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Beilage zur Weitzeritz-Zeitung 92. Jahrgang Montag, am 25. Oktober 1926 Nr. 249 Chronik -es Tages. — Der deutsche Botschafter in Amerika, Freiherr von Maltzan, ist wieder in New Mork eingetroffen. — Am heutigen Montag ist mit dem Weiterbau des Mittellandkanals bei Oebisfelde begonnen worden. — Der Generalrat des englischen Gewerkschaftskongres ses hat beschlossen, die Vertreter der Gewerkschaften zu einer besonderen Konferenz zusammen zu berufen, auf der die Frage der Erhebung von Abgaben zur Unterstützung der Bergarbeiter geprüft werden soll. - Zwischen Deutschland und Italien sind seit einigen Tagen Verhanolungeu im Gange, die auf den Abschluß eines deutsch-italienischen Schieds- und Freundschaftsvertrags hin- zielen. Verschleppungsmanöver. Nach der ersten Besprechung Stresemanns mit Bri and in Thoiry war in den direkten Verhandlungen über die deutsch-französische Annäherung eine große Panse eingetreten. Atan wollte zunächst den beidersei tigen Sachverständigen Zeit lassen, um die technischen Einzelheiten des in Thoiry skizzierten Programms zu prüfen und auszuarbeitcn. Je iänger aber diese Ar beiten sich hinzogen, desto öfter konnte man ans Paris hören, das; sich der Verwirklichung des Thoiry-GcSau- kcns recht erhebliche Schwierigkeiten entgegcnstellten. Aus verschiedenen Aeußcrnngen Poincarös und ans der ganzen Haltung der Pariser Ncgicrungspreife musste man schließen, daß man in Frankreich keine ernstliche Neigung mehr hatte, die in Thoiry cinge- leitete Annäherungspolitik weiter zu verfolgen. Die Neichsregicrnng entschloß sich daher, durch ihre diplo matische Vertretung in Paris sich die erforderliche Klarheit über die wahren Absichten der französischen Negierung zu verschossen. Der deutsche Botschafter v. Hoesch hatte daraufhin am letzten Freitag eine län gere Unterredung mit dem französischen Außenmini ster, die die erste Fühlungnahme des Botschafters nach feiner Rückkehr aus den Ferien mit Briand bedeutet. Es wurden dabei nach dem amtlichen Bericht der deut schen Botschaft, in großen Zügen die durch die Unter redung in Thoiry aufgeworfenen Fragen berührt. Briand reiste dann für einige Tage aufs Land. Nach seiner Rückkehr soll in der zweiten Hälfte dieser Woche eine erneute Unterredung des Botschafters mit Briand stattfinden. Während sich der von brr deutschen Botschaft aus- gegebene Bericht mit dieser knappen Mitteilung be gnügt, ist das französische Außenministerium etwas mitteilsamer. Nach der amtlichen Darstellung .des Qnai d'Orsay hat der deutsche Botschafter den Wunsch der deutschen Regierung, die in Thoiry begonnenen Besprechungen zu gutem Ende zu führen, zum Aus druck gebracht. Es wird hinzugcfügt, daß der Bot- fchastcr keinerlei bestimmte Vorschläge überbracht habe, und daß sowohl französischer- wie deutscherseits die Sachverständigen die verschiedenen Fragen des Programms von Thoirn, die übrigens alle Unterzeichner des Vertrages von Versailles angchen, zu prüfen hätten. Diese amtlichen französischen Auslassungen wurden noch ergänzt durch eine H a v a s m c l d u n g, in der gesagt wird, daß die neue Unterredung „keine neue n M oment c" gebracht habe. Die Annäherung werde durch ständige Bemühungen, die lange Mo na t c s i ch f o r t s e tz e n wurden, und deren wesentlich stes Ziel die Schaffung eines neuen Geisteszustandes sei, solide Grundlagen erhalten können. Für den Augenblick seien für die Annahme der von gewissen Zeitungen betreffend das Saargebiet und Mobilisie rung eines Teils der deutschen Eiscnbahnobligationen vorgeschlagencu Lösungen Schwierigkeiten praktischer Art vorhanden, indessen könne ein ge meinsamer guter Wille nicht verfehlen, der Sache des Fiedcns zn dienen, indem er den „gegenwärtigen" Be sitzstand in Europa konsolidiere und die Lösung der wirtschaftlichen und finanziellen Probleme, die zwischen den beiden Ländern aufgeworfen seien, beschleunige. Diese Havasmeldung zeigt mehr als alles andere, Saß es mit der Durchführung des Thoiry-Prvgramms noch seine gute Weile haben wird. DaS französische Außenministerium sucht offenbar die Wetterfüh rung der d e n t s ch - f r a n z ö s i s ch e n V e r h a n d- lnngen nach Möglichkeit zu verschleppen. Es macht sich hier der Einfluß PoincareS geltend, der auch die Frage der interalliierten Schulden und die Ratifizierung des SchnlSeuabkommens, die in gewissem Sinne von den finanziellen Verhandlungen mit Deutschland nicht zu trennen sind, auf die lange Bank schieben möchte, weil zurzeit die parlamentarischen Möglichkeiten außerordentlich ungünstig sind. Zum mindesten wird die französische Negierung die Absicht verfolgen, eine Hinansschieäung der Besprechungen bis Januar zu erreichen. Diese politische Tendenz kommt auch in der Pariser Presse zum Ausdruck, die vor jeder Ueberstürzung warnt und eine Fortsetzung -er Verhandlungen von der Erfüllung der „gerechten" Entwaffnnngssvrderungen der Botschaftcrkonferenz abhängig gemacht wissen will. Im übrigen hebt die französische Presse hervor, daß Deutschland in Thoiry und in der ganzen Angelegenheit als „der Bittende" gekommen sei, und es sei darum seine Sache, bessere Vorschläge i!f zu machen, zu denen Frankreich in voller Nebereinstimmung mit seinen Verbündeten Stellung nehmen werde. Wenn die französische Negierung sich diese Auf fassung zu eigen macht, dann wird man es sich auf deutscher Seite gründlich überlegen müssen, ob es überhaupt noch Sinn und Zweck hat, die Politik von Thoiry weiter zu betreiben. Eine Annäherung kann nur dadurch zustandekommen, daß von beiden Seiten Opfer gebracht werden. Von dieser Erkenntnis scheint man allerdings heute weiter denn je entfernt zu sein. Eine Tirpitzrede. Stellungnahme zum Völkerbund, zu Lo carno und Thoiry. Aus Anlaß des Landesparteitags der Deutschna- tivnalen Volkspartei Württembergs wurde in der Stutt garter Liederhalle eine öffentliche Versammlung abge- halten, in der der greise Großadmiral v. Tirpitz eine Rede über die deutsche auswärtige Politik hielt. Ein leitend betonte der Redner daß er nicht im Auftrage der Partei spreche, sondern nur seine persönlichen An sichten wiedergebe. Redner führte aus: „Die wichHaße politische Tatsache, vor der wir heute stehen, ist der Eintritt Deutschlands in den Völkcronnd. Mir Tcutschnationalen lind keineswegs grundsätzliche Gegner eines wirklichen Völkerbundes, wir waren nur Gegner der falschen Einschätzung, der die Genfer Institution in Dcntsch- land vielfach begegnet ist, und der politischen Methode, mit der wir nnS nw den Anschluß an diese Institution bemühten. Eilig haben wir es nicht gehabt, wehr Zurückhaltung hätte sowohl nnserer Wurde wie unserem Interesse wahrscheinlich besser entsprochen. Heute, da wir vor vollzogenen Tatsachen stehen, ist rS für jeden vaterländisch gesinnten Deutschen Pflicht, daS Beste ans der heutigen Lage heransznholen. Die Besprcchnng von Tbolru ist im Prinzip ein erfreulicher Vor gang. Schlimme Erfahrungen der letzte» Jahre mahnen aller dings zur Vorsicht, damit wir nicht einen zn hohen Preis zahlen für Dinge, auf die wir nach Locarno ein morali sches Recht haben, und die uns in einigen Jahren nach dem Versailler Vertrag ohnedies zufallen müssen. Läßt sich die deutsche Politik aber tatsächlich von nüchtern gc- schästsmäßigen Grundsätzen leiten, bringt sie nicht stir Scheinvorteile reale Opfer, dann sind solche Verhand lungen nur zu begrüben." Möglichkeiten deutscher Außenpolitik. Redner erwähnt dann, daß die Rechte über den Weg, der zur Verwirklichung der außenpolitischen Ziele Deutschlands eingeschlagen wurde, nicht befriedigt sei. Das habe jedoch mit der persönlichen Anerkennung des Außenministers Dr. Stresemann nichts zu tun! Da von, daß Deutschland nur zwischen der von der Regie rung befolgten Politik und einer Politik mit flammen den Refolutionen und utopischen Kriegsgelüsten zu wählen habe, könne keine Rede sein. Großadmiral von Tirpitz schloß seine Rede mit folgenden Worten: „Es gibt in Wahrheit gegenüber der amtlichen Politik eine durchaus sachliche, realpolttische und zugleich machtpolitische Kritik, die auch da, wo sie einmal einen scharfen Ausdruck findet, für die erfolgreiche Führung der Außenpolitik wertvoll, sa unentbehrlich ist. Unsere Aufgabe wirb es fein, im heutigen Staat einer besonnenen, die Wirk lichkeit nicht überfliegenden Haltung nach außen hin und einer konservativsoziälcn nicht reaktionären Staats- gesinnung im Innern zum Durchbruch zu verhelfen." DcntschlanDS ncuestcr Dzeauricsc. Der vor kurzem von der Gattin des New Yorker Bürgermeisters feierlich getaufte Zweischrauben-Tur- bmen-Dampfcr „New York" der Hamburg-Amerika-Li- nie, der insgesamt 2I 000 Brutto-Rcgister-Tmmeu um faßt, hat eine Länge von 138 Metern, ein Breite von 24 Metern und eine Tiefe von 17 Metern. Er ist ein Schwcsterschiff der Dampfer „Albert Ballin", „Deutschland" und „Hamburg". Durch zwei Turbi- nennulcgen von 13 000 ÜL, die beide voneinander unabhängig sind, erhält der Niesendampfcr eine stünd liche DurchschnitlSgeschwindigkeit von 10 Seemeilen. Er bietet Raum für 1130 Fahrgäste. Die Ausstattung ! der Jnnenräume ist überaus vornehm. Auch ein Sport- ; deck ist vorhanden, das sämtliche Einrichtungen für ; die verschiedenen Arten des Seesportes aufweist. Durch die sogenannten formstabilcn Anschwellungen wird ge- , meinsam mit den Frahmschcn Schlingertanks in wirk samer Weise dem Auftreten der Seekrankheit vorge beugt. Der neue Ozeanriese, der auch eine dauernde Verbindung mit den Hamburger und New Yorker Fernsprechämtern haben wird, soll etwa im Ium oder Juli nächsten Jahres seine erste Fahrt nach Amerika zurücklegen. Er ist jedenfalls ein neues Beweisstück für Deutschlands unermüdliche, ungebrochene Leistungs fähigkeit und Deutschlands unentwegte Wiederaufbau- arbeit. Politische Rundschau. — Berlin, den 25. Oktober 1926. — Der Reichskanzler hat -er Gemahlin des verstorbe nen Neichstagsabgeordneten Graf von Merveldt seift Beileid ausgedrückt, ebenso Graf Westarp namens der Par teileitung und der beutschnationalen NetchStagsfraktion. — Der Nachfolger des Verstorbenen im Reichstag wird der Gewerkschaftssekretär Ewald Sauer aus Dillenburg. — In der vierten Instanz das von dem Hamburger Bankier Warburg angestrengten Beleidigungsprozesses wurde Theodor Fritsch, der Herausgeber der deutschvölkischen Zeitschrift „Der Hammer", wegen fortgesetzter übler Nach rede zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. — Als Nachfolger siir den verstorbenen Regierungs präsidenten von Köln, Grafen Adelmann, wird der dem Zentrum angehörendc Kasseler Polizeipräsident Freiherr Fritz v. Korff genannt. — Unter Führung eines italienischen Offiziers stattete eine Abordnung der MIlitärkvntrostkommissiv» den Königs berger Fcstungsanlageu einen Besuch ab. * :: Verschleppung in die Fremdenlegion. Ein Stcucrasststcnt des Hamborner Finanzamtes, Weitz, hatte vor einiger Zeit mit seiner Frau eine Urlaubs reise nach dem Elsaß angctreten und war von dort nicht wieder zurückgekehrt. Seine Frau hatte ihn zum letzten Male gesehen, als er sich anschickte, eine Berg besteigung zu unternehmen. Jetzt ist dem Finanz amt eine Mitteilung zugegangen, aus der hervorgeht, daß Weiß in die französische Fremdenlegion verschleppt worden ist und sich bereits in Marokko befindet. Eine Aufklärung des Falles ist dringend geboten. :: Baubeginn am Mittellandkanal. Auf Antnrag des Neichsverkehrsministers hat das Reichskabinett be schlossen, die Einigungsverhandlungen zwischen Preu ßen und seinen Provinzen nicht abzuwarten, sondern! aus eigenes Risiko dm Beginn der Bauarbeiten am^ Mittellandkanal anzuordnen. Da der Auftrag zum Weiterbau bereits erteilt worden ist, konnten die Ar beiten am heutigen Montag bei Oebisfelde in Angriff genommen werden. :: Internationale Brrkchrskonferenz. In Berlin findet zur Zeit eine von allen Eisenbahnverwaltungen beschickte Internationale Berkehrskonferenz statt, die eine neue Eisenbahnverbindung zwischen Europa und dem Fernen Osten anstrebt. In seiner Begrüßungs ansprache wies der Generaldirektor der Deutschen Reichsbahngesellschaft, Dr. Dorpmüller, auf die vor dem Krieg schon bestehende Verbindung hin. Es gelte jetzt, eine durchgehende Fahrkarte zu schassen, und eine 45tägigc Seereise durch eine 12tägige Eisenbahnfahrt zu verkürzen. :: Tagung demokratischer Fraktionen. Die demo kratischen Fraktionen des Reiches und der Länder sind in Berlin zu gemeinsamen Beratungen zusammenge treten. Neichstagsabgcordneter Graf Bernstorff behan delte die auswärtige Politik und die Abrüstungsfrage. Gelänge es nicht, zur Abrüstung zu kommen, so werde der Völkerbund soviel an Ansehen verlieren, daß es fraglich sei, ob er aufrecht zu erhalten sei. Reichs- tnnenministcr Dr. Külz warnte vor zu großem Opti mismus. Genau wie von Versailles nach Genf werde auch der Weg von Thoiry bis zum endgültigen End- pnnkt ein langer und dornenvoller sein. :: Die Mittrlstandskrcdite. Auf eine deutschnatio nale Anfrage im Landtage teilte der preußische Fi nanzminister mit, daß die im Sommer 1925 ursprüng lich auf sechs Monate gegebenen Kredite verlängert wor den seien. Den Zentralbanken sei nahegelegt worden, die Kredite nicht zur Unzeit zurückzufordern. Zur Be gebung langfristiger Kredite an den Mittelstand sollen, wie in der Vorkriegszeit, die Einlagen der preußischen Sparkassen zur Verfügung gestellt werden. Rundschau im Auslande. t Der steierische Landtag in Graz wählte mtt 38 gegen 30 Stimmen den Christlichsozialen Dr. Gürtler zum Landeshauptmann von Steiermark. Dr. Nintelen, dessen Kandidatur die Sozialdemokraten mit schärfster Obstruktion bekämpft hatten, hatte gebeten, von seiner Wahl abzusehen. t In einer an die Kantonrcgiernng gerichteten Note protestieren die Fremdmächte gegen die von Südchina er hobenen Zollznschläge. Deutschland nnd Rußland habe» die Note nicht unterschrieben. k Die Verhandlungen über die neue Danziger Negie rung sind »nnmehr zum Abschluß gebracht. Die neue Ne- gtcruug wird sich am Mittwoch dem Vvlkstag vorstellen. Die sozialdemokratischen Senatoren hatten, noch ehe die Ver handlungen abgeschlossen worden waren, ihre Aemtcr nieder- gclegt. * Nm die Forderungen der österreichische» Beamtet». t Der neue österreichische BundcSkauzler Dr. Setpel hat die Verhandlungen mit den Bundeöangcstellten über deren Gehaltssorberungen ausgenommen. Er bat, keine Ultimaten zu stellen. Eine Auswertung der Gehälter solle nach der Festigung der Wirtschaft erfolgen. Notwendig sei eine Angleichung des österreichischen BeamtenrcchtS an daS deutsche Beamtenrecht, wo kein Stretkrecht bestehe, sedoch, die berechtigten Bedürfnisse der Beamtenschaft gesetzlich fest- § gelegt seien. , Irlands Staatspräsident verläßt London. Im weiteren Verlaus ihrer Arbeiten beschäftigte sich die britische Reichskonserenz mit wirtschaftlichen Fragen. Dl« Vertreter sämtlicher Dominien traten entschieden für eine Vergrößerung des Handels Innerhalb des britischen Reiches ein. Die englische Industrie müsse sich zu diesem Zweck auf die Bedürfnisse der Dominien einstellcn. Der Präsident deS irischen Freistaates, der vereits an der Einreichung deS Ehrenmals sür die Gcsallencn nicht teilnahm, wohnte auch dieser Sitzung nicht bei. Er ließ sich durch Krankheit ent- schuldigen. Inzwischen hat er London bereits verlassen und. nach Irland zurückgesaüren. !