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Dresdner Journal : 16.10.1893
- Erscheinungsdatum
- 1893-10-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-189310167
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-18931016
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-18931016
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Journal
-
Jahr
1893
-
Monat
1893-10
- Tag 1893-10-16
-
Monat
1893-10
-
Jahr
1893
- Titel
- Dresdner Journal : 16.10.1893
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— Zu den deutsch-russischen Handels, vertrag-verhandlungen schreibt die „Nat. Ztg.": „Mit Bezug auf allerlei durch die Presse gehende Mit- teilungen über den Stand der deutsch russischen Zoll- Verhandlungen erfahren wir als zuverlässig folgendes: In der bevorstehenden Woche wird der wirtschaftliche Beirat für die Verhandlungen zusammentreten. Daraus ergiebt sich, das, die bisherigen Beratungen der deutschen und russischen Kommissare Material ergeben haben, welches den Beirat — und zwar, wie wir hören, für die nächste Zeit in ausgiebiger Weise — zu beschäftigen hat." — Die Erwägungen hinsichtlich der beabsichtigten Erweiterung der Reichs st empelabgaben sind, wie die „Nordd. Allg Ztg." erfährt, noch nicht beendet. Es kann deshalb auch noch keine Rede davon sein, daß der Bundesrat in dieser Frage eine Entscheidung getroffen habe. — Zur Unterstützung der im Reichsamt des In nern unablässig geförderten Arbeiten über die Aus führung der Bestimmungen betreffend die Sonntags ruhe für die Industrie werden, wie das ebengenannte Blatt Hörl, noch einige technische Hilfskräfte heran gezogen werden. — Die durch die Blätter gehenden Meldungen über die Umgestaltung des JrrenwesenS lassen vermuten die diesbezüglichen Erhebungen und Vor arbeiten gestatteten bereits die Aufstellung eines voll ständigen Reformplanes. Das ist aber der „Nordd. Allg. Ztg." zufolge noch nicht der Fall ; daß in Ver bindung mit einer zukünftigen Revision der Civil- Prozeßordnung auch eine erneute Prüfung der Be stimmungen über das Entmündigungsverfahren statt finden dürfte, bezeichnet das genannte Blatt als sicher. — Die Meldung, daß die Vorarbeiten für eine gesetzliche Regelung der Entschädigung unschuldig Verurteilter auf Betreiben des neuen Staatssekretärs des Reichsjustiz^mtes sehr beschleunigt würden, sodaß ein entsprechender Gesetzentwurf zuversichtlich in der nächsten Session erwartet werden könne, wird jetzt von der „Berliner Börsen-Zeüung" bestätigt. Nach diesem Blatte sind die Arbeiten so weit gediehen, daß man die Grundzüge, von denen der Entwurf auszugehen beabsich igt, zu übersehen vermag. Danach besteht das Grundprinzip des ganzen Gesetzes darin, daß den ungerechtfertigt Verurteilten ein Rechts anspruch auf angemessene Entschädigung gebühren soll Be dingung für die Zuerkennung de« Anspruchs ist, daß nach Wiederaufnahme des Verfabrens die Einstellung des Straf verfahrens oder Freisprechung erwirkt wird. Die Ent schädigung soll in der Höhe verlangt werden können, wie der Angesch rldigte durch die ungerechtfertigte Verurteilung vermögensrechtliche Nachteile erlitten hat; dagegen soll der Anspruch nicht statthaft sein, wenn derselbe die Verurteilung absichtlich herbeigesührt hat. Die Ermittelungen bezüglich der Höhe und des Grundes des Entschädigungsanspruches sollen von demjenigen Gericht geleitet werden, welches über die Wiederaufnahme in erster Instanz erkannt hat. Die Akten sind aladann dem Justizmin'ster vorzulegen, welcher über den erhobenen Anspruch endgiltig erkennt und den Entichävigungsantrag feststellt. Ein Entschädigungsverfahren findet nicht statt, wenn in dem Wiederaufnahmeverfahren keine Freisprechung, wohl aber ein anderer, milderer Straf satz erzielt worden ist. Ebenso hat man sich nicht dazu entschlossen, die Entschädigungspflicht auch auf schuldlos erlitlene Untersuchungshaft auszudehnen. Ein bedeutsamer Punkt, nämlich die Frage der Rückwirkung des neuen Ge setzes auf Strafurteile, welche vor der Wirksamkeit des Gesetzes gefällt worden sind und unter seiner Herrschaft als ungerechtfertigt erkannt werden, bedarf vor seiner Fixierung noch finanzieller Erörterungen. — Das durch den Tod des Generals v Versen erledigte Generalkommando des 3. Armeecorps ist dem Prinzen Friedrich von Hohenzollern, Kommandeur der 22. Division (Kassel), übertragen worden. Prinz Friedrich ist nach der „Nat -Ztg." am 30 September 1862 Secondelieutenant gewoiden, wurde am 8. August 1866 zum Premierftemenant und am 25. April 1867 zum Rittmeister befördert. Als solcher machte er im 2. Gardedcagonerreoim-nj den Feldzug 1870/71 mit; erwarb sich in demselben das Eiserne Kreuz 2. Klaffe; in dem Regiment wurde er am 22. März 1872 zum Major befördert; dann wurde er Kommandeur des Regiments; die Beförder ung zum Oberstlieutenant datiert vom 22. März 1877, die zum Obersten vom 16. September 1881. Als Generalmajor, zu welcher Charge er am 22. März 1887 ernannt wurde, kommandierte er tue 3. Garde kavalleriebrigade, Generallieutenaat wurde er am 24. März 1890 und erhielt dann die 22. Division. — Das Kaiserliche Gesundheitsamt macht folgende Cholerafälle bekannt: In Stettin wurde bei weiteren acht Erkrankten (davon drei gestorben) Cholera nachgewiesen. Von den früher gemeldeten Fällen sind drei tödlich verlaufen. In Hamburg eine Erkrankung mit tödlichem AuSgange, außerdem unter den früher Erkrankten ein Sterbefall. Stettin, 15 Oktober. Laut polizeilicher Bekannt machung sind hier weitere acht ErkrankungS und drei TodeSfylle an Cholera vorgekommen. Insgesamt sind vom l. bis 14. Oktober hier 33 Personen an der Choleia erkrankt und l l gestorben. In Grabow find, wir die dortige Polizeiverwaltung bekannt macht, weitere zwei Personen an der Cholera gestorben. Eisenach, 14. Oktober. Der Gewerbekammer tag wurde heute geschlossen. Beschlüsse zu den preu ßischen Vorschlägen über die Organisation des Hand werks sind nicht gefaßt worden; es fand nur ein Ge dankenaustausch über dieselben statt. AlS Vorort wurde Zittau gewählt. * Pari-, 15. Oktober. Wie die „Agence HavaS" mitteilt, hat der Präsident Carnot bei dem Ein treffen des russischen Geschwaders vor Toulon ein Telegramm an den Kaiser von Rußland gerichtet, worauf der Kaiser sofort antwortete. Gestern telegraphierte der Präsident nochmals an den Kaiser gelegentlich dessen Besuches der französi schen Schiffe. — Über den werteren Ver laus der Festlichkeiten in Toulon ist folgendes zu berichten: Gestern abend sand zu Ehren des Admirals Avelan und der russischen Offiziere auf dem „Formidable" ein Bankett statt. Bei demselben be grüßte der Kommandant des französischen Geschwaders, Boissoudy, in einem Trinkspruche die russischen Gäste und gab seiner Freude darüber Ausdruck, dieselben empfangen zu können. Der Trinkspruch schloß mit einem Hoch auf den Kaiser und die Kaiserin von Rußland, sowie auf die Größe und das Glück Ruß lands. In einem zweiten Toaste brachte Boissoudy ein Hoch auf die russische Armee und die russische Marine aus und gedachte der Helden, welche während des russisch-türkischen Krieges durch ihre Kühnheit und ihre Militäriscken Tugenden die Bewunderung von ganz Frankreich erregt hätten. Hierauf erhob sich Admiral Avelan und trank auf die Gesundheit des Präsidenten Carnot. In eimm zweiten Toaste hob derselbe hervor, die russischen Offiziere scien stolz, an Bord eines französischen Schiffes zu sein; in ihrem Namen trinke er auf das Wohlergehen der französischen Marine und des französischen Heeres. Stach dem Diner fand ein Ball im Arsenal statt, welcher von den Offizieren der Armee und der Marine veran staltet war. Bei dem Erscheinen des Admirals Avelan wurde die russische Hymne gespielt Wiederholt wurden die Rufe: „Es lebe Rußland, es lebe der Kaiser von Rußland!" erhoben. Mehr als 5000 Personen nahmen an dem Balle teil. Gegen Mitternacht zog sich Avelan zurück. Während des Balles im Arsenal sand im alten Binnenhasen ein venetianisches Fest statt; sämtliche Schiffe waren illu miniert, die Häuser am Hafen erleuchtet; vor der Mairie spielte eine Militärkapelle Die Beteiligung der Bevölkerung an dem Feste war eine sehr starke. — Heute vormittag veranstaltete die Munizipalität zu Ehren der russischen Offiziere in dem prächtig dekorierten Hofe des Lyceums ein Dejeuner zu 800 Gedecken. Bei demselben brachte der Maire einen Trinkspruch auf den Kaiser und die Kaiserin von Rußland aus, welcher mit lebhaftem Beifall und den Rufen: „Es lebe der Kaiser, es lebe Rußland!" auf- ger ommen wurde. Der Maire fügte hinzu, diese Rufe zeugten für die unlösliche Anhänglichkeit Fronk- reict'.L an Rußland. Die Vereinigung -der beiden Völker beweise der ganzen Welt den lebhaften Wunsch, daß für Europa eine Ara des Friedens und Gedeihens beginnen möge. „Gerade in unserer Stärke werden wir eine Garantie für diesen der Freiheit so not wendigen Frieden finden!" Auf diesen Toast ant wortete der Admiral Arelan mit einem Toast auf den Präsidenten Carnot und das französische Volk. Der Admiral dankte für die sorgfältigen Veranstalt ungen, welche getroffen wurden, nm den Glanz des Empfanges des Gtschwaders zu erhöhen. Diese Ver anstaltungen bewiesen die Größe der französischen Nation, die Großartigkeit ihrer Gastfreundschaft und die gegenseitigen Sympathien, die zwischen beiden Nationen beständen. Der Admiral schloß, er trinke auf die Gesundheit des Maire, das Gedeihen Ton ons und ganz Frankreichs. Die den russischen Offizieren von der Stadt Toulon gestifteten Pokale waren vor den Toasten verteilt worden. Brüssel, 14. Oktober. Da- Touloner Ver brüderung-fest muß eine bedeutende Menge von Russen nach Frankreich gelockt Haden, wie man die- allein aus der Masse jener Leute erkennen kann, die auf der Durchreise dorthin in Brüssel eingetroffen sind. Wie groß die Zahl derselben frin muß, da» geht z B daraus hervor, daß vorgestern ein einzige» hiesigeS Wechselgeschäft über 6000 Rubel in Franc» umgewechfelt hat. Von irgend welchen Manifestationen dieser Herren zu Gunsten der Verbrüderung hat man allrrdingS nichts gchört, dagegen haben die hier an sässigen Franzosen nicht umhin gekonnt, der Welt zu zeigen, welchen Anteil auch sie an den in Toulon sich abspielenden Ereignissen nehmen. Geleitet von Hrn. Rolland dem Präsidenten der hiesigen französi schen Handelskammer, begab sich gestern eine Depu tation derselben nach der russischen Gesandtschaft, wo selbst Hr. Rolland eine von glühender Begeisterung für das russische Brudervolk durchwehte Ansprache hielt und hierauf 5<i0 FrcS. als Unterstützung für die Opfer ter „Russalka" überreichte Ter russische Gesandte dankte für diese Spende von 500 Frcs. — 400 M., zu der sich die sehr reiche französische Kolonie emporzuschwingen vermocht hatte. — Aus Charleroi wird gemeldet: Der nunmehr beendigte Streik hat zwar den belgischen Arbeitern eine Einbuße von 7—800 000 FrcS. an Löhnen ge bracht, dafür aber dieselben um eine Erfahrung be reichert, die sür sie hoffentlich recht heilsame Folgen haben wird. Zum ersten Male haben nämlich die Arbeiter klar die Gewissenlosigkeit durchschaut, mit der die Führer derartige Ausstände anzetteln, und diese Erkenntnis hat bereits dem berüchtigten „Arbeiter könig" Callewaert seine Stellung und seinen ganzen Einfluß gekostet. Hr. Callewaert, der bis dahin fort während zum Ausstande gehetzt, hatte nämlich plötzlich die Wiederaufnahme der Arbeit angeordnet, hiermit aber zahlreiche Arbeiter vor den Kopf gestoßen. Die Leute begriffen einfach nickt, weshalb sie so lange gefeiert und das größte Elend ausgestanden haben sollten, um in einem Augenblicke zur Arbeit znrück- zukehreu, in welchem die Kohlenvorräte erschöpft und die Zechen zum Nachgeben gezwungen waren. Eme Versammlung wurde von den Unzufriedenen ver anstaltet, in der auch Callewaert erschien, um sich zu rechtfertigen. Er erklärte, daß die Arbeiter der Not- wendigkelt sich beugen und von einem Streike ab stehen müßten, den der Generairat in Brüssel gegen seinen, Callewaeits, Willen beschlossen hätte. Da aber entstand ein großer Lärm. Man rief ihm zu, wes halb er denn zum Ausstande gehetzt hätte, wenn er von dessen Aussichtslosigkeit überzeugt gewesen wäre; man nannte ihn Veriäter und dergleichen, und zum Schluffe wurde dereinst so mächtige Arbeilerkönig unter Faustschlägen und Fußtritten auf di- Straße geworfen. Der Herrschaft des Gastwirtes Callewaert und seiner Freunde hat der letzte Streik ein gründliches Ende ge macht, und es liegen Anzeichen dafür vor, daß die Arbeiter auch an anderen Orten Belgiens in ähn licher Weise vorgehen und die unglückselige Autorität derartiger, nicht zum Arbeiterstande gehöriger Leute endgiltig von sich abschütteln werden. Rom, 14. Oktober. Wie dem „B T." gemeldet wird, hat das Marineministerium die Nachricht über die angeblichen topographischen Aufnahmen, welche seitens zweier französischen Kriegsschiffe von sizilia nischen Vesten gemacht worden wären, berichtigt. Nach der Erklärung der Franzosen hätten dieselben allerdings elektrisches Licht spielen lassen, aber nur um das schöne landschaftliche Panorama zu bewundern. — Wie in Kreisen des Marineministeriums verlautet, ist der Besuch der italienischen Flotte in Eng land im nächsten Frühjahre nicht unwahrscheinlich. — Vier Bersaglieiibawillone gehen demnächst nach Sizilien zur gründlichen Unterdrückung des Brigant aggio ab. Andere Truppen werden nach folgen. — Der Besuch der russischen Flotte in Toulon wird naturgemäß in der italienischen Presse eingehend besprochen. So veröffentlicht der vom Kardinal Rampolla instruurte „Moniteur de Rome ' einen Leitartikel über die französifch- russtiche Berbrüdkrung, welcher das gedachte Blatt allerdings in einem recht eigentümlichen Lichte erscheinen läßt Nach dem genannten Blatte sei nämlich die rwsifch iranzösiiche Allianz das Ergebnis zweier Civiliiaiionen. Tie Tripelallianz sei der Zersetzung vcrsallen, während das SZepter Europa? an Ruß land-Frankreich übrrgegangen sei, die einen Krieg nicht fürchten würden, denn auf ihrer Seite sei Bottsbsgcistenmg, Geld und endlich der Glauben, der Wunder wirke. — In einem Leit artikel der „Boce della verita" heißt es. man dürfe die französisch-russische Begegnung als ein glückliches Omen sür die Zukunft betrachten, eine andere Meinuna könne nur aus zu nuec »refsuchcn nutz.iingeuden Kraft für die Hofbühne sich entwickeln wird. Hr. Decarli hatte vorgestern infolge von Unpäßlichkeit alle Herrschaft über sein brüchiges Organ verloren und beschied sich mit einzelnen Effekten in der schau spielerischen Charakterisierur g des mißtrauischen schwer blütigen Alttüiken Osmin. Es wird notwendig sein, für diese und uochmanche andereRollen alsbald die junge Kraft des Hrn. Keller versuchsweise thätig zu machen.... Die feine Instrumentation des Werkes kam in der Ausführung der König!. Kapelle zu schöner Geltung. -v- Lady Sibylle. Erzählung von E Schrosver. 41 (Fortsetzung.) Nun hatte seine Liebe zu Sibylle alles andere in den Hintergrund gedrängt. Als er England verließ, beiann er sich kaum noch auf das, was ihn eigentlich hergeführt hatte. In Neuland, besonders in Esdorf, aber kam ihm fast bei jedem Schritte mit einem Ge fühle der Selbstverachtung die Erinnerung an die Leidenschaft, die ihn vor kurzem noch hier durch tobt hatte. Deshalb litt es ihn diesmal kaum acht Tage am Orte. Sobald er an Stelle de» kürzlich ver storbenen Verwalters einen neuen eingesetzt hatte, trat er seine Reise an. In Pari- empfing rr ein Schreiben Robert- Brieflich hatte er diesem den Grund, weshalb er KarS- brooke Castle so plötzlich verlassen, klar gemacht, ohne gleichwohl Sibylle- Namen zu nennen. „Ich habe die Dummheit begangen, mich zu verlieben", hatte er geschrieben, „in einen Gegenstand, der mir ewig un erreichbar sein wird." Ewig unerreichbar — damit hatte er seine tiefinnerste Überzeugung ausgesprochen, denn mit jeder Meile, die sich zwischen ihn und Sibylle gelegt hatte, war ihm die Unmöglichkeit einer Ver- bindung mit ihr deutlicher vor die Seele getreten. Ihre Liebe mochte noch so groß sein, den Hinderniss.n, die sich ihr in den Weg türmen würden, war sie sicherlich nicht gewachsen. Uber den geheimnisvollen „Gegenstand" hatte Roben sich nicht lange den Kopf zerbrochen, sein Scharfsinn war sofort auf Mrs. Seymour verfallen. Er bedauerte nun den Freund, lobte ihn vom morali schen Standpunkte aus, deutete aber auch an, er werde sich seines ehrenwerten Benehmens wegen noch einer Tages Glück zu wünschen haben. Mrs. Seymour sei zwar eine schöne Frau, gleichzeitig aber (der Freund möge ihm diesen Wink verzeihen) ein bißchen reichlich kokett u. s. w. u. s. w. Waldstedt las mit trübem Lächeln bis gegen den Schluß hin. Da stand: „Sibylle macht uns Sorge. Tags schleppt sie sich, blaß wie der Tod, im Hause herum, nachts soll sie fast beständig Fieber haben. Der Arzt spricht von Erkältung, Überanstrengung —" Waldstedts erster Impuls war, nach England zurückzukehren. Dann besann er sich auf die Thor- heit, die er in diesem Falle beging. Hatte er sich qewaltsam von ihr lc »gerissen, um ihr und sich die Qual noch einmal zu bereiten? Er setzte sich hin und schrieb einen Brief an Robert, einen Brief voll mühsam zusammengedrechselter Phrasen, die al» innersten Kern eine Frage um ¬ schlossen, an der für ihn Glück und Ung ück hing, so kühl und nebensächlich sie sich auch laS. „Wze geht cs Lady Sibyllen?" schrieb er. „Leg ihr meine Empfehlungen zu Füßen und mein herz liches Bedauern über ihr Unwohlsein." Am Schlüsse hieß es: „Ich beabsichtige, eine Woche in Paris zu bleiben. Vielleicht lässest Du mittlerweile noch ein mal von Dir hören?" Eigentlich hatte er noch in derselben Nacht weiter reiien wollen, doch nun blieb er in fieberhafter Un geduld wartend. Am fünften Tage kam Roberts Antwortschreiben. In argloser Weise drückte er seine Verwunderung darüber aus, daß dem Freund an seinen Briefen plötzlich etwas gelegen sei. „Wie viele habe ich im Laufe der Jahre an Dich abgefchickt, ohne auch nur ein Lebens zeichen von Dir wiederzuerhalten?" schrieb er und dann „Sibylle dankt Dir für die gütige Nachfrage und thut Dir mit einem freundlichen Gruß zu wissen, daß sie sich vollkommen wohl befinde. Das ist nun ein biß chen zuviel gesagt, aber gebessert hat sich ihr Zustand und merkwürdig angeregt ward sie durch unsere Unterhaltung über Dich. Sie fragte, wohin Deine Reise gehe und ob der Aufenthalt in Algerien nicht mit Gefahren verbunden sei. „Daß ich nicht wüßte", antwortete ich. „Die Franzosen führen ja dort da» Regiment und ein bißcken werden sie doch wohl auf Ordnung haften." — ,Za, aber gerade die Franzosen sind den Deutschen nicht hold", rief sie au», „rn jedem, der ihnen begegnet, wittern sie einen Spion! Du solltest ihm raten, sich in acht zu nehmen." — „Der und sich in acht zu nehmen I" lachte ich. — „Robert, e» ist Freunde-pflicht, ihn wenigsten» zu warnen", er ring-wurMem Haß und schnöder Mißgunst hervorgeht». Sri,« bemerkt da» durch und durch vatikanisch gesinnt« Blau, die franko - russische Verbrüderung sei die Garantie für den Welt frieden. London, 14. Oktober. Über den Besuch de» russischen Geschwader» in Toulon bringen die „Time-" einen beachtenswerten Artikel, welcher in der Hauptsache folgendes auSführt: England betrachte den russischen Seschwaderbefuch mit Ruhe, weil eS zur Folgerung gtlangt sti, daß vorläufig wenig. stenS Neutralttät die Frankreich durch den uneibi tlichrn Zwang dir Ereignisse ausgrdrungcne Lolilik sei. Würden stichhaltige Brünne für eine gegenteilige Annahme vorhanden sein, daun würde die öffentliche Meinung rasch eine völlige Umwä'zun^ erfahren. Die „TimeS" bezweifeln, ob Frankreich schließlich seine überlieferte Politik ändern und da- Auftreten Rußland als M tlelmerrmacht bewillkommnen werde. Nrpoleon I. war willens, Rußland Konstantinopel zu geben, aber er verweigerte ihm die Dardanellen, weil er in einem solche» Zugeständnis eiue ernste Bedrohung der französischen Flottenmacht im Mittel- mrere erblickte Für England könnte krinr neue Politik Frank reich- in dieser Frage gleichgiltig sein, welche Regierung, welche Partei auch am Ruder sein möge. England sei entschlossen, niemals sein Ü.e> gewicht im Mittelmeere einzubüßen. St. Petersburg, 15. Oktober. Der.Regierungs- bote" veröffentlicht die zwischen der russischen Re- gierung und dem französischen Botschafter ausgetauschten Noten in Betreff der Einwilligung ersterer dazu, daß die Schiffahrt zwischen Frankreich und Algier als Küstenschiffahrt anzusehen und mithin ausschließ lich der französischen Flagge zu überlassen ist, was bishec nickt mit Artikel 17 des fi anzösisch-russischen Handelsvertrags von 1874 im Einklang war. — Der bei dem Ministerium des Innern eingesetzten Kom mission für Revision des Volksverpflegungs- reglementS w'r seinerzeit ein Gesetzentwurf zu gegangen, betreffend die Einführung obligatorischer Versicherung der Getreidesaaten gegen Mißernte. Die Kommission richtete infolgedessen eine bezügliche Um frage an 49 Gouverneure des europäischen Rußlands. 42 derselben sprachen sich entschieden gegen die er wähnte Saatenversicherung aus. — Die St. Peters burger Presse feiert den heutigen Tag in über- sc! wen glichen Phrasen, die nur Umschreibungen der Rufe „Vive Im b'rance!" und „Viva la Üussia!' sind. Andererseits muß man bekennen, daß die Wogen der Freude und des Jubels in der großen Masse durchaus nicht so hoch schlagen, und daß man sich den Toulon-Pariser Festlichkeiten gegenüber völlig passiv verhält. Obgleich heute ein kirchlicher Feier tag ist, hat die Stadt ihr gewöhnliches Aussehen. Keinerlei Zeichen der Festfreude, keinerlei Beflaggen der Häuser, keine Illumination, wie einzelne Deutschen hasser dies zur Bekräftigung der Bedeutung des Tages gewünscht hätten, kein Vorgehen der städtischen Selbst verwaltung oder der Staatsbehörden, diesen Tag festlich zu begehen, ist zu bemerken. Das ist cs auch, was einen Mitarbeiter der „Mosk Wedm " verstimmt und zu dem Vorschlag gelangen läßt: Wenn von seiten der Behörden zur feierlichen Begehung des Tages nichts geschehe, wenn auch von ihnen keine Anregung ausgehe, wenn das russische Volk nicht ohne behördliche Genehmigung seine Häuser schmücken und beflaggen könne, dann solle es wenigstens in Scharen zur Kirche gehen, beten und Gott bitten, daß er dies Bündnis der beiden größten Nationen, die durch so manche Eigenheiten verschieden seien und die sich schon so häufig im ehrlichen Kampfe gegenübergestanden hätten, segne und festige, dies würde die schönste Feier sein, durch die jeder Russe ungehindert seine Freude bekunden könnte. Selbst der „Grashdanin", der den Fraizosen und seinen frankophilen russischen Kollegen bisher so viele bittere Wahrheiten ins Gesicht schleu derte, findet heute angezeigt, da der Gegenbesuch in Toulon auf Befehl des Zaren erfolgte, den Festtag zu begrüßen. Im Grunde, so äußerte er, habe er stets gerechte Sympathien sür Frankreich gehegt und sym pathisiere auch mit dem heutigen Ereignis, nur hielte er es für geboten, gewissen Übertreibungen entgegen zutreten, welche hier wie in Paris die ganze Sache lächerlich machten. Ernennungen, Versetzungen re. im öffentlichen Dienste. Departement -er Finanzen. Bei der Staaiseisenbah »Verwaltung sind ernannt worden: Karl Emil Nahrendorf, früher Stattontassistent 1. Kl., als Billeteur; Karl Friedrich Raue, seither Aufseher I. Kl. präd. Station,'Vorstand, als Bahnho!Sinspettor II. Kl.; Max Eouaid Werner, seither Stationsassistent I Kl., a!» Bahuhofsinspek or II Kl.: Emil Telle, lettcer gepr Cvil- ingenieur sür Maschinenwesen, als Regie,unoStmumeister: Gustav Adoli Zuckerriedel leie er Aus e-i»e I eiferte sie sich uno va lch say, d-ß sie un Begriff war, um der Thorhett willen in eine krankhafte Auf regung zu geraten, versprach ich natürlich, was sie be gehrte. — Hiermit will ich also gewarnt haben, mein Junge! — „Spaßes halber teile ich Dir noch mit, was sie Dir für eine fleißige Fever zutraut, Du trägster aller Korrespondenten! Als sie mir die Hand zum Abschied reichte, sagte sie nämlich: „Wenn er, Dein Freund, Dir Reiseberichte schreiben sollte, Robert — Du weißt, so etwas geht mir über die schönsten Romane" — ,Liebe Sibylle", antwortete ich, „ich schicke Dir hernach den „Samilasso in Afrika', ein ältliches Werk, aber gar nicht übel. Tröste Dich cinstwülen damit, denn bis wir einen „Richard Waldstedt in Afrika" zu lesen bekommen, läuft noch sehr v:el Wasser den Berg hinunter." Da Mainwaring hiermit seine Überzeugung aus gesprochen hatte, so begreift man, daß er in den nächsten Monaten auS dem Erstaunen gar nicht herauk- kam. Denn aus den verschiedensten Städten und Städtchen Mittel- und Südsrankreichs, auS verrufenen Räubernestern in den Pyrenäen, au- altberühmten und aus gänzlich unbekannten Orten Spanien- — überallher erhielt er Reiseberichte. Interessante Be richte waren c-, von feiner Beobachtung zeugend und mit Humor gewürzt. Robert war naiv, daß er gar keinen Unrat merkte, daß er sich gar nicht dankbar genug zeigen konnte. Harmlos grausam war cr, wenn er einen ganzen Brief lang vergaß, Sibyllen» Er wähnung zu thun, oder wenn er den Freund auf den Gipfel der Seligkeit hob, um ihn gleich darauf die Qual der Verdammten fühlen zu lassen — etwa in folgender Weife:
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