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Rr.2 95. Jahrgangs Donnerstag, am 3. Jamar 1929 BeUage zur Weiheritz -Zeitung Chronik -es Tages. — Der Jahresbericht des Reparationsagenten Parier »Wert, der sehr optimistisch gehakten Ist, wbch allgemein ns Erschwerung der deutschen Position aufgefatzt. — Der Preußische Landtag hielt am Mittwoch «in« Sondersitzung ab, um die Abstimmung üb« den kouimuni-- tischen MitztrauenSantrag vorzunehmen. — Berlin, 3. Januar. Der «reuynye «ano. Lag trat gestern zu einer außerordentlichen Sitzung zu* lammen, um die Abstimmung über den kommunistischen Mißtrauensantrag gegen die Staatsregierung vorzu. nehmen. Die Sitzung, die nach 7 Uhr abends eröffnet wurde, war nur von kurzer Dauer. Die Auszählung der abgegebenen Stimmzettel ergab die Ablehnung del Mißtrauensantrages. — Der bischöfliche Administrator von Brixen wurde gepfändet» weil er sich weigerte, aus dem MagiftratSbureau -u erscheinen. — Der Generalresident von Marokko, Senator Steeg, Mt sein RücktrtttSgesuch eingereicht. — In Breslau erschoß bei einer Schlägerei in der Sotwehr ein Poltzeibeamter einen 25 jährigen Arbeiter. — Durch den Eintritt der kälteren Mtterung ist die Hochwassergefahr am Rhein vermindert worden. Ernster Jahresbeginn. A. S. Der ^.eujahrstag steht seit langem n der Politik im Zeichen der Gratülationscour des »idiomatischen Korps bei den Staatsoberhäuptern, koenso alt wie die Einrichtung der NeujahrSempfänge st ihr Zeremoniell. Und trotzdem finden sich in verltn Jahr für Jahr Schaulustige ein, die in Schnee »nd Wintersturm geduldig vor dem Hause des Reichs- »räsidenten ausharren, um die Auffahrt der elegan ten Kraftwagen mit den zweistelligen Nummern zu be- outtdern, goldstrotzende Uniformen zu sehen, das Iknacken -der Gewehre der Ehrenwache und den den präsentiergriff begleitenden Trommelwirbel zu hören, über meist kommen die Schaulustigen nicht auf ihre kechnung. Das gleiche gilt von detr politisch inter- issierten Kreisen, di« ihr Augenmerk auf die Reden in den großen Sälen der Präsidentenhäuser richten. Ausnahmen bestätigen die Regel. Und eine solche llusnahme bildet der Neujahrstag 1929! Die An IPrachen des Reichspräsidenten v. Hindenburg und Ws Reichskanzlers Hermann Müller unterscheiden sich erheblich von den üblichen Neujahrsglückwünschen , »nd werden sicher politische Wirkungen aus lösen. Reichspräsident von Hindenburg hat mit ernsten Worten der tiefen Enttäuschung des deutschen Volkes »der den ergebnislosen Verlauf der Räumungsver- fandlungen Ausdruck gegeben und dabei erneut unter- trtchen, daß die hohen Gedanken des Friedens und »er Verständigung nur zwischen freien Völkern zur iluswirkung gelangen können. Der Reichskanzler aber hat in seiner Neujahrs- msprache eine Bemerkung eingeflochten, die wir als llntwort aus den Jahresbericht Parker Gilberts neh men möchten. Reichskanzler Müller hat nämlich auS- zeführt, es wolle scheinen, als wenn die Fortschritte, »ie wir in den letzten Jahren auf dem Wege zum Wiederaufbau gemacht hätten, manchmal übertrieben vürden und es ausländische Beobachter gebe, die Deutschland in einem Zustand der Blüte sehen, der sicht den Tatsachen entspreche. Wenige Stunden nach »ieser Feststellung bemühte sich der Generalagent für »ie deutschen Reparationszahlungen Parker Gil bert um den Nachweis, daß auch er zu den Leuten kehört, die den deutschen Wiederaufbau und die deutsche Leistungsfähigkeit überschätzen. Der Jahresbericht Parker Gilberts, der übrigen- nit auffälliger Verspätung am Neujahrstage der Kresse übergeben wurde, zeichnet ein ungewöhnlich gün« naes Bild der deutschen Finanz- und Wirtschaftslage, vnt Befriedigung verzeichnet Parker Gilbert, daß Deutschland auch im vierten Reparationsjahre all« Höhlungen loyal und pünktlich geleistet hat. Die Reichsbahn, so lesen wir weiter, befinde sich nach »er Tariferhöhung in einer „starken finanziellen Lage"; im Reichshaushalt könne die Regierung mehrere »undert Millionen ersparen; die Reichsmark «i eine der festen Währungen der Welt; die Reichs bank sei in der Lage, zur reinen Goldwährung über- mgehen, d. h. Noten in Gold umzutauschen! — und chltetzlich spricht Parker Gilbert auch von einer gün- Agen Entwicklung des deutschen Außenhandels. Die französische Presse beeilt sich, die Schlußfol- ferungen aus dem Jahresbericht Parker Gilberts zu netzen. Sie erklärt, Deutschland habe keine Veranlas- !ung, zu seufzen und zu stöhnen, das Reich könne mhlen, eine Neufestsetzung der deutschen Leistungs- ähigketz sei nicht erforderlich. Das zeigt bereits, daß »er Kampf, der in wenigen Wochen im Sachverstän- »igenauSschutz entbrennen wird, durch den letzten Be licht Parker Gilberts für Deutschland erschwert oorden ist! Nutzen wir deshalb die Zeit, um durch einwandfreies Material den Sachverständigen Ein blick in die wahre Lage des deutschen Volkes zu er- möglichen. Parker Gilbert hat in seinem Jahresbericht man- he- Übersehen! Es trifft gewiß zu, daß wir die Reparationen loyal und pünktlich gezahlt haben. Mög- äch war das jedoch nur dadurch, daß wir im Auslands in steigendem Maße Anleihen ausgenommen haben. Wollen wir es so auch in Zukunft halten, dann werde» wir bald soweit sein, daß uns in Amerika nlemani mehr etwa« gibt, weil wir überschuldet sind! Das if aber nicht der Sinn des Dawesplanes; nach den Dawesplan sollen wir die Reparationen nicht durcs Ausländsanleihen, wohl aber durch Aussuhrüber. schlisse bezahlen. Und deshalb ist unsere Leistungsfähigkeit be grenzt. Außerdem Wunen wir di« Reparationen weder erhungern, noch sie dadurch aufbringen, daß wh unter dem Druck Hoy« Zinssätze infolge unser« K» Pitalarmut ganze Wirtschaftszweige ruinieren. Wen» man ab« glaubt, durch eine Verstärkung unser« Aus» fuhr die deutsche Reparationsfähtgkett erhöhen U können, so ist dazu auch d« gute Wille unser« Nach- barstaaten erforderlich, die zusätzlich deutsche War« ausnehmen müssen. Da jedoch im letzten Jahre unfern Ausfuhr nach England und Frankreich rückläufig« Charakter trug, «gibt sich, daß eine Erhöhung der deutschen Reparation- s a ch lieserungen großen Schwie rigkeiten begegnen wird. I ES ist bedauerlich, daß Park« Gilbert in seinem - letzten Bericht vor dem Zusammentritt des Sachver ständigenausschusses wohl das „Funktionieren" des Dawesplanes »«zeichnet, nicht aber die Problematt! der DaweSregelung. Von einem „Funktionieren" des Dawesplanes kann ab« nur bedingt gesprochen wer den. Und die Voraussetzungen für dieses Funk tionieren entfallen mehr und mehr! Parker Gilberts Bericht« Gefährlich« Optimismus. — Die Regierung soll mehrere hundert Millianen Mark einsparen! — Um- tausch »er Reichsbanknoten tn Gold möglich? Der Generalagent für die deutschen Reparations zahlungen, Parker Gilbert, der sich gegenwärtig aus dem Wege nach Washington befindet, übergibt der Presse seinen Bericht über das vierte Reparationsjahr. Es ist der letzte Bericht vor dem Zusammentritt des Sachverständigenausschusses, der Vorschläge zur end gültigen Lösung der Reparationsfrage ausarbeiten soll. Park« Gilbert. Parker Gilbert betont in seinem Jahresbericht, der Dawesplan habe auch im letzten Jahre erfolgreich gearbeitet. Deutschland habe alle erforderlich«: Zah lungen loyal und pünktlich erfüllt. Die Sachlieferun- gett hätten sich beträchtlich vermehrt und gleichzeitig sei eine Fortdauer der in den früheren Berichten be reits erwähnten Tendenz hinsichtlich des Transfers eines wachse,wen Anteils der Annuität in auslän disch« Währung zn verzeichnen. Auch die im Dawes plan vorgesehenen Sicherheiten hätten sich weiterhin zufriedenstellend entwickelt. Die Deutsche Reichsbahngesellschaft habe eine starke finanziell« Stellung, die zurückzufüh ren sei aus die Tariferhöbung und auf die Auswirkun gen einer »«besserten Finanzkontrolle. Die Entwick lung der Geschäftslage der Reichsbahn bestätige die Ansicht, daß »ie Reichsbahn „»urchans in »er Lag« sei, die vorgesehenen Leistungen zu erfüllen", vor. ausgesetzt, daß die Gesellschaft eine Nuge Finanz politik versolge und daß di« Rechte der Ueberwachung und der Kontrolle, die d« deutschen Regierung Vor behalten seien, nicht tn einer Art ausgeübt würden, di« geeignet sei, die Fähigkeit der Gesellschaft, einen ver nünftigen Ertrag aus ihr Kapital zu verdienen, zu stören. Der »entsche Haushalt stehe immer noch unter dem Einfluß der Tendenz, zuviel auszugeben und zuviel zu borgen. Die Län der und Gemeinden, di« im letzten Jahre vom Reich 600 Millionen mehr als im Finanzjahr 1926- 1927 erhalten hätten, hätten immer noch Fehlbeträge zu verzeichnen. Sie forderten deshalb immer grüß«, Zahlungen. Im Interesse der Aufrechterhaltung de, Stabilität des ReichShauShalts sei die Frage ein« neuen Finanzregelung zwilchen Reich, Länder, und Gemeinden dringend. Durch ein« gesunde Rege, lung in dieser Hinsicht könnten Hundert« von Mil lionen gespart werden. Ermutigend fei die Tatsache daß die Einnahmen tn zweckmäßig« Weise verwandi würden. Das Problem bestehe jedoch darin, die Aus gaben der Regierung innerhalb d« Grenzen der ver fügbaren Einnahmen zu halten, und die Zeit sei ge kommen, wo energischere Maßnahmen in Vieser Hin sicht getroffen werden müßten. Für eine wesentlich, Verminderung der Ausgaben seien zahlreiche Gelegen heiten vorhanden. Jedenfalls könne normalerweis, UN» im Lichte der bisherigen Erfahrungen kein Aal! eintreten, wonach das Reichsbudget nicht in »er Lag, wäre, seinen Normalbeitrag an Reparationen plan mäßig zu leisten l? Rev.) Ob «nd inwieweit ein, Erböüuna »er Steuern nötia lei. w«»e von de» vrak tischeu Fortschritte» abhänge», die stt der «ermind« rang der öffentliche» Ausgabe» und st» der Krage de» Regelung des Vet«iltttissts vo» Reich z» Länder* «nd Gemeinden erzielt würden. Im weiteren »«lauf stellt Gilbert dann fest daß der Sachverständigenplan auch den anderen Haupt! zweck, zu dem die Sachverständigen ursprünglich er« - nannt worden seien, «füllt habe« nämlich di« Stal bittsterung der deutschen Währung. Die Goldbestands d« Reichsbank hätten einen Höchststand errett^, rml während der größten Periode des vergangenen Jahve- wäre die Reichsmark eine der festeste» Währungen der Wett gewesen. die Reichsbank könne nunmehr zur reinem «oldwäh. rung übergehen und sich mied« zu« Umtausch der ReichSbmrknoten in «old verpflicht«». Im weiteren Verlauf seines Berichtes führt Par- ker Gilbert noch aus, Deutschlands Produktion und Handel, wie auch die Kreditverbält- nisse hätten den Charakter größer« Beständigkeit angenommen. Deutschland habe zwar nicht wieder, gutmachen können, was der Krieg an Werten vernich tet habe, das gelte aber auch von den andere» Ländern. Die Zinssätze seien zwar noch hoch, hoch sei «S er freulich, daß die Steigerung der Zinssätze auf den wichtigsten Auslandsmärkten keine Steigerung de- deutschen Zinssatzes herbeigesührt habe. Entgegen der bisherigen Gewohnheit Park« Gilberts enthält der Schlußabsatz seines B«ichteS dies mal keine Anregungen oder bemerkenswerte Festste!, lungen. Park« Gilbert betont lediglich, es werd« immer klar«, daß eine endgültige Lösung des Re- parationsproblemS — die durch beiderseitiges Ein verständnis zustandekommen müsse — sowohl im In teresse der Gläubigermächte <us auch Deutschland liege. Das Echo im Auslände. Paris ist begeistert. — Lonidon verzeichnet markant« Feststellungen. — New U«k greift zum Recheustift Der optimistische Jahresbericht Park« Gilbert- Hat in der Presse all« Länder große Beachtung ge sunden. Die französischen Zeitungen sehen in dem Bericht das Hauptstück der Akten, di« die Sachver ständigen durchzuarbeiren haben. Sie unterstreichen die Ausführungen Parker Gilbert- und jubeln, Deutschland müsse aufhören, zu seufzen und sein« Zahlungsunfähigkeit zu betonen. Parker Gilbert be weise, daß di« Gläubigermächte keinen Grund hätten, die Höhe der Jahreszahlungen herabzusetzen. I« „Echo de Paris" ist bereits von einem Zahlungspro- gvamm »le Rev«, auf »as sich »ie Alliierte» grund sätzlich geeinigt habe». Danach soll Deutschland fü, »ie Kriegsschulden IS und für »en Wiederaufbau Bel giens «n» Frankreichs IS Milliarde» Mark zahlen, insgesamt also 29 Milliarden Goldmark. Die englisch« Presse spricht in ihren zusttm- » menden Kommentaren von einem „reichen Deutsch- ' land", das zahlen kann, und von „markanten Um stellungen des Reparationsagenten üb« Deutschlands wachsenden Wohlstand". Die amerikanischen Blätter deuten ihre Zustimmung zu der Bilanz Park« Gilberts bereits durch große Ueberschriften an. In ihren Kommentaren betonen sie noch, Deutschlaiw könne aus diesem Bericht kein« Unterstützung sein« Forderung aus Ermäßigung der Jahresraten herleiten. Die amerikanische» Bankiers halte» mit «eußerungen zurück, nehme» dafür ab« de» Bleistift z«r Hemd und rechnen ans, wieviel Stücke »er Reparations anleihe Amerika übernehmen kann. Der Berater »er amerikanischen Großbanken in »en Unleiheverhand lungen mit dem Ausland«, Winkl«, glaubt, etwa 12 Milliarden Goldmark in den Bereinigte« Staate» unterbringen zn können. Der Irrtum Parker Gilberts. Der deutsche Standpunkt. — Kann die ReichSbanl ihre Noten in Gold um tauschen? — Falsche Ber- gleichsmaßstäbe. Die optimistischen Feststellungen Parker Gilberts finden in Berliner politischen Kreisen starken Wider spruch. Man verweist darauf, daß di« von Parker Gilbert gezeichnete aufsteigendo Kurve den Tiefstand der deutschen Wirtschaft in der Inflationszeit zum Ausgangspunkt hat. Wenn man aber die letzten Vorkriegsjahre heranzieh«, ergebe sich ein wesentlich anderes Bild. Falsche Vergleichsmaßstäb« habe Par ker Gilbert ferner dadurch benutzt, daß er die deutschen Verhältnisse schematisch mit denen anderer Länd« vergleiche. Entscheidend sei das Verhältnis von Ka pitalbedarf und Kapttaldeckung, und da zeige der überaus hohe Zinsfuß, in welchem Mißverhältnis beide in Deutschland zueinander ständen. Deutschland brauche neue Anleihen, Frankreich könne dagegen seit Jahren seinen Kapitalbedarf selbst decken und darüber hinaus Kapital an das Ausland abgeben. I» »en Bank- «n» Börsenkreisen erklärt man, »ie deutsche Wirtschaft könne »ie ihr aufgebürdeten Laste» kaum noch trage». Man vermißt t» dem Be richt ein Eingehch: auf »ie »entsche Berschuldung an »a- AuSlan» un» sieht in »er Anregung, »ie Reichs- banknoten wie»« in Gol» nmzutauschen, ein Ex periment» das sich die »entsche Wirtschaft nicht leisten kann. Die deutsche Presse lehnt die Ausführungen und Schlußfolgerungen Parker Gilberts einmütig al- irrig ab. Die rechtsstehende „Deutsche Allgemeine Zeitung" erklärt sich den Optimismus Parker Gil berts als eine Folge des aetrübten Blickes für diä