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Beilage zur Weitzeritz-Zeilung ^5 Freitag, am 18. Januar 1929 95. Jahrgang Chronik des Tages. — Reichspräsident v. Hindenburg empfing den neuer- nannten Präsidenten des Reichspatentamtes, Ehlau. — Das ReichSkabinett hat die Beratung des neuen Reichshaushaltsgesetzes beendet. — Der Weihbtschof von Berlin, Dr. Josef Deitmer, ist nach kurzer Krankheit gestorben. — Der belgische Senar stimmte der Amnestierung der >m Gefängnis befindlichen Flamensührer zu. — In Afghanistan herrscht ein wildes Durcheinander; man befürchtet bereits, daß Aman Ullah ermordet worden ist. — Der Schiedsspruch in der mitteldeutschen Metall industrie ist von den Arbeitgebern und Arbeitnehmern an- genommen worden. — In Brostau bei Glogau ist der älteste preußische Lehrer und Kantor Gustav Krause im Alter von 102 Fahren gestorben. — Der Oberste Nat der Heilsarmee in London hat den General Booth abgesetzt. — Für eine Zulassungskarte Mr die New Uorker Börse wurde ein Preis von 615 000 Dollar gezahlt. Da mit ist der letzte Rekord, der mit 600 000 Dollar gehalten wurde, überboten worden. — Bei einem Erdbeben in der chinesischen Provinz Lchansr wurden Hunderte von Menschen getötet. Miete und Einkommen. Von Oskar Böhme. Das Verhältnis von Einkommen und Miete ist trotz der hohen Bedeutung dieser Frage und trotz mancher gelegentlicher und Sonder-Erhebungen noch ein reichlich ungeklärtes. Eine Anzahl amtlicher und privater Haushaltungsstatistiken der Vor- und Nach kriegszeit geben zwar Einblicke über das Verhältnis oon Miete und Einkommen; auch einige Großstädte, ferner einige Länder, haben nach dieser Richtung hin wertvolle Untersuchungen angestellt. Gegenwärtig ist der Deutsche Verein für Wohnungsreform damit be schäftigt, die Frage hinsichtlich der Ältmieten zu klären, und die Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Bau- und Wohnungswesen versucht hinsichtlich der Neubaumieten eine ebenfalls sehr wünschenswerte Klar stellung zu erzielen. Schwierig sind diese Untersuchungen auf jeden Fall, denn alle Untersuchungen enthalten eine Unmenge natürlicher Fehlerquellen, die durch straff zu sammengezogene statistische Durchschnittsberechnungen noch vermehrt werden. Einmal sind die Wohn- und Mietverhältnisse in den verschiedenen Gegenden Deutsch lands und in den einzelnen Ortsgrößen recht ab weichend, und zum anderen verschiebt sich innerhalb eines Haushaltes das Verhältnis ost ziemlich schnell, se nachdem, in welchem Umfange Familienmitglieder zur Erhöhung des Einkommens eines Haushaltungs oorstandes mit beitragen und welchen Schwankungen vas Einkommen des Haushaltungsvorstandes wie auch ver mitverdienenden Familienmitglieder ausgesetzt ist. Die Ansprüche hinsichtlich der Deckung des Wohnungs bedarfes sind je nach Größe der Familie, nach Kultur stand und vielen persönlichen Wünschen außerdem so mannigfaltig, daß man oft nicht sagen kann, ob eine Haushaltung mit geringen Mietausgaben etwa eine ausreichende Wohnung besitzt oder ob nicht bei einem allzu hohen Anteil des Einkommens an den Wohnungs- ausgaben ein gedrücktes Einkommen oder zu weit gehende Ansprüche an den Wohnungsbedarf die Ursache zu diesem Mißverhältnis sind. Wohl haben alle umfangreicheren Untersuchungen ver Vorkriegszeit die von den Statistikern Schwabe und Engel eingenommene Auffassung, daß, je ärmer je mand ist, desto größer ist die Summe, welche er im Verhältnis zu seinem Einkommen für Wohnung ver ausgaben muß, bestätigt. Dieses statistische Gesetz wurde jedoch in der Nachkriegszeit infolge der sozialen Um- jchichtung, der großen Wohnungsnot, der Begrenzung ver Mietpreisbildung und der Schwierigkeit, eine den jeweiligen Bedürfnissen und Einkommen entsprechende Wohnung zu erhalten, durch viele Ausnahmen durchbrochen. Bei Beurteilung der nachkriegszeitlichen Untersuchungen über Einkommen und Miete muß man sich aller dieser natürlichen Fehlerquellen entsinnen, vozu noch die weitere Feklerquelle einer Statistik kommt, das, die Spitzenziffern, die besonders krasse Fälle nach- veisen,' in der Durchschnittszahl untergehen. Viele Kritiker von Untersuchungen über das Verhältnis von Niete und Einkommen beachten diese Fehlerquellen and natürlichen Unzulänglichkeiten viel zu wenig oder überhaupt nicht. Dafür wird von ihnän der aus der Vorkriegszeit stammende Satz, daß „der Anteil für Woh- rungskosten ein Fünftel der Gesamthaushaltsausgaben betrage", dazu benutzt, um zu beweisen, daß heute eine Miete tragbar und angemessen wäre, die diesem Verhältnis entspricht. Gewiß war im statistischen Durchschnitt bei den »ntersten Einkommensklassen das^ Verhältnis von Miete »nd Einkommen etwa 1:5, dieses Prozentverhältnis war aber in der Vorkriegszeit schon ein Mißverhältnis und spiegelte nur das Wohnungs- und Einkommens- elend der wirtschaftlich schwachen Schichten wieder. Wenn man auf dieser ungesunden Grundlage eine Un tersuchung über das nachkriegszettliche Verhältnis von Miete und Einkommen aufbauen will, so hätte man aus den Kämpfen der letzten Jahrzehnte um Besserung der Einkommens- und Wohnungsverhältnisfe der breiten Schichten der Bevölkerung nichts gelernt. Inwieweit die höheren Einkommensklassen einen geringeren Miet anteil entrichten, ergeben die großen Untersuchungen über', das Verhältnis von Miete und Einkommen in Hamburg aus dem Jahre 1901 oder in Breslau aus dem Jahre 1900, in sächsischen Mittel- und Klein städten von 1905 bis 1906 Die von mancher Seite vertretene Auffassung, daß gegenwärtig die breite Schicht der Arbeitnehmer den selben Anteil von Mete an Einkommen, wie etwa in der Vorkriegszeit, ohne Schmälerung der Lebenshaltung ausbriugen könnte, ist unrichtig. Es ist schon daraus hingewiesen worden, daß der ver hältnismäßig hohe Anteil der Mete zum Einkommen teilweise ein Mißverhältnis, eine Ursache sozialer Not war, außerdem ist allgemein bekannt, daß die Preise > des übrigen Lebensbedarfes, also die Ausgaben für I Ernährung, Bekleidung, kulturelle Bedürfnisse, gegen- ! über dem Vorkriegsstände außerordentlich hoch ' gestiegen sind. Die Reichsindexziffer für die Lebens- ! haltungskosten im Dezember 1928 stellte z. B. bei > einem Gesamtlebenshaltungsindex von 152,7 fest, daß Vie Ausgaben für Bekleidung 72 Prozent über dem Friedensstand, für Ernährung 52 Prozent, für Hei zung und Beleuchtung 50 Prozent und für kulturelle Bedürfnisse sowie Verkehr sogar 91 Prozent über dem Friedensstand liegen. Eine solche Verteuerung der anderen, ebenfalls wichtigen Lebenshaltungsbedürfnisse verengt natürlich die Kaufkraft eines festen und niedri gen Einkommens. Wirrwarr in Afghanistan. «man Ullah soll vor ein Kriegsgericht. — Oder ist er schon ermordet? — Der Banditcnfiihrer will General werden. — Englands Freude und Scheil Nrens Saat. — Berlin, 18. Januar. Nach den hier eintreffenden Nachrichten herrscht in Afghanistan ein wildes Durcheinander. Es ist ein günstiger Boden für Gerüchte. Fest steht nur, daß der Dhron des neuen König Inayat Ullah bedenklich schwankt und über Nacht zusammenbrechen kann! Die Entscheidung.liegt bei dem Banditenführer Bacha Sa- iuao, der mit seinen 15 000 Rebellen und den Kanonen and Maschinengewehren Aman Ullahs die Berge um Kabul besetzt hält, ja sogar bis in die Straßen Kabuls sorgedrungen ist. Bacha Saquao ist nicht damit zu- srieden, daß Aman Ullah seinem Bruder und Suraja ihrer Schwester Platz gemacht hat, er verlangt Aman Ullahs Kopf, )en ihm ein Kriegsgericht darbringen soll, und gleich zeitig soll ihn der neue König zum General befördern. Bacha Saquao — der Sohn eines Wasserträgers —, »er sich immer mehr in die Rolle eines volkstümlichen Käuberhauptmanns hineinlebt, will also auf einem llmweg zum Thron gelangen. Das Schicksal Aman Ullahs ist noch völlig «nge- viß. Wahrscheinlich hat Aman Ullah in Kandahar, .inmitten seines Stammes der Dnrani, seine Königs» siandarte aufgezogen. Sicher ist das aber noch keines- vegs. Man hört nämlich, daß das Flugzeng, mit den, «man Ullah zu flüchten beabsichtigte, vor dem Start »on den Aufständischen geraubt uud in Brand gesteckt vorden sein soll. Rach einer anderen Darstellung hat «man Ullah daraus im Kraftwagen mit guten Waffen »ersehen, Kabul verlassen. Gerüchte wollen davon visfen, daß das Königspaar ans der Flucht den Anf- tändischen in die Hände geraten sei und angeblich von ihnen ermordet worden ist. Zufrieden mit dem Sturz Aman Ullahs ist nur England, das früher in Afghanistan frei schalten and walten konnte. London zahlte dem Vater Aman llllahS jährlich 250 000 Mark, und fand dadurch in Kabul immer willige Ohren für seine Wünsche. Da Aman Ullah englisches Gold ebenso ablehnte, wie eng lische Bündnisangebote, ist es verständlich, daß man jich in London nach der „guten alten Zeit" zurücksehnte. Vie weit die englische Diplomatie an dem Aufstand beteiligt ist, wird man wohl niemals erfahren. Ebenso richt, ob der große Abenteurer Oberst Lawrenee die Hand im Spiele gehabt j>at. Verdächtig ist es jedenfalls, daß der Aufstand :rst ausbrach, nachdem Oberst Lawrence — der in Arabien und Indien übermenschlich verehrte Scheik llrens — an der afghanischen Grenze aufgetaucht var. Vielleicht war Äman Ullah doch gut beraten, ,ls er seine Häscher nach Oberst Lawrence, dem ..Erz pion der Welt" ausschickte! Man weiß aus dem „Aufstand in der Wüste", vatz Oberst Lawrence sich als Araber unter Arabern fühlt, daß er nichts England zuliebe tut, wie er ja mch seinem König bei einem Empfang in fremder Tracht — einen Dolch im Gürtel, in schneeweißem Burnus und mit einem Kopfputz aus Gold und Seide — zegenübertrat Das ändert jedoch nichts daran, daß vas Werk des Scheik Urens immer den Engländern zugute kam, weil Oberst Lawrence — gewollt oder nicht — doch nur eine Figur auf dem Weltschachbrett varstellt, die sich unsichtbar trefflrch lenken läßt. Aber ver Vorteil Englands ist nicht mit den Erfordernissen ves Friedens identisch. / Hatz gegen Deutschland. Der schlesische Sejm will die deutschen Ingenieure und Techniker answeisen. — Di« Deutsche Gruppe warnt. Seit dem Zusammenstoß des deutschen Außen- j Ministers Dr. Stresemann mit dem polnischen Ver- j treter auf der Völkerbundstagung in Lugano wird von > ver polnischen Presse und den Polnischen Verbänden > eine wilde Hetze gegen die deutschen Ingenieure in der ostoberschlesischen Schwerindustrie betÄeben. Ein eigen artiger Zufall hat es gewollt, daß wenige Stunden ! nach der Rede des polnischen Außenministers Zaleski, in der es hieß, Polen habe keinen „Haß" gegen Deutsch land, der schlesische Sejm in Kattvwitz eine Maßnahme i ergriff, die lediglich vom Haß diktiert ist! i Lie Regierungsparteien brachte« »»ämlich eine« ! DringlichkeitSantrag et«, der den Wojwode« ««ffordert, festznftellen, wieviel deutsche Kräfte in der oftoberfchle- fischen Industrie «och vorhanden sind, «eiter verlangt »er Antrag sofortige Ausweisung aller J«ge«ie«re und Direktoren deutscher Staatsangehörigkeit. Bor allen« sei der Nachweis z« erbringe«, daß Pole« keineswegs , von deutschen Fachkräften abhängig ist. Namens der Deutschen Gruppe wandte sich Chef- ' redakteur Dr. Pant gegen den Antrag und betonte« daß die oberschlesische Bevölkerung keine nationalen Phrasen, sondern Arbeit und Brot wolle. Aber Arbeit und Brot würden in Oberschlesien nur dann vor handen sein, wenn Frieden herrsche. F« der nament lichen Abstimmung wurde der Antrag trotz der deut schen Warnung mit 16 gegen 13 Stimmen -ei 19 Ent haltungen für dringlich erklärt. ! Selbstverwaltung statt Diktatur. ! Die deutschen Parteien protestieren gegen die gesetz widrige Verwaltung ostoberschlesischer Gemeinden. In Ostoberschlesien sind von der polnischen Regie rung mehrere Stadt- und Gemeindeparlamente vor längerer Zeit aufgelöst worden, da der Wojwodschafts- behörde die deutschen Mehrheitsverhältnisse nicht ge- i nehm waren. Sie wurden seitdem kommissarisch durch bestellte Vertreter ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse verwaltet! Besonders typisch für j diese Diktatur ist das Beispiel von Groß-Kattowitz, wo : bereits über ein Jahr lang eine kommissarische Stadt verwaltung an Stelle der aufgelösten, von d«: Bürger schaft gewählten Selbstverwaltung regiert, obwohl nach dem Gesetz spätestens sechs Monat« nach Einsetzung der kommissarischen Vertretung eine Neuwahl des Ge meindeparlaments zu erfolgen hat. Der deutsche Klub im schlesischen Sejm protestierte nunmehr erneut gegen diese Entrechtung der Bürgerschaft und beantragte, durch die Ausschreibung von Neuwahlen den Rechts zustand wieder herzustellen. Da auch die polnischen Sozialisten für den Antrag stimmten, konnte er zur Annahme gelangen. ! ! Amnestie für die Flamenführer. ; Auch -er Präsident des „Rates von Flandern", Dr. j Borms, wird freigelassen. Der belgische Senat beschloß, die noch im Ge fängnis befindlichen Mtglieder der flämischen Bewe- j gung zu begnadigen. Für den Erlaß der Strafen stimmten 72 Senatoren, dagegen einer; 48 enthielten sich der Stimme. Die Amnestie erstreckt sich auch auf ven Führer der flämische,» Autonomisten und früheren Präsidenten des „Rats von Flandern", Dr. Borms. Nach mehr als zehnjähriger Gefangenschaft öffnen sich jetzt auch für den erst zum Tode, dann zu lebens länglicher Zuchthausstrafe verurteilten Dr. Borms die Lore des Kerkers. Die Führer der Flamen sollen Landesverrat begangen haben, weil sie für ihre Volks- zruppe germanischer Abkunft größere Selbstver- valtungsrechte erstrebten und im Kriege ihre Wünsche der deutschen Besatzungsbehörde vorgetragen haben. Deswegen verurteilte man sie 1919 insge samt zu 1435 Jahren Gefängnis. Erfreulicherweise zieht der belgische Senat nun auch unter dieses Kriegs- lapitel den Schlußstrich. Wie verlautet, wird Dr. Borms nach seiner Frei lassung Belgien verlassen. Ein falscher Abgeordneter. Bettelbriefe auf Reichstagsbriefboge«. — Der Erfolg - der Betrügereien führte zur Einstellung von Ang» , stellten! j In einer Pension in Berlin-Charlotten. ' bürg wurde ein Schwindler verhaftet, der mit ge< ,fälschten Briefbogen des Reichstags sich erhebliche Ein» nahmen zu verschaffen gewußt hat. Der Schwindle, ist 35 Jahre alt, von Beruf Schneider und heißt Metzig. Auf bisher noch nicht festgeftellte Weis« hat « sich Briefbogen, wie sie die Neichstagsabgeordneter zu benutzen pflegen, verschafft und ist mit Hilf« diese» Formulare an zahlreiche wohlhabende Lent« mit Bettel, briefen herangetreteu, indem er sie aufforderte, Bei träge für verschiedene Wohlfahrtsstetten und die Ge. fangenensürsorge zu zahle«. Bielsach hatten diese Bries« auch Erfolg, da sie mit „Dr. Stein, M. d. R." oder „Dr Stolzenberg, M.d.R." unterzeichnet waren. Die Geldbeträge ließ sich der Betrüger meist in irgendein vornehmes Hotel schicken. Seinen Schwindet betrieb er zuletzt so großzügig, daß er sich sogar Angestellte hielt! Es war ihm gelungen, in den Reichs tag Eingang zu finden, und mehrfach ließ er sein« Angestellten, um auch diese zu täuschen, dorthin kom- . men und übergab ihnen im Reichstag die von ihm ausgestellten Quittungen, mit denen er sie zu den j angebettelten Personen hinschickte, um die Betrüg« . einzukassieren! Weihbischof Deitmer s. 's Die katholisch« Gemeind« Berlins hat einen herber Verlust erlitten. Weihbischof Dr. Josef Deitmer ist ar einer Lungenentzündung, die einer Grippe folgte, in Berlt» gestorben. Weihbischof Dr. Josef Deitmer, Titularbischof von Sora, Protonotarius Apostolicus a. i. p. und insulierter Prälat, Fürstbischöflicher Delegat und Ehrendomherr an der Dom kirche zu Breslau, Propst bei St. Hedwig in Berlin, wurd« geboren am 12. August 1865 in Münster i. W. Aw 17. Dezember 1887 empfing er die Priesterweihe und kam am 1. Oktober 1892 aus dem Wallfahrtsort Kevela« tu der Diözese Münster als Kavlan nack St. Matkias nack