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Wiedergekehrt. > . ' Von Heinrich Goldmann. «Nachdruck verboten.) Tief verschneit lagen Schloß und Park, und unter ,der weichen Schneelast geduckt schliefen die kleinen . Häuschen des Gutsdorfes im Flvckengestöber der frost klaren Dezembernacht. Die Stille eines zur Ruhe gekommenen Schmerzes stand nin das Herrenhaus. Nur der Lichtschein, -er aus den vier hohen Fenstern des kleinen Saalbaues drang, schien anzudenten, daß im Schlosse noch nicht kür alle Bewohner -er Schlummer gekommen ivar. Aber das Licht schien nicht einem wachen Menschen, der die Ruhe noch nicht finden konnte. Still ragten die Flammen hoher Kerzen um die aufgebahrte Leiche der jungen Schloßherrin. Und doch —? War es nicht, als wenn eben Sie Saalttir unter dem Drucke einer schwachen Hand sich langsam auftat? Nur unwillig nachgebend schwebte -er Türflügel in den geräuschlosen Angeln, und plötz lich trat aus dem dunklen Spalt eine kleine, Helle Ge stalt. Verwundert sich umblickend, und die Aeuglein unter dem goldigen Haargelock weit auftuenö, trat das elfenzierliche Geschöpfchen zögernd näher, und als es ganz Licht an den aufgebahrten Sarg herangekommen war, stand das vierjährige Schloßfräulein Ursula von Berkenkamp vor seiner toten Mutter. j Erschauerndes Ahnen im Herzen, forschte das kleine Wesen mit fragenden Blicken in dem wachsbleichen Antlitz und glitt mit zärtlicher Han- liebkosend über ! die erkaltete Stirn. Aber der Mund, der über solchen Ausdruck von Kindesliebe sonst so überglücklich zu plaudern wußte, blieb stumm, und die Augen, aus Lenen darüber die Sonne -es Mutterherzens so selig geleuchtet hätte, blieben reglos unter den gesenkten Lidern. Nur die Kerzen knisterten geisterhaftleise, und das unheimliche Schweigen ringsum rührte mit allen Schauern der Todesnähc an das Kinderherz. Da stöhnte ein fast unmerkliches, von der Angst verhal tenes Schluchzen von der Stelle auf, wo die kleine Ursula stand. Dann löste sich das leise Weinen mit dem vom Sarge der Mutter zuriicktretendcn Kinde und entfernte sich mit ihm langsam wieder durch die Tür. Der kleinen Ursula hatte es keine Ruhe gegeben, was die Erzieherin ihr gesagt, daß nämlich das liebe Muttchen wegen einer schweren Erkrankung eine lange Zeit ungestört allein schlafen müsse. Und so war die Kleine Liese Nacht in ihrem Hemdchen unbe merkt aus ihrem Bett geklettert und hätte die Mutter in dem erleuchteten Saale — aufgebahrt gefunden .. . Ein Jahr war im Wandel der Zeiten Lahingegan- j gen. Wieder rumorten»die Winterstürme in den Wip feln der alten Parkbäume. Aber lustiger als sonst wirbelten die Flocken über die Erde. Die Hellen Schnee- kristalle schienen alle düsteren Farben der Trauer ausgelöscht zu haben. Nur in dem Herzen der kleinen Ursula war ein Sunkles Sehnen nach der geuevten - Mutter zurückgeblieben, die man eines Tages aus ! Lem Schlöffe getragen hatte und die aber doch bald wie- i der Heimkehren sollte. Und wirklich war es heute dem' kleinen Schloßfräulein, wie es so mit den beiden ! Schloßhunden durch die verschneiten Parkbäume tobte, . als sollte sich an diesem Tage etwas besonderes er eignen. Eine gewisse freudige Ausgelassenheit griff auch auf die beiden Tiere über. Mit langen Sätzen ' jagten sie durch die Hintere Parkp.orte in die freie Schneelandschaft, ihre kleine Herrin mit hochgeröteten Wangen und unter lautem Zuruf hinterdrein. Da > gellte plötzlich ein schriller Kinderschrei weit in den Wintertag. Die Hunde stutzten, blickten sich suchend um, von ihrer niedlichen Patronin war nichts zn sehen. Sie schien mit einem Male wie vom Erdboden verschwunden. Im nächsten Augenblick aber schon schossen sie, wie von einer bestimmten Witterung ge- ; leitet, den Weg zurück und begannen unter lautem i Gebell an ein und derselben Stelle wie verzweifelt den Schnee zur Seite zu buddeln. Durch das weithin hallende Gekläff angelockt und in noch unbestimmten Befürchtungen wegen -er eigenartigen, fast krampfhaf ten Bemühungen -er beiden Tiere, kam in wildem Ga lopp eine Reiterin über das Schneefeld angesprengt. Rasch aus dem Sattel gleitend, übersah sie sofort das Vorgefallene. Im nächsten Augenblick sprangen die Hunde ein wenig beiseite, und die vornehme Reiterin zog ein kleines wassertriefendes Mädchen an die Ober fläche. ' „Ah, sieh doch einer an! Daß muß,-er kleinen Ursula passieren. Sie jeden Stein und Steg hier kennt. Aus einem verschneiten Wasserloch muß man sie her ausziehen. Aber, wie du zitterst! Komm', ich bring Lich ins Schloß," Dabei nahm die schöne Sprecherin das Kind auf dem Arm, ergriff das Pferd am Zügel uud schritt, von den Seiden Hunden gefolgt, durch das kleine Parktor. ' „Aber, meine Uebe gnädige Frau," ertönte es plötzlich in warm schmeichelndem Tonfall zu ihrer Seite. „In ivelcher Begleitung muß ich Sie sehen! Die Gräfin Axthausen bringt die wilde Schlotzhummel Ursula von Berkenkamp in das Gebiet der väterlichen Zuchtrute zurück." ' „Die Zuchtrute kann einstweilen, mein lieber Ba ron, in der Ecke stehen bleiben, denn Lie kleine Ursela gehört sogleich ins Bett. Das KinL war vom Laufen erhitzt unö hat ein unfreiwilliges Bad genommen. Die beiden braven Hunde haben mich zur Hilfeleistung her- bcigelockt. Beiden gebührt ein Lob und eine Extra wurst. Und nun Sitte ich den Herrn Baron ganz offi ziell um die Erlaubnis Sen verunglückten Wildfang eigenhändig zu Bett bringen zu dürfen." Die Erlaubnis ward nur zu gern gegeben und wäre vom Herrn Baron während der geschickten und liebevollen Betreuung seines Töchterchens durch die vornehm-liebreizende Witwe des verstorbenen Gnts- nnchbarS am liebsten gleich auf die Beherrschung des ganzen Domininms mit sämtlichen Kühen, Schweinen uns Wiesen fröschen ausgedehnt worden. Aber die Frau Gräfin beliebte sich nach ihrer Samaritertätigkeit zu nächst erst einmal noch ohne das Gefühl von Besitzrech ten zurückzuziehcn. Die Art aber, wie sie ihrem schon ungeduldig stampfenden Fuchs den schlanken Hals be klopfte und mit der Reitgerte übermütig die Luft zer teilte, ließ doch einigermaßen erkennen, Laß mit Lem Verlassen des Berkenkampschen Schloßparkes kein ab soluter Verzicht auf etwaige spätere Mitbcsitzrcchte ver bunden war . .. An dem Krankenlager Ser kleinen Ursula saß, von allerhand widerstrebenden Gedanken erfüllt, Baron von Berkenkamp. Draußen heulte Ser Wintersturm um das Schloß, als wollte ein finsterer Geist das kleine fiebernde Menschenkind aus seiner Geborgenheit in -ie kalte Schueenacht herandreißcn. Eine Woche banger Sorge verging für Len Schloßherrn, aber auch die Gräfin Axthansen gab durch wiederholte Besuche und Erkun digungen zu erkennen, wie sehr ihr die kleine Ursula am Herzen lag. Diese Beweise inniger Anteilnahme taten dem Baron sehr wohl und halfen, einen Entschluß, in ihm reifen zu lassen, der bis dahin noch keinerlei^ feste Formen angenommen hatte. Seine eigentliche . ' Nährkraft aber erhielt Lieser Entschluß aus dem Ge danken an das mutterlose Kind. , Die Wunschkraft des in hingebender Pflege ver harrenden Vaters und die kräftige Natur der kleinen Patientin verscheuchten viel früher alle Besorgnisse von der Schwelle des Krankenzimmers, als zu erwar ten stand ... Das alte Jahr schleppte sich unter seiner Schnee last Lem Ende zu. Die Menschheit rüstete sich zu sei ner Verabschiedung und zum hoffnungsfrohen Em pfang des neuen Jahres. > Auch im Schlosse derer von Berkenkamp flammten t hell die Lichter in dem altertümlich-behaglichen Eck zimmer. Der Stimmungszauber einer weihevoll ver schneiten Neujahrsnacht stand spürbar in dem hohen Raume. Der vereinsamte Baron hatte die Gräfin Axthau sen geladen. Würde nnd Herzlichkeit kennzeichneten das Gespräch der beiden. Eine wichtige Frage des Barons war soeben in einer für den Scbloßherrn be glückend entscheidenden Art von der Gräfin beantwor tet worden, als von der alten Schloßuhr zwölf tiefe Schläge schwer in die Winternacht hincinklangen. Da hob der Baron den Kelch zu der jungen Frau jj hinüber, und in den Blicken beider leuchteten herzens warm die Seeleuwünsche, die sie an der Schwelle des s neuen Jahres für einander fühlten. Dann führte der Baron seine Braut in das Schlaf gemach seines Kindes. Die Hand leise ans die umlockte Stirn der kleinen Schläferin legend, svraäi er gedämpft Sie Worte: „Nun ist für die kleine Ursula das Mutt chen -och wiederaekehrt!" Das junge Paar trat in das Eckzimmer zurück. Eine Stunde später entführte ein Schlitten die künftige