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Beilage zur Weitzeritz-Zeitung lichen Liedern eines fahrenden Gesellen: » Und wär' ich der Herrgott, So lieh ich auf Erden Zu Dornen und Disteln Die Klatschzungen werden; Da früh sie der Esel Und hätt's keine Not, Und weinte mein Schatz sich Die Augen nicht rot. dazu den Entschluß des vollen Vertrauens in die eigene ^raft und die Selbstforderung, Mensch unter Menschen ein zu wollen. Und damit genug dieser Betrachtungen. Gehen wir /ber zu den Neujahrsgedanken des Engländers Charles dickens, die er so wunderbar in folgende Sätze zusammen« ^kte: Nächst Weihnacht ist Neujahr die lustigste Zeit des lanzen Jahres. Es gibt weinerliche Leute, die das neue iahr mit Wachen und Fasten beginnen, als wenn es ihnen dläge, beim Begräbnis des alten in der Rolle des Haupt« cidtragenden zu agieren. Wir können jedoch nicht uychin, 's weit schmeichelhafter sowohl für das entschwindende >lte, als das eben erscheinende neue Jahr zu halten, daß 'an in fröhlicher Lust den alten Knaben entläßt und das neugeborene Kindlein begrüßt." Na, ihr geliebten Deut- chen, ist's nicht so? Im Laufe des letzten Krieges sagte inmal ein großer Mann, den jetzt schon lange die Gruft i Hohenfinow deckt, im NeiäMage: „Wir haben die Sen- Umentalität verlernt!" Wollte Gott, er hätte damals wahr gesprochen und danach auch gehandelt, es stände heute ->esser um unsl Indessen: Sentimental sind wir Deutschen >is auf den heutigen Tag geblieben und werden es auch weiterhin bleiben, wie ja auch schon Bismarck 1849 resignierend die „weinerliche Sentimentalität unseres Jahrhunderts" beklagte. Sentimental sind wir Deutschen sogar so bis in die höchste Fröhlichkeit, daß wir ihr hin gegeben singen: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, daß ich sotraurig bin." Dieses — wir können es nicht anders nennen meschuggene Daseinsgefllhl kommt in der Neujahrsnacht besonders zum Ausdruck. Wir möchten hier nicht auf das berühmte Wort des ehemaligen preußischen Innen ministers Rochus von Rochow aus Westhaoelland vom „be schränkten Untertanenverstand" zurückgreifen, aber ein hoher Prozentsatz von Wahrheit liegt darin. Ob wir uns von diesen Inbegriffen geistiger Duselei wohl jemals werden freimachen können? Wir müssen es männiglich bezweifeln. Aber . . . wir wollen doch versuchen, dem Schicksalsrad ein — mit dem berühmten Wippchen zu sprechen — Bein zu stellen! Wir wollen heute, ausgerechnet heute, wo sich wirtschaftlich und politisch alles grau in grau malt, dem kommenden Jahr ein heiteres, sorglos lachendes Gesicht zeigen. Denn das Lachen ist die Gesund heit selbst. Dante meinte deshalb auch: „Das Lachen ist nichts anderes als ein wetterleuchtendes Aufblitzen der Seelenfreude ... ein Aufzucken des Lichtes nach draußen, so wie es nach innen strahlt." Noch viel schöner und treff licher hat es unser lieber guter Otto von Leixner gesagt, als er einmal — irren wir nicht, war es 1896, also vor jetzt dreißig Jahren! — in seinem „Zettelkasten" schrieb: „Fröhliches Leben ist eine der schönsten Künste von allen, die man üben kann. Wer es verstände, sie gut zu lehren, wäre einer der größten Wohltäter der erwachsenen Menschheit." Und so wollen wir lachend der Zukunft ent- gegenschauen, etwa wie Theodor Storm in ieinem „Epilog" sagte: Noch wenige Stunden und in ehernen Schlagen ertönt >es Jahres letzte Stünde, von den einen bang und sorgen- loll, von den anderen froh und zukunftsheiter erwarte! -raum daß man sich Zeit läßt, der vergangenen zwoli Nonate Ereignisse, Werden und Geschehen zu gedenken md sich Rechenschaft darüber zu geben, ob man die Stunde nich genutzt hat, die das Schicksal uns bot. Gewiß ist es nicht nach jedermanns Gunst und Willen kinkehr zu halten und Licht und Schatten des soeben ver zangenen Lebensjahres gerecht um sich zu verteilen. Und roch haben die letzten Stunden des Erdenumlaufs :twas wie einen Zwang, so eine Art — wie der Franzos« sagt: je ne esis quoi — in sich, die eine moralische Ver oflichtung zur Rechenschaftslegung bedingen. Immerhin schon ein Schiller, der doch gewiß ein mehr als make! loses Leben führte, läßt seine Maria Stuart sagen: „Je! will mich nicht der Rechenschaft entziehen, die Richter sind es nur, die ich verwerfe." Die Richter! Das ist es st gerade! Wären wir Richter über uns selbst, schön, abe. so, da die liebe Mitwelt, hauptsächlich die spitzen Zunge: derer, die mit sich selbst genug zu tun hätten, sich st Sorge um uns machen, liegen die Dinge anders. Ein ol keiner eigenen spitzen Zunge gefürchteter, doch wegen feiner witzigen Einfälle hochgeschätzter Mann, der Pro kessor der Dichtkunst an der ehemaligen Universitä! Wittenberg, Friedrich Taubmann, hat dies Klatschmäuler- tum, diese Splitterseher im Auge des anderen, in die tem peramentvollen Verse zusammengefaßt: Wenn sie zusammen kommen Margarete, Kathrine, Sybille, Fangen sie an zu klatschen Von diesem und dieser und jener! Doch noch ein anderer, ein ungleich Größerer, hat — Ich hab es mir zum Trost ersonnen In dieser Zeit der schweren Not. In dieser Blütezeit der Schufte, In dieser Zeit von Salz und Brot: Ich zage nicht; es muß sich wenden, Und heiter wird die Welt erstehen, Es kann der echte Keim des Lebens Nicht ohne Frucht verloren gehen. Der Klang von Frühlingsungewittern, Von dem wir schauernd sind erwacht. Von dem noch alle Gipfel rauschen, Er kommt noch einmal, über Nacht. Und durch den Himmel rollen Wird dieser letzte Donnerschlag; Dann wird es wirklich Frühling werden Und hoher, Heller, goldener Tag. Heil allen Älenschen, die es hören! Und Heil dem Dichter, der dann lebt Und aus dem offenen Schacht des Lebens , Den Edelstein der Dichtung hebt! Man könnte hier beim Iahresabschied ja auch noch' der lieben Politik gedenken, die tagein, tagaus uns« Herze so erfreut, wir könnten den Parteien in ihrer Mn« gestaltigkeit ein Loblied singen, wir könnten . . . doch nein, bleiben wir schon bei diesem und füllen wir uns das Glas, aus dem wir dem neuen Jahre den Willkommens« schluck darbieten wollen. Froh sein mit den Frohen unt des Harms vergessen, soll heute am letzten Jahrestag die Losung sein, in wonniger Hingebung an das Selbst, fernab von Sorge und Mühen, und willig folge man der Weisung Mirza-Schaffys: Es soll des Lebens frischer Drang Nicht in gesuchtem Gram verkümmern - Und nur was Freude bieten mag Soll auferstehen im Gesang! Verhalt'ner Schmerz und stete Spannung Führt zur Erschlaffung, zur Entmannung. Das Schlimme stellt von selbst sich ein, Und wer sich freu'n will, muß es bannen; - Ein frohes Lied, ein Becher Wein: , Und alle Sorge zieht von dannen! ' Nur wer sich recht des Lebens freut, Trägt leichter, was es Schlimmes beut. Drum salbt zum Feste eure Glieder Und laßt an meiner Hand euch nieder, Beim Trinkgelag verliebter Weisen, ' Die Erdenlust und Schönheit preisen. Sie streuen Blumen vor euch hin« Erfreut euch ihrer Wohlgerüche; Merkt ihrer Worte klugen Sinn« Hört ihre Lieder, ihre Sprüche, Die, länger als sie selber leben, ' Dem iveinbenetzten Mund entschweben. In diesem Sinne: ein frohes Neues Jahn! So harmlos diese Verse auch klingen, sie bergen eine liefe Tragik, und blicken wir heute auf das verklingende Jahr zurück, so weiß jeder von uns ein bitter Lied auf den Klatsch zu singen. „Mißtöne hör' ich. garstiges Ge- »limpe zwar", wie Goeth«. Mephisto sagen läßt, aber doch das . .y.ge Bewußtsein mutz bestehen, mit Klatsch rechnen fu .Men. kurz: mit den „Richtern" über uns, von denen schiller sprich, und die man gut tut, sobald man sie in Wert und Schönheit erkann^ hat, vor die Tür zu setzen. Diesen Willen, Ruhe um sich zu schaffen, müssen wir n erster Linie mit ins kommende Jahr hinübernehmen, wie auch z. B. ein so harmloses und bescheidenes Gemüt wie Gellert sin seinen Fabeln) — den Klatschbasen ein Lwigkeitsdenkmal gesetzt: Emanuel Geibel in seinen Herr-