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Exped. u. Stedattio« rre»»eu-Neustadt kl. Meißner Lasse L. Die Zeitung erscheint Ttenstag, Taunerfta, und Gannabend früh. Abonnement»- Prei»: dierteljährl. M. 1,50. Zu beziehen durch die kaiserlichen Post- anslaiten und durch unsere Boten. Bei sreier Lieferung inS HauS erhebt die Posi noch eine G» dühr von 25 Ps. iilh fischt DolßeiluG Lin unterhaltendes Blatt für den Bürger und Landmann. Amtsblatt für die kgl. Amtshauptmannschaften Dresden-Alt st adt und Dresden-Neu st adt, für die Ortschaften des kgl. Amtsgerichts Dresden, sowie für die kgl. Forstrentämter Dresden, Tharandt und Moritzburg. verantwortlicher Redakteur und Verleger Kerrmanu Müller in Dresden Juferate werden bi» Montag. Mittwoch u. Freitag Mittag angenommen und kosten: dielfpalt. Zeile 15 Pf. Unter Eingesandt: 30 Pf. Inseraten» Annatzmestellcnr Die Arnoldische Buchhandlung, Jnvalidcndan., HaascnsteinH Bogle», Rudolf Mosse, G L. Daube L tlo. in Dresden, Leipzig, Franksuri a/M.. G Kohl, Kessclsdorf u s. w. Dienstag, den 16. Wovember 1897. 59. Jahrgang. Mf" Zufolge der gesetzlich aogeordoeteu Be schränkung des DruckereibetrtebeS an Soun- und Feiertagen kann Nummer 136 der „Sächsische« Dorfleitung" erst Donnerstag, den 18. November, abends erscheinen. Die Verlag-»Expedition. Politische Weltschau Deutsches Reich. Die neuerdings angeregte Frage der Wehrsteuer wird in den Blättern eifrig diskutirt. Ablehnend verhalten sich u. A. die frei sinnigen Blätter, wennschon dieselben mit der Be schaffung erhöhter Mittel zu Gunsten der Veteranen einverstanden sind. Ein Berliner Blatt freisinniger Richtung präcifirt seinen ablehnenden Standpunkt zur Wehrsteuerfrage unter Anderem in folgenden Sätzen: „Es ist bezeichnend, daß die Heeresverwaltung selbst Stellung gegen die Vorlage nahm, doch konnte dies nicht verwundern; hat sie doch immer die ideale Seite der allgemeinen Wehrpflicht hoch zu halten ge sucht. Wir wollen gewiß an der idealen Seite nicht rütteln, allein die reale ist doch viel einfacher, wichtiger und entscheidend. Welches find die Klaffen, welche vom Dienen befreit oder davon ausgeschloffen find? 1. die Bestraften, 2. die wegen häuslicher Verhältnisse Be- freiten, 3. die wegen körperlicher und geistiger Mängel oder Gebrechen Untauglichen. Die ersten bleiben außer Betracht. Bei den beiden anderen Klaffen liegt aber doch der Widerspruch zwischen Zweck und Begründung auf der Hand. Einen Mann besteuern, der bereits von der Natur so schwer benachtheiligt ist, daß er zum Dienen untauglich ist, hieße doch, ihn dasür auch noch belasten. Das geht gegen den gesunden Menschen verstand. Ist ein solcher Mann durch die Gebrechen, welche ihn zum Dienen untauglich machen, nicht schwer benachtheiligt? Ist er dadurch nicht vielfach auch in der Freiheit der Berufswahl beschränkt? Und zu alle dem soll er noch besonders besteuert werden! Haben ferner die wegen Reklamation Befreiten nicht sämmt- lich besondere Pflichten und Lasten, durch welche ihre Dienstbefreiung erst begründet wird? Würden sie durch eine Wehrsteuer nicht ebenfalls noch extra belastet? Eine Eingabe an den Reichstag, die so im Wider spruche mit den Thatsachen steht, ist nach wie vor ein todtgeborenes Kind. Eine Wehrsteuer ließe sich nur bet einer Klaffe der vom Dienen Befreiten begründen, nemlich bei denjenigen Mannschaften, die weder körper lich und geistig unbrauchbar noch reklamirt find, son dern al- brauchbar überzählig bleiben. Daß eS sich aber nicht verlohnt, wegen dieser kleinen Klaffe ein Gesetz zu machen, bedarf schon aus reinen materiellen Gründen keiner Ausführung, mehr, denn die Ziffer der brauchbaren Ueberzähligen ist verschwindend gering." Von Erwägungen, die zu Gunsten der Wehrsteuer sprechen und die auch in konservativen Blättern betont werden, verlautet in dem genannten Blatte natürlich nichts. Zu Gunsten der Wehrsteuer kann man alle jene Argumente anführen, die fich aus der zur Zeit noch thatsächlich bestehenden Ungleichheit in der allgemeinen Wehrpflicht herleiten. Das Volk in Waffen muß eS z. B. als eine Ungerechtigkeit empfinden, wenn lediglich der formale Umstand der jeweiligen Friedenspräsenzziffer Veran lassung giebt, daß sonst völlig taugliche junge Männer von der Dienstpflicht befreit werden, nur weil sie das Glück haben, eine gute Loosnummer zu ziehen. Eine Verwirrung in der Auffassung der minder urtheils- fähigen Volksschichten ist durch ein solches Verfahren allenfalls noch weit eher zu befürchten, als durch die Einführung einer Wehrsteuer. Hat fich aber bisher nichts ergeben, was auf das Vorhandensein bedenklicher volksthümlicher Vorstellungen über die Handhabung des AusloosungSverfahrens schließen ließe, so wird man zuversichtlich erwarten dürfen, daß auch die Wehrsteuer nicht dazu führen werde, eine ihrem eigentlichen Wesen diametral zuwiderlaufende Anschauung über ihr Ver- hältniß zu der persönlichen Dienstpflicht zu verbreiten. Dem natürlichen Gerechtigkeitsgefühl entspricht es un. bedingt, wenn derjenige Staatsbürger, der, ohne per sönlich wehrpflichtig zu sein, doch in seinem Erwerbe niä t behindert ist, auch von seiner Hände Arbeit einen Theil mit beiträgt zu den allgemeinen Lasten der mili, tärischen Dienstpflicht. Das ist rin so zwingendes Ge bot der ausgleichenden Gerechtigkeit, daß ihm gegen- über alle anderen Einwände zurücktreten müssen. Ueber ! das Wie? einer Wehrsteuer läßt sich streiten, abe'' die Sache selbst ist nicht anfechtbar. Die Wehrsteuer ist, wie Fürst Bismarck erklärt hat, die Ausgleichung einer Last, für die ein anderer Weg nicht gefunden werden kann. Zahlreiche fremde Staaten haben das längst erkannt und dement prechend gehandelt. Der Charakter der Vaterlandsvertheidigung als einer allgemeinen Ehrenpflicht erleidet durch die Wehrsteuer nicht die allergeringste Einbuße; im Gegentheil, gerade eine Wehrsteuer macht jene Ehrenpflicht erst recht allgemein, indem sie auch die bisher nicht Betheiligten in einer ihrem Können entsprechenden Form mit heranzieht. Kaiser Wilhelm setzt seine Reise durch die schlesischen Ueberschwemmungsgebiete frrt. Der Kaiser soll fich über den furchtbaren Umfang de- Schaden- sehr überrascht gezeigt und staatliche Hilfe besonder- zur Reaulirung der Flußläufe zugesichert haben. Ist da- richtig, so würde damit auf die Berichterstattung der amtlichen Stellen, deren Sache eS war, den Kaiser über die traurigen Ereignisse in Schlesien und über die durch das Hochwasser angerichteten Verheerungen zu unterrichten, ein wenig günstige- Licht fallen. Wenn man dem Kaiser auch nur einen Auszug au- den Berichten, welche die Tage-- und illustrirten Wochen blätter über die Hochwafserverheerungen veröffentlicht haben, vorgelegt hätte, so würde die Ueberraschung gar nicht möglich gewesen sein. Auch die Art, wie nach der traurigen Katastrophe, Staat-Hilfe gewährt und der Umfang, in dem sie gewährt wurde, ist be kanntlich vielfach beanstandet worden. Es ist zu er warten, daß nach der Reise des Kaisers und nach dem warmen Interesse, das der hohe Herr den Verunglückten entgegengebracht hat, die Arbeiten beschleunigt werden, die zur Verhütung ähnlicher Katastrophen schon längst hätten ergriffen werden sollen. Der Czar hat dem badischen Hose, wie eS scheint, wegen der Zurückweisung des großherzoglichen Besuchs, eine ganz besondere Genugthuung bereiten wollen, denn in Karlsruhe soll fortan eine besondere russische Gesandtschaft errichtet werden. Die officielle „Karlsruher Zeitung" schreibt zu dieser Angelegenheit: „Ueber die Errichtung einer eigenen russischen Gesandt schaft in Ka lSruhe mit einem ständigen Geschäftsträger an der Spitze haben schon vor längerer Zeit zwischen den beiderseitigen Ministerien Besprechungen stc-ttge- funden. Die Errichtung einer eigenen ständigen Ge sandtschaft in Karlsruhe an Stelle der bisherigen mit dem Sitze in Stuttgart ist ein Beweis für die guten Beziehungen, die zwischen den Höfen von Petersburg und Karlsruhe bestehen." Damit dürfte der unliebsame Zwischenfall wohl vollständig beigelegt sein. In dem Befinden des Fürsten Bismark ist erfreulicher Weise bereit- eine Besserung eingetreten, so daß es zur Zeit zu keinerlei Besorgniß mehr Anlaß giebt. Der Fürst litt infolge heftiger Gesichts chmerzen einige Nächte an Schlaflosigkeit. Dieser Umstand macht auch den Besuch des Grafen Herbert Bismarck in FriedrichSruh erklärlich- Ein energischer Schritt gegen die immer mehr überhand nehmende welfische Agitation wird aus Braunschweig gemeldet. Es giebt nemlich daselbst zahlreiche politische Vereinigungen, welche die un- genirteste Agitation zu Gunsten der Einsetzung deS Herzogs von Cumberland als „de- allein berechtigten Feuilleton. Der Spion. Historischer Roman ous der Geschichte de- heutigen Rußlands von Julius Grosse. (Nachdruck verboten.) (17. Fortsetzung.) Ich drängte die Rücksichtslose hinaus, damit die Aerwste ihre verletzenden Worte nicht mehr hören sollte. Draußen war da- Gelage zu Ehren der kleinen Annuschka schon im vollen Gange. Nach ehrbarer rus sischer Sitte beginnt man überall damit erst, sobald die Leiche au- dem Hause und beerdigt ist. Aber m dieser barocken Wirthschaft nahm man die- nicht so genau und die Ungeduld der durstigen Zechbrüder und Gevattern ließ sich nicht erst bis zur Erledigung der Leremonie vertrösten. ES war ein unbeschreibliche- Bild, da- sich meinen Blicken bot, häßlich und buntscheckig und bei alledem so lächerlich grotet k, daß eine Zeitlang selbst der Wider wille ausgewogen wurde. Mitten auf dem Tische brodelte der Samowar, ringsum von geborgten Tellern, Gläsern, Leuchtern und Lampen umgeben, die man bereits ongezündet hatte, obwohl es noch Tag war. Verschwenderisch waren die Vorräche von kaltem Fleisch, Fischen, Kaviar, dazu Schüsseln von süßer Grütze und Piroggen, die mit onglaudlicher Schnelligkeit verschwanden. Und rings um die lange Tafel eine Gesellschaft, so gemischt und phantastisch, daß auch der unheilbarste Hypochonder Stoff zum Lachen g-funden hätte, wäre der Anlaß nicht ein so trauriger gewesen. Aus dem Hause selbst waren mehrere Handwerker mit struppig n Bärten anwesend. Der Zimmermann, der den Sarg gemacht, der Lichtzieher, der die Kerzen geliefert, dann der Fischhändler und Gewürzkrämer, dem das Haus gehörte, mehrere Frauen, auch mit allrussischem Kopf putz, kleine Stadtbeamt-, Winkrlschreiber und Handels. Mäkler, die in dem weitläufigen Komplex der Anbauten s wohnten, in der Mehrzahl haarbuschige, blaunasige, vierschrötige Gesellen, die ihre Gläser schwangen, mit Riesenkraft aßen oder vor sich hinstierten, während die Weiber durcheinander schnatteren, der kleinen Annusckka letzte Krankheit besprachen und ihre Klugheit und Anmuth sowie die Schönheit ihrer Mutter in den Himmel hoben. Gerade als ich eintrat, hatte sich am unteren Ende der Tast! ein Streit erhoben. Einige jener HandelS- I leute, der Fischhändler oder der Lichterzieher, gehörten zu der Stkle deS RaSkolmken, die sich bekanntlich weder Haar noch Bart scheelen. Dieser Umstand weckte den Spott und Widerspruch eine- fremdländisch.» Friseur-, ! der überhaupt den meisten Lärm vollführte. In diesem kleinen quecksilbrigen Franzosen lernte ich Monsieur Parchemin kennen, von dem mir schon Sherwood erzählt hatte und der hier d e Rolle deS Aristokraten und zugleich de- Revolutionär-, im Ueb» rigen die «ine- äluiirs cko plniair spülte. Wie ich später erfuhr, hatte dieser flotte, erfinderische Bursche, , seit er in Smolen-k ausgetaucht war, zuerst eine Friseur- bude eröffnet und war jetzt im Begriff eine Ehirurgen- wittwe zu heirathen, die mit Blutegeln und Pflastern em ichwungvolleS Geschäft betrieb. Diese- neue Rosen- joch verhinderte ihn, die bisherigen Funktionen al» Faktotum und Mentor bci Frau Nadjeschda fortzu- führen, die er in den schlimmsten Tagen bisher nach Klüften treu und ritterlich beschützt hatte. Jetzt war er im Namen der Civilisation mit dem RaSkolniken im Streit wegen ihrer barbarischen Haart fülle; aber seine begeisterten Tiraden erregten nur Ge lächter, so daß er den Bristand eines anwesenden Popen anrief, der neben ihm saß und mit weisem KopfmcktN allemal Dem Recht gab, der zuletzt geredet hatte. DaS ganze Treiben war sür mich so wenig an ziehend, daß ich eS vorgezogcn hätte, zu gehen, wenn meine Sorge um Frau Nadjeschda mich nicht festge- hatten hätte. ES schien mir wichtig, ihre ganz- Um gebung kennen zr lernen und dabei zu erwägen, auf welche Weise ich sie am Raschesten auS diesem Abgrund deS Elends und schlimmerer Gefahr erlösen könnte. Gleich als ich mir in der Nähe der Tdür einen Platz suchte, hört: ich etwas, daS alle meine Befürch tungen bestätigte. Oben an der Tafel mit dem Rücken zum Fenster saß nemlich ein Herr, den ich gestern erst auf dem Pferdemarkt flüchtig kennen gelernt, ver Gutsbesitzer Poggio au» Kamenko. Ich hatte von seiner Existenz Überhaupt nur durch Sherwood Kenntniß, wußte dem nach, daß er zu den Verschworenen zählte und ferner, daß er seinen Patz in» Attland bereit- in der Tasche hatte. Nach dem Wenigen, wa- ich gestern von ihm erfahren, war er em lockerer Lebemann, ebenso reich al- gewissenlos, ein Wüstling, der seinerzeit die hohe