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166 namentlich in der Ausbildung der Wehrpflichtigen be sonderer Klassen und im Arbeitsdienst. Fast ununter brochen werden dem Compagniechef während des Winters und auch oft in den übrigen Jahreszeiten Mannschaften des zweiten Jahrganges — von den 10—12 Gemeinen des dritten ganz abgesehen — für den Dienst auf den verschiedenen Kammern, für Echeibenarbeiten, für die Herstellung von Zielen, in größeren Garnisonen oder Festungen für Arbeiten in militärischen Instituten, Depots u s. w. genommen, sodaß ihm gar nicht mehr genügend Leute zur Ver fügung stehen, um mit Erfolg exerzieren oder Feld dienst üben zu können. Wird hierin Wandel geschafft, so kann die Tüchtigkeit des zweiten Jahrgangs nur gewinnen Viel geklagt wird im Heere über die Behinderung des Dienstbetriebes durch die Ausbildung der beson deren Kategorien. Außer den Rekruten sind aus- zubilden Ökonomiehandwerker, Musiker, Volksschul lehrer, Einjährigfreiwillige, Ersatzreservisten, und dafür sind immer wieder Abgaben an Personal notwendig. Dazu kommen noch Übungen der Landwehr, und werden zur Manöverzeit etwa Reserveformationen ge bildet, so rückt vielleicht, wie es vorgekommen ist, die Compagnie mit einem aktiven Unteroffizier aus. Mit der Durchführung der zweijährigen Dienstzeit soll nun allerdings die Ersatzreserve in der jetzigen Form Weg fällen und wahrscheinlich wird in der Armee kein Wort des Bedauerns darüber laut werden, denn trotz aller verwandten Mühe und Arbeit zeigte sich bei jeder zweiten Übung, daß alles vergessen war, was in der ersten gelernt wurde. Eine sofortige Einstellung dieses Materials bei der Mobilmachung in die Truppen erster Linie hätte wahrscheinlich nur die Lazarette gefüllt. Die neuen Stammcompagnien sollen nun zunächst den sogenannten Nachersatz ausbilden. Von den ein- gestellten Rekruten muß ersahrungsmäßig ein gewisser Prozentsatz in den ersten Monaten entlassen werden, der körperlich oder geistig zum Dienst unbrauchbar ist. Bei den jetzigen Verhältnissen wird nun die ent standene Lücke durch neue Rekruten ausgefüllt, die von Grund an ausgebildet werden müssen. Künftig erhalten die 4 Bataillone soviel Mannschaften gleichzeitig mit den Feldbataillonen, wie die Zahl ist, die voraussicht lich ausfallen wird, und sobald ein Rekrut entlassen werden muß, giebt das 4. Bataillon einen Mann ab, der genau auf der gleichen Ausbildungsstufe steht wie die übrigen Leute. Hieraus ergicbt sich schon, daß die Stammcompagnien im Laufe des Jahres schwächer werden. Da zudem die ihnen zugewiesenen Ökonomie handwerker u. s. w. auch bald ihre eigentliche Be stimmung übernehmen, so wird das Ausbildungs- Personal verfügbar für die Übungen des Beurlaubten standes, sodaß kein Zerreißen des Chargenstandes der Fcldbataillone notwendig ist. Wie verlautet, sollen auch die meisten außerhalb des Regiments abkomman dierten Mannschaften dem 4. Bataillon entnommen werden. Gemeint sind damit die Burschen und Ordonnanzen bei den höheren Stäben und Kommando behörden sowie den Offizieren, die zur Kriegsakademie, Landwehrbezirk u. s. w. abkommandiert sind. Eine besondere Erleichterung für die Compagnien würde es gewähren, wenn auch alle abkommandieiten Unter offiziere auf den Etat des 4. Bataillons angerechnet würden, damit alle freien Stellen besetzt werden könnten. Bei der Beratung, wie das nötige Unter- offizierpersonal beschafft werden soll, dürfte es sich empfehlen, dieser Frage näherzutreten. Um den Vorsprung dcr russischen und französischen Armee in der Kriegsbereitschaft auszugleichen, scheinen uns die vierten Bataillone ein geeignetes Mittel. Sie erleichtern den Friedensdrenst in wesentlichstem Maße und geben einem Teil unserer Reservcsormationen festen Halt, während das Gefüge der Linientruppen vielmehr gewahrt bleibt als bisher. Lagesgeschichte. Dresden, 28. Januar. Am Mittwoch, den 1. Februar, findet in den Paradesälen des König!. Resi- denzschlosses ein großer Hosball statt. * Berlin, 27. Januar. Se. Majestät der Kaiser waren gestern abend 10 Uhr 50 Minuten auf dem Anhalter Bahnhof, um Se. Majestät den König von Württemberg bei Allerhöchstdessen Ankunft zu be grüßen. — Heute morgen nahmen Se. Majestät zu nächst die Glückwünsche der erlauchten Familienmit glieder zu Allerhöchstseinem Geburtstag entgegen. Um 1" Uhr fand ein Gottesdienst in der Schloßkapelle statt, an den sich eine GratulationScour anschloß, bei welcher Se Majestät die Glückwünsche der Botschafter und Gesandten, sowie der Spitzen der militärischen und Civilbehörden entgegennahmen. Um 12 Uhr 30 Minut'n waren Se. Majestät bei der Parol.aus- gäbe im Zeughaus zugegen, wo Allerhöchstdieselben die Glückwünsche deS Offizrercorps entgegennahmen. — Se Majestät der König von Sachsen em pfingen im Laufe deS heutigen Vormittags zahlreiche sächsische Offiziere und erteilten später im Beisein deS Königl. sächsischen Gesandten Graf v. Hohenthal mehrere Audienzen. Heute abend um 12 Uhr gedenkt das sächsische Königspaar von hier nach Dresden zurück- zukehren. — Se. Majestät der König von Württemberg empfingen heute mittag den Reichskanzler Grasen v. Caprivi in längerer Audienz. Dem Vernehmen na4- gedenken der König, bereits morgen früh um 3 Uhr 20 Min. Berlin wieder zu verlassen, um nach Stutt gart zurückzukehren. — Der Bundesrat erteilte in der am 26. d. MtS. unter dem Vorsitz des König!, bayerischen Gesandten Grafen v. Lerch enfeld-Köseringabgehaltenen Plenar sitzung dem Handelsvertrag mit Ägypten die Zu- stimmuny. Von der Übersicht der Geschäfte des Reichs gerichts im Jahre 1892 und der Nachweisung über die den einzelnen Bundesstaaten bis Ende Dezember 1892 überwiesenen Beträge an Reichs-, Silber-, Nickel und Kupfermünzen nahm Vie Versammlung Kenntnis und erklärte sich mit der bereits erfolgten Überweisung deS Gesetzentwurfs für Elsaß Lothringen wegen Abänder ung und Ergänzung des Gesetzes über die Depositen verwaltung vom 24. März 1886 an die Ausschüsse für Rechnungswesen, für Justizwesen und für Elsaß- Lothringen einverstanden. Sodann wurde über mehrere Eingaben in Zoll- und Steuerangelegenheiten Beschluß gefaßt Die fernere Verwendung der bis herigen Eisenbahnfrachtbrief-Formulare wurde dem Antrag des Reichskanzlers entfprechend genehmigt. Einem Gesuch wegen ausnahmsweiser Zulassung zur ärztlichen Prüfung beschloß der Bundesrat keine Folge zu geben. — Die „Nordd Allg. Ztg." schreibt an hervor ragender Stelle: „In dem „Daily Chronicle" wird eine längere Depesche der bekannten Agentur „Dalziel" an geblich aus Berlin abgedruckt, wonach man hier in den „höchsten Kreisen" einem Angriffe Rutzlands auf Deutschland im nächsten Frühjahre entgegensetze. Der artige sensationelle Tendenzlügen seitens der gedachten Agentur sind nichts Außergewöhnliches. Auffallender ist, daß die „Neue Freie Prcsse" in einem ebenfalls aus Berlin stammenden Artikel sich dazu hergiebt, jene Behauptung von deutschen Beklemmungen wegen aggressiver Absichten Rußlands zu verbreiten. Es dürfte genügen, d e erwähnten Nachrichten niedriger zu hängen, um klar erkennen zu lassen, daß es sich bei diesen angeblichen Mitteilungen aus Berlin um eine tendenziöse Erfindung handelt; hier ist von KriegS- befürchtungen der „höchsten Kreise" für die nächste Zeit niemals die Rede gewesen." — Dem Kaiserlichen Gesundheitsamt sind vom 26. bis 27. Januar mittags folgende Cholera fälle gemeldet worden: Regierungsbezirk Schles wig: In Altona 2 Erkrankungen, 2 Todesfälle. — (B.P.N.) Viele Jnvaliditäts-und Alters versicherungsanstalten sind nunmehr dazu über- gezangen, einen Teil ihrer Vermögensbestände zur Förderung des Baues von Arbeiterwohnungen zu verwenden. Diese V^rwendungSart ist sowohl vom wirtschaf'lichen als auch vom sozialpolitischen Stand punkte aus erfreulich. Vom wirtschaftlichen insofern, als dadurch die Anlage der verfügbaren Gelder der Versicherungsanstalten in öffentlichen Sparkassen oder wie Gelder bevormundeter Personen, welche doch in erster Linie gesetzlich vorgeschrieben ist, für den Geld markt weniger drückend gestaltet wird, vom sozial politischen Standpunkt insofern, als allgemein die Beschaffung gesunder Wohnungen für die Arbeiter als ein Mittel zur Förderung der Zufriedenheit er achtet wird Wenn man jedoch, wie dies in letzter Zeit in mehreren Zeitungen geschehen ist, annimmt, daß die Bestände der Versicherungsanstalten außer zu den Zwecken, zu welchen auch die verfügbaren Gelder der Berussgenossenschasten verwendet werden dürfen, nur zur Förderung des Baues oder Erwerbes von Arbeiterwohnungen benutzt werden dürfen, so be findet man sich mit dieser Ansicht im Irrtum. Drei Viertel der verfügbaren Gelder der Versicherungs anstalten müssen rn öffentlichen Sparkassen oder wie Gelder bevormundeter Personen, ein Vierte! jedoch kann in anderen zinstragenden Papieren oder in Grund stücken angelegt werden. ES ergiebt sich schon aus dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung im 8 129 d.S JnvaliditätS- und Altersversicherungsg-setzes, daß daS eine B ertel deS Vermögens nicht bloß für Arbeiter- wohnungen benutzt zu werden braucht. Noch deutlicher zeigt das der Wortlaut des Entwuifs des genannten Gesetzes, wie er vom Bundesrate dem Reichstage unter breitet wurde. Dort war vorgesehen, daß dieser Viertel auch noch in Bergwerksanteilen angelegt werden durfte. Dieser Vorschlag ist zwar nicht Gesetz geworden. Er zeigt ober deutlich, wohin die Absicht der Gesetzgeber ging. Überdies sprechen die Motive zu dem Gefitze nur beispielsweise von dem Bau oder der Erwerbung von Arbeiterwohnungen für Rechnung der Versicherungs anstalten, und es heißt in ihnen ausdrücklich, daß auch andere Anlagewerte nicht grundsätzlich ausgeschlossen zu werden brauchen. Nach alledem kann kein Zweifel darüber herrschen, daß die Versicherungsanstalten befugt sind, ihre Bestände bis zu der gesetzlich gezogenen Grenze außer in der Erwerbung von Arbeiterwohnungen auch iu anderen Immobilien anzulegen. Selbstver- ständlich ist dazu die Genehmigung des Kommunal verbandes oder der Zentralbehörde des Bundesstaates, für welchen die Versicherungsanstalt errichtet ist, ebenso nötig, wie für jede andere Anlage des einen Viertels der Vermögensbestände. Halle a. S, 27. Januar. In der Irrenanstalt Nietleben sind gestern 2 Erkrankungen und kein Todesfall vorgekommen. Die Gesamtzahl beträgt 111 Erkrankungen, 38 Todesfälle. Die Erkrankungen in Trotha und Morl haben sich nicht als Cholera herausgestellt. Pari-, 26. Januar. Der Advokat Barboux hat heute vor dem Appellhof seine Rede geschlossen. Aus den letzten Sätzen derselben sei folgendes hervor- gehoben: Von de Reinach entwarf der Redner dieses Bild: „Man bedurfte Hrn. de Reinachs. Er war ein kluger, unermüdlicher Mann, geschätzt um der Mäßigung seiner Meinungen, feiner Ünabhängigkeit und der treuen Anhänglichkeit an seine Freunde willen Er hatte allerdings ziemlich gewöhnliche Manieren, fand aber in der heutigen Welt Nachsicht für seine niedrige Herkunft Es scheint, wenn man jetzt gewisse Leute anhört, daß niemand mit ihm umgehen wollte! Welche Ohren haben denn diese Leute, daß sie nicht den Hahn krähen hören?" Ganz anders urteilt Barboux über Cornelius Herz: „Ist es erstaunlich, daß ein Mann begriff, welchen Vorteil er aus der Eitelkeit des einen, aus der Habgier der anderen ziehen könne? Daß er das Geheimnis der Politiker durchschaute und sich zum Herrn ihrer Ehre machte? Stellen Sie sich Figaro vor, in der Schule Robert Macaires erzogen, mit einem Fuß in den Ministerien, mit den Händen in allen Jntriguen: das ist der Mann, der feit zwei Monaten so viele Leute in Angst hält. Hr. de Lesseps hat ihn zweimal gesehen und hat sich von ihm 600 000 Fres, erpressen lassen. Das ist am Ende besser, als ihn für eine Ernennung in der Ehrenlegion vorgeschlagen zu haben ... Ich bin zu Ende, nur noch ein Wort. Es war natürlich, daß der Sturz der Panamagesellschaft einen Prozeß zur Folge hatte. Wenn ein Schiff zu Grunde geht, muß der Kapitän von seiner Haltung Rechenschaft geben. Aber einen Zivilprozeß hätte man einleiten müssen; der jetzige Prozeß verkennt die elementarsten Rechts- regeln und die einfachsten Grundsätze der Billigkeit " — Unter den gegenwärtigen Aus ständen in Frankreich ist der Streik der Hüttenarbeiter in Rive-de-Gier der bedenklichste. Gestern wohnten 200 Frauen einer Vec- sammlung der Ausständigen bei und mehrere derselben hielten heftige Reden. Die Arbeiter sind besonders dadurch erbittert worden, daß die Mehrzahl der Hütten meister sich weigert, auf Unterhandlungen einzugehen. Gendarmeriepatrouillen durchziehen beständig den Be zirk, und gestern wurden mehrere Verhaftungen vor genommen. — In Saint-Etienne fprengten die Gendarmen 300 Ausständige, die sich zu einer feind lichen Kundgebung vor der Arktischen Fabrik ver sammelt hatten, auseinander. * Paris, 27. Januar. In dem Panamaprozesse ist das gerichtliche Verfahren gegen Jules Roche, Thövenet und Arene eingestellt worden. Alle anderen Parlamentsmitglieder, zu deren gerichtlicher Verfolgung die Genehmigung der Kammer nachgesucht war, wurden unter Anklage gestellt. Besonders bemerkenswert ist, daß der frühere Finanzminister Rouvier nicht zu denjenigen Abgeordneten gehört, gegen welche die Unter suchung eingestellt worden ist. Rouvier hat, wie be kannt, in der Deputiertenkammer selbst zugestanden, daß er als Konseilpräsident für die geheimen Fonds von persönlichen Freunden Beträge erhalten habe, die, ohne daß Rouvier dies gewußt haben will, auS dem Panamafonds herrührlen. Wäre Rouvier außer Ver folgung gesetzt worden, so hätte der Ansturm der Boulangisten sicherlich sogleich wieder begonnen, während es nunmehr den Gerichten überlassen bleibt, die Schuld frage zu erörtern. Das boulangistische Organ ,Fibre Parole" hatte bereits einen neuen Feldzug gegen Rouvier angedroht. Dieser soll nämlich vor einigen Jahren den tunesiichen General Hamida Baneyod, der in Algerien Rechtsansprüche verfolgte, wie einigen Blättein gemeldet wird, die Erwirkung eines günstigen Urteils versprochen haben, falls er 200000 Francs bezahlte. Das Geschäft scheiterte daran, daß der tunesische General für den Fall eines ungünstigen Urteils gar nichts bezahlen wollte. In Frankreich ist man über die Teilnahme des russischen Thronfolgers an den Berliner Hof festlichkeiten wenig erfreut und besorgt eine Ab kühlung der Begeisterung deS Moskowitertums für das Bündnis mit der Republik In der unverkenn baren Absicht, die Wirkung des Berliner Aufenthalts des Cäsarewitsch zu beeinträchtigen, erzählt der „Figaro" folgende phantasievoll entworfene Geschichte: Als der Ahlwardtsche „Judenflinten"skandal loübrach, glaubte die russische Kriegspartei das deutsche Heer wirklich entwaffnet, hielt den Augenblick zum Los schlagen für gekommen und wußte den Zaren für diese Anschauung zu gewinnen. Der russische Monarch schickte seinen Bruder Sergius in geheimer Sendung zum Vatikan, noch London und nach Paris, um sich zu überzeugen, wie man sich dort zu einer Kriegs erklärung an Deutschland stellen würde. Die Sache wurde nicht genügend grheimgehalten, und die spanische Gesandtschaft in St. Petersburg spürte davon. Über Madrid wurde Berlin verständigt. Der Großfürst Sergius erfuhr im Vatikan, man würde einen unglück lichen Krieg Italiens, das nicht kriegsbereit sei, als göttliche Bestrafung des Hauses Savoyen ansehen. In Paris versicherte man, alles fei fertig, nur wolle man wissen, wie sich England zum Kriege stellen würde. In London wollte man nur gegen Überlassung Ägyptens und Marokkos an England, Unabhängigkeit der Balkanstaaten und Bürgschaften in Afghanistan die Neutralität versprechen. Im ganzen erhielt Groß fürst Sergius Eindrücke, welche dem Optimismus der russischen Kriegspartei nicht entsprachen. „Die Ber liner Reise des Cäsarewitsch', schließt der „Figaro", „soll den Eindruck der Sergiusschen Sendung mög lichst verwischen." Man kann es der russischen Presse überlassen, diese abenieuerlichen und für den russischen Kaiser verletzenden Mitteilungen zu widerlegen. In Deutschland werden sie nicht ernst genommen werden. * Rom, 27. Januar. Die Kammer war heute wieder vollbesetzt und ließ auch heute die Bankdebatte unbeendigt. Das schärfste Geschütz fuhr zu Gunsten der Parlamentsuntersuchung und gegen die Regierung Colajanni auf, der als bittere Genugthuunq be zeichnete, daß die Bankuntcrsuchung bestätige, was er ungehört denunzierte und mehrere frühere Minister sowie Giolitti leugneten. Wenn er der Regierung die Fähigkeit zutraue, den Dingen auf den Grund zu gehen, fo würde er sofort ministeriell werden. Die Banca Romana sei nicht die einzig schuldige. Bei der Nationalbank würde man ebenfalls schlimme Zu stände finden. Die Regierung zeigte gegen sie stets Schwäche. An dem Ernst der gegenwärtigen Bank untersuchung sei stark zu zweifeln, da Giolitti notorische Begünstigungen des Hauptes des Untersuchungsaus schusses gewährt habe. Einige Minister feien direkt für die Notlage der Banca Romana verantwortlich, da sie bedeutende Wechfelkredite zu Gunsten von Freunden befürworteten. Jedenfalls müsse die Fähig keit der Minister Giolitti und Miceli stark bezweifelt werden, die sich mit der Komödie der Bankuntersuchung vom Jahre 1889 zufriedengaben und das Bankprivileg fröhlich erneuern wollten, als man vorm Abgrunde stand und die dem Kammerausschuß einen gefälschten Auszug des Enqueteberichts vorlegten, wofür sie genau genommen eine Anklage verdienten Unter tiefem Schweigen der Kammer sprach Colajanni feine feste Überzeugung aus, daß das Ministerium von den Banken Geld für die Wahlen genommen und daß viele in der Kammer sitzen, die unwürdig seien, wes halb die Untersuchung in den Händen der Regierung schlecht aufgehoben sei, besonders da auch die Unab hängigkeit der Gerichte heutzutage nicht unbezweiselt sei. Er schloß mit dem drohenden Hinweis auf die Niedermetzelung der Bauern in Caltavuturo und Erika fuhr aus ihrem Nachsinnen empor, sie sah zu spät nach dem Erkerfenster hin, den Zug von Jägerlist wahrzunehmen, der um die dünnen Lippen und die Augen des Oberforstmeisters schwebte. Und jetzt stand ihr Lestwitz gegenüber straff, stattlich auf gerichtet in ritterlicher Haltung, mit ernster, gleichsam demütiger Miene. Aus ihrem blauen Auge zuckte ein langer prüfender Blick, sie scbuuerte in sich zusammen, aber nur flüchtig, kaum sichtbar, dann richtete sie sich ganz entschlossen auf, that einen Schritt nach dem alten Herrn hin und sagte mit fester klarer Stimme: „Ist das Ihr Ernst — Ihre klare Meinung. Herr v. Lestwitz, so sage ich nicht nein — doch überlegen Eie wohl, was Sie thun und wagen Daß ich mit einem Ehrenmann wie Sie nichts wage, weiß ich!" Sie streckte ihm ihre Hand entgegen, die er bewegt und achtungsvoll küßte. An dec Einwilligung in seine Werbung ermaß er erst die Tiefe ihre- Leides — die krankhafte Überreizung ihres ganzen Innenlebens. Er fügte daher ernst hinzu: „Ich darf nehmen, Erika, was Sie mir so frei gewähren. Aber ich bedinge mir zweierlei, einmal, daß Sie bis morgen auch gegen Bodo über das schweigen, was hier zwischen uns vereinbart wird, er soll in den Beratungen über seine Schritte und sein Geschick nicht meinen, daß ich mir eine andere Autorität über ihn anmaßen will, als die des Freundes seines Vaters und seines eigenen väterlichen Freundes. Und sodann: die Schritte, die zunächst gethan werden müssen, um im nächsten Revier Klarheit zu schaffen — die bestimme ich! Sie wollen dem Hagenschen Hause auSweichen — und ich sage Ihnen, dies muß daS erste sein, indem man erfährt, daß Sie meine Verlobte sind Je kürzer wir zögern, um so besser wird es fein und Sie müssen, wenn es Ihr Ernst ist, mein Geschick zu teilen, sich morgen oder am liebsten noch heut Fräulein Christine Hagen, die auctz meine große Freundin ist und darnach dem ganzen Hause des Kommerzienrats von mir vorstellen lassen. Ich weiß, was ich meine und will: zuerst Fräulein Christine, darnach die anderen — Sie haben die Entscheidung in Ihrer Hand, Erika!' Sie zuckte bei seincn Forderungen zusammen, sie sah ihn bange und fast mißtrauisch an, ihre fest auf einander gepreßten Lippen versagten einem Wider spruch den Durchlaß. Und wie sie diese Lippen öffnete, erwiderte sie leise und doch merkwürdig fest: „Ich habe die Entscheidung schon in Ihre Hand gelegt, Lestwitz. Wo Sie mich als Ihre Braut vorstellen, dahin folge ich Ihnen Gegen Bodo will ich heute und morgen schweigen, doch auch er muß, ehe er geht, klar sehen, wie er zwischen uns beiden werden soll!" Der Oberforstmeister ergriff beide Hände Erikas, sie sah wohl, daß seine Miene dabei nicht die eines Bräutigams, sondern eines vorsorglichen Beschützers sei. Sie verstand feine innerste Meinung nicht völlig, sagte vielmehr mit Nachdruck: „Sie haben mein Wort, lieber, lieber Freund, und Erika v. Gravenreuth ist gewohnt, ihr Wort zu halten!" und sie atmete freier als zuvor, es kam ihr vor, als dürfe sie ihren Fuß wieder fester aufsetzen und ihr empörtes Selbstgefühl beschwichtigen. Herr v. Lestwitz sträubte, als Bodo wieder eintrat, um ihr Schweigen zu empfehlen, mit seinem rechten Zeigefinger den weißen Schnurrbart so komisch in die Höhe, daß an diesem Tage zum ersten Mal ein Lächeln über ihr bleiches Gesicht ging Bodo betrachtete erstaunt seine Schwester, er empfand auf der Stelle, daß eine Veränderung mit ihr vorgegangen sein mußte, alle Blicke aber, die er dem Oberforst- meister hilfeflehend zusandle, prallten an der Undurch dringlichkeit der alten Lestwitz ab Auch als Erika sich von der Försterin, die des OberforstmcisterS Haus halt führte, ein Zimmer anweisen ließ und Bodo mit dem Hausherrn allein blieb, wich Lestwitz dem Gespräch über Erika mit den dunklen Worten auS: „Warten Sie ab, lieber Bodo, ob eine Forderung von dem Komm rzienrat io »ps kommt — und der ent- spreäen Sie, alles andere im Hause Hagen drüben überlassen Sie dem alten Lestwitz!' — Und als der Oberforstmeister bei feinem MittagStisch die Ge schwister wieder vereinigte, konnten beide, wenn auch noch in sehr ernster Stimmung, wieder ruhig mit einander verkehren, wie sie es Jahre hindurch gewohnt gewesen waren. Erika drang darauf, daß Bodo unver züglich und vor Ablauf seines Urlaubs alle zunächst notwendigen Schritte einleite und bat ihn, bis dies geschehen sei, mit ihr hier zu bleiben. Der Ober- sorstmeister gab feine Zustimmung zu erkennen, setzte dann aber mit großem Ernst hinzu: „Die Schritte, die für Sie notwendig sind, liebste Erika, leite ich ein. Und ich habe überlegt, daß Sie sich selbst, Bodo und mir, wie auch Fräulein Hagen schuldig sind, noch beute unter meinem Geleit dort hinüber zu gehen. Wenn Sie sich zu erschöpft fühlen, wollen wir bis morgen vormittag warten, doch wenn Ihr Befinden eS irgend gestattet bitte ich mit mir heute am Spät nachmittag hinüber zu fahren. Sie kehren anders zurück, al» da Sie gingen, und darum bitte ich Sie, sich tapfer zu zeige i, wie Eie von Natur sind". Erstaunt hörte Bodo den Vorschlag ihres trefflichen Wirtes und wiederum war es Erika, als ob sie wider streben müsse. Toch ein mahnender zugleich ernster und gütiger Blick des Oberforstmeisters entwaffnete sie und sie wiederholte daß sie sich seinen Wünschen fügen werde (Fortsetzung folgt.) Rrfidenzlbeater. Ein Teil des Überrestes von Zeit und Kraft, welchen die fünfundzwanzigmalige Vorführung des äußerlichen Spcktakelstückes „Frau Venus ' für Hrn Sonntags Gastspiel noch übrig gelassen hatte, wurde gestern abend am 27. d. vom Künstler dazu benutzt, die beiden Schwänke „Franen- cmanzipation" und „Ter Sklave" von Moser vorzusühren. Der erste sck on im vorigen Jahre besprochene Akt, eine drollige Scene von flüchtig improvisierter Ge staltung, ist vom Gaste selbst gemacht und zwar nach Art und Neigung seines parodistischen und satierifchen Humor-, darinnen sich die TarftellungSmanier der talentvollen Schauspielers am meisten und liebsten wohl und bequem fühlt Derselbe sührte in der Rolle des Schauspielers Ascher die muntere Plauderei unter der allgemeinen Erheiterung und dem verdienten Bei fall des Publikums erfolgreich zu ende. Nicht minder anregend durch unerschöpfliche Lokal- und Personalkomik eines trefflich gezeichneten Charakterbildes wirkte der Gutsbesitzer TituS Bär au» Meißen, eine schauspielerische Musterleistung, die für Hrn. Sonntag ungefähr dasselbe ist, wie für Hrn. Friedrich Haase der alte Klingsporn. O B.