Suche löschen...
Dresdner Journal : 06.03.1893
- Erscheinungsdatum
- 1893-03-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-189303066
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-18930306
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-18930306
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Journal
-
Jahr
1893
-
Monat
1893-03
- Tag 1893-03-06
-
Monat
1893-03
-
Jahr
1893
- Titel
- Dresdner Journal : 06.03.1893
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
rind Gkh. Sekretär Cavaliere Bogdan, der Botschafter Österreich Ungarns v. Szechenyi, der österieichische Militärattache Oberst Frhr v. Steininger, der Reichs kanzler Graf v. Caprivi, der StaatSminister v. Boetticher nebst Gemahlin, der Minister des König!, Hauses v. Wedel und Gemahlin, der Staatssekretär des Aus wärtigen Frhr v. Marschall, der Oberpräsident l)r. v. Achenbach und andere hochgestellte Personen teil nahmen. — Se. Kaiser!, und König!. Hoheit der Groß- Herzog von ToScana hatte gestern vormittag ohne Begleitung einen Spaziergang vom Schlosse aus durch die Straßen der Stadt unternommen, von welchem Höchstderselbe nach einer kurzen Stunde wieder zum Schlosse zurückkehrte. Darauf begab sich der Groß- Herzog nach Potsdam, um daselbst in der Friedens kirche am Sarge Kaiser Friedrichs III. einen pracht vollen Lorbeerkranz niederzulegen und den zur Zeit in Potsdam weilenden Mitgliedern der Königl. Familie Besuche abzustatten. Nach erfolgter Rückkunft in Berlin entsprach ter Großherzog einer Einladung des österreichisch-ungarischen Botschafters Grafen Szechenyi zur Tafel. Später begab Sich der n'roß- Herzog nach Charlottenburg, um dort im Mausoleum am Sarge Kaiser Wilhelms I. ebenfalls einen pracht vollen Lorbeerkranz niederzulegen. Um 7 Uhr fand, wie oben erwähnt, Festtafel bei den Kaiser!. Majestäten statt. Nach Aufhebung der Tafel blieb der Groß- Herzog noch längere Zeit mit dein Kaiser vereint. Heute vormittag besuchte der Großherzvq von Toscana mit Seiner Begleitung und dem Oberst Frhrn. v. Steininger den Gottesdienst in der katholischen St. Hedwigskirche. Um HI2 Uhr begab Sich Höchst - derselbe zu den Kaiser!. Majestäten, um Sich vor Seiner Abreise zu verabschieden. Um 12 Uhr 10 Min. ist sodann der Großherzog mit Seiner Begleitung nach Dresden zurückgekehrt. Bei der Abreise waren auf dem Anhalter Bahnhofe die Herren der öster reichisch ungarischen Botschaft zur Verabschiedung an wesend. — Der russische Botschafter am hiesigen Hofe, Graf Schuwaloff, hat sich gestern abend von hier mit längerem Urlaube nach St. Petersburg begeben, um dort am Geburtstage des Kaisers Alexander an wesend zu sein. — Das bis jetzt vorliegende Ergebnis der Stich wahl im Neichstagswahlkreise Liegnitz-Hainau- Goldberg lautet: Für den freisinnigen Kandidaten Jungfer 10760, für den Antisemiten Hertwig 6330 St. — Da vernünftigerweise die Zahl derjenigen jungen Elsaß Lothringer, welche sich der Ab leistung der Militärpflicht im deutschen Heere entziehen, von Jahr zu Jahr abnimmt, so suchen französische Zeitungen nach dem Grunde dieser Erscheinung und glauben ihn darin zu finden daß diese jungen Leute immer in die Fremdenlegion gesteckt werden. Sie wünschen, daß die jungen Leute in französische Linien regimenter ausgenommen werden. Hierzu bemerkt die „Straßburger Correspoudenz", daß dir Aufnahme von Elsaß-Lothringer« in französische Linienregimenter völkerrechtlich und nach der französischen Gesetzgebung unmöglich ist, da zum Dienst im französischen Heere nur Franzosen zugelassen werden dürfen. Nur in der Fremdenlegion, welche eine angeworbene Kolonial truppe ist, finden Deserteure und junge Leute, welche sich dem deutschen Militärdienst entziehen wollen, Unterkunft. — Das Reichsversicherungsamt hat an die g.-- werblichen Berufsgenossenschaften ein Rundschreiben gerichtet, welches sich mit der Überwachung der Betriebe be züglich der Unfallverhütung beschäftigt. Das Reichs versicherungsamt weist darauf hin, daß in neuerer Zeit die Thäügkeit der Berufsgenossenschasten auf dem Gebiete der Unfallverhütung für nicht ausreichend erklärt worden ist. Tas Amt erachtet diese Borwürfe zwar im allgemeinen als nicht gerechtfertigt, ersucht jedoch, Ler Unfallverhülungs- thätigkeit fortgesetzte Aufmerksamkeit zu widmen. Zunächst wünscht es für viele Berufsgenossenschaften einen weiteren Aurbau der Beauftragten. Sodann regt es an, ob nicht besonders geeignete Mitglieder der Berufsgenossenschaften selbst zu veranlassen sein möchten, sich in den Dienst der Genossenschaft zu stellen und der Beobachtung der Unfall- verhütungsvorschristen ihre Aufmerksamkeit zumwenden. Diese letztere Maßregel empfiehlt es namentlich den Bau- gewerksberufsgenossenschasten, weil einerseits in denselben die Aufsicht über die Betriebe durch deren Zersplitterung in viele Arbeitsstätten besonders erschwert ist und anderer seits gerade die Mitglieder der Baugewerksberufsgenossen schaften auf ein öfteres Zusammenwirken an einer Betriebs stätte angewiesen sind. Paris, 3. März. Man spricht seit vorgestern in den varlamentariscsien Kreisen von der Möglichkeit »- I — des Senars unterer Techmschen Hochschule Hrn. Pro fessor Hubert Engels, ordentli.lem Professor für Wasserbau und Jngenieurwissenfchasten, die Mittel zu einer Studienreise zur Weltausstellung nach Chicago gewährt. Hr. Professor Engels wird die großen Ferien zu feiner Reise benutzen. — Den diplomierten Archi tekten Assistent Anton U lbri ch-RuppertSdorf (Öster reich) und Franz Ancke-Chemnitz ist durch daS Professorenkollegium der Technischen Hochschule aus dem Reiscstipendienfonds je ein Stipendium von -100 Mark gewährt worden Ortskundcn. Daß der Heimotsinn bedenklich im Schwinden be griffen sei, ist eine oft gehörte Klage, und ohne Zweifel bildet dieser Mangel ein übles Charakteristi kum der Neuzeit. Tie beispiellose Erleichterung dcS Verkehrs, die Freizügigkeit, unsere gesamten sozialen Zustände arbeiten daran, auch in denjenigen Kreisen, die am festesten am Boden wurzeln, diesen Zusammen hang zu lockern. Aus dem scheinbar engbegrenzten, aber kernigen, zähen und individuellen Kleinbürger- und Bauerntum einen elenden Allerweltsmenscheuschlag zu machen, dcm kein Erdgeruch des heimatlichen Bodens mehr anhastet, das ist es ja, was auch die Sozialdemokratie durchsetzen will, nm zu ihrem Ziele zu gelangen. Ist nur erst die ganze Gesellschaft zu einem Sandhaufen geworden, wo jedes Korn dem an deren gleichsieht und sich von jedem Windstoß nach Norden und Süden, Osten und Westen wehen läßt, so ist ihre Arbeit getham Auch ein Stück des Patriotis mus ist ja die Heimatliebe ; ja, jener ist eigentlich 4W nichts als die Erweiterung der letzteren; diese ist im allgemeinen die Voraussetzung für jenen. Der Patrio tismus ist kein totes Abstraktum; er kommt in der konkreten Gestalt der Liebe zum Wohnort zur Er scheinung Diese also zu wecken und zu pflegen ist gewiß eine Aufgabe, die der Teilnahme jedes Volks- ünd Vaterlandsfreundes wert ist Vor mehreren Jahren hatte, wie die „A. E. L K " aurführt, Bibliothekar vr. Chr. G. Hottinger in Straßburg den Plan gefaßt, auf Gi und des von sach kundigen Persönlichkeiten zu erwartenden Materials „Ortskunden" in Buchform herauSzugeben. Leider haben seine Anregungen nur acht Manuskripte beizu- schaffen vermocht. Er hat sich aber nicht entmutigen lassen und verfolgt jetzt denselben Gedanken durch An regung von OrtSchrvniken in der Form von Einzel blättern, welche leicht als Wandschmuck verwendet wer den können und auch dem Ärmsten zugänglich gemacht werden sollen Wir geben gern dem Wunsche Raum, diesen Gedanken verbreiten zu helfen. An Stoff kann eS in keiner Stadt, in keinem Dorfe fehlen. Name »nd Größe des Orte-, geographische Lage, Klima, Steine, Pflanzen und Tiere, die Beschaffenheit des Bodens und fein Anbau, Gewerbe, Handel und Ver kehr bieten dem interessierten Forscher schon viel lehr reiches; noch mehr freilich die Geschichte des OrteS. Diese möglichst weit zurückzuverfolgen, die Einwirk ungen der großen geschichtlicken Epochen und Ereig nisse auf den einzelnen Ort zu erkennen, daS Eigen artige, was jeder Ort hat, aufzufinden, ist eine viel leicht nicht immer leichte, aber höchst lohnende Auf gabe Auf Kirche und Schule braucht nicht erst hingewiesen zu werden; hier wird alles, auch daS K. Konservatorium. Der vorgestrige zweite Prüfungsabend des Konservatoriums brachte wiederum einige erfreulich sichere und ansprechende Echülerleistungen Zu diesen gehörte in erster Reihe Frl. PutnamS Wiedergabe einer AllegrosotzeL auS dem wenig veralteten, in den Thenen kräftigen und ungemein fließend auSgestalteten woll Konzert von Ferd. Rie» Die befähigte Schülerin der Frau Rappoldi Kahrer, welch' letztere an einem zweiten scheinbar Äußerlichste am Pfarr- und Schulhaufe und an der Kirche von Interesse sein. Wie manche un scheinbare Kirche hat eine hochinteressante Geschichte! Dazu Sitten, Gebräuche', Trachten u. s. w., kurz, man wird eher über Stoffüberschuß als über Mangel zu klagen haben. Quellen fehlen auch nicht. Kirchen bücher und sonstige Pfarrakten, Ratsprotokolle, Be zirks- und Landesarchive, alte Drucke, Familienpapiere, Aufzeichnungen in alten Bibeln und Gesangbüchern, mündliche Überlieferungen gehen mehr oder minder weit zurück und eröffnen tem Forschungstrieb das weiteste Feld. Ter Nutzen, den die Ausführung dieses Gedankens für die Pflege deS HeimatsinmS haben muß, liegt aus der Hand; manche Familie würde viel leicht mit Stolz von ihren Vorfahren hören und ihre Wurzeln noch fester in den heimatlichen Bodcn treiben. Aber auch auf den Pfarrer und Lehrer würde reicher Segen aus der anfgewendeten Mühe zurück fließen Nicht zu reden von dem Anheimelnden, was schon die Geschichte der Pfarre und Schule, vielleicht schon die Aufstellung einer Liste der Amtsvorgänger bringen würde; welches Interesse und Verständnis für die Stätte seiner Wirksamkeit im ganzen wie im ein zelnen würde ihm aufgehe«! Wie viel selbst für die Kirchen- und Landesgeschichte Wichtige- würde vor Vergessenheit bewahrt und vielleicht noch neu zu Tage gefördert werden, wenn eS gelänge, sämtliche deutsche Pfarrämter oder nur einen Teil für daS Vorhaben zu gewinnen I Kurz, der Gesichtspunkte sind so viele, daß wir sie in dieser kurzen Anregung nicht alle be rühren können Die Mühe wird den Geistlichen dadurch erheblich ver ringert, daß vr Hottinger sich sogar erbietet, jede ihm zu- worden war. Bei einem hervorragenden Bankier hat eine Haussuchung stattgefunden. Eine Liste der poli tischen Wechsel der Banca Romana wird, wie man behauptet, nickt veröffentlicht, sondern dem Präsidenten der Kammer übergeben werden St. Petersburg, 5. März. Der „Regierungs bote" veröffentlicht heute eine amtliche Mitteilung, in welcher es hnßt: Die Kaiser!. Regierung habe schon mehrmals Gelegenheit genommen, ihre Ansichten über die Umwälzungen in Bulgarien und über die Grundsätze zu äußern, von denen sich die Regierenden in Sofia leiten ließen, seitdem der Prinz Ferdinand zur Macht gelangt sei. Da diese Leiter der Regierung nunmehr beabsichtigten, die Sobranje einzuberufen, um den Artikel 38 der Verfassung von Tirnovo abzu ändern und auch der Religion des Landes Eintrag zu thun, könne die Kaiserl. Regierung, wenn sie auch an dem Prinzip der Nichtintervention in die inneren An gelegenheiten des Fürstentums festhalte, nicht stummer Zeuge diesem Versuche gegenüber bleiben, welcher einer energischen Opposition unter der bulgarischen Bevölkerung begegne. Die Mitteilung schließt wie folgt: „Die Kaiserl. Regierung spricht ihren auf richtigen Wunsch aus, daß die Stimmen, welche sich unter der Geistlichkeit und den gut gesinnten Bürgern vernehmen lassen, allen Bulgaren ohne Unterschied der Partei als Mahnung dienen und die Gefahr beseitigen werden, welche dem ganzen Volke droht, daS im Be griffe steht, seine heiligsten hundertjährigen Traditionen zu verleugnen. Die Kaiserl. Regierung ist überzeugt, daß die beabsichtigte Änderung in d m geistigen und politischen Leben des Fürstentums keine günstigen Re sultate erzielen und nur traurige Folgen für die Zu kunft haben wird, indem sie Zwiestigkeiten im Innern und tiefgehende Mißhelligkeiten in moralischer Bezieh ung herbeiführen wird " — Der Bau der sibirischen Eisenbahn, welcher zeitweilig wegen der Strenge des Winters unterbrochen werden mußte, ist jetzt mit voller Kraft wieder ausgenommen worden. Als Arbeiter werden auf der östlichen Strecke, in der Küstenprovinz und im Amurgebiet wesentlich Strafkolonisten und Sol daten der örtlichen Garnisonen verwandt; Chinesen dagegen, welche in großer Menge ins Land kommen und Beschäftigung suchen, übcrgiebt man nur die leichteren Arbeiten. Außer der Kälte kam übrigens noch ein anderer Umstand in Betracht, welcher die Arbeiten an der Bahn eine Zeit lang hemmte: die Strandung des Dampfers „Tritos" bei Suez, welcher mit zahlreichem Baumaterial gesunken ist. Tas sibirische Eisenbohnkomitee, dessen Vorsitz der Grvß- fürst-Thronsolger führt, ist in letzter Zeit gleichfalls angelegentlich mit der ihm zugewiesenen Aufgabe be schäftigt und berät augenblicklich namentlich die schon früher berührte Frage der Kolonisation Westsibiriens Hierbei ist man im Prinzip darüber einig, daß aus Groß- und Kleinrußland Bauernansicdler, welche unentgeltlich Land bekommen, herangezogen werden sollen. Ferner zieht das Komitee die Hebung der Bergwerksindustrie in Sibirien, sowie die Organisation des Dampferverkehre; aus den von der Bahn be rührten Wasserstraßen in Erwägung — Der . Regierungsbote" veröffentlicht die Erneu nung des Botschaftsrats in Berlin Grafen Mnraw- jew zum Gesandten in Kopenhag n. — Anläßlich des gestrigen fünfzehnten Jahres tages des Abschlusses deS Präliminarfriedens von San Stefano machten der Vorstand des hiesigen slavi- fchen WohlthätigkeitsvereinS, sowie mehrere hier weilende bulgarische Emigranten, darunter Grujew i nd Benderew, dem Grasen Jgnaücw als Mitunter zeichner des genannten Friedensvertrages einen Besuch, bei welchem mehrere der Gelegenheit angemessene Adressen dargebracht und mehrere Ansprachen gehalten wurden. Der „Nowoje Wremja" zufolge fügte der Graf unter andercm, daS feste Band, welches Russen und Slaven vereinige, sei Prawoslawije ;Nechtgläu- bigkeit); die Geschichte habe bewiesen, daß die Slaven, welche der Prawoslawije abtrünnig wurden, ihre Selbständigkeit und Nationalität verloren haben. Sofia, 2. März. Es wäre gar nicht so sehr zum Verwundern, wenn die Bulgaren, durch ihre vielen Erfolge geblendet, übermütig würden und gelegentlich Europa eine gefährliche Überraschung bereiteten. Von vornherein sei aber bemerkt, daß man hier thatsächlich von solcher Neigung weit entfernt ist, man braucht nur einen der jüngsten Aufsätze der Stambulowschen „Swoboda" gelesen zu haben, der in überzeugendster Weise die Vorteile der heutigen unausgesprochenen aber auch unverantwortlichen Stelluuq Bulgarien? eines Streites zwischen den beiden Kammern anläßlich der Haushaltsfrage. Ungefähr 120 republikanische Senatoren haben den Beschluß gefaßt, die Abtrennung der Getränkesteuerreform von der in der Kammer angenommenen Budgetvorlage zu verlangen und man glaubt, daß sich diese Ziffer auf 160 steigern wird. DaS Budget der Kammer, dessen Gleichgewicht haupt sächlich auf der Einführung jener Reform beruht, würde somit vom Senat umgestoßen werden; und mit der neuen Getränkestener würde wahrscheinlich auch die durch sie bedingte Börscnsteuer verschwinden. Die Senatoren, welche für diese Aufhebung des Kammer- befchlusses eintreten, machen geltend, daß man sich im PalaiS Bourbon nicht zu hinreichend genauer Prüfung der zahlreichen und verwickelten Jnteressenfragen, welche in diese Angelegenheit hineinspielen, Zeit ge lassen habe. Die Regierung wird die Forderung der 120 Senatoren bekämpfen; unter den Abgeordneten hat dieselbe natürlich große Verstimmung hervor gerufen. Die 287 Kammermitglieder, welche für die Getränkesteuerreform gestimmt haben, waren für gestern nachmittag zu einer Versammlung einberufen; es er schienen ihrer jedoch nur einige 50. Nach einer kurzen Beratung nahmen sie eine Tagesordnung an deS In halts, daß sie fest entschlossen feien, die Reform der Getränkesteuern im diesjährigen Haushalt aufrecht- zuerhalten. Eine Delegation wurde beauftragt, die Regierung hiervon in Kenntnis zu fetzen. — Auf den Verleumdungsprozeß, der sich augen blicklich in Bordeaux abspielt, achtet man nur des halb, weil er in einer emsernten Beziehung zu dem Panamaskandal steht und weil die in ihm auftreten den Zeugen zu den bekanntesten Persönlichkeiten der politischen Welt gehören. Überdies steht Andrieux an der Spitze der Verteidigung des Hrn Tenayrouse und der „Cocarde", keiner leichten Ausgabe. Denay- rouse und die „Cocarde" werden von Raynal bekannt lich wegen Verleumdung belangt, weil sie denselben skandalöser Erpressungsmanöver im Interesse der „Re- publique sran^aise" beschuldigt haben. Besonders hätte er im Verein mit dem opportunistischen Komitee, welches an der Spitze dieses Blattes stand, dem „Credit foncier' einige Hunderttausend Franken zu entlocken versucht. Die vorgestern vernommenen Zeugen haben dieser Behauptung aber durchaus wider sprochen. Die geschicktesten Kreuzfragen Andrieux' blieben erfolglos, und der Angeklagte Denayrouse selbst verdarb seine Sache durch unzusammenhängerde Er klärungen. — Einen charakteristischen Aufruf läßt der französische Damenverein für die Unterstützung ehemaliger Soldaten erscheinen Seit mehreren Monaten finden sich zahlreiche aus Dahomey zurück gekehrte Soldaten, leidend und von allem entblößt, im Vereinssitze ein. Die Unterstützungen, die ihnen gewährt worden, haben die Kleidungsvorräte völlig er schöpft; die Damen des Vereins richten also an die mildthätigen Personen die dringende Bitte, ihnen alte Kleider, Schuhwerk, Wäsche u. s. w. einzusendeu. Geldgeschenke werden ebenfalls dankbar angenommen werden. — 4. März. Im heutigen Ministerrat wurden Ribot und Tirard beauftragt, die Haushaltsvorlage der Kammer im Budgetausschuß des Senats zu ver teidigen und darauf zu bestehen, daß der Senat nicht die Getränkesteuerreform von derselben ablöse. — Der Verleumdungsprozeß in Bordeaux endigte, wie es sich erwarten ließ, mit der Verurteilung der An geklagten: Denayrouse wurde mit 3monatlichem Ge fängnis bestraft, die „Cocarde" hat eine Entschädigung von 5000 Frs. zu zahlen — ungerechnet die Kosten, welche die Einrückung des Urteils in die Zeitungen den Verurteilten auferlegt. Die gestrige letzte Verhandlung, welche bis 2 Uhr nach Mitternacht dauerte war sehr aufgeregt; es kam besonders zu heftigem Wortgefecht zwischen Andrieux, dem Verteidiger Denay- rouses, und dcm Kläger Raynal. Andrieux täuschte die Er wartung des Pu likums, er werde aus den Panamaskandal an- spielen, nicht. Nachdem er die Geschichte der unglücklichen „Republique Franchise" in ziem lich boshaften Zügen g-schil- dert, kam er au! den Baron de Reinach zu sprechen: .Nicht diesem und jencm sind die Enthüllungen zuzuschreiben; der Tote hat geredet. Nach de» 17, deren Namen bekannt ge worden, bleiben noch andere übrig " — Hier unterbrach ihn Trarieux, der Advokat Raynal-: „Nennen Sie die 104!-' — Andrieux: „Sie wollen mich zu neuen Angebereien antreiben. Nein, für den Augenblick kann ich die Namen nicht nennen; ich kann eS nicht mit den Beweisen, die ich habe, obgleich die selben sichere sind. Nur darauf will iy Hinweisen, daß man unter den schon Btoßgestcllten fast sämtlich: Mitglieder des Verwaltungsrats der „Rvpublique" findet" Danach erging sich der Redner in einem heftigen Angriff gegen Joseph Reinach, den Direktor dieses Journals. „1<4r yabcn", sagte er weiter, „von neuem gezeigt, welche Rolle das Geld m der Politik spielt. Der demokratischen Republik gehende Sendung selbst zu ordnen. Auch die Bilder von Personen, Kirchen, merkwürdigen Gebäuden, welche er gern beigefügt fähe — sie sind ja nicht schwer hcr- zustellcn und oft genug schon in photographischer Aus nahme vorhanden — ist er erbötig, auf seine Kosten vervielfältigen, cventuell vergrößern oder verkleinern zu lassen. Er ist ferner bereit, über seine Pläne, Vorschlä e und ungemein entgegenkommenden Be dingungen jedem einzelnen das Nähere mitzuteilen, wird auch gern eine Probe einer schon hergestelftcn OrtSchronik übersenden. Eine Anfrage sollte sich also kein Pfarrer verdrießen lassen; er hat ja nachher immer noch volle Freiheit des Handel' s. Tie Geift lichen sind doch die berufensten Helfer bei diesem Werke; lehnen sie es ab, so werden Lehrer und andere Beamte sich bereit finden lassen. Daß endlich daS weit auSsehende Unternehmen in guten Händen ruhen wird, glauben wir aus den bisherigen Leistungen HottingerS schließen zu dürfen. Seine „Kirchen- geschichte" ist von mehreren Kirchenbrhörden sehr freundlich beurteilt worden; auch feine „Kriegsgeschichte" erfreut sich großen Beifalls. hot man eint plutokratische »oter-elchoben; wir hab,» d'tr dem Lpportuni-wu-in lirerlciner Formen die Maike abgerissen...* Ai- AnLrieux mit den Worten sctlotz: „Wir wollen die demo kratische Republik gegen die Panamarepubtik!" brach im Zuschauerraum so lauter Beifall auS, daß der Borsitzende den Saal räumen li-h. Nach Wiederaufnahme der Sitzung wandte sich Raynal in heftiger Rede gegen Andrieux „Eie haben nicht das Recht", sagte er unter anderem, „alle Welt vor die Schranken zu ziehen. Sie haben nicht Tadel genug für Hin I Ferry, und letzter Tage sagten Sie in einem Artikel: „Ferry konnte sich ,um Senat-Vorsitzenden wählen lassen, aber il> werde ihm nicht erlauben, in das Gebiet der Politik einzusallcn!' Run, zum Glück »erlangt hr. Feny nicht Ihre Erlaubnis." Man kann sich hiernach eine Vorstellung von dem Tone dieser Gerichtsverhandlung bilden. — Im Kriegsministerium ist das Programm der dies jährigen Herbstmanöver festgestellt worden. Die Rescrvetruppen werden sich an denselben beteiligen, aber in geringerem Maße, als behauptet worden. Als wichtigste Operationen stehen diejenigen des 2. und 3. ÄrmeccorpS unter der Leitung des General- Billot in Aussicht. Das 2. Corps wird seine beiden aktiven Divisionen, die 3. und 4. mit einer Reservedivision ins Feld stellen; ihm wird das 3 Corps mit einer seiner aktiven Divisionen, der 5., einer Reservedivision und der 2. Marineinfanteriebrigade gegenübergestellt werden. Die 6. Division bleibt in Paris. Andererseits wird die in Paris stehende I. Kavalleriedivision unter den Befehl dcS Generals Billot gestellt werden. Das Manöver soll zwischen Rouen, Amiens und Compiögne statt- finden und 20 Tage dauern; der Präsident Carnot wird der Schlußrevue gegen den 15. September bei wohnen. Für die anderen Armeccorps sind nur 14- tägige Divlsions- oder Brigademanöver vorgesehen. — Die Seestädte Havre, Cherbourg und Brest haben einander nicht mehr die Ehre des Besuches der russischen Flotte streitig zu machen. Wie der „Figaro" anzeigt, ist gestern die amtliche Meldung ein getroffen, daß das russische Geschwader in diesem Jahre den Besuch in Kronstadt nicht erwidern wird. Un nötig ist es, zu sagen, mit welchem Verdrusse diese Nachricht von der hiesigen russenfreundlichen Gesellschaft ausgenommen wird. Die Blätter werden indessen nicht verfehlen, den Beweis dafür anzutreten, daß man hinter diesem Verzicht auf einen Besuch, der schon für aus gemacht galt, nicht politische Gründe, wie eine Erkalt ung der französisch-russischen Beziehungen, suchen dürfe. * Paris, 5. März. In der Kammer stan^ gestern der Gesetzentwurf über die Regelung des Verfahrens bei der Liquidation der Panama gefellschaft zur Beratung. Da die Panamagesell schaft eine Zivilgesellschaft ist, so hat jeder Gläubiger das Recht, für seine Person gerichtlich gegen sie vor zugehen. Um nun zu verhüten, daß durch solche Einzelprozessc die übrigen Gläubiger geschädigt werden, schlägt die Negierung vor, amtliche Sachwalter für die einzelnen Gruppen von Gläubigern zu bestellen und ihnen die gerichtliche Beihilfe zu sichern Tas Recht des einzelnen Gläubigers soll dadurch nur in sofern beschränkt werden, als er verpflichtet ist, dem Sachwalter von seiner Absicht, gegen die Gesellschaft zu klagen, Mitteilung zu machen, und als er erst einen Monat nach dieser Mitteilung, falls der Sach walter bis dahin seine Interessen nicht wahrgenommen hat, selbständig vorgehen kann. Die Artikel über die dem Sachwalter zu gewährende gerichtliche Beihilfe und über die Rechte des Sachwalter- werden an genommen. Ebenso werden die übrigen Artikel und schließlich die ganze Vorlage angenommen. Es folgt die Beratung des vom Senat abgeänderten Gesetz entwurfs über die Umgestaltung des Preßgesetzes. Millerand sprach gegen die Vorlage. Nach einigen Erläuterungen von Bourgeois wurde mit 1.74 gegen 250 Stimmen beschlossen, in die Einzelberatung ein zutreten. — In den Wandelgängen der Kammer ver lautete gestern, Charles Lesseps werde in dem Panamabestechungsprozeß Floquet, Clemenceau und Frcycinet als Zeugen zitieren lassen. — Der Abg Millevoye hat einen Brief an den Justizminister Bourgeois gesandt, worin er für morgen eine Inter pellation ankündigte über die rechtlichen und parla mentarischen Folgen, welche aus der Beteiligung ver schiedener politischer Persönlichkeiten, namentlich Cle- menceaus, Rancs, Frcycinets und Floquet-, in der Panamaaugelegenheit entstehen könnten Dem Vernehmen nach wird die Regierung diese Inter pellation aber nicht vor Beendigung des Prozesses acceptieren, der am 8. März beginnt. * Rom, 5. März. Heute Nacht wurde ein Kassen beamter der Banca Romana, namens Agazzi, ver haftet, welcher vor zwei Jahren 100000 Francs unter schlagen hatte, aber den Gerichten nicht angezeigt
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)