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DRITTE SINFONIE Nach einem ereignisreichen Winter, einem unruhigen Frühling sah sich Johannes Brahms 1883 nach einer neuen Sommerfrische um. Er liebte es, in diesen Monaten die an gesammelten Gedanken aufs Papier strömen zu lassen. Diesmal entschied er sich nicht für Österreich, sondern für Wiesbaden. Bei anderen Freunden wollte der Einsame wieder einmal seiner Einsamkeit entfliehen. Alwin und Laura v. Beckerath lebten in Wiesbaden. Und es war da eine junge Sängerin, Hermine Spieß, Schülerin Stockhausens, eine ungewöhnliche Begabung, die schon Brahms-Lieder sang, bevor sie den Komponisten (im Januar in Krefeld) persönlich kennengelernt hatte. Nun gab es ein frohes Wiedersehen mit dem ..rheinischen Mädchen", so nannte sie Brahms, oder auch kurzweg ..seine Sängerin“. Man rechnete sogar mit einer Verlobung . . . In einer Atelierwohnung über der Stadt vorher hatte der Maler Ludwig Knaus, der Meister des Genrebildes, darin gehaust — schuf Brahms, streng vor den neugierigen Blicken der Freunde verwahrt, eine neue, die Dritte Sinfonie. Hans Richter nannte sie bei der Uraufführung am 2. Dezember des gleichen Jahres die Brahmssche ..Eroika", ihres kraftvollen Charakters wegen, der in der Tat eine solche Bezeichnung rechtfertigt. Formal bestehen allerdings große Unterschiede zu dem Beethovenschell Werk. Und auch inhaltlich: es steckt zu viel Wehmut und Resignation in dem Werk, und darin ist sie ein echt Brahmssches. Wie seine beiden ersten Sinfonien, wird auch diese von einem ..Urmotiv“ eingeleitet, das das ganze Werk beherrscht. Es heißt f-as-f, erscheint in allen Sätzen, oft stark abgewandelt, aber immer erkennbar, und macht vor allem die Substanz des ersten Satzes aus. Dessen erstes Thema ist eine freie und erweiterte Umkehrung des Ur- motivs. das zugleich wörtlich als Baßfigur erscheint. Indem es auch am Schluß des letzten Satzes steht, macht Brahms eine Eigentümlichkeit seines sinfonischen Schaffens anschaulich: der erste und der letzte Satz gehören zusammen, der letzte Satz bringt die endgültige Lösung. Selbstverständlich ist auch die Coda des ersten Satzes auf dem Urmotiv aufgebaut. Besonders geistvoll führt es Brahms nach der Durchführung als Überleitung zur Reprise ein. Da erscheint es nach den erregten Wogen der Durch führung wie der Heimatruf aus dem Hafen . . . Das Gesangsthema des ersten Satzes wird von der Klarinette angestimmt, fast exotische Töne klingen auf. die so gar nicht zur sogenannten „Eroika“ nassen wollen. Wieder haben die Mittclsätze nicht das volle sinfonische Gewicht, was mit jener Brückenbautechnik der Brahmsschen Sinfonie zusammenhängt: sie sind der leichte Bogen über den starken Pfeilern der Ecksätze. Geheimnisvoll, sehnsüchtig, fromm gibt sich das Andante, ohne Pauken und Trompeten, nur die Posaunen malen ab und zu den Goldgrund einer zarten Legende. Dafür setzen die Holzbläser gleich vierstimmig ein und beherrschen weithin das Feld. Clara Schumann belauscht bei diesen Klängen „die Betenden um die kleine Waldkapelle“ und hört die webende Natur: „Das Rinnen der Bächlein, Spielen der Käfer und Mücken — das ist ein Schwärmen und Flüstern um einen herum, daß man sich ganz eingesponnen fühlt in all die Wonnen der Natur.“ Ein Pastorale, das zum Schönsten und Eigensten gehört, was Brahms je geschrieben hat. Und ebenso echt Brahmsisch ist auch der dritte Satz, der das Scherzo umgeht, ein dreiteiliges Intermezzo, das mit einem unendlich sehnsuchtsvollen Gesang des Cellos anhebt: er singt sich wie ein Volkslied in unser Herz. Drumherum zarte Holzbläser- akkordc, Triolengefliister der Geigen. Pizzikato der Bässe. Dann werden die Rollen vertauscht, später, bei der Wiederholung dieses Teiles, wird alles uminstrumentiert. In der Mitte steht ein weicher Mittelsatz in As-dur, der in seiner Grazie daran denken läßt, daß dies eigentlich das Trio eines Scherzos ist. Zwei Genrebilder, die Ludwig Knaus, der Wiesbadener Hausherr, hätte illustrieren können. Dann aber geht es wieder in die sinfonische Pathetik hinein. Das Finale beginnt in f-moll — wie die ganze Sinfonie eigentlich mehr f-nioll als F-dur ist. Das Urmotiv deutet es ja von vornherein an. Der Anfang ähnelt dem des Finales der Zweiten Sinfonie. Aber während man dort im Zweifel darüber sein kann, ob es Gespenster sind oder zitternde Sonnenkringel, die das Walddickicht beleben, wehen uns hier die dunk len Schauer nahenden Unheils bis ins Herz hinein. Der Seitensatz aber fegt, besonders mit dem siegesgewissen Gesang der Celli und des Horns. Zweifel und Kleinmut bei seite. Es ist also nicht eigentlich ein Gesangsthema. Verständlich, weil dies die Span nungslösung schon vom ersten Satz her sein soll. Es ist ein befreites und befreiendes Aufatmen, ein kraftvoll „Dennoch!“ Um so eigenartiger dann der Ausklang in der Coda, in der „die Hauptthemen der Ecksätze in einem lichtvollen F-dur zusammen fließen und am Ende die Symbole der Jugend — das .Motto' und das nunmehr sanft herabträufelnde Hauptthema des ersten Satzes — gleich unvergänglichen Wahrzeichen am purpurnen Abendhimmel stehen" (Gerber). Dr. Karl Laux