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ZUR EINFÜHRUNG Bedrich Smetana (1824—1884), der geniale tschechische Komponist, begann im Jahre 1874 mit der Niederschrift des Zyklus sinfonischer Dichtungen, die er zusammenfassend „Mein Vaterland" benannt hat. 1874 war aber zugleich das Jahr seiner Ertaubung. Dieses beethovensche Schicksal hat ihn der Schwermut zugeleitet und später dem Wahnsinn überantwortet. Aber zunächst begehrte Smetana gegen die Grausamkeit des Schicksals auf. Er schuf in den Jahren bis 1879 an dem Zyklus, der Ausdruck seines Genies werden sollte. Vor seinem inneren Ohr werden Landschaften und Geschichte seines Volkes lebendig. Sie werden zur tönenden Wirklichkeit. Mit größter Farbigkeit und Bildkraft hat Smetana in „Särka" ein Amazonenmotiv der tschechischen Sage gestaltet, er hat mit seltener Inbrunst und überaus starker Heimatliebe, mit einer Innigkeit und Sehnsucht sondergleichen die Gestalten der Särka und des Ritters Ctirad mit musikalischen Mitteln geschildert. Dem Werk ist folgendes Programm vorangestellt, das das Verständnis der sinfonischen Dichtung wesentlich erleichtert: Särka in ihrer getäuschten Liebe tobt vor Rachgier gegen das ganze Männergeschlecht, mit dem ihre Amazonen Krieg führen auf Leben und Tod. Ritter Ctirad zieht mit seinen Gefährten gegen sie aus. Weit und breit hört man das lustige Geleite. Plötzlich herzbrechendes Seufzen. Ctirad folgt der Spur und findet ein an einen Baum angebundenes Mädchen. Särka ist es, die so tut, als ob sie von ihren Ge fährtinnen dem Verderben preisgegeben worden wäre. Ctirad kann seine Augen von ihren Reizen nicht wegwenden. Immer mehr bemächtigt sich seiner sehnsüchtige Liebe, bis er sie schließlich, seinen Gefühlen unterliegend, aus den Fesseln befreit. Seine Gefährten lagern sich im Kreise ringsum, und es beginnt ungebundene Fröhlichkeit. Bei süßem Met vergessen die Krieger jede Gefahr, und sorglos singen und trinken sie bis tief in die Nacht hinein. Erst, bis sie ganz ermüdet und trunken sind, hört ihr wilder Lärm auf. Einer nach dem andern verstummt und verfällt in festen Schlaf. Da gibt Särka das Zeichen mit dem Horn, ihre Gefährtinnen antworten aus dem Walde mit ihrem Zeichen und eilen von überall herbei. Versammelt schlagen sie auf die schlafenden Männer ein, mit deren Ermordung der Dämon der Rache ein blutiges Mahl feiert. — (Nach Rychnowsky: „Smetana“.) Dimitrij Schostakowitsch (geb. 1906) schrieb seine VI. Sinfonie 1939. Sie rief eine lebhafte Diskussion unter den sowjetischen Kritikern hervor, da sie anders wirkte als die große Vorgängerin seine Fünfte, und weil man von ihm etwas ähnliches wie diese Sinfonie wieder erwartete. Nun war aber die sechste anders, sie erschreckte durch die krasse Gegenüberstellung zweier grundverschiedener seelischer Zu stände, sie überraschte durch eine völlig anders geartete Instrumentation als die vorhergehende fünfte, sie verblüffte durch formale Eigentümlichkeiten und Merkwürdigkeiten. Zunächst ist diese Sinfonie nur dreisätzig. Sie beginnt mit einem weitgespannten Largo. Dieses Largo wird von einem Thema gespeist, das sich als eine rezitativartige Melodie vorstellt, die variiert wird. Der ganze Satz ist schwermütig’und düster, nachdenklich und schicksalsergeben. Er wirkt wie gedanklich-philosophische Lyrik. Die grüb lerische Koda des Largo beschwört das Bild düsterer Enttäuschung herauf. Aber die beiden folgenden Sätze, das Scherzo und das Finale, löschen durch ihre überschäumende Lebensfreude und Leichtigkeit diesen Eindruck wieder aus. Hier ist der krasse Gegensatz, der zunächst erschreckte, der aber als dialek tisches Moment anzusehen ist, als Darstellung zweier Seelenbezirke.