i. Heinrich von Herzogenberg (geb. 10. Juni 184-3 zu Graz; gest. 9. Oktober 1900 zu Wiesbaden): „Totenfeier“, Kantate in 2 Teilen für Chor, Soli, Orchester und Orgel. (Werk 80.) Text mit Erläuterungen. H. v. Herzogenberg, dessen Vorbilder Heinrich Schütz und Seb. Bach waren und der in der Architek tonik seiner Chöre zuweilen deutlich an Bach erinnert, hat sich den Text zu dieser „Totenfeier“ aus Bibelsprüchen und Kirchenliedern selbst zusammengestellt. Ein vollinstrumentierter Trauermarsch leitet den ersten Teil des Werkes ein. Im wuchtigen Einklang des ganzen Chores vernehmen wir das Wort Hiob 14, 1. 2: „Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt nur kurze Zeit, und ist voll Unruhe, gehet auf wie eine Blume, und fällt ab, fliehet wie ein Schatten, und bleibet nicht!" Es folgen die trüben Worte des Bußpsalms 6: „Herr, warum trittst du so ferne?“ — „Ach, du Herr, wie so lange!“, vom Solo-Baß gesungen, worauf in gedehnten melodischen Verzierungen die alte Klage desselben Psalmisten ertönt: „Ich bin ausgeschüttet wie Wasserund mein Herz im Leibe ist wie zerschmolzenes Wachs. Ich schwemme mein Bett die ganze Macht und netze mit Tränen mein Lager. Ich bin so müde von Seufzen, und meine Gestalt ist verfallen vor Trauern und ist alt geworden. Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Wir sehnen uns nach tröstlichem Zuspruch. Ihn spendet (wie aus der Ferne) eine Altstimme mit den Worten Joh. 13, 7 und Jes. 55, 8. 9: „Was ich tue, spricht der Herr, das weißt du jetzt nicht, du wirst es aber hernach erfahren. Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und meine Wege sind nicht eure Wege. Soviel der Himmel höher ist, denn die Erde, so sind auch meine Gedanken und meine Wege höher als die euren.“ Mit diesem, von der Orgel begleiteten Alt-Rezitativ verbindet sich ein einstimmiger Gesang des Chor-Basses, der in charakteristischen Rhythmen die 4. Strophe des alten Büßliedes: „Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ“ anstimmt: „Ich lieg im Streit, und widerstreb’, o hilf, Herr Christ, dem Schwachen! An deiner Gnad’ allein ich kleb’, du kannst mich stärker machen. Kommt nun Anfechtung her, so wehr’, daß sie mich nicht umstoßen, du kannst maaßen, daß mir’s nicht bring’ Gefahr, ich weiß, du wirst’s nicht lassen.“ (Joh. Agricola). Wie Morgensonnenstrahl nach Macht und Dunkel wirkt hierauf das plötzlich aufleuchtende: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe.“ (Chor und Sopran-Solo). Das ergreifende Bild menschlicher Hinfälligkeit weicht nunmehr der Hoffnung auf unsägliche Herrlichkeit. Qen Teil 2 leitet das Rezitativ ein: „Da ich den Herrn suchte, antwortete er mir, und errettete mich aus aller meiner Furcht. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachten, so bist du, Gott, allezeit doch meines Herzens Trost und mein Teil.“ (Ps. 73, 26). Der folgende Halbchor, in den der Choral „Was mein Gott will“ (Flöte und Trompete) verwebt ist, gehört zu den wertvollsten Perlen der Gesangsliteratur. Die Sänger stimmen den alten Gesangbuchtext an: „Ich hab’ dich eine kleine Zeit, 0 liebes Kind, ver lassen, Sieh, aber sieh! mit großem Glück Und Trost ohn’ alle Maßen Will ich dir schon die Freudenkron Aufsetzen und verehren; Dein kurzes Leid soll sich in Freud’ Und ewig Wohl ver kehren!“ Wir sind bei einem der Hauptstücke des Werkes angelangt, dem geheimnisvoll beginnenden, in der Folge sich mächtig steigernden Chore: „Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, dann werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein.“ (Ps. 126, 1. 2). Dieses Stück ist reich an Offenbarungen künstlerischer Meisterschaft; die Themen sind plastisch aufgebaut, klar einander gegenübergestellt und in geschickter Weise, dem Texte entsprechend, verarbeitet. Man beachte die Schönheit der Schlußstelle: „Dann werden wir sein wie die Träumenden.“ Eine entzückende, die Taufrische eines Frühlingsmorgens atmende Sopran-Arie (Begleitung: drei Violen, Solo-Violine und Flöte) folgt: „Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth! Der Vogel hat ein Haus ge funden, und die Schwalbe ein Mest: deine Altäre, Herr Zebaoth! Sela!«, worauf nach einem kurzen Baß-Rezitativ „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Marne des Herrn sei gelobet!“ sich Chor und Gemeinde zu dem Allgemeinen Schlußgesang vereinigen: