Volltext Seite (XML)
Alle Urteile über Musik sind relativ und irgendwie zu erschüttern. Man pflegt Beethoven z. B, als den Bekenntnismusiker von Mozart, dem „absoluten“ Musiker, zu unterscheiden. Wo ist aber, um in medias res zu gehen, in der Zweiten Sinfonie das Bekenntnis, das Widerspiel subjektiver Erlebnisse ? Beethoven hatte zur Zeit ihrer Entstehung, im Jahre 1802, Schweres zu bestehen. Der damals Zweiunddreißigjährigc wurde sich immer deutlicher bewußt, daß sein Gehörleiden unheilbar sei. Es gibt einen Niederschlag dieser trüben Gedanken, das „Heiligenstädter Testament“ vom 6. Oktober 1802, in dem der Aufschrei des Verein samten steht: „Solche Ereignisse brachten mich nahe an Verzweiflung, es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben — nur sie, die Kunst, sie hielt mich zurück ...“ Von dieser Gefühlslage ist in der kurz zuvor entstandenen Sinfonie nichts zu merken. Sie hat einen heiteren Grundton. In der dem ersten Satz vorangehenden langsamen Einleitung wird er zunächst noch hintangehalten. Ein Unisono-Auftakt des vollen Orchesters scheint auf Bedeutendes aufmerksam machen zu wollen. Die Fortsetzung allerdings trägt mehr lyrischen Charakter. Dann aber wird die Sprache energischer, das Kolorit düsterer, und die Entwicklung drängt zu einem Fortissimo-d-Moll-Akkord hin, der, unisono aus der Höhe herabstürzend, schon an die Tragik der Neunten Sinfonie erinnert. Im geistvollen Spiel der Streicher (doppelter Kontrapunkt) findet der Ton dichter dann den Weg zu der Heiterkeit des „Allegro con brio“. Im Baß steigt das erste Thema frisch und lebendig auf, das zweite Thema mit seinen Bläserterzen mutet wie ein beherzter Marsch an. Der verminderte Septimenakkord gebietet diesem sorglosen Voran Einhalt, geheimnisvolle Streicherfiguren erinnern an die Stimmung der Ein leitung, aus der denn auch bald das herabstürzende d-Moll — und zwar in Verbindung mit dem Hauptthema — herüberdröhnt. Das war für die damalige Zeit ebenso kühn wie die nun einsetzende Durchführung mit ihrem reichen und raschen Wechsel von Modulationen, aus denen uns immer wieder die Sechzehntel des Hauptthemas ent gegentönen, bis sich dann auch das zweite Thema hervorwagt, um allmählich in die Reprise überzuleiten. Sie wird abgeschlossen von einer Koda, in der uns ein chromatisch ansteigender Baßgang auffällt — auch das für die damalige Zeit etwas Ungewohntes, so daß wir verstehen können, wie eine zeitgenössische Kritik die Sinfonie ablelint. Sie stellt fest, daß Beethovens erste Sinfonie „mehr Wert als die in D hat, weil sie mit ungezwungener Leichtigkeit durchgeführt ist, während in der zweiten das Streben nach dem Neuen und Auffallenden schon mehr sichtbar ist“. Immerhin „versteht es sich von selbst, daß cs den beiden an auffallenden und brillanten Schönheiten nicht mangelt“. Das folgende „Larghetto“ ist voll süßen Wohlklangs. Es weckt die Erinnerung an Mozart, und es deutet auf Schubert hin. Zuerst singen die Violinen ein inniges Lied, dann greifen es die Klarinetten auf, und schließlich erhebt sich zwischen beiden ein ruhiges Nacheinander von Frage und Antwort, in das die anderen Holzbläser und Hörner bekräftigend eingreifen. Eine neue Melodie schließt sich an und zerrinnt in gleitende Zweiunddreißigstel, die dem Satz einen Anflug von Grazie verleihen. Die Durchführung greift sie auf und verbindet sie mit Motiven des Hauptthemas, die viel seitig abgewandelt werden. Auch in der Reprise wird das Hauptthema neu belichtet und am Schluß zu fast hymnischer Größe geführt. Im Scherzo-IIauptteil werfen sich die Instrumentengruppen die motivischen Bälle zu, das Trio beginnt mit einem anmutigen Quartett der Bläser, das schnell von einem übermütig-scherzhaften Einwurf der Streicher unterbrochen wird. Dann reißen die Bläser mit der Dominante im Fortissimo wieder die Herrschaft an sich. Das erste Thema ist wieder da, diesmal von einem Baßstakkato kontrapunktiert. Der Schlußsatz gibt sich, nachdem der Tondichter in den ersten Takten mit einem Unisono-Motiv gleichsam allen Unmut von der Stirn gewischt hat, ganz dem ungezwungenen, von keiner Sorge getrübten Musizieren hin. Lvan Beethoven: 2. Sinfonie