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Der geschlesderte Eine Iugenderzählung von Jutta WttfZvg MS abends meine Eltern helmkamen »—«»> »» v— Heulen Kaum sprechen, denn ich hatte dreifache Angst, A»«ß tmvechl vor meinen eige nen als auch vor den Eltern der Kleinen, vor «wen» aber Angst, Marie chen selbst müsse sterben. Es sah auch schlimm genug damit aus; das arme Kind fiebert« und phantasierte, so daß meine Ellern auf Ihre Kosten noch nachts einen Arzt aus der Stadt kommen liehen Was für ein Schreck war das, als dieser schleunigste Aebersührung ins Kran kenhaus anordneke, wo, wie er sagle, eine Operation auf Leben und Tod nötig sei. Ein Knochensplitter, lautet« seine Feststellung, sei ins Gehirn gedrungen und würde möglicherweise sogar völlige Erblindung der Kleinen zur Folge haben. Ihr könnt euch vorstellen, welche Pein Ich damals durchlitt. Der gerechte Zorn der eigenen, der Jammer der fremden Ellern schnitt mir lief ins Herz, noch mehr aber der Ge danke an Mariechen selbst. In den folgenden Nächten wurde Ich von angstvollen Trüumen gequüll, Immer sah Ich das blasse Gesicht vor mir, auf dessen Stirn blulgelränkt die Löckchen klebten." Der Großvater machte In seiner Schilderung eine Pause, wie von der Erinnerung noch seht übermannt, während fünf paar Kinderaugen gebannt an seinen Lippen hingen. Endlich fuhr er fort. „Nun, mit Gottes Hilfe wurde doch noch alles wieder heil, sa, als später das kleine Nachbarsmädchen, das ich während seiner Krankheit oft Im Spilal be sucht hatte, wieder hergestclll war, da war aus mir ein braver, ordent licher Junge geworden, und wir wurden die besten Freunde." — Wieder hielt Großvater Inne und lächelte, ein paar tiefe Züge aus der Dfelfe schmauchend, still vor sich hin. „Aber, was Ist denn aus dem kleinen Mädchen geworden?" fragte Heinz, der am gespanntesten gelauscht hatte, atemlos. „Was aus ihr geworden ist," erwiderte Großvater verschmißt und nickte einer alten Dame, die im Altfrauenhäubchen eben unter die Laube trat, und für all« ein paar recht große Butterbrote mikbrachle, herzlich zu. — „Was aus dem kleinen Mädchen geworden Ist? — EI, eure liebe Großmutter natürlich." Damit strich er ein paar weiße Stirnlöckchen, die seiner greisen Lebensgefährtin unlerm Häubchen hcrvorguckten, be hutsam beiseite, und di« Kinder sahen da zum ersten Mal eine große, quergestellte Narbe; — „Ich hab' denen da unsere Lebensgeschichle er zählt, Alterchen," sagte er aufgeräumt, „denn der Friedel, der Schlingel, hat uns di« Silberhochzeilstasse durch einen Sleinwurf zertöppert; aber nun wird sicherlich keiner von euch mehr einen Stein schleudern, gelt Jungens?" Die Knaben verneinten aus vollem Herzen, während das kleine > Enkelchen Annemarie, das ganz seiner Großmutter ähnelte, wl« diese selber noch ein kleines Mädchen gewesen war, sich innig in die Arme ber alten Frau schmiegte. „So Ist denn alles noch zum besten gewendet worden", schloß Groß vater. „aber denkt, waS geschehen wäre, wenn eure liebe Großmutter nicht gesund geworden wäre. Ich wäre Zeit meines Lebens nicht mehr froh geworden und hätte gewiß als verbitterter Hagestolz meine Tage beschlossen. Wohl mir, daß ich nun diese Geschichte, euch meinen Enkeln, erzählen konnte. Ihr werdet sie euch doch merken?" And sie merkten sich s wirklich. Immer, wenn einem der Jungen die Finger nach einem Stein kribbelig wurden, sah der ein blasses Ge sichtchen vor sich, daS den Zügen des lieben kleinen Schwesterchens glich, und dann dachle er gleich beschämt an Großvaters Geschichte von dem geschleuderten Stein.