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hre Schauspiel in 4 Akten von Hermann Sudermann. NM" Erste Aufführung am „Lessing-Theater" am 27 November 1889. "WW MvtHeite öer: Hiesse: „Berliner Tageblatt": (I.) Seit gestern Abend besitzt das deutsche Volk einen großen und wahrhaften dramatischen Dichter mehr, der seinen Namen kühn neben die ersten der mitstrebenden unter seinen Zeit genossen setzen darf. Hermann Sudermanns vieraktiges Schau spiel „Die Ehre" hat bei seiner Erstaufführung im Lessing- tbester einen stürmischen, von Akt zu Akt sich steigernden Erfolg davongetragen, einen Erfolg, wie ihn meines Erinnerns auf einer Berliner Bühne, so ungetheilt und unbestritten, sich kein dramatisches Erstlingswerk zu erringen vermocht hat. Das bis auf den letzten Platz gefüllte Haus folgte mit bangem und gespanntem Interesse einer einfachen und doch in ihrer Einfachheit berückenden Dichtung, deren Gedrungenheit an Anzengruber, deren Herbigkeit an Hebbel, deren Wahrhaftigkeit an Augier gemahnte. Die Zuschauer fühlten, daß ein'wirklicher Dichter zu ihnen sprach, sie lauschten Allem, was er zu sagen hatte, in athemloser Ergriffenheit und bewiesen so, daß dies viel verlästerte Publikum da, wo man ihm nicht glitzernde Steine, sondern ehrliches Brot der Dichtung bietet, selbst das Gewagte zu würdigen und überall das Schöne zu begreifen und anzuerkennen weiß. Sudermann hatte es verstanden, leibhaftige Menschen und ernste Fragen uns vorzuführen, welche uns weit ablenken von den dramaturgischen Schach aufgaben und marionettenhaften Drahtpuppenstudien, die uns nur zu oft auf der modernen Bühne geboten werden. Hier waren es wirklich die Bretter, welche die Welt bedeuteten, auf denen seine Handlung sich entspann, und ein Griff ins volle Menschenleben, den der Dichter mit starkem Bewußtsein seiner Kraft gethan, bewies, daß die Goethesche Vorschrift heute mehr denn je dem begnadeten Poeten den wahren Weg zeigt. Das Phantom der Ehre, wie es sich in den Köpfen der Zeit genoffen malt, in den Köpfen derer, die sich zur sogenannten „Gesellschaft" rechnen, und in dem Empfinden jener, welchen die harte Arbeit ums tägliche Brot die Epidermis des Gefühls lebens — wenn man sich so ausdrücken darf — verschrumpfen und verhärten ließ, dies Phantom der Ehre war der inhalts reiche Vorwurf, den sich Sudermann gewählt, um uns diesen Götzen des Tages in seiner Nichtigkeit darzuthun. Der Dichter hat damit kein sogenanntes Thesenstück geben wollen, sondern in echtem Realismus, der des Unflaths und Schmutzes nicht bedarf, um glaubhaft zu sein, that er mit dichterischer Kraft den Abgrund vor uns auf, welcher die überfeinerten Klaffen unserer sozialen Welt von Denen trennt, die lediglich im Kampfe ums Dasein ihre Lebensenergie verbrauchen, die mit uns weben und leben und doch eine so ganz andere Gefühls- und Gedankenwelt in sich tragen, als die sogenannten „Gebildeten". Die Darstellung und die stimmungsvolle Jn- seenirung des Lessing-Theaters ward dem Dichter in allen Theilen gerecht. Wir kommen auf das hervorragende Drama, das nach so rauschendem, außergewöhnlichen Erfolge ohne Zweifel alsbald den Weg über alle deutschen Bühnen finden wird, noch des Ausführlicheren zurück. Zunächst aber freuen wir uns herzlichst dieses dramatischen Erstlingserfolges eines Dichters, den das „Berliner Tageblatt" zuerst dem größeren deutschen Publikum in seinen Romanen und Novellen vor- geführt, und der null nach langem, ehrlichem Ringen durch den gestrigen Abend sein arbeitsfreudiges Streben auf das Herrlichste belohnt sieht. „Berliner Vörsen-Courier": Im „Lessing-Theater" haben gestern Abend die ersten begünstigten Tausend, die den Vorzug genießen, die Neu erscheinungen der Bühne an der Schwelle der Kunstwelt zu begrüßen, einem neuen Bühnenwerke ihre stürmischen Hul digungen dargebracht, einen neuen Bühnendichter mit über strömender Herzlichkeit bewillkommt. Weitere Tausende werden folgen. Selten noch hat inan im ersten Augenblicke nach der Aufführung eines jungen Dramas seine Zukunft mit solcher Sicherheit prophezeien können. Selten noch hat man mit solcher Zuversicht sagen dürfen: dies Stück wird noch an einer langen, langen Reihe von Abenden sein Publikum in Spannung und Aufregung erhalten, ergötzen und erbauen, anregen und beschäftigen, enthusiasmiren. „Die Ehre" heißt kurz und bündig das Stück, an dessen Rainen sich einer der größten Erfolge des „Lessing-Theaters" knüpft, „Die Ehre" heiß das Werk, das man einfach kennen muß, wenn man vom heutigen Stande der Bühnenliteratur spricht. Und Hermann Sudermann heißt der junge Schriftsteller, der init einem einzigen kühnen Satze in die vorderste Reihe unserer modernen Bühnendichter gesprungen ist. Sudermann ist ein modernes Talent, ein realistisches möchten wir sagen, wenn dies viel mißbrauchte Wort nicht in seiner Bedeutung verwirrt, um einen so großen Theil seines Inhalts betrogen und mit so viel häßlichen Erinnerungen belastet wäre. Der Realismus prägt sich sogar scharf aus in dem neuen Drama, das, weit abschwenkend von den mehr oder minder zierlichen Nichtigkeiten, mit denen uns die Bühne zumeist beschäftigt, ein volles Stück Welt und Leben mit aller Wahrheitstreue vor uns hinstellt. Die Wahrheit, die auch dem Häßlichen nicht zimperlich aus dem Wege geht, die lassen wir gelten, die wollen wir auf der Bühne. Nur rede man uns nicht ein, es sei blos das Häß liche wahr und das Schöne lüge, nur verhunze man uns die Kunst nicht ausschließlich zum Cultus des Abscheulichen. „Ehre" nennt Sudermann jetzt sein Werk, „Zweierlei Ehre" hatte er es vorher betitelt, und dieser Titel bezeichnet den Conflict etwas besser, wenn er ihn auch keineswegs erschöpft. Er bringt sogar in die Gefahr, die Tendenz des Werkes mißzu- verstehen, und insofern ist die Vereinfachung des Titels zu billigen. Die Charaktere in Sudermann's eigenartigem „so cialen Drama" sind lebensernst und interessant, nur aus nahmsweise zu absichtsvoll und übertrieben gezeichnet, die Sprache ist mundrecht, schön ohne Ziererei. Dichtung und Darstellung bevorzugten das volksthümliche Hinterhauselement stark. Das Publikum konnte sich in begeisterten Hervorrufen der Darsteller und des Dichters kaum genug thun — sie alle im Theater hatten ihre Freude am Erfolg des Abends. „Berliner Neueste Nachrichten" (I.) Im Lessingtheater hat Hermann Sudermann's vieraktiges Schauspiel „Die Ehre" einen bedeutenden, bis zum Schlüsse anhaltenden Erfolg gehabt. Für die in allen Theilen aus gezeichnete, geradezu musterhafte Darstellung wurden die Schauspieler, für den packenden Inhalt des Stückes, seinen Witz und seine ernste, ehrliche Arbeit wurde der Verfasse- nach jedem Akt wiederholt, zum Schluß ungezählte Male ger rufen. Wir kommen morgen näher auf das Stück zurück.