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Gesinnung hinweg, so bleibt eine Öde und Dürre, die wahrhaft trostlos ist. Die Erfindung hat auch an keiner Stelle etwas Fesselndes und Wohltuendes; die Ge danken schleichen entweder matt und siechhaft dahin, oder sie bäumen sich in fieberkranker Aufgeregtheit in die Höhe, um desto erschöpfter zusammenzubrechen; ungesund mit einem Worte ist das ganze Empfinden und Erfinden in dem Stücke. Geben nun diese blassen und schemenhaften, nur hin und wieder von hectischer Röthe angehauchten Gedanken an sich schon einen traurigen Anblick, so wird die Sache noch trübseliger durch die Art und Weise, wie sie verarbeitet und verwendet werden. Theils werden sie mit Gewalt ausgerenkt, daß ihnen die armen Glieder knacken, theils wird ihnen die Brust zusammengeschnürt, daß sie nur mit Mühe athmen können; hier müssen sie die verwunderlichsten Caprioien machen und die ausgelassensten Streiche treiben, dort wieder müssen sie wie arme Sünder einher gehen und die kläglichsten Mienen annehmen. Und alles dies geschieht unvermittelt neben und durcheinander; von einer organischen Entwicklung und einem logischen Fortspinnen ist gar selten die Rede. Und dieses Würgen und Wühlen, dieses Zerren und Ziehen, dieses Zusammenflicken und wieder Auseinanderreißen von Phrasen und Floskeln muß man über Dreiviertelstunde lang ertragen! Diese ungegohrene Masse muß man in sich aufnehmen und muß dabei noch ein Dessert von den schreiendsten Dissonanzen und mißlautendsten Klängen überhaupt schlucken.“ Wußten die Hörer etwas von den seelischen Erschütterungen, die den Komponisten durch den Selbstmordversuch Robert Schumanns Anfang 1854 bewegt hatten? Zu jener Zeit war der erste Satz der Sonate für zwei Klaviere konzipiert worden, jener instrumentierte Klaviersatz, aus dem schließlich der erste Satz des Klavierkonzertes d-Moll geformt wurde. Und noch ein anderes Erlebnis der gleichen Zeit hatte seinen Niederschlag in diesem ersten Satz gefunden: Brahms erstmaliges Hören von Beet hovens ,,9. Sinfonie“ in Köln. Die Hörer, an die glitzernde Brillanz zeitgenössischer Klavierkonzerte gewöhnt, verstanden den sinfonischen Grundzug dieser Musik nicht, sie wußten mit dem leidenschaftlichen Ton der Musik nichts anzufangen, sie begriffen nicht, daß das menschliche, das inhaltliche Anliegen eine so kühne und neue Aussage des Musikalischen forderte. In der Originalpartitur stand über dem zweiten Satz die Überschrift: „Benedictus qui venit in nomine domini“. Der dritte Satz wurde von Max Burkhardt treffend als „Strahlende Aussöhnung mit dem Schicksal“ bezeichnet. Das sinfonische Prinzip umspannt bei allem Eigenleben eines jeden einzelnen Satzes den Gesamtablauf des Klavierkonzertes, das sich in den Konzertsälen Europas einen festen Platz errungen hat. Textliche Mitarbeit und Ei nführungs vorträge: Gottfried Schmiedel Literaturhinweise: Zagiba: Peter Tschaikowski; Kalbeck: Johannes Brahms Vorankündigung: Montag, 17. Juni 1957, 19.30 Uhr, und Dienstag, 18. Juni 1957, 19.30 Uhr 10. Außerordentliches Konzert Dirigent: Prof. Heinz Bongartz • Solistin: Prof. Elly Ney, Klavier Beethovenabend 6341 Ra 111-9-5 657 1.35 IlG 009/57