschafter v. Dirksen noch einen Rückblick auf die Entwicklung des deutsch russischen Verhältnisses in der Nachkriegszeit. In dem Rapallo-Vertrag sah der Botschafter eine feste und unerschütterliche Grundlage der beiderseitigen Be ziehungen. Im weiteren Verlauf seiner Rede unter strich Botschafter v. Dirksen die innere Notwendigket dauernder freundschaftlicher Beziehungen -wische, Deutschland und Rußland und den Willen der Reichs regterung zur Zusammenarbeit mit Rußland. In der Rede des Präsidenten des Bundesvollzugs auSschusses Kalinin fiel die starke Unterstreich»», des deutsch-russischen Nichtangriffspaktes vom 24. APri >1926 auf. Kalinin wertete diesen Vertrag als eine« Markstein in der Entwicklung der deutsch-russische« Beziehungen und als ein bedeutsames Instrument füi die Sicherung des europäischen Friedens. > Hoffen wir, daß auch dem neuen deutschen Bot schafter in Moskau in seiner gewiß schwierigen Arbet Erfolg beschicken sein wird, damit die deutsch-russt schen Beziehungen von Trübunaen frei bleiben, wie kt< uns leider im alten Jahre beschert waren, und danK beide Regierungen den ihren Ländern vorgezeichnete« Weg weiter beschreiten können. Deutschland brauch gute Beziehungen nach Westen und Osten; es dtew damit seinem eigenen Interesse und dem europäische, Frieden. Die deutschen Sachverständigen, Die Ernennung vollzogen. — Schacht und Böglei Hauptvele-ierte. — Melchior und Kast» Ersatzmänner Amtlich Wird mitgeteilt: Die Reichsreg ieru«, hat in Durchführung der Genfer Vereinbarung vom 1« September 1928 und gemäß dem Sechsmächteabkomme« vom 22. Dezember 1928 z« deutschen Mitglieder« del „Ausschusses von unabhängige«« Finanzsachverständige» j für die Ausarbeitung von Vorschlägen für eine voll ; ständige und endgültige Regelung des Reparation» > Problems" Herrn Dr. Hjalmar Schacht und Herrn Dr ; Albert Bögler ernannt. Als Ersatzmänner «erde» i Herr Dr. Karl Melchior und Herr Ludwig Kastl zu ' gezogen ««erden. ! Die Ernennung der deutschen Sachverständigen er : folgte in einer Kabinettssitzung, der eine Besprechung - des Reichsaußenministers mit dem Botschafter in Pari, j v. Hoesch — der am Mittwoch in Berlin weilte - - voraufgegangen war. Formell dürfte Reichsfinanz ! Minister Dr. Hilferding die Ernennung der obiger ! Persönlichkeiten in Vorschlag gebracht haben. Die offi ! zielle Ernennung der Sachverständigen der europäischer ' Gläubigermächte dürfte am heutigen Donnerstag durH - die Reparationskommission erfolgen. Selbst > verständlich kann die Reparationskommission nur di, . ihr von den Regierungen der Gläubigermächte empfoh- - lenen Männer bestätigen. Die Ernennung der ame- i rika Nischen Delegierten — man hört die Namer Owen Aoung und Robinson — dürfte noch einige Tag, aus sich warten lassen. Als Termin für den Zu sammentritt des Sachverständigenausschusses hat mar offenbar den 5. Februar in Aussicht genommen. * Die Persönlichkeit der Nominierten, j Was die Auswahl der deutschen Delegierten be trifft, war die Ernennung des Reichsbankpräsidenter Dr. Schacht eine Selbstverständlichkeit. Der zweit, Hauptdelegierte, der Generaldirektor der Vereinigter Stahlwerke Dr. Bögler, gehört zu unseren be> kanntesten Wirtschaftsführern; von 1919 bis 1924 halt, Dr. Bögler auch ein Reichstagsmandat inne. Wäh rend Dr. Schacht die Gedankenwelt der internationaler Hochfinanz kennt, wird Dr. Bögler im Reparations ausschuß über die durch die Reparationen in erste, Linie mitverschuldete deutsche Kapitalarmut und ihr, Folgen für die Wirtschaft manches zu sagen haben Dr. Melchior, der Mitinhaber des Hamburger Bank hauses Warburg, kann als Vertrauensmann der deut schen Banken angesehen werden. Dr. Melchior verfüg, über reiche Erfahrungen auf finanzpolitischem Gebiet wie er sich Überhaupt wiederholt durch richtige Be urteilungen schwieriger Situationen ausgezeichnet hat Geheimrat Dr. Kastl gehört dem Präsidium del Reichsverbandes der Deutschen Industrie und der Man datskommission des Völkerbundes an. Die Aufgabe der Delegierten. Zweifelsohne haben die deutschen Sachverständiger eine schwere Aufgabe übernommen. Der optimi stische Bericht Parker Gilberts hat ihre Stellung nock verschlechtert! Immerhin darf man zu den deutscher Persönlichkeiten das volle Vertrauen haben, daß si, den Ernst der Lage kennen und ihre Unterschrift nich unter ein Dokument setzen werden, von dessen Un durchführbarkeit sie überzeugt sind. Es wäre erfreu, lich, wenn der Reparationsausschutz seine Arbeiten er folgreich beendet; sollte das nicht möglich sein, weil sicl die Sachverständigen der anderen Seite den deutscher Darlegungen verschließen, dann ist es kein Unglück wenn die deutschen Delegierten mit leeren Händer von ihrem schweren Gang zurückkehren. Kampf gegen Poineare. Die Radikalen stimmen für den Mißtrauensantrag. — Was wird Poincari tun? Die innerpolitische Lage in Frankreich hat ein, Zuspitzung erfahren. Die Radikalsozialisten, die stärkst, Fraktion dcS französischen Parlaments, hat nach de, Wiedereröffnung der Kammer einen neuen Borstos gegen die Regierung PoinearL unternommen. Unte, dem Vorsitz deS Parteiführers Daladier beschlösse« die Mitglieder der Fraktion — etwa 19« «-geordnet, sollen anwesend gewesen sein — einstimmig, »er Ro gierung Poinearö daS Mißtrauen auszusprechen. Uu der Kriegserklärung den nötige« Nachdruck zu verlei hen, wurde bestimmt, daß jedes Mitglied, »aS gege» den Kvaktions-eschluß verstößt, ausgeschlossen wir». In Paris hat der Beschluß der Radikalen groß, Ueberraschung ausaeMt, ist doch die Verhängung del Fraktionszwanges in der Geschichte- der Radikalsoziali sten fast ohne Beispiel! An sich verfügt dal amtierende Kabinett auch jetzt noch über eine Mehr hett von 40 oder 60 Stimmen. Das Schicksal der Ro gierung ist aber trotzdem ungewiß, »veil PotnoarS i» den voraufgegangenen Tagen andeutete, für den Fall daß die Radikalen geschlossen gegen sein Mtnisteriun stimmen sollten, werde er zurücktreten. Der Ausgani der neuen Krise hängt damit von den Maßnahme» Poinearl-s ab. , Die «ievereröffnuug de» ParlandGtt« nach der äußerst kurzen Weihnachtspauss vollzog st« mit dem traditionellen Zeremoniell. Unter dem - Vir bel der Trommeln zog der Alterspräsident, Abgeord neter Sibille, eskortiert von drei Offizi«sen und «in« Stab von Huissiers, durch das Spalier der Republl kanischen Garde feierlich in den Sitzungssaal ein." i Die Neuwahl des Bureau» verlief »Hue ZivIPheu» fälle. Der Sozialist »»«iffo« wurde mit grÄ« Mehrheit abermals zum Präsidenten gewählt. Au Donnerstag stellte sich vaS neue Vuvean »er Samu«« vor. Dau« entbrannte der Kampf für «uv gegen dal VaS Kabinett Poinoarö. Die Abstimmung über Vst Vertrauens« «uv MitztranenSanträge erfolgt am Schlaf Vee Aussprache, Vie sich bi« zum Freitag hinziehe« viirfte. Die Not der Landwirtschaft. Wiederaufnahme ver AuSschußarbeiten im Preußische, Landtag. — Minister Steiger nimmt da» Wort. Der Hauptausschuß des Preußischen Landtags bs schäftigt sich gegenwärtig mit der Beratung der ein, zelnen Kapitel des neuen Staatshaushaltsgesetzes. Bst der Beratung des LandwirtschaftsetatS nahm au cs Landwirtschaftsminister Dr. Steiger das Wort. Der Minister führte aus, die besorgniserregend, Lage der Landwirtschaft erfordere folgende Maß« nahmen: Steigerung der Erzeugung, Senkung der Lasten un» nachdrücklichste Förderung des Absatzes. Lite Verschuldung der Landwirtschaft sei seit dem ver gangenen Jahre weiter fortgeschritten! Allein di« Zinsbelastung mache gegenwärtig jährlich 1,009 Mil liarden Mark aus! Zum Schluß nahm der Minister, nach einem kur zen Hinweis darauf, daß Preußen 1913 1,1 uni 1928 4,1 Millionen Mark für die Förderung der ländlichen Bildungswesens ausgegeben hat, zu der mehrfach angegriffenen Denkschrift der Preußen lasst Stellung. Nach den Darlegungen des Ministers zeig, sich schon jetzt, daß in nächster Zeit mit einem Ueber- angebot von Gütern zn rechnen ist. In der Debatte kritisierte Abg. PeterS-Hoch donn (Soz.) das Verhalten der Landwirte in einzel nen Gegenden; Abg. Schulze-Stapen (Dntl.) erklärte die Aufnahme-Organisation sei nichts weiter als „gro ber Unfug"; Abg. Roeinah (Ztr.) wies auf die Not der bäuerlichen Betriebe hin; Abg. Dr. Schiftan (D. BP.) lehnte insbesondere eine wahllose Zerschlagung des Großbetriebes ab. Ein neues Marinebauprogramm. ES so» dem Reichstag «och während der Haushalts» beratunge« vorgelegt werden. Gelegentlich der Abstimmung über den sozial demokratischen Antrag gegen den Bau des Panzer kreuzers A wurde im Reichstag ein demokratischer Antrag angenommen, der die Vorlage eines Marine bauprogramms forderte, das unter Berücksichtigung unserer finanziellen Notlage aufgestellt werden soll. Wie eine Korrespondenz mitteilt, ist ein solches Pro gramm mittlerweile im Reichswehrministerium in An griff genommen worden; es soll noch während der Etatsberatungen dem Reichstvehrminister vom Ches der Marineleitung vorgelegt werden. Notschrei der Ostmark. Kundgebung des Ostmarken-BereinS. — Gege« die pol- »ische Minderheiten-Politik. — Für Stärkung »cS deut schen Ostens. Der deutsche Ostmarken-Berein veröffentlicht eine Kundgebung, in der es u. a. heißt: „Zehn Jahre schon gibt die Lüge von Deutschlands Alleinschuld am Weltkriege die Rechtsunterlage zum Ver sailler Traktat. Die mannhafte Erklärung des deutschen Reichspräsidenten von der Stelle seines Weltruhmes bei Tannenberg aus verhallte. Deutsches Blut düngte des heuti gen Polens Boden. Historische un» tatsächliche Fälschun» zeu, nicht persönliche Opfer, gaben ihm die deutschen Ost provinzen. Brutale Austreibung und Vernichtung alles Deutschen sollte die Lüge vom unbedingt herrschenden Polentum dort verschleiern. Die polnische Auffassung von Recht und Mehrheit bezeichnete der deutsche Reichsautzen minister in Lugano treffend als Geist des Hasses, der Liebe ;ur alten Heimat Hochverrat nennt. ' Wilna, Litauens Hauptstadt, wurde trotz der Unter zeichnung des Abkommens von Suwalki, am 7. Oktober 1920 durch Handstreich genommen und Polen einverleibt. Oie in Polen verbliebenen Deutschen werden mit allen Mitteln der Verschlagenheit in brutaler Willkür verfolgt, bedrückt und ihrer Eristenzmöglichkeit beraubt. Immer un- oerhüllter verlangt Polen weiteren deutschen Boden. Ta» umklammerte Ostpreußen wird fälschlich von »er offiziell«« polnisch«« Telegraphen-Agentur al» «32 Fahre w Polen gehörig polnischer Unwissenheit dargestellt. Pol nisch« Studenten in Polen veröffentlichten Hilferufe von »O»VV9 noch nicht national erweckten Polen in „Preußisch» Masuren"» Auch da» »««tsche Schlesien bi» zur Over wir» immer lauter angefordert. Tie wirtschaftliche Bedrängnis Teutfchland» fördert ein fhstematische» vorschiebe« »e» pol nisch«« Besitz«» auf deutfchen Boden. Ti« Rot »«r Grenzgebiete wurde oft betont, auch von Führende« anerkannt. Aber wa» geschah? Tie Parlamente »erfagten ebenso wie die Regierungen. Kompetenzstreitla» leiten und Parteihader verhknderten jede großzügig« Teutsch» t«m»arb«it. Ter deutfche Osten aber blutet au» tausend Wunde«. Polen hat gelernt, Vie Schwäche« anderer er folgreich ««»zunutze». Gedenke »einer Sohn« «n» Enkel RahrungSmSglichteit, deutfche» Volk ohne Ra««!"