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Mit der fünften Sinfonie sind wir in einer anderen Welt. Nichts mehr vom blo ßen Spiel der Gedanken, nichts mehr von objektiver Kühle. Nun spricht ein Mensch zu uns. Ein Mensch, den ein furchtbares Schicksal überfallen hat, das furchtbarste, das einen Musiker treffen kann: Beethoven ertaubte immer mehr, immer mehr schloß sich für ihn das Tor ins Land der Musik. Als ihm die Gewißheit wurde, daß sein Gehörleiden unheilbar sei, verzweifelte er. Wurde er ein Opfer des Schicksals? „Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen, ganz niederbeugen soll es mich gewiß nicht“ — das war die Beethovensche Ant wort; die fünfte Sinfonie war seine Antwort in Tönen. Sie wurde die „Schicksalssin fonie“, denn sie beginnt und ist aufgebaut auf einem Motiv, einem der bekanntesten aller Musikmotive, das nach des Meisters Worten zu deuten ist: „So pocht das Schick sal an die Pforte“. Gewaltig hämmern seine Schläge herab, aber der Mensch läßt sich von ihnen nicht schrecken. Er wirft sich dem Schicksal entgegen. Er „greift ihm in den Rachen“. Er bezwingt es. „Vieles Ge waltige lebt, und das Gewaltigste ist der Mensch“, heißt es in der „Antigone“ des Sophokles. So verstanden ist die Fünfte die Sinfonie unserer Tage, in denen es gilt, dem fürchterlichen Schicksal, das eine ver brecherische Staatsführung über uns ge bracht hat, zu begegnen, aus dem Nichts ein neues Deutschland aufzubauen. Diese Sinfonie, unmißverständlich in ihren menschlichen Beziehungen, ist zu gleich ein Wunderwerk musikalischer Kon struktion und Konzentration, das zu be trachten man nicht müde wird. Und erst aus solcher genauer Kenntnis heraus kann man dem Werk, seiner Größe, seiner über ragenden Bedeutung, die schon ein E. Th. A. H o f f m a n n erkannt hat, gerecht werden. Jenes „Schicksalsmotiv“ nämlich, be stehend aus nur vier Noten, beherrscht nicht nur den ersten Satz, der ganz von ihm „lebt“, sondern kehrt als „Urmotiv“ des Werkes auch in anderen Sätzen wieder. Nur im langsamen Satz fehlt es: kein Wun der, nach den Härten und Schroffheiten des ersten Satzes verlangt die Ökonomie des Hörens eine Entspannung, die dann auch mit dem seelenvollen Gesang der Bratschen und Celli als erstem Thema gewährleistet ist. Ein zweites Thema wird marschmäßig in eine glanzvolle Steigerung hineinge tragen. Dann schließen sich die, beideThe- men verarbeitenden Variationen an. Im dritten Satz brechen die dunklen Gewalten, die der erste beschworen hatte, wieder her ein. Nach dem schattenhaften Wellenschlag, den die Celli und Bässe mit ihrer auf- und absteigenden Figur erzeugen, setzen die Hörner mit dem Thema ein, das sich ohne weiteres als ein Nachklang des „Urmotivs“ zu erkennen gibt. Das, was man früher das Trio des Scherzos nannte, ist hier ein Mit telsatz in Dur, in dem als von unten auf brechendes Fugato Gegenkräfte wach wer den. Sie können sich aber noch nicht durch setzen, werden atemlos, setzen aufs neue an und machen doch schließlich wieder den feindlichen Mächten Platz. Dann aber sagt uns eine Überleitung, daß der Sieg der guten Mächte bevorsteht. Er wird ver kündigt in dem sieghaft hereinbrechenden Finale, in das noch einmal die Schatten aus dem Scherzo hereinwehen. Es ist wie der jene Umbildung des Haupt-, des Ur motivs, das auf diese Weise seine Wirkung auch in den letzten Satz ausstrahlt. Da durch erreicht Beethoven die thematische Einheit der ganzen Sinfonie. Zugleich wird noch einmal der Gedanke bestätigt: das Schicksal mag noch so sehr drohen und an die Pforte pochen — der Starke überwindet es. Denn in einem siegesfrohen Freuden ausbruch endet das Werk. Das Violinkonzert ist seinem Wesen nach (Konzert kommt aus dem lateinischen concertare — Wettstreiten, es ist also ein Wettstreit zwischen den Instrumenten), kein Werk des Bekennens, der Beichte, sondern so wie die erste Sinfonie ein Werk des unbelasteten Musizierens. Die Wesens art Beethovens allerdings bringt es mit sich, daß sich Solo-Instrument und Orchester nicht in inhaltslosen Gesprächen ergehen, sondern daß auch dieser Wettstreit seeli schen Tiefgang hat, der uns immer wieder ergreift. Dr. Karl Laux.